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1.4 Sozialer Druck

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Meiner Meinung nach liegt eines der größten Versäumnisse in der Persönlichkeitspsychologie darin, die Einflüsse der Umwelt nicht in ausreichendem Maß zu beachten. Die typische Vorgehensweise, um ein Persönlichkeitsprofil eines Menschen zu erstellen, ist jene, die Person einen „wissenschaftlich fundierten“ Persönlichkeitsfragebogen ausfüllen zu lassen und dann, im Vergleich mit einer Normgruppe, bestimmte Variablen wie Extraversion, Offenheit, Ehrlichkeit, Neurotizismus usw. hinsichtlich der Stärke ihrer Ausprägung zu beurteilen. Natürlich finden sich in diesen Verfahren auch regelmäßig Items, die eine Selbsteinschätzung abhängig von Situationen verlangen, wie: „Wenn ich einen Raum betrete, in dem sich mir fremde Menschen aufhalten, suche ich das Gespräch.“ Man darf getrost davon ausgehen, dass derartige Selbstbeurteilungen nicht gerade valide sind. Ähnliches gilt auch für die Diagnostik von Leistungsparametern, wie Intelligenzdimensionen oder Aufmerksamkeit und Konzentration. In der Umwelt, der Realsituation, gelten andere Maßstäbe.

Zwar sind die enormen Einflüsse der Situation schon lange bekannt und gut untersucht, aber welche Bedeutung hat die Kenntnis von Phänomenen, wenn sie nicht wirklich beachtet werden? Klassisch sind die Experimente von Solomon Asch,11 die in besonders eindrucksvoller Weise belegen, welchen Einfluss abweichende Gruppenmeinungen auf das Individuum haben können. Versuchspersonen, die glaubten, an einem Experiment zur visuellen Wahrnehmung teilzunehmen, wurden mehrere Linien gezeigt, die sich in ihrer Länge sehr deutlich unterschieden (Abb. 2).


Abb. 2: Die Experimente von Asch zum Gruppendruck (eigene Darstellung)

Im klassischen Asch-Design war nur ein Teilnehmer „naiv“, das heißt, bei allen anderen handelte es sich um eingeweihte Personen. Diese sollten einhellig die gleiche Meinung vertreten, nämlich dass eine deutlich kürzere Linie gleich lang sei wie die Standardlinie. Obwohl in den unterschiedlichen Experimenten stets sehr viele Personen ihre Meinung, die Vergleichslinie sei kürzer, gegen die anderen behaupteten, gab es zumeist einen nicht geringen Anteil von rund 30 % der Teilnehmer, der sich der – offensichtlich falschen – Gruppenmeinung beugte.

Wir befinden uns hier in einem heiklen Spannungsfeld, in einer Art „Dualität von Zurückhaltung und Aufgeschlossenheit“, wie Zimbardo es nennt (Zimbardo 2008, S. 414): Auf der einen Seite haben die Menschen das Bedürfnis nach Abgrenzung und Individualität, auf der anderen Seite empfinden wir ein Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit. Das macht uns wiederum anfällig für Konformität und Überredung. Wir können die Vorteile des einen nicht ohne die Gefahren des anderen kaufen.

Sozialer Druck kann selbstverständlich auch in dialogischen Settings eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Es können in einem Unternehmen etwa unausgesprochene Regeln oder nicht hinterfragbare Annahmen gelten, die zwar akzeptiert, nicht aber gutgeheißen werden. Diese direkt anzusprechen, gar in Frage zu stellen, wird jedoch ob etwaiger zu erwartender Sanktionen als gefährlich betrachtet. Es bedarf einigen Mutes, als Erster dieses Thema zur Sprache zu bringen, weil man als „erfahrener“ Mitarbeiter um den Druck seitens der Kollegen weiß, dieses heikle Thema lieber unter den Tisch zu kehren.

Aus gutem Grund sprechen Martina und Johannes Hartkemeyer von einem Container12, der notwendig ist, eine fest verankerte Basis des Vertrauens im Dialog zu schaffen, um beispielsweise gefährliche Systemarchetypen an die Oberfläche zu bringen. Sie zitieren William Isaacs mit den Worten: „No container, no dialogue“. Damit ist ein auf Wertschätzung und Vertrauen basierender Gruppenzusammenhalt gemeint, der widersprüchliche Ansichten, Gegensätze, Außenseiterrollen und Höhen wie Tiefen des Gruppengeschehens aushält. Die Teilnehmer haben geschützt durch einen solchen Container die Gewissheit, dass normalerweise Unaussprechliches ausgesprochen werden darf, ohne dass der gemeinschaftliche Zusammenhalt grundsätzlich darunter leidet.

„Die Schaffung eines gemeinsamen Containers, basierend auf gegenseitigem Vertrauen in der Gruppe, ist daher notwendig, um den sicheren Raum zu schaffen für Vielfalt und um Spannungen nicht nur zu ertragen, sondern im Sinne eines möglichen Lernfeldes zu begrüßen“ (Hartkemeyer et al. 2001, S. 45).

Gerade ein funktionierender Dialog ermöglicht die Schaffung eines solchen Containers, es handelt sich um einen zirkulären Prozess: Der Dialog unterstützt das Entstehen eines Containers, der Container ist eine Voraussetzung für einen wirklichen Dialog. Alleine daraus wird ersichtlich, dass der Dialog Zeit braucht.

Der Dialog in Beratung und Coaching

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