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Prolog: Der Dialog in Beratung und Coaching
ОглавлениеDas Wort Dialog steht praktisch synonym für Unterredung, für mündliche oder schriftliche Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen, mit abgeleiteten Begriffen wie Monolog, Trialog oder Polylog. Bekannt ist der sogenannte Sokratische Dialog, dessen Ziel es ist, durch geschicktes Fragen dem Gegenüber dabei zu helfen, verborgene Erkenntnisse zu gewinnen, Verschüttetes an die Oberfläche zu befördern und so einer Problemlösung zugänglich zu machen. Man spricht von der Mäeutik, der Hebammenkunst, weil man – einer Hebamme gleich – neuen Gedanken zur Geburt verhilft.
Zum Dialog, meist verbunden mit dem Namen David Bohm (und Martin Buber als Quelle für philosophische Grundlagen des Dialogs, wenngleich der US-amerikanische Physiker Bohm den Namen des jüdischen Religionsphilosophen Buber höchstwahrscheinlich gar nicht kannte), gibt es mittlerweile eine Reihe von Büchern, es werden Seminare und Ausbildungen angeboten, Dialog-Runden im öffentlichen wie privaten Raum und vieles mehr veranstaltet. Ein allgemein akzeptierter, einheitlicher Rahmen für den „Dialog“ ist nicht vorhanden, es gibt keine kongruente oder gar empirisch fundierte Theorie dahinter, sondern eben viele Zugänge aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Deshalb muss, möchte man sicherstellen, vom Gleichen zu sprechen, der Begriff Dialog definiert werden: Was versteht man darunter? Gibt es Rahmenbedingungen, unter welchen dialogisiert wird? Orientieren wir uns an dem sehr offenen Zugang von David Bohm oder blicken wir zu William Isaacs, der (am Massachusetts Institute of Technology in Boston) einen an den Begriff der Lernenden Organisation angelehnten Dialog-Zugang entwickelt hat?
Hat man für sich eine Idee, eine einigermaßen konsistente Definition von „Dialog“ entwickelt, kann man nach Wegen suchen, diese Idee in eigenen Beratungsprozessen so umzusetzen, dass man – und dies ist besonders wichtig – zum einen authentisch mit der eigenen Persönlichkeit und zum anderen mit klaren, überlegten Zielen vor Augen willensstark den eigenen Weg als „dialogischer Berater“ zu gehen vermag.
Dass es keine empirische „Dialog-Theorie“ gibt und somit auch jeder vollkommen frei ist, den Dialog in seinem Sinne zu verwenden, ist einerseits eine Chance, andererseits aber eben auch mit der Notwendigkeit verbunden, zunächst klarzustellen, was man unter Dialog versteht. Wer ein Dialog-Seminar bucht, kann sich in der Situation wiederfinden, unter freiem Himmel, bei Lagerfeuer und Tänzen der germanischen Muttergöttin Frigg zu huldigen oder auch in einem neutralen Besprechungsraum mit Flip-Chart und Beamer zu sitzen und sachlich dialogische Ideen, Ansätze, Prinzipien und Abläufe zu besprechen und einzuüben, mit dem Ziel, die Gesprächskultur im Unternehmen zu verbessern. Es kann sein, dass die Vertreter ersteren Zugangs das, was sich im Besprechungsraum abspielt, gar nicht als dialogisch in ihrem Sinn verstehen und vice versa. Oft liegen dem persönlichen Dialog-Begriff (auch implizite) Annahmen zugrunde, die – gar nicht dialogisch – verteidigt werden. Alles ist möglich, was auch gut ist, denn jeder Topf soll die Chance haben, seinen Deckel zu finden, und jeder kann sich frei entscheiden, in welche Richtung er gehen möchte. Die Welt ist vielfältig.
Wie immer man den Dialog definieren möchte, es gibt wohl eine Reihe von Charakteristika, welche von den meisten Anwendern als zentral aufgefasst werden. Exemplarisch seien erwähnt: nicht durcheinander sprechen (egal, ob man ein Redesymbol verwendet oder nicht), alle Ansichten sind bedeutsam, man begegnet den anderen mit einem gewissen Respekt (auch wenn es manchmal schwerfällt), Buber’sche Gedanken vom Ich und Du werden zumindest gestreift und es sollen Denkprozesse sichtbar gemacht und nicht nur Meinungen verteidigt werden (was wiederum bedingt, dass man sich an gewisse Grundsätze in der Gesprächsführung hält).
Dabei ist es überhaupt nicht von Bedeutung, ob zwei Individuen versuchen, miteinander „dialogisch“ umzugehen, oder ob es sich um eine Gruppe von 40 Personen handelt – oder ob man daran geht, dialogische Prinzipien auf sich selbst anzuwenden. Wesentlich ist das kreative, offene Kommunikationsfeld, das bis zu einem gewissen Maß das Unbestimmte, Unvorhersehbare, man kann sagen: das Chaotische, zulässt – natürlich innerhalb gewisser Grenzen.
Der Mensch, so auch der Rat- oder Hilfesuchende, hat oft Angst vor dem unerforschten Gebiet, aber bringt (hoffentlich) die Neugier mit, es zu betreten, ebenso wie der Berater. In einem derartigen sozialen Interaktionsprozess muss eine Balance gefunden werden zwischen kreativem Chaos und geregelten Bedingungen. Wenn man glaubt, alles kontrollieren zu müssen, ist dies das Ende jedweder Kreativität. Der dialogische Zugang bedeutet auch die Suche nach dieser Balance zwischen dem angstmachenden, unerforschten, wilden Gebiet und der ordnenden, vertrauten, ritualgeprägten kulturellen Welt des Vorhersehbaren und Vertrauten.
Im vorliegenden Buch werden zwei Ansätze verfolgt. Zum einen geht es um die „Psychologie des Dialogs“: um Denkprozesse, verzerrte Wahrnehmungen, soziale Einflüsse auf die Kommunikation, die Rolle von Intuition und Emotionen und dergleichen. Es ist wichtig, sich als Berater damit zu beschäftigen, welche Strukturen und Muster unserem Denken zugrunde liegen. Zum anderen werden Wege aufgezeigt, die einen Berater, der seine Tätigkeit dialogischer gestalten möchte, dabei unterstützen können. Das DI•ARS-Beratungsmodell liefert dafür eine Struktur, weil es den Berater immer wieder daran erinnert, sich Hypothesen zu bilden, die auch wieder verworfen werden können (und sollen, alleine schon deshalb, weil sich Menschen und Situationen verändern), und weil es die Komplexität des Beratungsgeschehens mithilfe eines relativ einfachen Modells herunterbricht, was zur Übersichtlichkeit beiträgt.
Diesen beiden Ansätzen nähert sich das Buch in drei Schritten: Zunächst werden in Kapitel 1, 2 und 3 die Grundlagen ausgeführt. Dabei geht es einerseits um ausgesuchte Aspekte der Psychologie, darum zu verstehen, was unser Verhalten und unsere Wahrnehmung sowohl als Individuum als auch als soziales Wesen in der Gruppe ausmacht. Zum anderen werden die wesentlichen Begriffe des Dialogs nach David Bohm sowie das DI•ARS-Modell vorgestellt, das dabei unterstützen soll, dialogische Prinzipien in der Beratungspraxis zu implementieren. Während der Dialog in der Tradition von David Bohm auf Gruppenprozesse fokussiert, bietet sich das DI•ARS-Modell in erster Linie für individuelle Beratungs- bzw. Coachingsituationen an.
In einem zweiten Schritt werden in den Kapiteln 4, 5 und 6 Wege bzw. Bausteine erläutert, welche die dialogische Beratung unterstützen und intensivieren können. Die vorgestellten „Erleichterer“ aus unterschiedlichen beraterischen Zugängen, die dialogischen Rahmenbedingungen sowie die dialogischen Kompetenzen des Beraters beziehen sich dabei besonders auf die individuelle Beratung (Kapitel 4 und 6) und auf Gruppensituationen (Kapitel 5).
Kapitel 7 und 8 widmen sich schließlich der praktischen Umsetzung. Fallbeispiele zeigen, wie der Gruppendialog im betrieblichen Managementkontext und das DI•ARS-Modell in der Einzelberatung umgesetzt werden können. Eine Vielzahl von Übungen liefert Anregungen für dialogische Beratung in der professionellen Beratungspraxis, aber durchaus auch für den privaten Bereich.
Im Buch werden immer wieder die Begriffe „Energie“, „Selbst“ und „Unbewusstes“ verwendet. Ich benutze diese Worte in einem alltagssprachlichen Sinn. Über „Energie“ als psychologischen Begriff kann man lange diskutieren, obgleich es im normalen Wortgebrauch überhaupt nicht problematisch ist zu sagen: „Energie fließt von einem psychischen System in ein anderes“ – man weiß, was damit gemeint ist.
Das „Unbewusste“ war für Freud1 eher ein Ort („psychischer Ort“: auch das ein gewaltiger Begriff, der schnell einmal so dahingesagt ist) verdrängter, dunkler Inhalte. Im vorliegenden Buch ist mit dem Unbewussten ein solcher gerade nicht gemeint, sondern etwas sehr Positives, „Weises“, ein weit verzweigtes und großteils zumindest im Moment nicht bewusstes Netzwerk von Erfahrungen, Ideen, Phantasien, intelligenten Intuitionen und Lösungswegen, Gefühlen und vielem mehr, auf das wir im Grunde zugreifen können. Das „Selbst“ als Konstrukt ist in diesem Unbewussten angesiedelt, aber weder das Selbst noch das Unbewusste sollten verdinglicht werden. Es handelt sich schlicht um Hilfskonstruktionen, damit Begriffe zur Verfügung stehen, über die man sich austauschen kann. Es gibt keine Orte, an denen sich „Dinge“ wie das Unbewusste oder das Selbst aufhalten. Deshalb plädiere ich dafür, mit diesen Begriffen locker und nicht zu streng umzugehen, denn solch eine Lockerheit bereitet auf einer alltagssprachlichen Ebene üblicherweise keine Probleme. Die Begriffe stehen einfach für psychische Funktionen, man benutzt sie, um Konstruktionen zu beschreiben. Und wir sind daran gewöhnt: Alltagssprachlich hat wohl kaum jemand ein Problem mit Begriffen wie Liebe, Freundschaft, Feindseligkeit oder Glück. Wir können uns wunderbar darüber unterhalten, so wie wir sagen: „Ich stehe auf der Mariahilfer Straße“, obwohl wir unser Auto meinen. Die Wissenschaft verkompliziert Benennungen notwendigerweise und aus guten Gründen, aber im Rahmen des vorliegenden Buches ist meiner Meinung nach der alltagssprachliche Zugang zu solch schwierigen Begriffen vollkommen ausreichend.