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Stiftungen für Menschen nach der Revolution der Achsenzeit

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Stiftungen für die Götter und die Ahnen waren Produkte einer Auffassung des Daseins und der ‚Welt‘, in der Lebende und Tote ihren Platz in der Einheit des Kosmos fanden; um vom Diesseits zum Jenseits zu gelangen, waren die Menschen noch nicht auf göttliche Hilfe oder eigene Leistung angewiesen. Zwar waren die Einzelnen in ihren Familien, Ständen und örtlichen Lebensgemeinschaften in Solidarität verbunden, aber eine ethische Verpflichtung zur Hilfe der Fremden kannte man so wenig wie das Mitgefühl. Die Zäsur, mit der dieses anders wurde, wird nach Karl Jaspers die ‚Achsenzeit‘ genannt. Nach Jaspers habe die „Achse der Weltgeschichte“, der „tiefste Einschnitt der Geschichte“, zwischen 800 und 200 vor Christus gelegen; er schrieb dazu: „In dieser Zeit drängt sich Außerordentliches zusammen. In China lebten Konfuzius und Laotse, entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie, dachten Mo-Ti, Tschuang-Tse, Lie-Tse und ungezählte andere, – in Indien entstanden die Upanischaden, lebte Buddha, wurden alle philosophischen Möglichkeiten bis zur Skepsis und bis zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China, entwickelt, – in Iran lehrte Zarathustra das fordernde Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, – in Palästina traten die Propheten auf von Elias über Jesaja und Jeremias bis zu Deuterojesaja, – Griechenland sah Homer, die Philosophen – Parmenides, Heraklit, Plato – und die Tragiker, Thukydides und Archimedes. Alles, was durch solche Namen nur angedeutet ist, erwuchs in diesen wenigen Jahrhunderten annähernd gleichzeitig in China, Indien und dem Abendland, ohne dass sie gegenseitig voneinander wussten.“81 Im Zentrum des gleichartigen Durchbruchs habe die Entdeckung der Transzendenz gestanden, die das Weltbild der Menschen fundamental veränderte. Die Vorstellung vom Kosmos, die Menschen- und Götterwelt als Einheit auffasste, wurde verdrängt durch die Trennung von Diesseits und Jenseits, das Heilige wurde entrückt und die Welt, mit Max Weber gesprochen, ‚entzaubert‘.82 Der Einzelne war nicht länger eingebunden in eine kosmische Kultgemeinschaft, sondern musste die entstandene Kluft zwischen dem Hier und Dort selbst überwinden. Mit der Entdeckung der Transzendenz auf sich selbst verwiesen, erfuhr er sich als Subjekt, Persönlichkeit oder Individuum, also als ein je anderer zu seinen Mitlebenden.83 Da sich die Sinnsuche keineswegs auf ein Jenseits ausrichten musste, das mit oder ohne göttliches Wesen radikal verschieden vom Diesseits sein sollte, konnte sie auch in der Selbsttranszendenz liegen, also in der Überwindung der Selbstsucht.84 Entschieden betont wurden dementsprechend noch unlängst die ethischen Anforderungen der Achsenzeit: „Ins Zentrum des spirituellen Lebens rückte nun die Moral. Der einzige Weg, dem zu begegnen, was sie ‚Gott‘, ‚Nirwana‘, ‚Brahman‘ oder den ‚Weg‘ nannten, war es, ein Leben im Zeichen des Mitgefühls zu führen.“85 Andererseits konnte der Einzelne die diesseitige Welt als wandelbar erkennen, Utopien entwickeln und soziale Veränderungen bewusst herbeiführen. So war die sogenannte Achsenzeit auch die Geburtsstunde des Intellektuellen.86

Jaspers’ Anregungen sind vor allem von Sozial- und Religionswissenschaftlern aufgegriffen worden;87 statt auf achsenzeitliche Durchbrüche konzentriert man sich in jüngerer Zeit häufig auf die Typologie axialer Kulturen und versucht, die Wiederentdeckung axialer Eigenschaften in der Geschichte einzufangen. Gelegentlich ist auch von sekundären Durchbrüchen die Rede, zu denen etwa das Christentum im Verhältnis zur Religion Israels zählte, oder man dehnt die Achsenzeit von ca. 500 v. u. Z. bis zum Aufstieg des Islams, das heißt bis zum 7. Jahrhundert, aus.88 Andererseits haben Historiker darüber nachgedacht, ob spätere Austauschbeziehungen zwischen Achsenzeiterfindungen zur Ausbildung einer ‚Weltkultur‘ beigetragen haben.89 Auch für die Weltgeschichte der Stiftungen bedeutete die ‚Achsenzeit‘ einen signifikanten Einschnitt, den wichtigsten von allgemeiner Bedeutung.

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