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Einleitung

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Für einen Blick auf das Ganze der Geschichte oder jedenfalls bestimmte ihrer Perioden zieht die gegenwärtige Wissenschaft die Bezeichnung ‚Globalgeschichte‘ der ‚Universalgeschichte‘ vor.1 Jene legt den Akzent auf die Erforschung weltumspannender Beziehungen oder Vernetzungen mit ihren Folgen für den historischen Wandel, diese tendiert zur Isolation von Kulturen zum Zwecke des Vergleichs.2 Globalhistoriker werfen der Universalgeschichte nicht ganz zu Unrecht vor, durch eine Essentialisierung kultureller Grenzen die Dynamik von Austausch und Veränderung zu verfehlen. Unbestritten ist allerdings der Nutzen des Vergleichs bei der Beobachtung bestimmter Phänomene in gleich- oder verschiedenzeitigen gesellschaftlichen Systemen,3 soweit aus seinen Ergebnissen nicht angebliche Gesetze historischer Entwicklung abgeleitet werden. Faszinierend ist die Einsicht, dass menschliche Erfindung offenbar unabhängig von Vorbildern für gleiche Probleme oder Aufgaben ähnliche oder gar identische Lösungen hervorbringt, deren Voraussetzungen und Bedingungen historischer Analyse zugänglich sind.

Auch Stiftungen gehören zu den universalen Erscheinungen, die eher durch Vergleich aufeinander bezogen als in ihren besonderen Ausprägungen mühelos auf die Nachahmung älterer kultureller Vorbilder zurückgeführt werden können.4 Nach ihnen in möglichst umfassender Weise zu fragen, wie es in diesem Buch geschehen soll, lohnt sich wissenschaftlich, weil Stiftungen als totales soziales Phänomen erkannt sind, an denen sich das Gefüge ganzer Gesellschaften ablesen lässt.5 Nicht zuletzt aber erlaubt die Stiftungsforschung Aufschlüsse über die Menschen in ihrer Geschichte: Mit welchen Absichten und unter welchen Umständen sie über den Tod hinaus wirken wollen,6 in welchem Maße sie dabei auf mitmenschlichen Beistand und sachliche Hilfen rechnen können und wie im Wandel der Zeiten ihre Planungen transformiert oder ganz zunichtewerden.

Was eine Stiftung ist, lässt sich nicht für alle Zeiten definitorisch lösen; sehr viele ihrer Erscheinungsweisen kann man aber idealtypisch zusammenfassen.7 Demnach wird bei einer Stiftung ein Kapital zur Verfügung gestellt, mit dessen Erträgen ein bestimmter Zweck auf Dauer verfolgt werden kann.8 Im Unterschied zur Schenkung, die in einer einmaligen Gabe besteht, soll die Stiftung aufgrund ihres nie aufgebrauchten und nie weitervergebenen Vermögens eine unendlich oft wiederholte Leistung in periodischen Rhythmen ermöglichen. Stiftungen ergänzen die Tätigkeiten anderer und beheben Mängel, sie dienen der Hilfe für Arme, Bedürftige, Fremde und Kranke, unterstützen staatliche Einrichtungen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und fördern religiöse Kulte sowie Kunst und Wissenschaft. Sie begegnen immer wieder in entwickelten, arbeitsteiligen Gesellschaften, die eine Akkumulation von Vermögen in den Händen Einzelner erlauben. Offen ist aber, ob Idee und Praxis der Stiftungen in verschiedenen Gesellschaften erfunden worden sind oder sich durch Nachahmung verbreitet haben.

Bei der Suche nach den ältesten und den wichtigsten Ausprägungen des Stiftungswesens empfiehlt sich eine typologische Unterscheidung. Selbsterklärend sind die Begriffe ‚Götterstiftung‘ und ‚Ahnenstiftung‘, da sie die Adressaten der aufgewandten Stiftungserträge bezeichnen. Von ‚Ahnenstiftungen‘ nicht klar zu trennen sind ‚Toten(kult)stiftungen‘, denn diese können dem feierlichen Gedenken längst Verstorbener ebenso gewidmet sein wie der geplanten Memoria noch Lebender nach deren Hinscheiden. Häufig werden sie als ‚heidnisch‘ von den christlichen Stiftungen abgesetzt, auch wenn beide Typen die Begehung des Grabes unter Nennung des Namens des Verstorbenen gemeinsam haben.9 Mit dem alternativen Terminus ‚Seelenkultstiftungen‘ werden die Stiftungen für die Toten allerdings in dezidiert vorchristlicher Weise angesprochen:10 Hier wird der Akzent auf die gedachte Prolongation des Lebens gelegt, die vor allem durch die rituelle Speisung des Verstorbenen oder das Mahl mit ihm ermöglicht werden sollte.11 Das jenseitige Fortleben soll sich hier auf die Seele beziehen, ohne dass Gott (oder die Götter) zu seinen Gunsten oder seinem Heil eingreifen mussten. Von ‚Seelenkultstiftung‘ begrifflich scharf zu trennen sind ‚Stiftungen für das Seelenheil‘. ‚Seelenheil‘ ist der Lohn des ewigen Lebens für gute Taten eines Menschen und als Gabe (sowie nach dem Gericht) Gottes in einem alle Erfahrung übersteigenden Glück, das nach einmaliger Wiedergeburt und in der Auferstehung von Leib und Seele erlangt wird. Durch ‚Stiftungen‘ kann der Einzelne seine Werke über den Tod hinaus wirken lassen und heilbringende Verdienste für sein Seelenheil gewinnen. Bis vor Kurzem war der Typ von Stiftungen der Forschung nur aus dem lateinischen Christentum bekannt; im Mittelalter sollten ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ sogar mit den Stiftungen schlechthin identisch gewesen sein.12 Die Gläubigen versprachen sich das Seelenheil als Gegengabe Gottes; wer eine Stiftung „für die Seele“, „für den Loskauf“ oder „für das Heil der Seele“ machte, erwartete mit dem frühchristlichen Theologen Tertullian (gest. um 220), durch seine gute Tat Gott zum Schuldner zu machen und Erlass seiner Sünden(strafen) als himmlischen Lohn zu erlangen.13 Geholfen wurde dem Stifter dabei durch Mönche, Kleriker und auch Laien, die ihre Förderung seitens der Stiftung durch Fürbitten zu seinen Gunsten entgalten. Periodische Memorialleistungen, die teilweise das besondere Interesse der Forschung gefunden haben,14 sind allerdings höchstens der Art nach Mittel zur Unterscheidung von Seelenkultstiftungen. Von diesen lassen sich die Seelenheilstiftungen auch nicht immer durch den formelhaften Motivenbericht der Schriftzeugnisse trennen; methodisch wichtig ist deshalb, dass sie oft nur unter Würdigung des Stiftungsaktes im Ganzen und durch den religiösen Rahmen, in dem er vorgenommen wurde, bestimmt werden können.15

1 Zur Globalgeschichte zuletzt: Conrad, Globalgeschichte (2013).

2 Zum Verhältnis der beiden Konzepte s. Borgolte, Über europäische und globale Geschichte (2013).

3 Ein Beispiel auch für viele andere: Borgolte, Otto Hintzes Lehre (2002, ND 2014). – Zum Problem der Essentialisierung von Kulturen und zur Abgrenzung von Vergleichseinheiten jetzt umsichtig: Höfert, Kaisertum und Kalifat (2015), bes. 42–53.

4 Vgl. Borgolte (Hrsg.), Enzyklopädie des Stiftungswesens (2014–2017); Borgolte, Stiftung und Memoria (2012), 337–419; Geelhaar/Thomas (Hrsg.), Stiftung und Staat (2011); Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum (2005).

5 Borgolte, „Totale Geschichte“ (1993).

6 Vgl. Borgolte, König als Stifter (2000); s. auch unten Anm. 8.

7 Vgl. von Reden (Hrsg.), Stiftungen zwischen Politik und Wirtschaft (2015); Borgolte/Lohse/Sánchez u.a., Stiftung (2014); Adam/von Reden/Borgolte u.a., Stiftungen (2012); Kocka/Stock (Hrsg.), Stiften, Schenken, Prägen (2011).

8 Zu Einschränkungen der Verpflichtung zur ‚ewigen‘ Leistung und zur abweichenden Konzeption der ‚Ertrags-‘ oder ‚Gebrauchsstiftungen‘ bzw. der ‚operativen Stiftungen‘ s. Borgolte, Stiftungen – eine Geschichte von Raum und Zeit (2009, ND 2012), 387f. – Zum Motiv der Dauer im historischen Wandel jetzt Moddelmog, Königliche Stiftungen (2012); Lohse, Dauer der Stiftung (2011).

9 Zur Problematik des Begriffs ‚Totenkult‘ s. Oexle, Mahl und Spende (1984), 401 Anm. 1.

10 Zu Seelenkultstiftungen, die „das ganze Altertum hindurch das Stiftungswesen beherrscht“ haben, s. Liermann, Handbuch 1 (1963), bes. 13f.; vgl. Bruck, Stiftungen für die Toten (1954). Neuere althistorische Studien widersprechen dem Konnex heidnischer Stiftungen mit dem Seelenkult: Veyne, Brot und Spiele (1988, ND 1990), 225; weitere Literaturhinweise bei Holman, Hungry Are Dying (2001), 14 Anm. 64, vgl. zuletzt von Reden, Glanz der Stadt (2012). S. aber Pickert, Römische Stiftungen (2005); dies., Sehnsucht nach Ewigkeit (2008).

11 Vgl. Oexle, Mahl und Spende (1984); ders., Gegenwart der Toten (1983, ND 2011), 127–136.

12 Schmid, Stiftungen für das Seelenheil (1985), 61, 66f. Korrektur jetzt bei Borgolte, Stiftungen „für das Seelenheil“ (2015).

13 Schmid, Stiftungen für das Seelenheil (1985), 59 und 61, mit Bezug auf Tertullien, La pénitence (1984), 150 cap. II.11. – Angenendt, Offertorium (32014), 265–279.

14 Jetzt Borgolte/Lohse/Sánchez u.a., Gedenken und Kultus (2016); Borgolte, Stiftung und Memoria (2012).

15 In diesem Buch greife ich vielfach auf eigene Publikationen zurück und übernehme aus diesen auch Formulierungen, die ich nicht im Einzelnen nachweise. Übersetzungen aus dem Englischen und Lateinischen stammen, soweit nichts anderes vermerkt ist, von mir. Die Orthographie wird in Zitaten älterer Provenienz der neuen Rechtschreibung angepasst.

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte

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