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‚Stiftungen für das Seelenheil‘ im Zoroastrismus

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‚Stiftungen für das Seelenheil‘ wurden zuerst von Mediävisten typologisch identifiziert, ohne dass sie bemerkt hätten, dass es Stiftungen dieser Art noch in einer ganz anderen Weltgegend gegeben hat, nämlich im Alten Iran und geprägt von der Religion des Zoroastrismus.126 Hauptquelle ist eine umfangreiche Sammlung von Rechtsentscheidungen, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts u. Z. entstanden war (‚Hazār dātestān‘);127 in dieser Kompilation werden zahlreiche Regelungen von Stiftungen für die Seele exemplarisch vorgeführt und formuliert. Inschriften belegen die Praxis schon für die Zeit des Sasanidenherrschers Šābuhr I. im 3. Jahrhundert.128 Es fragt sich allerdings, ob und inwiefern die zoroastrischen Stiftungen für das Seelenheil auf die Lehren Zarathustras selbst zurückgeführt werden können und ob es ältere Zeugnisse dafür gibt.

Die Anfänge des Zoroastrismus selbst sind in der gegenwärtigen Forschung höchst umstritten.129 Sicher ist, dass das ‚Avesta‘, die älteste Sammlung der religiösen Texte der Zoroastrier, erst im dritten Perserreich der Sasaniden (224–642/651 u. Z.) entstand, nachdem die Überlieferung jahrhundertelang nur mündlich erfolgt war.130 Vermutlich war es die Konfrontation mit dem Christentum und der Religion Manis (216–274/277 u. Z.), die beide über heilige Schriften verfügten, die diese Niederschrift ausgelöst hatte.131 Unter Chosrau I. (531–578 u. Z.) war der Kodifizierungsprozess offenbar so weit fortgeschritten, dass das ‚Avesta‘ an die höchsten Priester des Landes verschickt werden konnte.132 Wie weit die ältesten Schichten des ‚Avesta‘ chronologisch zurückgehen, wird noch diskutiert, man unterscheidet aber altavestische Texte, die ins zweite vorchristliche Jahrtausend (1700–1200 oder 1200–1000 v. u. Z.) datiert werden, von jungavestischen (1000–600 oder 800–600 v. u. Z.).133 Welche Rolle Zarathustra134 bei der Formierung des Zoroastrismus gespielt hat, ist durchaus unklar; manche bezweifeln sogar seine Historizität, die anderen, die Mehrheit der Fachvertreter, datieren ihn nicht mehr wie früher ins 6. Jahrhundert, sondern um 1000 v. u. Z. oder in noch ältere Zeit.135 Am ehesten werden ihm fünf Gathas („Gesänge“, „Lieder“) zugeschrieben, die in der ältesten avestischen Sammlung ‚Yasna‘ überliefert sind und für den liturgischen Gebrauch bestimmt waren.136 Übereinstimmung herrscht darin, dass im ‚Yasna‘ auch vorzoroastrische religiöse Vorstellungen ihren Niederschlag gefunden haben. Manche Wissenschaftler nehmen an, dass sich eine im Wesentlichen ungestörte Traditionslinie von den Gathas bis ins religiöse Leben zoroastrischer Dörfer im Iran der 1960er Jahre ziehen lasse,137 andere zweifeln an dieser Kontinuität über Jahrhunderte, ja Jahrtausende zunächst mündlicher und erst spät schriftlicher Überlieferung und Praxis.138

Die kontroversen Forschungsmeinungen können und müssen hier im Einzelnen nicht dargelegt werden; es kommt nur darauf an, den religiösen Horizont für die zoroastrischen Stiftungen zu skizzieren, unabhängig von der Frage, welches Element sich in welcher Zeit entfaltet haben mag. Wenn in diesem Kapitel von ‚Zarathustra‘ die Rede ist, muss man jedoch im Auge behalten, dass die Autorschaft einer bestimmten Person keineswegs feststeht. Unter diesem Vorbehalt stütze ich mich im Folgenden auf die Darstellungen von Mary Boyce und Peter Clark.139

Als Iraner war ‚Zarathustra‘, seine historische Existenz unterstellt, Angehöriger eines mit den Indern stammverwandten Volkes, das im dritten vorchristlichen Jahrtausend aus der asiatischen Steppe nach Süden gezogen war. Die ursprünglichen religiösen Vorstellungen und Praktiken dieser Hirten und Bauern glaubt die Forschung durch Vergleich des ‚Avesta‘ mit der altindischen Überlieferung erschließen zu können.140 Danach opferten die alten Iraner dem Feuer und dem Wasser unter Gebeten für die Seelen von Mensch und Tier: „Wir verehren unsere eigenen Seelen und diejenigen der Nutztiere, die uns ernähren, (…) sowie die Seelen nützlicher wilder Tiere.“141 Die Gaben, die vielen Göttern dargebracht wurden, sollten sowohl die Welt in Gang halten als auch das menschliche Leben positiv beeinflussen. Verehrt wurde eine kosmische Kraft der Wahrheit und Ordnung (asha), dem die menschlichen Qualitäten der Tugend und des Wohlverhaltens entsprachen und dem die Kraft der Falschheit (draoga) entgegenstand.142 Als höchster dem Asha zugeordneter Gott wurde Ahura Mazdā („Fürst der Weisheit“) verehrt.143 Nach Boyce glaubte man an eine postmortale Existenz des Einzelnen, die durch die Nachlebenden zeitweise entscheidend beeinflusst werden konnte.144 In den ersten drei Tagen musste der Seele des Verstorbenen durch Trauerarbeit seiner Verwandten, Fasten und priesterliche Gebete gegen böse Mächte geholfen werden. Um das unterirdische Reich der Toten zu erreichen, sollten die Verwandten der Seele Opfer für Nahrung und Kleidung darbringen. Diese Handlungen wiederholten sich dreißig Tage hindurch, dann Monat für Monat, weil die Seele, wie vermutet wurde, von der Bruderschaft der Toten noch nicht voll angenommen war. Nach Ablauf eines Jahres wurden die Opfergänge bis zum dreißigsten Jahr am Todestag wiederholt, wobei die Verantwortung für die Erfüllung der Rituale beim Erben des Verstorbenen, gewöhnlich dem ältesten Sohn, lag. Erst dann, nach einer Generation, teilte die Seele, wie vermutet wurde, uneingeschränkt die große Gemeinschaft der Toten, so dass sich die Familie damit begnügen konnte, fortan seiner am allgemeinen „Allerseelentag“ (Hamaspathmaedaya) zu gedenken. Dieses Fest wurde in der letzten Nacht des Kalenderjahres begangen, wenn die Seelen in ihre alten Häuser zurückkehrten, um beim Tagesanbruch an Neujahr wieder zu verschwinden. Vermutet wird jedoch, dass ursprünglich nur Fürsten, Krieger und Priester auf den Eingang ins Paradies und die Gemeinschaft mit den Göttern hoffen konnten; andere Seelen, vor allem diejenigen der Niedriggeborenen, der Frauen und Kinder, hatten nur eine ewige freudlose Existenz zu erwarten.145

Nach diesen religiösen Vorstellungen über die postmortale Welt konnte es bei Stiftungen also nur um die Förderung eines Seelenkults gehen, durch den die Seele für ihre Weiterexistenz ernährt werden sollte, nicht aber um ein Seelenheil, das ihr als Gabe Gottes oder der Götter eine gesteigerte Existenzweise versprach. Für den Übergang soll Zarathustra gestanden haben. ‚Zarathustra‘ soll ein Priester gewesen sein, der sich durch Offenbarungen des höchsten Gottes Ahura Mazdā zum Propheten für die ganze Menschheit berufen fühlte. Die ihm zugeschriebenen Hymnen (Gathas) verkünden, Ahura Mazdā sei der eine ungeschaffene Gott, der von Ewigkeit her existiere und der Schöpfer von allem anderen Guten sei, eingeschlossen die anderen wohltätigen Gottheiten. Zugleich soll ‚Zarathustra‘ in einer Vision den Widersacher des höchsten Gottes erkannt haben, den „Feindlichen Geist“, Angra Mainyu, der ebenfalls unerschaffen, aber unwissend und durch und durch bösartig sei. Beide großen Götter des Guten und Bösen stünden in Gedanke, Wort und Tat im Konflikt: „Als diese beiden Geister sich zuerst begegneten, schufen sie das Leben und das Nichtleben und [bestimmten], wie am Ende die schlechteste Existenz dem Anhänger der Bosheit, die beste Wohnung aber dem bestimmt ist, der Güte besitzt.“146 Einer ursprünglichen freien Entscheidung der beiden Ersten Wesen für das Gute oder das Übel entsprach nach der Lehre ‚Zarathustras‘ die Wahl, die jeder Mensch in seinem Leben für sich selbst treffen müsse. Ahura Mazdā aber könne in seinem Kampf mit dem „Feindlichen Geist“ den „Heiligen Geist“ (Spenta Mainyu) und durch diesen sechs kleinere Gottheiten zu Hilfe holen; am Ende werde er den Kampf siegreich beenden, das Übel zerstören und das Universum für alle Zeiten gut machen.147

Der Mensch musste also in der von Ahura Mazdā erschaffenen Welt seine eigene Rolle im Kampf zwischen Gut und Böse spielen. ‚Zarathustra‘ wird die Erkenntnis zugeschrieben, dass der „Eigenwert des Individuums (…) nicht in der Zugehörigkeit zur Gesellschaft aufgeht.“148 Jeder Mensch müsse neben seiner eigenen physischen und geistigen Existenz auch diejenige seiner Mitmenschen fördern, da diese wie er Geschöpfe Gottes seien. Der ‚Prophet‘ habe von seinen Anhängern verlangt, nach den Maximen guter Gedanken, Worte und Taten zu leben, was der dreifachen Forderung an den iranischen Priester entsprach, den Gottesdienst mit guter Gesinnung, richtigen Worten und korrekten Ritualen zu vollziehen.149 Beim Tod werde jedermann danach gerichtet, was er im Leben für die Güte getan hat. Im Unterschied zur überkommenen Lehre sollten Frauen ebenso wie Männer, Sklaven wie Herren auf das Paradies hoffen können. An der „Brücke des Sammlers“ würde jeder Mensch gerichtet, nicht nach dem Aufwand seiner Opfer in dem zurückliegenden Leben, sondern gemäß seinen ethischen Verdiensten.150 Nach einem individuellen Gericht verdiene sich der Rechtschaffende das Paradies, der Böse werde zur Hölle verurteilt. Wenige Seelen, bei denen gute und böse Taten im Gleichgewicht stünden, gingen in einen „Ort der Gemischten Wesen“ ein, wo sie eine graue Existenz ohne Freude oder Trauer führten.

Nach Mary Boyce erlangten aber auch die Guten noch keine vollkommene paradiesische Freude, sondern mussten noch den Tag der Auferstehung am Ende der Zeiten abwarten. So sei ‚Zarathustra‘ der erste religiöse Denker gewesen, der „ein individuelles Gericht, Himmel und Hölle, die künftige Auferstehung des Leibes, ein letztes Allgemeines Gericht und das ewige Leben der mit ihrem Körper wiedervereinigten Seele“ verkündete, allesamt Lehren, die bei den mediterranen monotheistischen Religionen wiederkehren sollten.151 Anders als Boyce hält aber Peter Clark die Differenzierung zwischen beiden Gerichtstagen nicht für eine Idee ‚Zarathustras‘ selbst, sondern für eine Weiterentwicklung der von ihm begründeten Lehren.152

Gemäß der skizzierten Lehre gab es also in der iranischen Religion einen sehr alten Kult für die Seele (von Mensch und Tier), der über den Tod hinausreichte und die Seele (bestimmter Menschen) beim Eingang ins Paradies unterstützen sollte. Der gedankliche Durchbruch ‚Zarathustras‘ habe darin gelegen, dass er allen Menschen jeden Geschlechts und Standes diese Perspektive eröffnete und ethische Leistungen des Verstorbenen im Diesseits als Verdienst verlangte, die im postmortalen Gericht überprüft würden. Eine Stiftung für die Seele würde demnach den alten Vorstellungen des Seelenkults entsprechen und sich u.a. in ritueller Nahrung und Kleidung des Verstorbenen manifestieren; Stiftungen für das Seelenheil bewirkten ebenfalls Opfer und Gebet für den Verstorbenen, wären aber vor allem darauf angelegt, die Wohltaten des Stifters (oder zugunsten des Verstorbenen) aus dem diesseitigen Leben ‚ewig‘ zu verstetigen. Stellvertretend für ihn hätten die nachlebenden Verwalter der Stiftung, die sogenannten Stiftungsorgane, die guten Taten zu vollziehen, was ihnen durch die materiellen Gaben der Stiftung ermöglicht würde. Einen besonderen Aktionsraum gewann eine Stiftung, wie man aus Beobachtungen zum vormodernen Stiftungswesen überhaupt weiß, wenn sich das Schicksal der Seele nicht schon im individuellen Gericht unmittelbar nach dem Tod, sondern in einem allgemeinen Gericht am Ende aller Zeiten entschied.153 Dann konnten die guten Werke des Stifters noch durch den postmortalen Vollzug seiner Stiftung seine Verdienste vermehren und die Waagschale seiner guten Taten bereichern.

Für die Verbreitung des Zoroastrismus waren die persischen Reichsbildungen entscheidend; allerdings ist die persönliche religiöse Haltung der ersten Herrscher der Achaimeniden in der Forschung umstritten.154 Eine Schlüsselrolle kommt Kyros dem Großen (559–530 v. u. Z.) zu; er gründete das erste persische Imperium durch Eroberungen von Susa, der Stammeskonföderation der Meder, des Reichs von Lydien und des Ostens von Iran. Im Westen schob er die Grenze bis zur Küste Kleinasiens und nach Ägypten vor und unterwarf bei Gefangennahme seines Königs Nabonid 539 auch das Neubabylonische Reich.155 Anscheinend haben Kyros und seine Nachfolger Ahura Mazdā nicht exklusiv verehrt, sondern einer Vermischung des Zoroastrismus mit altiranischen Traditionen der Magier Vorschub geleistet;156 außerhalb Irans schützten und förderten sie die fremden Religionen und nahmen als Nachfolger entthronter Herrscher an den entsprechenden Kultübungen teil.157 Die durch die jüdische Überlieferung Kyros dem Großen zugeschriebene Rolle bei der Rückführung des Volkes aus dem babylonischen Exil und der Wiederaufrichtung des Tempels in Jerusalem wird heute differenziert beurteilt. Es soll sich bei den Berichten und Lobpreisungen der Propheten eher um eine theologische „Rückspiegelung erst später genehmigter oder begonnener Maßnahmen auf den lange erwarteten Befreier“ handeln; Entscheidendes sei auf syrisch-palästinischen Gebieten jedenfalls erst unter den Nachfolgern des Reichsgründers geschehen.158

Kyros fiel im Kampf mit Steppenvölkern; der Leichnam wurde in die Persis zurückgeführt und in der neu gegründeten Residenz Pasargadai beigesetzt. Das monumentale Grabmal auf zweimal drei Stufen wurde unter Mitwirkung von ionischen Steinmetzen errichtet und steht noch heute unter freiem Himmel.159 Als Alexander der Große nach Kleinasien übersetzte und Persien eroberte (334/330 v. u. Z.), suchte er, wie der Grieche Arrian berichtet, die Ruhestätte selbst auf: Das „Kyrosgrab befand sich (…) in Pasargadai im königlichen Park, umgeben von einem Hain verschiedener Bäume, den eine Quelle berieselte und dessen Rasenflächen aus dichtem Gras bestanden. Das Grab selbst war in seinem Unterbau aus Quadern und quadratisch angelegt. Auf ihm erhob sich ein überdachtes Häuschen aus Stein mit enger Eingangstür, so dass höchstens ein kleiner Mensch, und auch dieser nicht, ohne vielfach anzustoßen, durch diese eintreten konnte.“160 Betrübt musste der Makedone feststellen, dass das Grabmal ausgeraubt war; von der prächtigen Innenausstattung mit einer Decke aus babylonischem Stoff, medischen Kleidern, Schmuck, Waffen, einem Tisch mit Bank usw. war nur der goldene Sarkophag erhalten, den die Übeltäter nicht durch die schmale Türöffnung hatten zwängen können. „Unmittelbar neben der Treppe zur Grabkammer aber gab es ein Häuschen für die Magier, die bereits seit Kambyses, Kyros’ Sohn, das Kyrosgrab bewachten, wobei jeweils der Sohn vom Vater dieses Amt übernahm. Ihnen waren vom Großkönig täglich ein Schaf, eine festgesetzte Menge Mehl und Wein sowie monatlich ein Pferd zum Opfer für Kyros zugewiesen. Das Grab selbst hatte folgende persische Inschrift: ‚Mensch, ich bin Kyros, Sohn des Kambyses, den Persern Gründer des Reiches und Asiens König. Du aber neide mir dieses Grabmal nicht!‘“161 Alexander habe den Aristobul beauftragt, das Grabmal zu restaurieren und die noch erhaltenen leiblichen Überreste des Persers in seinem Sarkophag erneut beizusetzen. Die Magier ließ er gefangen nehmen und wollte sie unter Folter zwingen, die Namen der Grabschänder preiszugeben, doch umsonst; da ihnen eine Mitwisserschaft nicht nachgewiesen werden konnte, ließ Alexander sie wieder frei.

Die Magier, Hüter des Grabes, waren schon im von Kyros unterworfenen Reich der Meder als Priester tätig gewesen. Nach Arrians Überlieferung sollen sie täglich und monatlich vom König Naturalien zur Bestreitung des Kultes erhalten und ihre Funktion in ihren Familien erblich weitergegeben haben. Tatsächlich wäre dies, von Kyros’ Tod bis zum Alexanderzug gerechnet, rund zwei Jahrhunderte der Fall gewesen. Das alles spricht eher für die Errichtung einer Stiftung durch Kambyses, bei der der jeweils amtierende König als ‚Stiftungsorgan‘ tätig war, als für eine Finanzierung des Grabkults aus dem Staatshaushalt.162 Mary Boyce hat zusätzlich darauf hingewiesen, dass über dem Zugang zur Grabkammer die Sonne als Symbol der Unsterblichkeit im lichterfüllten Paradies angebracht worden sei, und spricht von einer Seelenstiftung auf Ewigkeit;163 zoroastrische Vorstellungen hätten sich demnach mit Kulttraditionen der Meder verbunden.164 Allerdings ist in der griechischen Quelle von einer Sorge für die Seele des Königs Kyros nicht die Rede und erst recht fehlen Anklänge an diesseitige Wohltaten des Verstorbenen und ein jenseitiges Gericht über ihn; es könnte sich um einen Totenkult beziehungsweise Seelenkult gehandelt haben, der – abgesehen von der Pflege des Herrschergedenkens unter den Lebenden – das jenseitige Weiterleben des Verstorbenen ermöglichen sollte. Der Hinweis auf die Bank, die ursprünglich mit Teppichen und Kleidern bedeckt gewesen sein soll, deutet auf die Praxis des Totenmahls hin, bei der Kyros durch Speisen und Gewänder für das Jenseits ausgestattet werden sollte.

Bei der Ausdehnung des Perserreiches dürften sich mit altiranischen auch die jüngeren zoroastrischen Vorstellungen der Jenseitsfürsorge in den unterworfenen Gebieten verbreitet haben. Als Stätte persischen Einflusses kommt beispielsweise die Oase Tayma’ an der Weihrauchstraße in Betracht, die den Süden der Arabischen Halbinsel mit dem östlichen Mittelmeer (Gaza; Syrien) und dem Zweistromland sowie Südirak verband.165 Vor der Unterwerfung seines Reiches durch Kyros hatte sich hierhin der König Nabonid von Babylon für zehn Jahre zurückgezogen (556–539 v. u. Z.); er wurde offenbar von jüdischen Wehrpflichtigen begleitet, hatte sein Heer aber auch durch griechische Söldner angefüllt.166 In Tayma’ kündet noch eine Stele mit den babylonischen Götterbildern für Sonne, Mond und (Venus-)Stern von seinem Aufenthalt.167 Steinsäulen von Tayma’ tragen oft aramäische Inschriften, hatten also die Sprache eines bedeutenden Händlervolkes adaptiert, die Babylonier und Perser als offizielle Reichssprache gebrauchten. Um 400 v. u. Z. geriet die Oase offenbar in Abhängigkeit von dem regionalen Königreich von Liḥyān, das in der Nachbarstadt Dedan sein Zentrum gehabt zu haben scheint.168 Ein Amtsträger von Liḥyān errichtete eine Stele, die von der Stiftung eines Tempels Zeugnis ablegt. Eingemeißelt sind eine geflügelte Sonnenscheibe, eine Mondscheibe und der von einem Kreis umschlossene achtspitzige Venusstern; neben den so erkennbaren mesopotamischen Gottheiten wandte sich der Inaugurator ausdrücklich noch an drei andere Götter: „[Im Jahre … in der Stadt] Tayma’ errichtete Paḍigū Šahrū, der Sohn des königlichen Beamten von Liḥyān Ha’lay, den Tempel des Ṣalm von Rabb und seine Weite und errichtete diesen Thron vor Ṣalm von Rabb als Postament für Sengallā und Ašīmā, die Götter von Tayma’, für das Leben der Seele von Paḍigū Šahrū und (für das Leben) seiner Nachkommenschaft, [der] Herren, [und] für das Leben ihrer eigenen Seele.“169 Paḍigū Šahrū hatte also den Tempel der göttlichen Trias aus i ialm, Ashima und Shengalla geweiht, die man als ‚aramäisches Pantheon‘ bezeichnet hat und die aus Nordsyrien nach Tayma’ gelangt sein sollen.170 Es handelt sich aber nicht nur um eine Stiftung zur Verehrung der Götter, für die Einzelne oder die Gemeinde von Tayma’ im Ganzen Wohlergehen im Diesseits als göttliche Gegengabe erwarten konnten, sondern zugleich um eine Stiftung für die Seelen des Gründers und seiner Nachkommen. Offenkundig schrieb der Stifter den Göttern einen entscheidenden Einfluss auf das Geschick der Seelen zu, was über eine bloße Seelenkultstiftung hinausginge, doch fehlt jeder Hinweis auf ein transmortales Gericht und auf Wohltaten des Stifters, die seinen Anspruch auf Seelenheil begründen könnten. Neben babylonischen und aramäischen sind persische religiöse Einflüsse mit der zoroastrischen Verheißung einer ewigen Remuneration für die Güte des Stifters nicht unzweideutig fassbar.171 Das Gleiche gilt für eine weitere Kultstiftung aus derselben Zeit, die der Stifter „für das Leben seiner Seele“ errichtet hat,172 und für eine Inschrift aus nabatäischer Zeit (1. Jahrhundert v. u. Z.). Danach hat ein ’Aḫbōl, Schutzbefohlener der Ḫaṭmah, der arabischen Schicksalsgöttin Manawah „für das Leben seiner Seele und der Seele seiner Nachkommenschaft in Ewigkeit“ gestiftet.173

Mindestens im iranischen Großreich der Sasaniden setzte sich der Zoroastrismus durch; auch wenn Christen und Manichäer zeitweise verfolgt wurden, gab es allerdings nicht nur eine zugelassene Religion, so dass die neuere Forschung nicht mehr, wie es früher gewöhnlich war, von einer zoroastrischen Staatskirche spricht.174 Seit dem Reichsgründer Ardašīr (224–239/240? u. Z.) schrieben sich die „Könige der Könige von Iran“ selbst göttliche Qualitäten zu und pflegten aus Dankbarkeit für die Gunst der Götter den zoroastrischen Kult, „erwiesen den Priestern Wohltaten, stifteten Feuer und vermehrten damit die Stätten der Götterverehrung“175. Als Beleg dient eine eindrucksvolle Inschrift von Ardašīrs Sohn Šābuhr I. (240–271/272 u. Z.) an einem Turmbau (Ka‘ḃa-i Zardušt) bei Persepolis; sie ist in drei Sprachen abgefasst, mittelpersisch, parthisch und griechisch, und betont die göttliche Herkunft des Geschlechts sowie die Verehrung für (Ahura) Mazdā.176 Ruhm habe sich der König von Iran und Nichtiran durch seine militärischen Siege und Eroberungen, auch auf Kosten des Imperium Romanum, erworben, aber dabei den Schutz der Götter genossen. Deswegen habe Šābuhr viele Wahrām-Feuer(heiligtümer) errichtet und den Magiern Wohltaten erwiesen. Auch mittels der Inschrift von Persepolis gründe er ein Feuer mit dem Namen „Ruhmreich ist Šābuhr“, und zwar „für Unsere Seele und (Unseren) Nachruhm“, sowie weitere Heiligtümer dieser Art mit gleichen Motiven für seine Tochter, die „Königin der Königinnen“, sowie einzelne genannte Söhne, darunter den Großkönig der Armenier. Der Aufwand der Stiftung sollte aus 1.000 Lämmern bestehen, „die Uns herkömmlicherweise aus dem Überschuss zustehen“. Ob das Stiftungsgut aus Immobilien bestand oder der König von Iran und Nichtiran den Kult aus abgezweigten Erträgen des Krongutes oder von Steuern bestreiten wollte, wird nicht gesagt. Für Šābuhrs Seele sollte wie schon bei Kyros I. jeden Tag ein Lamm sowie eine genau bemessene Menge an Brot und Wein geopfert werden und für die Seelen von Angehörigen des Herrscherhauses sowie von Würdenträgern des Reiches sollte das Gleiche geschehen.177 Die Differenz zur Stiftung des Kambyses für seinen achaimenidischen Vorgänger fast acht Jahrhunderte zuvor liegt in der doppelten Motivation für diesseitigen Ruhm und die Seele, verbunden mit der Fürsorge für andere, zu denen nicht bloß Vorfahren und sonstige Familienangehörige des Herrschers gehörten. Ähnliches kennt man aber auch aus der Stiftungsgeschichte des ägyptischen Alten Reiches. Ob der ethische Impuls ausreicht, um auf Einflüsse der zoroastrischen Lehre und ein Merkmal der Achsenzeit zu schließen, muss dahingestellt bleiben, zumal auch das Gerichtsmotiv fehlt.


Stiftung für die Götterverehrung und die eigene Seele auf der Arabischen Halbinsel: Al-Hamra-Stele von der Oase Tayma’ von ca. 400 v. u. Z.

Deutlicher als Šābuhrs Stiftung spricht eine Verfügung des Großwesirs Mihr-Narseh aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts u. Z. für ein Seelenheilmotiv. Der Wesir war gefürchtet als Erzfeind der Christen, aber in seinem Land berühmt als Wohltäter, wie auch der arabische Chronist aṭ-Ṭabarī bezeugt.178 Feuertempel, die er zu seinem eigenen Gedächtnis und demjenigen seiner Söhne stiftete, sind in seiner Heimat, dem Distrikt von Fīrūzābād, erhalten. Die Stiftung einer Brücke in dieser Stadt belegt den geistlichen Sinn der Wohltat. Die Inschrift lautet: „Diese Brücke wurde auf Befehl von Mihr-Narseh, dem Vuzurgframadār (Großheerführer), auf eigene Kosten für das Wohlergehen seiner Seele errichtet. Wer immer zu dieser Straße kommt, möge Mihr-Narseh und seinen Söhnen einen Segen geben, weil er dieses Hindernis überbrückt hat. Und weil Gott Hilfe gewährt, möge diesem Werk niemand etwas Schlechtes oder Hinterlistiges antun.“179 Brückenstiftungen kennt man unter anderem auch aus der griechischen Antike, in der sie zu den Leistungen des Euergetismus gehören;180 hier aber geht es nicht so sehr um den Dienst am Gemeinwesen, sondern an denen, die Hilfe brauchen, und um Sorge für die Seelen des Stifters und seiner Söhne, also um eine Leistung für das Seelenheil.181

Das zentrale Zeugnis für die Seelenstiftungen, die ‚Eintausend Rechtsentscheidungen‘ des sonst unbekannten Autors Farroḫmard ī Wahrāmām, stammt erst aus den letzten Jahren vor der arabischen Eroberung Persiens (633/651 u. Z.). In dem Werk wird die aus anderen Quellen nicht erschließbare institutionelle Ordnung des Lebens einfach vorausgesetzt und auch die Sprache des Textes hat die Iranisten vor große Verständnisprobleme gestellt und nicht immer zu einhellig anerkannten Lösungen geführt. Seit zwei Jahrzehnten liegt eine Edition mit ausführlichen Erläuterungen und deutscher Übersetzung vor. Aus dem Rechtstext182 lässt sich demnach ableiten, dass es Stiftungen für religiöse Zeremonien gegeben hat, die offenbar allein dem Feuerkult dienen oder die (zugleich) zugunsten des Stifters ausgeübt werden sollten.183 Was bei Zeremonialstiftungen für die Seele übrig blieb, konnten die Stiftungsverwalter auch anderen Zwecken (der Wohltätigkeit?) zuführen: „Wenn jemand eine Sache für religiöse Zeremonien für die Seele stiftet und die Stiftung nominatim für religiöse Zeremonien errichtet, dann ist der Teil des Ertrages, der von der Stiftung übrig bleibt, den Gewalthabern eigen.“ Die Erträge der Stiftung mochten anstelle des liturgischen Kults auch direkt der Förderung Dritter dienen: „Wenn der Stifter bestimmt hat: ‚Die Sache, die von mir für die Seele gestiftet ist, soll Mihrēn besitzen, dann gilt sie auch als fromme Gabe für die Seele. Weder Mihrēn noch eine andere Person ist befugt, die Sache zu verkaufen und zu verausgaben‘. Der Grundstock geht auf die Verwandtschaft Mihrēns über.“ Stifter und Stiftungsbegünstigte sollten wiederum von den religiösen Zeremonien profitieren können und, wer als Stifter für religiöse Kulthandlungen zugunsten anderer sorge, fördere auch seine eigene Seele.

Nach eingehenden Analysen des sasanidischen Rechtsbuchs soll Vermögen „für die Erhaltung der Seele“ oder „für fromme Zwecke“ einen erheblichen Anteil am Gesamtvermögen einer wohlhabenden Familie ausgemacht haben. Schätzungen reichen bis zu einem Drittel hinauf.184 Als Nutznießer der Stiftung konnte der Stifter sowohl seine eigene Familie, Frauen und Kinder, als auch Personen außerhalb seiner unmittelbaren Verwandtschaft einsetzen. Häufig beauftragte er ein Familienmitglied auch mit der Verwaltung (sālārīh) der Stiftung, was umso näherlag, als der Rechtsnachfolger des Verstorbenen auch verpflichtet war, die vorgeschriebenen Rituale für dessen Seele durchzuführen. „Auf diese Art und Weise verblieb ‚das Vermögen der Seele‘ in der Regel in der Familie des Stifters und konnte als ein getrennter Teil der Erbschaft an die Nachfolger des Erblassers weitervererbt werden, ohne dass diese irgendein Eigentumsrecht erhielten oder den Status dieses spezifischen Vermögens verändern dürften.“185 Erträge der Stiftungsgüter konnten auch für die Versorgung des Personals bei den Feuertempeln verwendet werden, zu dem neben Priestern Laien gehörten; unter diesen lassen sich neben hohen Würdenträgern auch Freigeborene und Freigelassene von niedrigerem Rang, darunter Frauen und Kinder, unterscheiden. Diese ‚Feuerdiener‘ wurden von unfreien ‚Feuersklaven‘ unterschieden.186

Wie es scheint, haben sich im sasanidischen Rechtsbuch verschiedene Schichten der iranischen Religionsgeschichte niedergeschlagen: Der eine, gewiss ältere Typ von Stiftung will für das Wohlbefinden der Seele durch sorgfältige Beachtung des Seelenkults (nāmagānīh) sorgen.187 Stiftungen ruwānagān, die der „Seele angehören“, sollen nach Auffassung der Forschung aber weiter gehend für das Seelenheil des Stifters, seiner Familie und Freunde errichtet worden sein:188 „Bestimmte der Testator (…), dass sie [die rituellen Handlungen] ‚für die Seele‘, ruwān rāy (oder pad ruwān) eingesetzt werden sollten, so galt diese Formel als Stiftungsakt, und dieser abgezweigte Teil des Vermögens wurde für die Etablierung und Ausstattung einer frommen Stiftung, die für das Seelenheil des Erblassers ‚am vorteilhaftesten‘ (ruwān rāy sūdōmandtar) erschien, verwendet.“189 Wenn ausdrücklich vorgesehen war, dass der Stifter bestimmte Erträge für Almosen zugunsten der Armen aufwandte,190 entsprach dies dem ethischen Anspruch der zoroastrischen Lehre. Den Nachlebenden wurde ausdrücklich zugestanden, die Erträge nach ihrem Gutdünken auch für Zwecke des gemeinen Nutzens wie Brücken, Straßen und Bewässerungskanäle zu verbrauchen.191

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ in Iran frühestens seit dem frühen 3. nachchristlichen Jahrhundert nachgewiesen werden können, mithin zur Zeit der Sasaniden, unter denen auch die bis dahin nur mündlich tradierten Lehren des ‚Avesta‘ kodifiziert wurden. Obschon die Seelenheilstiftungen deutlich von der religiösen und ethischen Reform geprägt sind, die ‚Zarathustra‘ zugeschrieben werden, lassen sie sich chronologisch nicht in die Nachbarschaft der Achsenzeit zurückverfolgen, gleichgültig, ob man diese ins 2. oder 1. vorchristliche Jahrtausend datiert.

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte

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