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Freitagnachmittag, München, Viktualienmarkt. Der Föhn dauerte jetzt schon drei Tage an. Es war deshalb viel zu warm für die Jahreszeit. Die trotz des Sonnenscheins teils übellaunigen und unnatürlich aufgekratzt wirkenden Gesichter der hin und her eilenden Leute bereiteten dem sportlich kurzgeschorenen Ex-Kommissar Max Raintaler keine rechte Freude.

Herrschaftszeiten, sollten sie sich doch lieber zusammenreißen und ihn ein wenig aufheitern. Mit einem netten Lächeln zum Beispiel. Föhngrantig war er schließlich selber.

»Ich hol uns noch eine Halbe«, meinte der kleine, aber dafür sehr rundliche glatzköpfige Hauptkommissar Franz Wurmdobler, sein früherer Kollege bei der Kripo.

Max saß seit einer Stunde mit ihm an einem schattigen Tisch in einem gemütlichen kleinen Biergarten inmitten der Obst- und Gemüsestände. Es roch überall nach einer wilden Mischung aus Knoblauch, Kräutern, Blumen, Käse, Bier, Schweinsbraten, Sauerkraut und Schweinswürschteln. Vor einer guten halben Stunde hatten sich zwei sympathisch wirkende, gut gekleidete Frauen im mittleren Alter zu ihnen gesetzt. Sie hatten sich ihnen als Dagmar und Mathilde vorgestellt.

»Die Damen auch noch ein Bier?« Franz zeigte auf ihre fast leeren Gläser.

»Danke, Herr Franz. Sehr lieb. Aber wir holen uns später selbst noch etwas.« Die auf seiner Seite des Tisches sitzende blonde Dagmar lächelte kurz.

»Ist in Ordnung. Man will sich auf keinen Fall aufdrängen.« Er nickte mit zurückhaltendem Gesichtsausdruck.

»Also, von mir aus gern«, erwiderte Max. Seine stahlblauen Augen strahlten fröhlich. »Bei dem trockenen Wind kriegt man ja Risse im Gesicht.«

Franz trollte sich lachend Richtung Ausschank.

Der Föhn, ein warmer Fallwind von der Alpennordseite, war in erster Linie angenehm trocken und mild auf der Haut zu spüren. Aber er wirkte auch auf das Gemüt und konnte so die Menschen im ganzen Voralpenland und speziell in München förmlich in den Wahnsinn treiben. So mancher sollte deswegen bereits aus dem Fenster gesprungen sein oder jemanden in rasender Wut erschlagen haben.

»Soll ich uns doch lieber gleich noch ein schönes Bierchen holen, Mathilde?« Dagmar bedachte ihre dunkelhaarige Begleiterin mit einem fragenden Blick.

Alle zwei waren vom Typ Naturschönheit ohne viel Schminke im Gesicht, wie Max gleich zu Beginn erfreut registriert hatte.

»Gerne, meine Liebe.« Sie schaute Max von der Seite an, während sie mit Dagmar sprach, und er bekam prompt das Lächeln geschenkt, das er sich gerade eben noch gewünscht hatte.

»Selbst ist die Frau, stimmt’s?«, sagte er und sah abwechselnd von einer zur anderen.

»Wir wollen nur niemandem zur Last fallen, Max.« Dagmar räusperte sich umständlich.

»Verstehe.«

Die zwei hatten vorhin erzählt, dass sie aus Dortmund kamen und einen kurzen Wochenendtrip zusammen unternahmen. Sie seien absichtlich ohne Anhang am Vormittag mit dem Flieger angereist. Damit sie mal richtig schön ausspannen und shoppen gehen könnten.

Max und Franz hatten die offenherzigen Geständnisse mit einem interessierten und erfreuten Kopfnicken quittiert.

Möglicherweise hatten die beiden das aber missverstanden und nun befürchtet, sich mit einem angenommenen Angebot zum Biermitbringen zu etwas zu verpflichten, das sie am Ende gar nicht wollten. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur schüchtern oder eigen.

»Ganz schön heiß hier bei Ihnen«, richtete sich die sehr schlanke Mathilde an Max, als ihre groß gewachsene Freundin Dagmar, wie zuvor bereits Franz, in Richtung Schenke verschwunden war. »Und das sogar Ende April und am späten Nachmittag.«

»Das dürfen Sie laut sagen«, erwiderte er lächelnd. Schüchtern fand er sie eigentlich nicht. Eher zurückhaltend. Was aber auf gar keinen Fall unsympathisch wirkte. »Man nennt uns Münchner auch die Sizilianer Deutschlands.« Er zog vielsagend die Brauen hoch.

»Das habe ich schon mal gehört.« Sie lachte glockenhell. »Die Männer hier sehen auch fast so gut aus wie die Italiener.«

»Fast so gut?« Er runzelte mit gespieltem Entsetzen die Stirn.

»Besser«, korrigierte sie sich. »Weil größer.« Sie lachte erneut. »Ich persönlich mag dunkle Haare sehr gern bei Männern.« Ihr Blick war direkt.

»Blonde nicht?«

»Blonde erst recht.« Sie lachte erneut.

»Auch wenn sie kurz sind und graue Strähnen haben, wie bei mir?«

»Unbedingt.«

»Jetzt sind wir beieinander. Mir gefallen dunkle und blonde Haare auch sehr gut.« Er lachte ebenfalls.

»Hauptsache Haare.« Sie lachte noch lauter als zuvor.

»Ja, genau. Prost.«

Sie stießen mit den Resten in ihren Biergläsern an und tranken sie unverzüglich leer.

»Bei uns in Bayern duzt man sich übrigens am Biertisch, Mathilde.«

»Geht in Ordnung, Max.« Sie lachte wieder. »Bei uns in Dortmund trinkt man übrigens Pils.« Sie zeigte auf die leeren Gläser.

»Nichts für mich.« Max schüttelte sich mit gespieltem Ekel. »Viel zu bitter, und dann diese winzigen Gläschen. Da ist mir unser Münchner Helles schon lieber.«

»Hast du denn schon einmal ein Pils probiert?« Wenn sie ihren Kopf schräg legte, schien ihr die Sonne seitlich in die bernsteinfarbenen Augen und brachte sie somit auf wunderschöne Art zum Leuchten.

»Ich hab mir von einem guten Bekannten erzählen lassen, wie es schmeckt. Das reicht.« Max winkte ab.

»Aber hier in München gibt es doch sicher auch Pils.«

»Mein Durst ist viel zu groß für kleine Gläser.« Er schüttelte den Kopf. Lachte aber dabei. Natürlich hatte er bereits des Öfteren Pils getrunken, und natürlich war das hier ein reichlich inhaltsloses Gespräch. Aber das harmlose Geplänkel machte ihm gerade einfach Spaß. Schließlich konnte man sich nicht immer über Kriminalfälle, Politik, Fußball und andere wirklich wichtige Themen unterhalten.

»Flunkerst du mich etwa an?« Sie grinste breit.

»Weiß man’s?« Er machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Warst du denn schon einmal in Dortmund?«, fragte sie.

»Warst du schon mal auf der Zugspitze?«

»Nein. Wieso?« Sie schüttelte den Kopf.

»Na siehst du.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.« Mathilde wirkte irritiert.

»Macht nichts, alles gut.« Er winkte mit einem erneuten Lachen ab.

»Wenn du meinst.« Sie hörte auf zu lächeln.

»Nur ein alberner Spaß«, fuhr Max fort, der bemerkte, dass sie auf dem inneren Rückzug war. Möglicherweise fühlte sie sich von ihm auf den Arm genommen. Das wollte er aber auf keinen Fall. »Aber wenn du Bayern richtig kennenlernen willst, musst du unbedingt auf die Zugspitze«, fügte er erklärend hinzu.

»Warum?«

»Weil du von da aus alles von oben sehen kannst.« Max zeigte in den weiß-blauen Himmel der bayerischen Landeshauptstadt hinauf.

»Aha, ein Romantiker.«

»Nein, Skifahrer.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Auf der Zugspitze kann man Skifahren.«

Hast du das gerade wirklich so gesagt, Max Raintaler? Anscheinend hast du bereits zu viel Sonne abbekommen. Sie kommt doch gar nicht mehr mit bei deinem Schmarrn.

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich. Deshalb war ich auch schon so oft dort oben.« Max fragte sich, wann er wohl zuletzt ein solch umständliches Gespräch geführt hatte. Blieb nur die Frage offen, ob es an ihr, an ihm, an allen beiden oder am Föhn lag.

»Dann muss ich irgendwann wohl auch mal hinauf.«

»Unbedingt. Aber heute ganz bestimmt nicht.«

»Warum?«

»Wir haben Föhn und wenn Föhn ist, tobt dort oben ein regelrechter Sturm. Zwar warm, aber heftig.«

»Was ist das mit diesem Föhn? Ich kenne das Teil nur zum Haare föhnen.« Sie lachte.

»Der Föhn ist ein warmer Fallwind aus den Alpen, der auf die Psyche geht. Die Leute drehen durch, wenn er weht.«

Mord am Viktualienmarkt

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