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Wie soll es denn dann klappen?
ОглавлениеGenau das ist die Pointe bei Paulus. Er meint das alles völlig ernst. Eure Bestimmung ist Veränderung. Aber wie soll das zugehen? Indem ihr verwandelt werdet in das Bild von Jesus. Oder ganz ähnlich im Brief an die Galater: Indem »Christus bei euch Gestalt angenommen hat« (Galater 4,19). Und jetzt müssen wir einen Moment lang Schwarzbrot kauen, das ist nicht ganz einfach. Da sind ein paar Worte, die kommen so arglos daher und sind es doch nicht:
Dem Bild von Jesus gleichen. Wieso sollen wir in ein Bild und nicht gleich in Jesus verwandelt werden? Wir sind, so lesen wir am Anfang der Bibel, nach dem Bild Gottes geschaffen. Wir sind Ebenbilder des Schöpfers (vgl. 1. Mose 1,27). Aber was haben wir mit diesem Ebenbild angestellt? So wie wir sind, sind wir nur noch Zerrbilder dessen, was wir sein sollten. Ebenbild Gottes – ade! Jesus ist der eine, der so ganz und gar und ohne Abstriche Mensch ist, Mensch, wie Gott ihn schuf und wollte, ganz Ebenbild des Vaters. Wir können nicht zu Adam und Eva zurück. Aber wir werden verwandelt in das Bild des neuen Menschen, in das Bild von Jesus.
Neu gestaltet werden, also in das Bild von Jesus verwandelt werden. Die Wortwahl ist entscheidend. Hier wird kein Appell erteilt. Jesus ist nicht eine Art Super-Vorbild, dem wir nacheifern. Vorbildern kann man nacheifern, dann möchte der kleine Marco so werden wie der große Marco Reus in Dortmund, bis auf das Autofahren. Das Nacheifern ist aber unter Umständen eine sehr anstrengende Sache. Jesus als Vorbild ist dann vielleicht doch eine Nummer zu groß, da würden wir uns übernehmen. Doch Paulus sagt nicht: »Gib dir anständig Mühe, damit du so wirst wie Jesus.« Dann bräuchten wir eine Jesus-App, die uns rundum kontrolliert, unsere Fortschritte misst und uns täglich antreibt, damit wir nicht aufgeben. Aber Jesus ist nicht das Vorbild, dem wir nacheifern. Er ist das Urbild, das allmählich auf uns abfärbt. Er ist das Bild, nach dem wir umgestaltet werden. Das war die Erfahrung der ersten Wegbegleiter von Jesus: In seiner Nähe änderten sie sich, er färbte auf sie ab, sein Einfluss brachte etwas in ihnen in Bewegung. Wo er war, sortierte sich ihr Innenleben neu. Was sie früher freute, ließ sie jetzt kalt. Was sie früher kaltließ, das bewegte jetzt ihr Herz. Wo sie früher verdammten und fluchten, fingen sie jetzt an zu vergeben und zu segnen. Wo sie früher nur ihre Schäflein ins Trockene bringen wollten, da stellten sie sich jetzt anderen zur Verfügung. In seiner Nähe sortierten sich die Dinge um, es gab neue Bewertungen, neue Empfindungen, neue Schwerpunkte. Kein Vorbild, aber ein Urbild. Die Jünger konnten sich dem gar nicht entziehen. In der Nähe von Jesus wuchs eine Sehnsucht, so zu leben, wie sie es an ihm sahen. Sie wehrten sich nicht, sie sanken nicht hin, sie wollten es, und das immer mehr und immer tiefer.
Der Neutestamentler Otto Michel schreibt über diese Stelle: »Im Bild liegt also eine Macht, die verwandeln kann.«24
In das Bild von Jesus verwandelt werden. Was sehe ich, wenn ich dieses Bild betrachte? Ich sehe Güte, Demut, Klarheit, Mut, Gelassenheit, Hingabe, Dankbarkeit, Mitgefühl, Einfachheit, Freude am Schönen, Verzicht, Freundlichkeit, offene Worte und heilsame Strenge. Ich sehe ein sehr helles Licht, Augen, die hinsehen und nicht übersehen, einen Mund, der sagt, was er denkt, Hände, die tun, was der Mund sagt, Füße, denen kein Weg zu weit ist. Ich sehe – ein Kreuz, Bereitschaft zu leiden, nicht zu fluchen. Ich sehe den festen Willen zu vergeben, sich festnageln zu lassen auf die versprochene Liebe, nicht die Hand der Menschen loszulassen, um keinen Preis. Ich sehe ein Grab, aber es ist leer. Ich sehe Leben und einen überirdischen Glanz. Ich sehe Jesus. Und ich fange an, mich danach zu sehnen, dass das alles mir nicht nur zugutekommt, sondern auch abfärbt auf mich. Mich verändert. Nicht, um etwas damit zu verdienen. Schaue ich ihn an, weiß ich: Hier ist nichts zu verdienen. Sondern nur, weil es gut ist, schön, erstrebenswert, froh machend, wohltuend, heilsam, erquickend, selig, glücklich, herrlich. Ich sehe ihn an und sehe Leben, wie es sein sollte. Könnte. Kann. Wird.
Der Bibelforscher Johann Albrecht Bengel soll an dieser Stelle beim Schreiben die Feder aus der Hand gelegt haben, die Hände gefaltet und ausgerufen: »O Gott, was machst du aus uns!« All das oben Beschriebene wird möglich. Für ganz normale Menschen, für schwierige, für junge und alte, für gebildete und einfache, für Sie und mich. Jesus, der in unserem Leben Gestalt annimmt.