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Drei Etappen der Freiheit
ОглавлениеDie Lebenserinnerungen von Joachim Gauck sind eine sehr beeindruckende Lektüre.26 Der Präsident der Herzen spricht darin über die Unfreiheit früher und die große Freiheit heute. Er erinnert an Václav Havel, den tschechischen Schriftsteller und Präsidenten, der das Leben im Osten mit dem Leben in einem Gefängnis verglich: mit einem festen Tagesablauf, fest zugemessenen Rationen, zugewiesenem Nachtlager und strengem Reglement. Da kommen wir her, sagt Gauck, aus einem Regime, das uns keine Freiheit ließ, nicht zum Reden, nicht zum Reisen, nicht zum Lernen, nicht zum Handeln. Fürsorgliche Knebelung, eben ein Gefängnis. Und deshalb kann Gauck von der Befreiung schwärmen. Er erzählt die Geschichte der Freiheit in mehreren Etappen.
Erstens: Die Freiheit, wenn sie jung ist. Das ist die Freiheit, nicht mehr tun zu müssen, was andere vorschreiben. Freiheit von Bevormundung. Freiheit von einengenden Mauern. In dieser Freiheit muss man erst innerlich ankommen. Zu sehr ist man der Freiheit entwöhnt, wenn man so lange in einem Gefängnis festgehalten wurde.
Zweitens: Die Freiheit, die auch anstrengend ist. Nach der ersten Freude ist Freiheit auch Verantwortung. Ich soll jetzt für mich selbst entscheiden, ich bin jetzt für mich selbst verantwortlich. Ich habe, wie es Lothar de Maizière einmal sagte, nicht nur den gestrengen Vater verloren, sondern auch die fürsorgliche Mutter. Der Tagesablauf ist nicht mehr klar, die Rationen werden nicht mehr zugeteilt, das Nachtlager nicht mehr zugewiesen. Freiheit, wenn sie Alltag wird, ist anstrengend.
Drittens: Die Freiheit, wenn sie erwachsen wird. Jetzt ist es nicht mehr genug, dass ich frei bin von den Zwängen und dass mich niemand mehr bevormundet und beschneidet. Jetzt will die Freiheit etwas Größeres. Sie ist nicht mehr nur die Freiheit von etwas, sie wird die Freiheit zu etwas, das größer ist als ich selbst. Ich finde meine Bestimmung, indem ich meine Freiheit nutze, das zu tun, wozu ich geschaffen und berufen bin. Ich darf jetzt tun, was ich tun soll, und indem ich tue, was ich tun soll, werde ich frei.
Alles zusammen macht Freiheit aus: Befreiung von einer zwingenden Macht, ankommen in der ungewohnten Freiheit, frei sein von etwas und zugleich Verantwortung für mich übernehmen und meine Freiheit nutzen, für etwas Größeres da zu sein als für mich selbst. Frei sein von etwas Bösem wird Freiheit zu etwas Gutem. So weit Joachim Gauck. Und wir können festhalten: Mündigkeit, wie sie ja den Jünger und die Jüngerin auszeichnet, ist genau solche Freiheit. Auch Paulus spricht von dieser Freiheit:
Ihr wisst doch: Bei unserer Taufe wurden wir förmlich in Christus Jesus hineingetaucht. So wurden wir bei der Taufe in seinen Tod mit hineingenommen. Und weil wir bei der Taufe mit ihm gestorben sind, wurden wir auch mit ihm begraben. Aber Christus ist durch die Herrlichkeit des Vaters vom Tod auferweckt worden. Und genauso sollen auch wir jetzt ein neues Leben führen. Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein. Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wenn wir nun mit Christus gestorben sind, dann werden wir auch mit ihm leben. Das ist unser Glaube.
Römer 6,3-8
Was meint Paulus damit? Er sagt: »Eure Taufe war ein großer Akt der Befreiung.« Und wir können nun deuten, was diese neue Freiheit bedeutet: Sie ist Freiheit von einem bösen Zwang. Diesen bösen Zwang nennt Paulus Sünde. Er meint, dass die Sünde wie eine üble Diktatorin ist. Sie sperrt uns hinter ihren Mauern ein und lässt uns nicht los, bis wir sterben. Sie gibt uns nicht frei, wir müssen ihr dienen. Sünde ist nicht so sehr eine böse Tat, sie ist eine böse, dunkle Macht, die nach uns gegriffen hat, als wir meinten, ohne Gott besser klarzukommen. Diese miese Tyrannin verführt uns und dann treibt sie es böse mit uns. Adam und Eva dachten, sie könnten werden wie Gott, und landeten jenseits von Eden. Kain dachte, was soll’s, der Neid übermannte ihn und er erschlug seinen Bruder. Die Menschen von Babel wollten einen eigenen großen Namen haben und am Ende blieb kein Stein auf dem anderen. David ließ sich verlocken zur Untreue und verführte Batseba, aber am Ende hielt er ein totes Kind in seinen Armen. Saul suchte Rat in trüben Quellen, befragte eine Hexe und am Ende rammte er sich selbst verzweifelt das Schwert in den Leib. Petrus war selbstgewiss bis zum Anschlag, dann aber weinte er, weil er keine Sekunde treu bleiben konnte. Von der Sünde verführt, am Ende gefangen und gebunden. Eine miese Tyrannin, die Sünde, eine Sklavenhalterin, Generalin eines Söldner-Heeres, die ihren Lohn pünktlich zahlt, und ihr Lohn ist der Tod.
Aber dann kam Christus und riss die Mauer nieder, befreite uns aus diesem Knast und machte uns los von dieser bösen Macht. Unsere Taufe ist das Zeichen, das wir an uns tragen, dass das für uns geschah. »Ich bin getauft«, das heißt: Nun bin ich durch Christus befreit aus dieser Diktatur der Sünde. Ich bin frei. Ich gehöre nicht mehr hinter Mauern. Ich habe eine neue Identität. Gleich mehrfach sagt es Paulus: Du bist nun »mit Christus«. Mit Christus gestorben und begraben, mit Christus in einem neuen Leben. Mit Christus gehst du auf die Auferstehung zu. Du hast nun einen zweiten Pass, Reisefreiheit in ein neues Land: Du bist immer noch Michael oder Elke oder Stefan oder Christine, aber zugleich bis du jetzt freier Bürger des Christus-Landes.
Aber was dann? Wir können die Gedanken von Joachim Gauck als Vergleich heranziehen:
Erste Etappe auf dem Weg der Freiheit: Wer befreit ist, muss sich daran gewöhnen. Zu lange war er gefangen und versklavt. Es dauert, bis wir auch innerlich in der neuen Freiheit ankommen. Bis wir aufatmen und wissen: Ich lebe in einer neuen Heimat bei Gott, und diese Heimat atmet Freiheit. Ich kann die Angewohnheiten eines Häftlings, eines Sklaven, eines Unfreien wirklich ablegen.
Zweite Etappe: Wer befreit ist, lernt noch einmal von vorne, zu leben. Er übt dieses und jenes ein, wie es ist, wenn man nicht mehr hinter Mauern lebt. Er fängt an, neue Verantwortung für sich zu übernehmen. Er erfährt, was es bedeutet, mündig zu sein. Er lernt, richtig von sich zu denken: Ich halte mich daran fest, dass ich getauft bin, also frei von der Sünde, also mit Christus verwoben, zu einem neuen Leben bestimmt.
Dritte Etappe: Wer befreit ist, wird sich irgendwann fragen, was er nun mit der neuen Freiheit anfangen soll. Bald weiß er, dass er frei ist von den alten Zwängen, aber das genügt ihm nicht mehr. Er fragt: »Was kann ich mit meiner neuen Freiheit anfangen? Wozu bin ich bestimmt, was soll ich tun, damit ich ganz der werde, der ich sein soll?« Mündige Freiheit von etwas will Freiheit zu etwas werden.