Читать книгу Stil und Text - Michael Hoffmann - Страница 18
2.4.2 Stil auf verschiedenen Vertextungsebenen 2.4.2.1 TexthandlungTexthandlung: Stil als das Wie ihrer Durchführung
ОглавлениеTexthandlungenTexthandlung sind textbildende Äußerungen oder Äußerungssequenzen. Auf der Texthandlungsebene ist Stil die Art und Weise, wie eine Texthandlung durchgeführt worden ist. Die Unterschiedlichkeit von Stil tritt bei konstant gesetzter Texthandlung zutage. Es gibt verschiedene Typen von Texthandlungen. Nach der jeweiligen kommunikativen Funktion muss unterschieden werden zwischen Texthandlungen, die der thematischen Entfaltung von Texten dienen, und Texthandlungen, die auf das Erzeugen von thematischem Textsinn gerichtet sind. Beispiele für Erstere sind BESCHREIBENBESCHREIBEN (von Gegenständen und Vorgängen), BERICHTENBERICHTEN (über ein Ereignis), ERÖRTERN (von Problemen), ARGUMENTIERENARGUMENTIEREN (zu einer strittigen These), ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen (einer Geschichte), SCHILDERNSCHILDERN (von Eindrücken) und ERKLÄREN (von Sachverhalten). Texthandlungen dieses Typs gelten als „Grundformen thematischer Entfaltung“ (Brinker 2010: 56ff.). Beispiele für Letztere sind MITTEILENMITTEILEN, BITTENBITTEN, SICH-ENTSCHULDIGENSICH-ENTSCHULDIGEN, GRATULIERENGRATULIEREN und BEVOLLMÄCHTIGENBEVOLLMÄCHTIGEN. Mit Texthandlungen dieses Typs werden kommunikative Kontakte zwischen den Kommunikationspartnern hergestellt.
Unsere bisherigen Beispielanalysen wurden aus gutem Grund textsortenbezogen durchgeführt. TextsortenTextsorte sind aus der kommunikativen Praxis von Menschen hervorgegangen und komplexe Muster für die Bewältigung konkreter kommunikativer Aufgaben in einem konkreten SituationskontextSituationskontext (siehe auch 2.7.1). Die Muster von Textsorten schließen Texthandlungs- und GestaltungsmusterGestaltungsmuster ein. Es gibt textsortentypische GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip, die im Kontext textsortentypischer TexthandlungenTexthandlung den Status von Gestaltungserfordernissen, Gestaltungsalternativen oder Gestaltungsoptionen haben. Greifen wir exemplifizierend noch einmal die Textsorte Kontaktanzeige auf und überlegen wir uns, wie sich textsortentypische Wie-Was-Relationen im Bezugsfeld von Texthandlung bzw. Texthandlungsstruktur (einer Verknüpfung von Texthandlungen) ausfindig machen lassen.
DD, Mann, 40+/186/90, sportl., naturverb., attr., kreativ, kunstint., intell., offen, belesen, selbstst., komm., ehrlich, vielgereist, bodenständig, m. Kinderwunsch. BmB.
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oder Chiffre: ■■■■■■■■
Beispieltext 9: Kontaktanzeige
Zur Kommunikationsaufgabe, vor der Produzenten von Kontaktanzeigen stehen und an der sich Rezipienten von Kontaktanzeigen orientieren, gehört der Vollzug von zwei TexthandlungenTexthandlung: BESCHREIBENBESCHREIBEN und AUFFORDERNAUFFORDERN. An beide lassen sich textsortentypische GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip anschließen.
a) BESCHREIBENBESCHREIBEN (Kontaktanzeige)
Diese TexthandlungTexthandlung ist wie auch andere Themenentfaltungshandlungen an spezifischen abstrakten thematischen Struktureinheiten identifizierbar: an den Einheiten OBJEKT und SPEZIFIZIERUNG. Entweder ist es ein GEGENSTAND (auch eine Person, ein Zustand o.Ä.), der anhand von MERKMALEN spezifiziert wird (Gegenstandsbeschreibung), oder es ist ein VORGANG, dessen Spezifizierung anhand seiner einzelnen PHASEN erfolgt (Vorgangsbeschreibung). Produzenten von Kontaktanzeigen sind zu einer doppelten Gegenstands-, hier Personenbeschreibung angehalten: zu einer Selbst- und zu einer Partnerbeschreibung. Es kommt darauf an, die eigene Person und den Wunschpartner so zu beschreiben, dass sich Personen, die sich für geeignet halten, angesprochen fühlen zu antworten. Stilistisch relevant ist das Wie des BESCHREIBENsBESCHREIBEN.
Zur Beispielanalyse: Ein erstes beschreibungsbezogenes GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip ist Anonymität: die Anonymität der Selbstbeschreibung. Der Textproduzent spricht von sich selbst in der 3. Person und verwendet einen Gattungsnamen (Mann) anstelle eines vollständigen und authentischen Personennamens. Ein weiteres Prinzip ist DetailliertheitDetailliertheit: die Detailliertheit der Selbstbeschreibung. Der Textproduzent reiht 13 adjektivische Persönlichkeitsmerkmale aneinander und erwartet offensichtlich von seiner noch unbekannten Wunschpartnerin, auf deren Profilbeschreibung er verzichtet, dass ihr seine Eigenschaften zusagen, zu denen auch eine in die Zukunft weisende gehört (m. Kinderwunsch). Die Detailliertheit der Selbstbeschreibung ist hier allerdings keine Ausprägung von AnschaulichkeitAnschaulichkeit. Maßgebend ist der GestaltungsaktGestaltungsakt des Subjektivierens. SubjektivitätSubjektivität und Detailliertheit sind miteinander verknüpft. Hinzu kommt eine von ObjektivitätObjektivität geprägte Textpassage, die sich in unkommentierten Alters- (40+), Größen- (186) und Gewichtsangaben (90) manifestiert. Wie zu erkennen ist, wird auch bei dieser Anzeige das Gestaltungsprinzip KnappheitKnappheit realisiert. Die Alters-, Größen- und Gewichtsangaben erscheinen in Ziffernschreibweise; Maßeinheiten wie cm oder kg sind ausgelassenAuslassen; die Adjektive sind alle nachgestellt und dadurch sprachökonomisch unflektiert; der unbestimmte Artikel ein vor dem Gattungsnamen Mann ist ausgespart; Verwendung finden SchreibabkürzungenSchreibabkürzung (sportl., attr. usw.) und ein Kürzel aus dem Autokennzeichensystem Deutschlands (DD anstelle von Raum Dresden). Knappheit und Detailliertheit schließen sich eigentlich gegenseitig aus, stehen hier aber in einem Gestaltungskonflikt, den die Bewältigung der Kommunikationsaufgabe mit sich bringt.
b) AUFFORDERNAUFFORDERN (Kontaktanzeige)
Produzenten von Kontaktanzeigen müssen, wollen sie Zuschriften erhalten, eine Kontaktmöglichkeit angeben. Stilistisch relevant ist das Wie des AUFFORDERNsAUFFORDERN, auf die Anzeige zu antworten und somit interaktional zu handeln. Im Kontext dieser TexthandlungTexthandlung, mit der sich der primäre Zweck von Kontaktanzeigen erfassen lässt, stehen ebenfalls mehrere GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip. So korrespondiert die Anonymität der beschreibenden Textpassagen mit der ChiffriertheitChiffriertheit der textschließenden auffordernden Passage. Eine E-Mail-Anschrift und eine redaktionelle Chiffre sind als alternative Adressen für Zuschriften angegeben. Chiffriertheit ist mit KnappheitKnappheit verknüpft. Verknappt gestaltet ist auch eine zweite auffordernde Textpassage: Das InitialwortInitialwort BmB. steht anstelle eines elliptischen Satzes (Bitte mit Bild.) bzw. anstelle eines grammatisch ausgeformten Satzes (etwa Gebeten wird um Zuschriften mit Bild.). BITTENBITTEN ist eine Variante von AUFFORDERN.
Andere stilistische Facetten der TexthandlungenTexthandlung BESCHREIBENBESCHREIBEN und AUFFORDERNAUFFORDERN zeigen sich in Vorgangsbeschreibungen, z.B. im Gestaltungsrahmen der TextsorteTextsorte Kochrezept (siehe Text 10). Stilfragen, die sich in diesem Rahmen stellen, sind u.a.:
Wie ist die Zutatenliste gestaltet?
Wie werden die Phasen der Zubereitung einer Speise beschrieben?
Beispieltext 10: Kochrezept Super TV, Nr. 40/2015, 92.
c) BESCHREIBENBESCHREIBEN (Kochrezept)
Der Blick auf Text 10 erbringt in Bezug auf die TexthandlungTexthandlung BESCHREIBENBESCHREIBEN, dass die Zutatenliste aus einer asyndetischen Reihe mit 10 Aufzählungsgliedern besteht, also auf dem GestaltungsaktGestaltungsakt des Detaillierens beruht. Mit dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip AnschaulichkeitAnschaulichkeit hat auch das nichts zu tun, denn es geht stilistisch in erster Linie um etwas anderes: um ÜbersichtlichkeitÜbersichtlichkeit im Dienste leichter Rezipierbarkeit – unterstützt durch die Verwendung von Sonderzeichen: geometrischer Trennungspunkte (bullet points) zwischen den Aufzählungsgliedern. Zu erkennen ist, dass in die Zutatenliste Mengenangaben integriert sind (200g, 2 EL u.a.) sowie Bearbeitungs- (fein geschnitten) und Verwendungshinweise (zum Anbraten).
Die eigentliche Vorgangsbeschreibung mit den Phasen der Zubereitung von Pasta in der Parmesankruste, typographischTypographie/typographisch von der Zutatenliste durch Verwendung eines anderen Schrifttyps abgesetzt, ist in zwei nummerierte Teiltexte gegliedert. Auf Grund dessen können wir für den gesamten Text das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip der visuellen GegliedertheitGegliedertheit als formale GestaltqualitätGestaltqualität im Kontext des BESCHREIBENsBESCHREIBEN verorten. Bei der Realisierung des GestaltungsaktsGestaltungsakt Visuell-Gliedern sind unterschiedliche GestaltungsmittelGestaltungsmittel zum Einsatz gekommen: graphische (Absatzgliederung), typographische (Schrifttypen), geometrische (Sonderzeichen). Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch die Verwendung von zwei Schriftfarben: Schwarz für den Haupttext, Pink für die Sonderzeichen und einiges andere. Bei der Beschreibung der einzelnen Zubereitungsphasen werden einheitlich InfinitivsätzeInfinitivsatz anstelle von ImperativsätzenImperativsatz verwendet (Nudeln bissfest kochen. statt Kochen Sie die Nudeln bissfest!). Damit einher geht die UnpersönlichkeitUnpersönlichkeit des Textes, die für die TextsorteTextsorte typisch ist. Verwendung finden ausschließlich Infinitive von Handlungsverben (kochen, enthäuten, würzen usw.), was diesem Teiltext DynamikDynamik verleiht, die mit dem Prinzip StatikStatik der verblosen Zutatenliste kontrastiert. Stilistische Unterschiede zwischen Zutaten- und Zubereitungstext lassen sich also auch an Gestaltungsprinzipien festmachen.
Mehrere visuell voneinander abgesetzte Teiltexte dieses Kochrezepts komplettieren die Beschreibung des Gerichts und seiner Herstellung durch knappKnappheit gehaltene Angaben weiterer Merkmale. Im oberen und unteren Bereich des Textes finden sich Angaben zur
Ernährungsweise: Vegetarisch;
Zubereitungszeit: Nur 15 Minuten / 15 Min. und
Kalorienmenge: 605 pro Portion usw.
Diese Angaben sind im Rahmen des Textsortenmusters als fakultativ einzustufen. Ebenso ist das Foto im oberen Teil des Textes etwas Fakultatives. Es illustriert den sprachmedialen Text, womit wir aber nun tatsächlich einen GestaltungsaktGestaltungsakt zur Realisierung von AnschaulichkeitAnschaulichkeit, den des Illustrierens mittels eines Fotos, erkannt hätten.
d) AUFFORDERNAUFFORDERN (Kochrezept)
Der Blick auf Text 10 erbringt in Bezug auf die TexthandlungTexthandlung AUFFORDERNAUFFORDERN, dass sie nicht – wie in Kontaktanzeigen – am Textende vollzogen wird, dass sie vielmehr Begleithandlung sämtlicher Beschreibungshandlungen ist. Insofern ist die UnpersönlichkeitUnpersönlichkeit des BESCHREIBENsBESCHREIBEN zugleich GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip des AUFFORDERNs. Wir begegnen einer weiteren Variante des AUFFORDERNs: dem UNTERWEISENUNTERWEISEN. Mit der Zutatenbeschreibung werden Rezipienten im Hinblick darauf unterwiesen, was für die Vorbereitung des Kochens beschafft und getan werden muss, mit der Zubereitungsbeschreibung im Hinblick darauf, was in welcher Reihenfolge getan werden muss, damit der Kochvorgang gelingt.
DISKUSSION
In der Literatur wird auch von Stilhandlungen gesprochen. Können GestaltungsakteGestaltungsakt problemlos als stilistische TexthandlungenTexthandlung aufgefasst werden?
In einem handlungstypologischen Rahmen ist diese Frage zu bejahen, in einem textstilistischen Bezugsfeld eher zu verneinen.
Zum handlungstypologischen Rahmen: Texthandlungstypologisch kann man beispielsweise zwischen Basis-, Situierungs- und Ästhetisierungs-Handlungen unterscheiden (vgl. Hoffmann 2012a: 233f.). Basis-Handlungen wie BESCHREIBENBESCHREIBEN oder AUFFORDERNAUFFORDERN sind in situativer wie ästhetischer Hinsicht völlig unbestimmt – entsprechend vielfältig sind ihre stilistischen Facetten. Situierungs-Handlungen hingegen haben den kommunikativen Zweck, Basis-Handlungen der jeweiligen KommunikationssituationKommunikationssituation anzupassen. Darunter können Anpassungen an den KommunikationsbereichKommunikationsbereich fallen. Beispiele für diesen Handlungstyp sind THEORETISIEREN in der Wissenschaft, PORTRÄTIEREN im Journalismus und ADMINISTRIEREN im Behördenwesen. Textproduzentenseitige Aktivitäten schließlich, die den kommunikativen Zweck haben, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die Machart des Textes zu lenken (siehe 2.6.1), kann man handlungstypologisch als Ästhetisierungs-Handlungen bestimmen, z.B. AUFFÄLLIG-MACHEN, ORIGINALISIEREN, SPANNUNG-ERZEUGEN.
Zum textstilistischen Bezugsfeld: In diesem Bezugsfeld ist der Handlungsbegriff unnötig, ja störend. Wenn man Stil als die Art und Weise der Handlungsdurchführung bestimmt (vgl. Sandig 2006: 9), kann Stil wohl nicht selbst eine Handlung sein. Auch die Konstruktion von Gleichzeitig- und Zusatzhandlungen (vgl. Sandig 1986: 59f.) hilft aus diesem terminologischen Dilemma nicht heraus. Es ist zweckmäßiger, sich an der Sprechakttheorie zu orientieren, die Sprechakte als ein Ensemble von Teilakten beschreibt, und ‚GestaltungsaktGestaltungsakt’ als einen Teilakt von TexthandlungenTexthandlung zu bestimmen.