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2.4.2.2 TextthemaTextthema: Stil als das Wie der Versprachlichung und Vertextung des Themas
ОглавлениеWie wir am Beispiel von Kontaktanzeigen sehen, kann ein und dasselbe Thema (‚Partnersuche‘) ganz unterschiedlich versprachlicht werden: Frau sucht Mann (Text 3), Ich suche Dich! und Prinzessin sucht Frosch (Text 4) oder einfach nur Mann, wobei die Prädikation sucht Frau rezeptiv zu ergänzen (zu inferieren) ist (Text 9). Wir erfahren aus den Beispieltexten außerdem, dass Teilthemen des Themas ‚Partnersuche‘, insbesondere die Teilthemen ‚Persönlichkeitsmerkmale der suchenden Person‘ und ‚Persönlichkeitsmerkmale der gesuchten Person‘, in unterschiedlicher DetailliertheitDetailliertheit versprachlicht werden können. In einem der Texte (Text 9) werden 13 Wertadjektive aneinandergereiht, um Vorzüge der eigenen Person aufzulisten, was deutliche Parallelen zu Werbetexten erkennen lässt, während die partnerbeschreibenden Merkmale gänzlich fehlen. Des Weiteren können wir registrieren, dass das Thema ‚Partnersuche‘ nicht zwangsläufig texteröffnend genannt sein muss. Die Textanfänge sind literarisch gestaltet, zitieren aus dem Refrain eines Songtextes, wie in Text 3 (Schwere See, mein Herz?), oder bestehen aus einem Regionalkennzeichenkürzel, wie in Text 9 (DD). Anders hingegen Text 4: Er beginnt mit dem elliptischen ThemasatzThemasatz Suche Dich! Mit Themasätzen, aber auch ThemawörternThemawort (vgl. van Dijk 1980: 50) wird das Thema eines Textes explizit formuliert bzw. bezeichnet. Das Thema ‚Partnersuche‘ fügt sich natürlich nicht nur in den Gestaltungsrahmen ‚Kontaktanzeige‘ ein. ‚Partnersuche‘ kann zum Thema werden auch in Ratgebertexten, in psychologischen und poetischenPoetizität/poetisch Texten, nicht zuletzt in allen erdenklichen Formen privater Kommunikation.
Schlussfolgernd können wir festhalten: Stil ist auf der Vertextungsebene TextthemaTextthema die Art und Weise, wie das Thema eines Textes versprachlicht und vertextet worden ist. Zu den Vertextungsarten gehört, wie das Thema eines Textes entfaltet worden ist. Themenentfaltungshandlungen repräsentieren zwar einerseits einen Texthandlungstyp und sind – wie fast alle TexthandlungenTexthandlung – stilistisch variabel durchführbar, was sich in verschiedenen Stilen des BESCHREIBENsBESCHREIBEN (vgl. 2.4.2.1), BERICHTENsBERICHTEN, ARGUMENTIERENsARGUMENTIEREN usw. manifestiert, andererseits kann ein und dasselbe Thema bspw. beschreibend oder berichtend entfaltet werden. Das aber erfordert nicht irgendeinen, sondern einen bestimmten Stil, denn die jeweilige Art der ThemenentfaltungThemenentfaltung muss auch stilistisch kenntlich gemacht werden. Für jede Grundform thematischer Entfaltung gibt es daher eine Stilform mit Indikator-Funktion, was in Stilkennzeichnungen wie ‚berichtender Stil‘ oder ‚beschreibender Stil‘ seinen Ausdruck findet. So gesehen ist die Entscheidung für eine Art der thematischen Entfaltung immer auch eine stilistische Entscheidung.
Bevor Beispiele für die Versprachlichung und Vertextung des Themas analysiert werden, sollte noch geklärt sein, was der Begriff TextthemaTextthema eigentlich erfasst. Die textlinguistische Diskussion hierzu beiseite lassend (vgl. u.a. Adamzik 2004: 118ff.), wollen wir ‚Textthema‘ als objektsemantisches Zentrum eines Textes begreifen, d.h. als Kerninformation darüber, auf welches Objekt (Gegenstand, Zustand, Lebewesen, Ereignis, Begriff usw.) alle weiteren Informationen (als Teilthemen) bezogen sind.
Wenden wir uns nun einigen thematisierungsstilistischen Unterschieden zu, die bei einem Vergleich von Texten mit Übereinstimmung im Thema am besten hervortreten.
a) Arten der Entfaltung des Themas – Stil als Indikator
Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf
Auto des BZ-Journalisten Gunnar Schupelius angezündet
Von Tanja Buntrock
Das Auto, das in der Nacht zu Montag in Berlin-Wilmersdorf angezündet worden war, gehört dem Kolumnisten der BZ , Gunnar Schupelius. Nun ermittelt der Staatsschutz, ob das Fahrzeug des Journalisten gezielt angegriffen worden war.
Nach der Brandstiftung in Wilmersdorf, wo – wie berichtet – in der Nacht zu Montag in der Ahrweilerstraße ein Auto angezündet und fünf weitere beschädigt wurden, ermittelt nun der Staatsschutz: Denn der in Brand gesetzte Mini Cooper gehört dem B.Z.-Journalisten Gunnar Schupelius. In seiner Kolumne „Mein Ärger – der gerechte Zorn von Gunnar Schupelius“ schimpft der Autor etwa über Graffiti am U-Bahnhof oder erörtert, warum „die Grünen nicht regieren können“, und sucht mit seinen konservativen Thesen die Kernleserschaft der Boulevardzeitung anzusprechen.
Ob der Brandanschlag gezielt Gunnar Schupelius’ Auto galt oder dieses zufällig angezündet worden war, sei noch unklar, hieß es bei der Polizei. „Ob eine politische Motivation die Zielrichtung war oder es andere Hintergründe gibt, müssen die Ermittlungen ergeben“, sagte ein Sprecher. Ein Selbstbezichtigungsschreiben läge derzeit nicht vor. Gunnar Schupelius wollte sich nicht zu dem Vorfall äußern.
Beispieltext 11: Medienbericht
tagesspiegel.de (19.03.2014: 9:20 Uhr).
Brandstiftung, gemeingefährliches, mit hohen Strafen bedrohtes Gefährdungsdelikt. Wegen schwerer B. wird nach § 306 a StGB mit Freiheitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft, wer in Brand setzt: 1) ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2) ein Gebäude, ein Schiff oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient, 3) eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während Menschen sich darin aufzuhalten pflegen. Wenn durch die B. wenigstens leichtfertig der Tod eines Menschen verursacht wird, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren (§ 306 c StGB). Eine besonders schwere Brandstiftung (§ 306 b StGB) liegt vor, wenn eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird (Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren). Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren droht demjenigen Täter einer schweren Brandstiftung, der 1) einen anderen Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt, 2) in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder 3) das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert (§ 306 b Abs. 2 StGB). Die einfache B., bei der nicht ohne Weiteres Menschenleben gefährdet werden, wird nach § 306 StGB mit Freiheitsentzug von einem bis zu zehn Jahren bestraft. Strafbar sind auch die fahrlässige B. (§ 306 d StGB) und das Herbeiführen einer Brandgefahr (§ 306 f StGB).
Beispieltext 12 : Lexikonartikel
DUDEN. Recht A–Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. Mannheim 2007: Dudenverlag, 89.
Aus dem Vergleich von Text 11 und Text 12 geht zunächst hervor, dass beide Texte stilistisch völlig unterschiedlich sind, aber ein gemeinsames Thema haben: das Thema ‚Brandstiftung‘. Doch die Übereinstimmung im Thema besteht nur partiell, denn ‚Brandstiftung‘ ist in Text 11 ein EREIGNIS und in Text 12 ein BEGRIFF (die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch des Wortes Brandstiftung). Den Texten liegen also verschiedene „Thementypen“ (Adamzik 2004: 123f.) zugrunde. Damit im Zusammenhang ist die ThemenentfaltungThemenentfaltung eine jeweils andere. Es stehen sich zwei TexthandlungenTexthandlung gegenüber: das BERICHTENBERICHTEN über ein EREIGNIS anhand von FAKTEN und das BESCHREIBENBESCHREIBEN eines BEGRIFFs anhand von MERKMALEN seiner Struktur. Auf Grund der Indikator-Funktion von Stil stehen sich auch zwei Stilformen gegenüber: der berichtende und der beschreibende Stil.
Berichtender StilStilberichtender entsteht in Text 11 durch
das Verwenden faktenbezeichnender Lokal- und Temporalangaben (in Berlin-Wilmersdorf; in der Nacht zu Montag), die ein Ereignis in Raum und Zeit einordnen;
die Wahl der Tempusformen Präteritum und Präteritumperfekt zur Kennzeichnung vergangenen und vorvergangenen Geschehens (wurden angezündet und beschädigt; war angezündet worden u.a.);
das zeitliche Strukturieren des Ereignisablaufs mit Hilfe von Tempusformen (Präteritum, Präteritumperfekt), temporalen Adverbien (nun), temporalen Präpositionen (nach) u.a. Mitteln.
Beschreibender StilStilbeschreibender entsteht in Text 12 durch
das HinzufügenHinzufügen von Wesensmerkmalen des zum ThemawortThemawort gewordenen Begriffs Brandstiftung mit Hilfe eines Gattungsworts (Gefährdungsdelikt) und definierender Attribute (gemeingefährlich; mit hohen Strafen bedroht), wodurch die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch des Themaworts in eine definierte Bedeutung überführt wird;
das HinzufügenHinzufügen von Differenzierungsmerkmalen des Begriffs mit Hilfe klassifizierender Attribute (schwere B.; besonders schwere B.; einfache B.; fahrlässige B.), wodurch die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch hierarchisch strukturiert wird;
das einheitliche Verwenden der Tempusform Präsens, deren atemporale Variante den begrifflichen Bestimmungen Allgemeingültigkeit verleiht (z.B. wird bestraft; setzt in Brand; liegt vor).
Will man den Unterschied zwischen dem berichtenden und dem beschreibenden Stil an GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip bzw. GestaltqualitätenGestaltqualität festmachen, so bieten sich die klassischen Gegensatzpaare ‚KonkretheitKonkretheit‘ vs. ‚AbstraktheitAbstraktheit‘ sowie ‚DynamikDynamik‘ vs. ‚StatikStatik‘ an (Näheres dazu in 3.2).
b) Arten textsortentypischer FormulierungFormulierung von Thema und Teilthemen
Die stilistischen Unterschiede zwischen beiden Beispieltexten (Texte 11 und 12) sind auch an thema- und themenstrukturbezogenen Formulierungsweisen erkennbar. Eine Erklärung für die Unterschiede liegt in der Zugehörigkeit der Texte zu verschiedenen TextsortenTextsorte. Auf die Beispieltexte bezogen stehen sich zwei weitere Stilformen gegenüber: der journalistische Stil im Textsortenrahmen Medienbericht (Text 11) und der fachliche Stil im Textsortenrahmen Lexikonartikel (Text 12). Da der Artikel zum Fachgebiet Rechtswesen verfasst ist, kann die Stilkennzeichnung ‚fachlicher StilStilfachlicher‘ präzisiert werden. Es handelt sich hier um den juristischen StilStiljuristischer.
Journalistischer Stil (Text 11) beruht u.a. auf
dem Verwenden faktenbezeichnender RealienwörterRealienwort (Eigennamen, Kalenderdaten, ZahlwörterZahlwort u.a.), wodurch der Ereignisdarstellung GenauigkeitGenauigkeit verliehen wird (Eigennamen im Beispieltext sind Ortsteilnamen: Berlin-Wilmersdorf; Straßennamen: Ahrweilerstraße; Personennamen: Gunnar Schupelius);
dem Wiedergeben von recherchierter Rede, wobei deren Wortlaut originalgetreu (direkte RedeRededirekte) oder vom Original abweichend (z.B. per indirekter RedeRedeindirekte) übernommen werden kann (Beispiele für beide RedewiedergabeformenRedewiedergabeform finden sich vor allem im letzten Abschnitt des Beispieltextes);
dem Bevorzugen von gemeinsprachlicher Lexik, wodurch der Ereignisdarstellung AllgemeinverständlichkeitAllgemeinverständlichkeit verliehen wird;
dem HinzufügenHinzufügen von Informationsquellen, die als „Glaubwürdigkeitssignale“ (Lüger 1995: 99) fungieren (hieß es bei der Polizei; sagte ein Sprecher);
„anregenden Zusätzen“ (ebd.: 112), auch als Rezeptionsstimulantien oder AttraktivmacherAttraktivmacher bezeichnet, im Dienste von Interessantheit und UnterhaltsamkeitUnterhaltsamkeit. Auf solcherart Zusätze (Wortspielereien, alltagssprachliche Formulierungen, AnspielungenAllusion u.a.m.) kann verzichtet werden, wenn dem Thema etwas Außergewöhnliches innewohnt, etwa wenn das Opfer des Brandanschlags ein bekannter Journalist ist (Text 11) oder der Brandstifter ein Feuerwehrmann.
Juristischer Stil (Text 12) beruht u.a. auf
dem ErsetzenSubstituieren von gemeinsprachlicher Lexik durch ein- und mehrgliedrige TerminiTerminus aus dem Fachgebiet des Rechtswesens (Gefährdungsdelikt; Freiheitsentzug);
dem Verwenden von gemeinsprachlicher Lexik mit fachsprachlicher SemantikSemantik/semantisch (vgl. z.B. schwere B.; besonders schwere B.; fahrlässige B.);
dem Herstellen intertextueller Beziehungen in Form von Verweisen auf Gesetzesgrundlagen mit Paragraphenzeichen (z.B. nach § 306a StGB);
dem Herstellen von Tatbestand-Rechtsfolge-Konstruktionen (vgl. Nussbaumer 2009: 2137), z.B. wegen schwerer B. wird […] mit Freiheitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft (= Rechtsfolge) – wer in Brand setzt: 1) ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2) ein Gebäude, ein Schiff oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient […] (= Tatbestand).
Die aufgezeigten Verfahren und Mittel des juristischen StilsStiljuristischer folgen dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip GenauigkeitGenauigkeit.
Zum Wie der FormulierungFormulierung von Thema und Teilthemen gibt es – andere Texte heranziehend – noch einiges mehr zu sagen. So muss das Thema keinesfalls explizit und klarKlarheit formuliert sein. Es kann auch angedeutetAndeuten, versteckt, verdeckt oder verschwiegen werden.
AndeutenAndeuten des Themas: Andeutungen finden wir z.B. in Romantiteln wie „Die Klavierspielerin“ (Text 6). Hier wird lediglich die Hauptfigur sozial kategorisiert. Der Titel legt die Interpretation nahe: ‚Es geht um eine Klavierspielerin.‘ Andeutungen können ausgebaut werden, wie im Romantitel „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ (Roman von Jonas Jonasson). Hier wird jedoch nur der Inhalt des extrem kurzen ersten Kapitels komprimiertKomprimiertheit wiedergegeben.
VersteckenVerstecken des Themas: In Witzen und Bildwitzen (Text 7) ist das Thema in die PointePointe eingearbeitet, quasi in ihr versteckt, und aus ihr zu erschließen. Ein geläufiges Witzthema sind ‚Missverständnisse‘.
VerdeckenVerdecken des Themas: Beispiele für diese Gestaltungsmöglichkeit liefert die Werbekommunikation in großer Zahl. Dabei werden originelleOriginalität GestaltungsideenGestaltungsidee realisiert – wie in einer Werbeanzeige für den Peugeot 806, in der das ThemawortThemawort, d.h. der Produktname, in einen kindlichen, krakelig handgeschriebenen, orthographisch fehlerhaften „Erpresserbrief“ integriert worden ist – ein weiterer Fall von MustermischungMustermischung (siehe Text 13):
Beispieltext 13 : Werbeanzeige (als „Erpresserbrief“)
Die „Erpressung“ ist bemerkenswerterweise großformatig zum Blickfang gemacht worden; ein kleinformatiges Foto zeigt eine zum Briefinhalt passende Straßenszene mit Kino und davor parkendem Auto, trägt also auch zum VerdeckenVerdecken des Themas bei. Häufiger sind indes Fälle, wo BlickfangbilderBlickfangbild (Catch-Visuals) instrumentalisiert werden, um den Rezeptionsvorgang zunächst in eine andere Richtung zu lenken, etwa wenn in der Automobil-Werbung großformatig ein Goldfisch abgebildet ist, der aus einem kleinen Wasserglas in ein größeres springt. Barbara Sandig (2006: 354) sieht in solchen Gestaltungsweisen eine „thematische Irreführung“. Auf den KommunikationsbereichKommunikationsbereich bezogen, kann man auch von werbekommunikativen TravestieTravestie, werbekommunikativen sprechen (vgl. Hoffmann 2012b: 188). Das Thema wird zwar verdeckt, soll aber dennoch entdeckt werden.
VerschweigenVerschweigen des Themas: Immer dann, wenn der Titel eines Textes keinerlei Hinweis auf das Thema gibt, liegt ein Verschweigen vor. So trägt eine Reisereportage über den Iran (Text 5) den Titel Niemand trägt ein Pokerface, dem man nicht den geringsten thematischen Fingerzeig entnehmen kann. Der Titel stellt sich als ein Zitat aus dem Haupttext heraus, als Wiedergabe einer Impression von den Menschen, die der Reporterin bei ihrer Reise durch den Iran begegnet sind.
Alle diese Gestaltungsweisen haben letztlich zum Ziel, das Thema (vorerst) nicht offenzulegen, sondern zu verrätseln, RätselhaftigkeitRätselhaftigkeit zu erzeugen. Das Gegenstück dazu ist die KlarheitKlarheit der Themenformulierung. Doch wodurch erscheint uns ein Thema als klar formuliert? Klarheit hat sicher nicht unbedingt etwas mit Ausführlichkeit zu tun. Dem Titel des Romans „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel mangelt es gewiss nicht an Ausführlichkeit, doch klar ist er nicht. Klarheit hat mit Eindeutigkeit zu tun. Eine klare, d.h. eindeutige FormulierungFormulierung des Themas kristallisiert sich z.B. in den Titeln wissenschaftlicher Texte (wie „Propaganda und Film im ‚Dritten Reich‘“ von Wolf Donner), in den Bezeichnungen von Speisen, die zu ThemawörternThemawort in den Überschriften von Kochrezepten geworden sind (Text 10: Pasta in der Parmesankruste), in den Betreffzeilen privater E-Mails (Unser Treffen am Wochenende) oder amtlicher Schreiben (Mieterhöhung zum 1. Februar).
c) Arten hervorhebender Positionierung des Themas
Klar oder rätselhaft formulierte Themen können hervorgehoben werden. Beim GestaltungsaktGestaltungsakt des HervorhebensFokussieren können diverse Verfahren der Positionierung zum Einsatz kommen. Hervorgehoben werden kann ein Thema bspw., indem man es zum Titel auf den Einbänden von Büchern macht, indem man es in die Überschrift von Texten setzt (wie in Kochrezepten), indem man es in die Betreffzeilen privater E-Mails oder amtlicher Schreiben aufnimmt.
Die hervorhebenHervorhebenFokussierende Positionierung des Themas zeigt sich auch in folgenden Verfahren:
Lemmatisieren des Themas: Das Thema wird zu einem Stichwort (Lemma) in Nachschlagewerken gemacht (siehe Text 12: Brandstiftung).
Einbinden des Themas in eine Schlagzeile: Als Beispiel die Schlagzeile Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf (Text 11). Das Thema wird in Schlagzeilen häufig zusätzlich typographischTypographie/typographisch hervorgehoben (Fettdruck, größere Schrift).
Flächendeckendes WiederholenWiederholen des Themas: Als Beispiel ein politischer Werbebrief (Text 14), der eine fortlaufende Wiederholung des Themas ‚Fusion von Berlin und Brandenburg‘ über die gesamte Textfläche hinweg aufweist. Man beachte die relevanten Wortgruppen, von denen die meisten die Toponyme Brandenburg und Berlin enthalten:
Brandenburg und Berlin – das stärkere Land Berlin-Brandenburg – ein Land Berlin-Brandenburg – dieses größere, stärkere Land – für die ganze Region Berlin-Brandenburg – in einem gemeinsamen Land Berlin-Brandenburg – ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg – mit der Bildung eines gemeinsamen Landes – für Berlin-Brandenburg – gemeinsam mit Berlin.
Beispieltext 14 : Politischer Werbebrief
Mit diesem Werbebrief waren die Abstimmungsberechtigten des Bundeslandes Brandenburg angesprochen, beim Volksentscheid über die Fusion von Berlin und Brandenburg im Jahre 1996 mit Ja zu stimmen. Das flächendeckende WiederholenWiederholen des Themas folgt dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip EinprägsamkeitEinprägsamkeit, steht aber noch in einem anderen Gestaltungszusammenhang, auf den unter d) eingegangen wird. Anders liegen die Dinge im Gedicht „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8). Hier kann man zwar auch von einer flächendeckenden Wiederholung (hier des Substantivs krieg) sprechen, doch damit ist das Thema des Gedichts keinesfalls erfasst; es wird lediglich augenfällig angedeutetAndeuten.
d) Arten der Modalisierung von Thema, thematischen Einstellungen und ThemenentfaltungThemenentfaltung
Im Folgenden geht es um stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen und ihr Verhältnis zu den thematischen Einstellungen. Man kann gegenüber thematischen Textinhalten eine positive oder negative Einstellung zum Ausdruck bringen, behauptete Textinhalte für ‚unbestreitbar‘, ‚wahrscheinlich‘ oder ‚falsch‘ halten, in die Zukunft weisende Textinhalte für ‚überflüssig‘, ‚wünschenswert‘ oder ‚notwendig‘ erklären usw. Es handelt sich um verschiedene Arten der Modalisierung thematischer Textinhalte, die Klaus Brinker (2010: 92) als „thematische EinstellungEinstellungthematischeen“ bezeichnet (in Analogie zu den propositionalen Einstellungen in der Sprechakttheorie). Sie verdienen auch in stilistischer Hinsicht Aufmerksamkeit, da ihr Vorkommen auf das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip SubjektivitätSubjektivität verweist, ihr Fehlen demzufolge auf das Gestaltungsprinzip ObjektivitätObjektivität. Subjektivität und Objektivität repräsentieren einen anderen Einstellungstyp. Sie gelten als stilistische Einstellungen, als einstellungsbekundende Gestaltungsprinzipien. Um den Unterschied, aber auch den Zusammenhang zwischen thematischen und stilistischen Einstellungen deutlicher zu erkennen, werfen wir nochmals einen Blick auf den politischen Werbebrief von Manfred Stolpe (Text 14). In diesem Text nimmt der Textproduzent mit dem Hauptsatz Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg prononciert Stellung zur geplanten ‚Länderfusion von Berlin und Brandenburg‘ (als TextthemaTextthema). Er modalisiert das Thema mit dem Ausdrücken einer positiven Einstellung, indem er seine Zustimmung artikuliert. Zugleich fällt auf, dass dieser Satz dreimal hintereinander wiederholtWiederholen wird, insgesamt also viermal vorkommt, wobei jedes Mal ein weil-Satz folgt, mit dem die TexthandlungTexthandlung ARGUMENTIERENARGUMENTIEREN ausgeführt wird. Mit dieser auffälligen Wiederholung von Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg, die sich als Kombination der StilfigurenStilfigur AnapherAnapher und ParallelismusParallelismus beschreiben lässt, wird nicht das Thema, sondern die thematische Einstellung ‚Zustimmung‘ modalisiert. Der Textproduzent gestaltet seine Zustimmung eindringlich. Zustimmung ist eine thematische, EindringlichkeitEindringlichkeit eine stilistische Einstellung. Ähnliches kommt in der zweiten Texthälfte vor. Mit dem Hauptsatz Es ist einfach wahr modalisiert der Textproduzent den Inhalt des Nebensatzes daß ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg sich […] besser behaupten kann dergestalt, dass er ihn für ‚unbestreitbar‘ hält. Der Textproduzent artikuliert Gewissheit. Und auch bei dieser Textpassage wird die thematische Einstellung mehrfach hintereinander ausgedrückt und somit eindringlich gemacht.
Halten wir fest: Es gibt Einstellungen verschiedenen Typs: thematische und stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen. Vom Vorkommen oder Fehlen thematischer Einstellungen hängt ab, ob Texte, Teiltexte, Textpassagen von SubjektivitätSubjektivität oder ObjektivitätObjektivität als stilistischen Einstellungen geprägt sind.
Während es Arten thematischer Einstellungen in überschaubarer Zahl gibt, ist dies bei stilistischen Einstellungen mitnichten der Fall. Es gibt zu viele Nuancen, und eine immense Schwierigkeit besteht darin, sie voneinander abzugrenzen und systematisch zu erfassen. Eine Möglichkeit, zu einer gewissen Systematik zu gelangen, sehen wir darin, die Einstellungsbegriffe SubjektivitätSubjektivität und ObjektivitätObjektivität textsorten-/textgattungsbezogen zu differenzieren. Erscheinungsformen von Objektivität sind dann etwa die SachbetontheitSachbetontheit wissenschaftlicher und behördlicher Texte oder die TatsachenbetontheitTatsachenbetontheit journalistischer Texte (Meldung, Medienbericht, Sachinterview). Erscheinungsformen von Subjektivität sind demgegenüber die MeinungsbetontheitMeinungsbetontheit journalistischer Texte (Kommentar, Kritik, Meinungsinterview), die FeierlichkeitFeierlichkeit liturgischer Texte (Psalm, Hymne, Segensgebet) und die ErlebnisbetontheitErlebnisbetontheit schildernder, Eindrücke wiedergebender Texte. Eine Systematisierungsmöglichkeit sehen wir auch darin, stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen nach dem Verhältnis von Sagen (Äußern) und Meinen zu differenzieren, denn sie können ernst oder unernst gemeint sein. Es sind folgende Fälle zu unterscheiden:
1 Was ernst formuliert ist, soll als ernst gemeint aufgefasst werden. Stilistischer ErnstErnst kann u.a. als EindringlichkeitEindringlichkeit oder Strenge in Erscheinung treten.
2 Was unernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden. Erscheinungsformen von stilistischem UnernstUnernst sind u.a. ScherzhaftigkeitScherzhaftigkeit, Spaßigkeit und SpottSpott.
3 Was ernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden, und umgekehrt. In diesen Fällen handelt es sich um IronieIronie/Ironisieren, die auch mit SpottSpott einhergehen kann.
Zahlreiche Erscheinungsformen von stilistischem UnernstUnernst sind besonders interessant, da sie auf gestalterischer Kreativität beruhen. Schauen wir uns einzelne Beispiele an.
Ein probates Mittel zum Erzeugen von UnernstUnernst trägt die terminologische Bezeichnung AprosdoketonAprosdoketon: der unvermittelte, unvorhersehbare, durchaus nicht immer unerwartete Wechsel (siehe Witze) hin zu einem inkongruenten Textelement, d.h. zu einem Textelement, das im Widerspruch steht zu kommunikativen Gepflogenheiten, kommunikativen Normen, auch alltagslogischem Wissen, indem es z.B. FrameFrame-Ordnungen stört. Solcherart Textelemente zum Erzeugen von stilistischem Unernst sind demnach kommunikative „Ordnungswidrigkeiten“ verschiedener Art. Es versteht sich, dass die PointenPointe von Witzen als Aprosdoketa beschreibbar sind. Aber auch AnspielungenAllusion (Allusionen) können aprosdoketisch gestaltet sein – wie der Titel eines Fernsehfilms beweist: „Einer für alle, alles im Eimer“ (Premiere im ZDF, 15.10.2015, 20.15 Uhr). An der Gestaltung dieses Titels waren zwei GestaltungsakteGestaltungsakt beteiligt: zum einen das Verdunkeln des Themas, zum anderen das Unernst-Machen des Titels. Der antimetabolischAntimetabole gestaltete Wahlspruch der „Drei Musketiere“ im Roman von Alexandre Dumas (Einer für alle, alle für einen!), der als Geflügeltes Wortgeflügeltes Wort zu den phraseologischen Zitaten gehört, wurde durch ein Aprosdoketon verballhornt: durch den inkongruenten, saloppsprachlichen PhraseologismusPhraseologismus im Eimer sein. Der TerminusTerminus „FormelbruchFormelbruch“, den Richard M. Meyer (1913: 39) verwendet, bringt diesen aprosdoketischen Fall auf den Punkt. Der zur Formel gewordene Spruch wird unernst gebrochen, und der Bruch ist unernst gemeint.
Andere Beispiele für eine aprosdoketische Gestaltung finden sich – wie sollte es anders sein – in der Werbekommunikation. Eine Anzeige, mit der die Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ vor einigen Jahren Abonnenten werben wollte, hob sich durch das Herausstellen von scheinbaren Mängeln des Produkts aus der Fülle von Werbetexten heraus.
DAS SATIREMAGAZIN
wird dem Ernst des Lebens in keiner Weise gerecht,
unterstützt Politiker und andere geeignete Personen
in ihrem Bemühen, sich lächerlich zu machen,
verzerrt die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit.
Beispieltext 15: Werbeanzeige (Abschrift des Fließtextes)
Wie man bemerkt, enthält jede einzelne Äußerung ein AprosdoketonAprosdoketon: in keiner Weise statt in jeder Weise; sich lächerlich machen statt sich für das Volk einsetzen; Kenntlichkeit statt Unkenntlichkeit. Eingeschliffene (automatisierte) FormulierungenFormulierung werden durch inkongruente Textelemente zu kommunikativ „ordnungswidrigen“ und somit entautomatisierten Formulierungen. Was unernst formuliert ist, ist hier aber – satiregemäß – ernst gemeint.
Im Unterschied zu Werbeanzeigen ist im Muster der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse stilistischer UnernstUnernst angelegt. Das sei an einem Exemplar dieser Textsorte untersucht.
Matthies meint
Teile des BER in Betrieb
Berlin hat bekanntlich zwei ganz große Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Beim Blick auf die jeweiligen Größenordnungen schwant auch dem Laien: Beides auf einmal geht schlecht. Aber wie wäre es, wenn wir uns auf die Suche nach den vielbeschworenen Synergien machen?
Ja klar, die einschlägigen Witze haben wir hinter uns, es wird keine Feldbetten am Gepäckband geben und keine Suppenküche im Empfangsgebäude. Aber umgekehrt geht was: Soeben wurden eingelagerte Flughafen-Sitzbänke geholt, um den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee ein wenig wohnlicher zu gestalten.
Das ist zumindest gut gedacht, denn wer mal ein paar Nächte unfreiwillig auf diesen Spezialmöbeln zugebracht hat, der weiß, wie perfekt sie die Kombination von Anziehung und Abschreckung verkörpern: Man setzt sich ahnungslos rein, die Stunden vergehen, und plötzlich tut der Rücken weh wie Sau. Und wer drauf übernachtet, braucht Bandscheiben aus Stahl.
Aber was bedeutet das für den Flughafen? Wird er nun ausgeschlachtet wie ein rostiges Auto, bis es dann so um 2019 herum heißt, nun sei der Rest auch nix mehr wert? In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen, zum Beispiel die Empfangs-Counter, an denen sympathische Uniformierte beim Einchecken das Gepäck wiegen, einsammeln und gleich direkt zur nächsten Notunterkunft schicken könnten, Irrläufer in Richtung Sydney oder Kassel-Calden eingeschlossen.
Auch das Anzeigesystem mit den großen Bildschirmen ließe sich nutzen: Lageso drei Tage verspätet, Wohnheim in Hellersdorf gecancelt, Busse nach Brandenburg: Boarding hat jetzt begonnen. Wenn selbst ein lendenlahmer Flughafen wie Tegel jedes Jahr drölfzig Millionen Menschen korrekt durchschleust, sollte die ungenutzte BER-Infrastruktur ja allemal mit ein paar hunderttausend Flüchtlingen zurechtkommen.
Das Ganze wäre jedenfalls eine zivile Variante und viel anheimelnder als das Sozialamts-Outfit der vorhandenen Ämter – zumal, wenn wir pensioniertes Bodenpersonal für den Betrieb gewinnen können. Die Leute sind sprachgewandt und nervenstark, verströmen Autorität und Weltgewandtheit.
Das sollte für ein paar Jahre reichen. Falls dann doch noch jemand den BER in Betrieb nehmen möchte, schaffen wir einfach das Zeug aus Tegel in die Bundesallee.
Beispieltext 16 : Glosse
Potsdamer Neueste Nachrichten, 10.10.2015, 1.
Bereits die Schlagzeile Teile des BER in Betrieb entpuppt sich als thematische Irreführung, denn wir erfahren aus dem Haupttext, dass es nicht um den immer noch seiner Eröffnung harrenden Hauptstadtflughafen BER geht, sondern um die Umsetzung von Terminalmobiliar (eingelagerte Flughafensitzbänke) in den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee, einer Behörde zur Registrierung von Flüchtlingen. Eine ernst formulierte Schlagzeile wird durch den Haupttext unernst gemacht, zwischen Schlagzeile und Haupttext konstituiert sich ein „textlicher WiderspruchWiderspruchtextlicher“, der als Indikator von IronieIronie/Ironisieren gilt (vgl. Plett 2001: 122). Zu seinem Thema ‚Zweckentfremdung von Terminalmobiliar‘ formuliert und begründet der Textproduzent zwei Thesen; er entfaltet das Thema also argumentativ. Schauen wir uns die beiden Thesen und ihre Begründung näher an.
These 1: Das Motiv der Aktion, den Wartebereich im Bearbeitungszentrum wohnlicher zu gestalten, ist zumindest gut gedacht.
Wir registrieren zwar zunächst eine positive Haltung (gegenüber der Aktion) als thematische EinstellungEinstellungthematische, die von ErnstErnst als stilistischer Einstellung geprägt zu sein scheint, doch die mit der Konjunktion denn angeschlossene Begründung (denn die Möbel verkörpern perfekt die Kombination von Anziehung und Abschreckung) offenbart das ganze Gegenteil. Was als Lob formuliert ist, stellt sich als Tadel heraus. Der Wechsel von Lob zu Tadel ist aprosdoketisch gestaltet: Während die Wörter perfekt und Anziehung noch Wörter mit positiver Wertung sind, folgt mit dem unvermittelt angeschlossenen Wort Abschreckung ein negativ wertendes Wort. Auch zwischen These 1 und ihrer Begründung konstituiert sich somit ein textlicher WiderspruchWiderspruchtextlicher.
These 2: In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen.
Wir registrieren die thematische EinstellungEinstellungthematische ‚Gewissheit‘ (Indikator: das Modalwort zweifellos), die ebenfalls stilistisch ernst formuliert ist. Der textliche Widerspruch zwischen These 2 und ihrer Begründung gibt sich aber hier auf eine andere Weise zu erkennen. Es wird der Vorschlag unterbreitet, pensioniertes Flughafenpersonal zu rekrutieren, weitere Ausstattungsgegenstände des Terminals (Empfangs-Counter; Anzeigensystem mit großen Bildschirmen) für die Bearbeitung von Flüchtlingsanliegen einzusetzen und dabei die Flughafensprache zu adaptieren (vgl. Wohnheim in Hellersdorf gecancelt u.a.). Das aber widerspricht dem gesunden Menschenverstand und kann deshalb nur unernst gemeint sein.
Stilistischer UnernstUnernst erfasst in diesem Text die gesamte argumentative ThemenentfaltungThemenentfaltung. Das Muster der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse sieht ‚spöttische IronieIronie/Ironisieren‘ als stilistische EinstellungEinstellungstilistische vor, eine „distanziert-spöttische Modalität“ (Lüger 1995: 137). Glossen werden auch als eine Textsorte beschrieben, in deren Muster ParadoxieParadoxie/Paradox-Machen und Nonsens angelegt sind (vgl. Schalkowski 1998: 314). Auch das sind zweifellos Erscheinungsformen von stilistischem Unernst; sie sind aber im Textsortenrahmen Glosse dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip Ironie untergeordnet.
Doch woran ist ‚SpottSpott‘ erkennbar, und wogegen richtet er sich eigentlich? Glossisten stehen vor einer ziemlich komplizierten Aufgabe. Sie müssen erstens in menschlichem Handeln und Verhalten einen „komischen WiderspruchWiderspruchkomischer“ (Pötschke 2010: 268f.) entdecken und zum Thema machen: eine Diskrepanz etwa zwischen postulierter Stärke und tatsächlicher Schwäche, zwischen erhobenem Anspruch und der Aussichtslosigkeit seiner Verwirklichung, zwischen erklärter Absicht und erzieltem Ergebnis oder – wie im Beispieltext – zwischen Handlungsziel und Handlungsmitteln. Glossisten müssen zweitens den thematisierten komischen WiderspruchWiderspruchkomischer zum Spottobjekt, zur Zielscheibe von Spott als stilistischer Einstellung machen. Dabei bewährt sich der GestaltungsaktGestaltungsakt des IronisierensIronie/Ironisieren und diesem Zusammenhang ein spezielles Ironiesignal: das Konstruieren textlicher Widersprüche (im Beispieltext zwischen Schlagzeile und Haupttext sowie zwischen den Thesen und ihrer Begründung). Durch den Gestaltungsakt des Ironisierens wird das Thema verdeckt und der Widerspruch der Lächerlichkeit preisgegeben. Glossen sind satirische Texte. Weiteres zu Ironie und SatireSatire in 3.1.2.
Wer sich im Beispieltext auf die Suche nach Indikatoren von stilistischem UnernstUnernst begibt, die nicht als Ironiesignale fungieren, findet u.a. auch noch dies:
ein texteröffnendes ZeugmaZeugma: Berlin hat zwei Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen;
drastische Vergleiche und MetaphernMetapher/Metaphorisieren: wehtun wie Sau; den Flughafen ausschlachten wie ein rostiges Auto; ein lendenlahmer Flughafen;
eine scherzhafte Wortschöpfung: die WortkreuzungKontamination (Kontamination) drölfzig (vgl. drölfzig Millionen), gebildet offenbar aus den ZahlwörternZahlwort drei, zwölf und zwanzig o.Ä., mit der BedeutungSemantik/semantisch ‚unbestimmter, größerer Zahlbegriff‘.
DISKUSSION
Um stilistische EinstellungEinstellungstilistische en terminologisch zu fixieren, werden in der Literatur auch die Begriffe InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität und KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität verwendet. Sind das alles SynonymeSynonym/synonymisch ?
Unter ‚InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität‘ wird „die Geltungsweise von Redeteilen“ verstanden, „mit der der Sprecher eine bestimmte Einstellung zum Gesagten ausdrückt, aber auch die Art der Interaktion definiert“ (Schwitalla 1997: 185). Während ‚Interaktionsmodalität‘ vor allem eine gesprächsstilistische Kategorie ist, erfasst der Begriff KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität Einstellungen, die textstilistisch relevant sind, die einen Text insgesamt prägen (vgl. Lüger 1995: 105). Bei beiden Bestimmungen bleibt offen, ob nicht auch thematische EinstellungEinstellungthematischeen unter die Begriffe subsumierbar sind. Beide Bestimmungen lassen dies aber zu. Insofern können die beiden TerminiTerminus als Oberbegriffe für thematische wie stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen verwendet werden.