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I. Erläuterung: Objektivierungsdominanz des IDW S 1

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Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) veröffentlicht Standards, die von den Wirtschaftsprüfern, die dem Institut angeschlossen sind, zu beachten sind. Im Rahmen der Unternehmensbewertung ist der Standard IDW S 1 i.d.F. 2008 relevant.52 Obwohl dem Standard keine rechtliche Bindungswirkung zukommt, stellt er doch ein Regelungswerk dar, das auch von nicht dem IDW angeschlossenen Wirtschaftsprüfern bzw. nicht dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer angehörenden Beratern als Grundkonsens für die Unternehmensbewertung anerkannt wird.

Das IDW vertritt in IDW S 1 eine phasenorientierte Funktionenlehre. Danach kann der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Unternehmensbewertung als Berater, als Schiedsgutachter oder als neutraler Gutachter tätig sein.53 In Abhängigkeit von seiner Funktion ergeben sich unterschiedliche Basisprinzipien, die es bei der Bewertung vorrangig zu beachten gilt.

Die Bewertungsgrundsätze des IDW gehen im Wesentlichen auf die Kölner Schule (Fall 2) zurück und weisen starke Parallelen zu ihr auf. Wird der Bewerter als beratender Gutachter für den Käufer oder den Verkäufer tätig, so ermittelt er die Grenzpreise für seinen Mandanten. In seiner Funktion als Schiedsgutachter steht der faire Interessenausgleich im Vordergrund.54 Darüber hinaus erkennt IDW S 1 aber auch an, dass es zahlreiche Sachzwänge gibt, in denen eine individuelle Ermittlung von Grenzpreisen und eine darauf basierende Ableitung eines Schiedspreises aufgrund der damit verbundenen Kosten-Nutzenrelation unökonomisch oder schlicht nicht durchführbar ist. Dann ist der Unternehmensbewerter gezwungen zu vereinfachen und zu typisieren.

Ergänzend zur Kölner Schule nennt IDW S 1 daher die Funktion des Wirtschaftsprüfers als neutraler Gutachter, der „einen von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert des Unternehmens – den objektivierten Unternehmenswert“55 ermitteln soll. Dabei meint der Begriff „neutral“ nicht etwa eine Wertermittlung, wie sie in der unvoreingenommenen Abwägung der subjektiven Grenzpreise von Käufer und Verkäufer im Rahmen der Schiedspreisermittlung zum Ausdruck kommt. Die „Neutralität“ bezieht sich hier auf die Neutralisierung der individuellen Besonderheiten. Der objektivierte Unternehmenswert zielt auf die Ermittlung eines Werts, der sich gegenüber den individuellen Besonderheiten von Käufer und Verkäufer neutral verhält, indem er sie ignoriert. An ihre Stelle treten marktorientierte Typisierungen und Objektivierungen.

Die Notwendigkeit, ein neutrales Gutachten zu erstellen, kann sich u.a. in folgenden Situationen ergeben:

 – Die Unternehmensbewertung dient dazu, den Fremdkapitalgebern (z.B. Banken) eine grobe Einschätzung über den Marktwert des Unternehmens zu geben, den dieses im Verwertungsfall besitzt. Hier können die individuellen Besonderheiten des Käufers nicht eingepreist werden, weil dieser noch gar nicht existiert, und die subjektiven Tatbestände des Verkäufers sind irrelevant, wenn er aus einer Notsituation heraus verkaufen muss, um seine Schulden zu begleichen.

 – Die Unternehmensbewertung dient der externen Rechnungslegung (z.B. dem Werthaltigkeitstest von immateriellen Vermögenswerten im Rahmen der IFRS-Rechnungslegung), so dass der Unternehmens(teil)wert möglichst kostengünstig und transparent ermittelt werden muss.

 – Die Unternehmensbewertung dient dazu, einen ersten Anhaltspunkt über den möglichen Wert des Unternehmens zu erlangen, damit der Eigentümer eine erste (grobe) Vermutung über dessen Wert erhält, um sich danach zu entscheiden, ob ein Verkauf (und die Durchführung eines teuren Wertgutachtens) für ihn überhaupt in Frage kommt.

 – Der Hauptaktionär hält mehr als 95 % der Aktien einer AG und möchte die zahlreichen Minderheitsaktionäre (ggf. gegen ihren Willen) abfinden und aus dem Unternehmen drängen (squeeze out gemäß § 327a AktG). Der beauftragte Unternehmensbewerter soll einen fairen Abfindungspreis bestimmen, kennt aber nicht die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Kleinaktionärs.

 – Die Verfahrensbeteiligten wünschen ausdrücklich (z.B. aus Kostengründen) eine vereinfachte Unternehmensbewertung und erwarten, dass die Inputfaktoren der Bewertung möglichst justiziabel und frei von Beurteilungen seitens des Käufers und/oder Verkäufers sind. Oder es sind so viele Käufer und/oder Verkäufer an der Unternehmenstransaktion beteiligt, dass die Kosten einer individuellen Unternehmensbewertung in keinem Verhältnis mehr zu der dadurch erzielbaren Mehrinformation stehen.

In seiner Funktion als neutraler Gutachter ermittelt der Bewerter „einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert“56, den das Unternehmen für einen durchschnittlichen Investor ohne besondere Eigenschaften und herausgehobene Fähigkeiten hat. Die Typisierungen führen zu folgenden, grundlegenden Anpassungen:

 – Die Cashflows werden auf Basis der aktuellen Unternehmenssituation ermittelt. Es wird unterstellt, dass der Verkäufer bereits die optimale Unternehmensstrategie gewählt hat. Mögliche Strategieänderungen sind irrelevant, wenn sie am Bilanzstichtag noch keinen objektivierten Niederschlag (z.B. Kaufverträge über andere Unternehmen oder Kündigungen von Mietverträgen) gefunden haben.57

 – Auch höchst persönliche Vorteile, die in der Person des bisherigen Unternehmenseigentümers begründet liegen, sind irrelevant. So ist es z.B. denkbar, dass der Verkäufer ein hohes Ansehen in der Gemeinde besitzt und eine Vorzugsbehandlung bei den örtlichen Banken (z.B. niedrige Kreditzinsen) erhält. Da dieser personenbezogene Vorteil nicht „losgelöst vom bisherigen Eigentümer [...] realisiert werden“58 kann, ist er bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts zu eliminieren.

 – Echte Synergieeffekte sind unbeachtlich.59 Sie entstehen dadurch, dass der (potenzielle) Erwerber des Unternehmens dieses so geschickt mit seinem Rest-Vermögen verknüpfen kann, dass dadurch ein Mehrwert durch Kostenersparnisse und/oder Erlössteigerungen entsteht („1 + 1 = 3“60-Effekt). Typische Synergien bestehen z.B. darin, dass der Erwerber durch den Hinzuerwerb seine Marktmacht stärken und die Einkaufspreise für Waren drücken kann, die das erworbene und die bereits in seinem Eigentum befindlichen Unternehmen zur Produktion benötigen. Diese Synergieeffekte stehen dem durchschnittlichen Marktteilnehmer nicht offen. Sie sind untypisch.

 – Unechte Synergieeffekte sind zu berücksichtigen. Diese entstehen auf der Erwerberseite dadurch, dass der Erwerber bestimmte (offensichtliche) Fehlallokationen im Unternehmen entdeckt und behebt – sofern sie auch von den meisten anderen Marktteilnehmern aufgespürt und beseitigt würden. Ein Beispiel für solche unechten Synergien wäre das unorganisierte Zahlungswesen des Unternehmens, das dazu führt, dass zahlreiche Kundenrechnungen verschlampt und nicht nachverfolgt und Lieferantenrechnungen nur mit erhöhten Säumnis- und Verspätungszuschlägen bezahlt werden. IDW S 1 i.d.F. 2008 fordert jedoch objektivierungsverschärfend, dass unechte Synergien nur dann zu berücksichtigen sind, wenn „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“61

 – Hinsichtlich der besten Alternativrendite geht das IDW davon aus, dass die Mehrheit der Staatsbürger Geld gespart hat und nicht verschuldet ist. Kommt es deshalb zur Unternehmenstransaktion, so wird der Käufer den Kaufpreis von seinem Ersparten nehmen und der Verkäufer den bezogenen Kaufpreis anlegen. Hinsichtlich der (aufzulösenden bzw. vorzunehmenden) Geldanlage ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Sparer ihr Geld in einer Mischung aus festverzinslichen Wertpapieren und Aktien investiert. Es ist deshalb eine Mischrendite heranzuziehen. Zwar spricht IDW S 1 i.d.F. 2008 von der Alternativrendite als der „Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile“62, zugleich soll zur Ermittlung dieser Rendite jedoch das Capital Asset Pricing Model (CAPM) herangezogen werden,63 das letztlich auf der Annahme beruht, dass risikoscheue Investoren ihre Anlage in das effiziente Aktienportfolio (Marktportfolio) mit festverzinslichen Wertpapieren höchstmöglicher Bonität (Staatsanleihen) kombinieren.64

 – Der Unternehmenscashflow ist für den Investor nur insoweit relevant, als er ihn auch konsumieren kann. Da die darauf zu zahlende Einkommensteuer den für den Konsum zur Verfügung stehenden Betrag mindert, ist der Nettocashflow sowohl des zu bewertenden Unternehmens als auch der der Alternativanlage um die Einkommensteuerbelastung zu vermindern.65 Im Rahmen der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts typisiert IDW S 1 i.d.F. 2008 die zu berücksichtigende Einkommensteuerlast in Abhängigkeit vom Bewertungszweck:– Wird der Wirtschaftsprüfer als neutraler Gutachter aufgrund „unternehmerischer Initiativen tätig“66 (z.B. für Kreditwürdigkeitsprüfungen und fairness opinions), so wird der ermittelte Wert (noch) nicht unmittelbar zahlungsrelevant. Der Bewerter kann dann aus Vereinfachungsgründen auf eine Berücksichtigung der Einkommensteuer verzichten (mittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast).67– Muss der Unternehmenswert einer Kapitalgesellschaft dagegen aufgrund gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Anlässe ermittelt werden und wird seine Höhe zahlungsrelevant (z.B. squeeze out), darf der Bewerter typisierend unterstellen, dass die (potenziellen) Investoren als natürliche Personen dem deutschen Einkommensteuerrecht unterliegen und unbeschränkt steuerpflichtig sind,68 so dass grundsätzlich die Nettocashflows in Form von Dividenden und Zinseinnahmen dem Abgeltungsteuersatz von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag69 unterliegen – während auf eine Berücksichtigung der Kirchensteuer verzichtet wird, weil ihre Entstehung vom individuellen Einzelfall abhängt (unmittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast70). Allerdings sind für die Bestimmung der „Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen zusätzliche Annahmen“71 (z.B. über die Länge der Haltedauer und die Höhe der Wiederanlagerendite im Unternehmen) zu treffen.– Die Typisierung ist grundsätzlich unzulässig, wenn ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft zu bewerten ist. Dann müssen die persönlichen Ertragsteuern stets individuell ermittelt und berücksichtigt werden.72

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