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Die Interviews
ОглавлениеIm Februar 1990 fanden die ersten Befragungen von Jugendlichen in Treptow statt. Insgesamt wurden 35 Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren befragt, 20 Mädchen und 15 Jungen. Zwei Drittel der Befragten kommen aus Ostberlin, ein Drittel der Befragten aus Westberlin, da sich im Laufe der Untersuchung herausstellte, dass sich für die Jugendlichen aus dem Ostteil der Stadt wesentlich mehr verändert hat als für die Jugendlichen aus Westberlin. Ende der 1990er Jahre wurden noch drei Wiederholungsinterviews geführt. Alle Interviews wurden in der Regel bei den Jugendlichen zu Hause durchgeführt. Die Dauer der Interviews betrug zwischen anderthalb und drei Stunden. Insgesamt wurden insgesamt ca. 800 Seiten ausgewertet. Drei Jugendliche wurden noch einmal interviewt, um so neuere Entwicklungen und Einschätzungen der Befragten festzuhalten. Alle Interviews wurden anonym durchgeführt, wobei die meisten Jugendlichen sehr offen ihre Situation schilderten. Sie geben deshalb einen tiefgehenden Einblick in die Gefühlslage der Berliner Jugend in den 1990er Jahren. Auch Klaus Farin und Eberhard Seidel betonen die Wichtigkeit, Jugendliche möglichst authentisch zu Wort kommen zu lassen (vgl. Farin/Seidel 2019: 9). Im Anschluss daran fanden oft noch Gespräche mit den Eltern statt, die eine gewisse Neugier hinsichtlich der Interviews erkennen ließen.
Aus der Zahl der Interviewten sollen beispielhaft zwei Personen kurz biografisch skizziert werden: Martina aus Ostberlin und Peter aus Westberlin. Martina, in Ostberlin geboren, schloss sich in ihrer Jugend der Gruftiszene der DDR an. In der Folge erhielt sie nicht nur Alex-Verbot, sie und ihre Eltern wurden auch von der Stasi regelmäßig überwacht. Der Vater blieb bei einem Westbesuch in Westberlin. Darauf stellte die Mutter einen Antrag auf Ausreise nach Westberlin, der überraschenderweise und kurzfristig genehmigt wurde. Die Ausreise 1987 über den S-Bahnhof Friedrichstraße war ein tiefer Einschnitt in das Leben der gesamten Familie. Martina kam relativ unvorbereitet im Westen an und fühlte sich Tag für Tag auf der Straße als Ostlerin erkannt. War sie früher in Ostberlin eher ein Ausgehtyp, so zog sie sich bis zur Wende völlig in die Familie zurück. Bei der Öffnung der Mauer traf sie ihre alten Freund*innen aus Ostberlin wieder und feierte mit ihnen an den früheren Jugendtreffpunkten. Nachdem die erste Neugier verflogen war, zog sie wieder in den Osten, traf sich gelegentlich mit früheren Freunden der Gruftiszene und gründete später eine Familie.
Peter dagegen wurde in einem bayrischen Dorf geboren. Auf Wunsch der Familie zogen sie nach Westberlin. Schnell freundete er sich mit vielen jungen Menschen an, obwohl ihm am Anfang sein bayrischer Dialekt beim Kennenlernen oft Schwierigkeiten bereitete. In der Folgezeit legte er sich eine größere Plattensammlung zu, damit er bei verschiedenen Veranstaltungen in Neukölln als DJ auftreten konnte. Den Osten kannte er nicht und hat ihn bis zur Wende, wie die meisten Westberliner Jugendlichen, nicht wahrgenommen. Den Mauerfall erlebte er nicht direkt als Bereicherung. Wirtschaftlich gesehen war es für ihn jedoch ein Glücksfall, da er nun auch im Osten bei größeren Feten als DJ auftreten konnte. Doch die jugendlichen Menschen im Osten blieben ihm fremd.