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MEDIENSTADT BERLIN UND IHRE JUGENDLICHEN NUTZER*INNEN
ОглавлениеBerlin ist die Medienmetropole Deutschlands. Zwei Trends zeichnen sich ab: Der Radiomarkt gilt als einer der härtesten in Europa, und in der vielfältigen Zeitungslandschaft ist bis heute ein Ost-West-Riss erkennbar. Dabei hat sich der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland relativ rasch und ohne lang anhaltende politische Diskussionen vollzogen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über das neue Deutschland fand kaum statt, weil sie auch von der westlichen politischen Elite nicht gewünscht war. Die Organisationen im Westen haben Organisationen im Osten gegründet. Eigenständig im Osten gegründete Organisationen, soweit es sie denn überhaupt gab, blieben ohne relevanten politischen Einfluss. Und so mangelt es auch heute noch an einem eigenen ostdeutschen Mediensystem, das die Interessen der Menschen aus Ostdeutschland, insbesondere der Jugendlichen, vertritt und ihnen eine Stimme im wiedervereinigten Deutschland gibt. Zudem kam und kommt es aufgrund der Abwesenheit von bedeutsamen ostdeutschen Medien bzw. deren Abwicklung nicht zum Aufbau von ost-west-übergreifenden Informations- und Kommunikationsbeziehungen. In der Folge ist die wechselseitige Wahrnehmung und Aufmerksamkeit füreinander sehr einseitig. Auch auf der Rezipient*innenseite gibt es noch Unterschiede zwischen Ost und West, die im weiteren Verlauf medienspezifisch ausführlich dargestellt werden sollen, was zur Folge hat, dass sich beide Seiten nicht immer auf Augenhöhe begegnen.
Jugendzeit ist Medienzeit. Dabei taucht die 1999 vom Freizeitforscher Horst W. Opaschowski beschriebene Generation @ in eine Multimediawelt ein, die sie gleichzeitig durch die Kanäle zappen und zugleich telefonieren lässt, ein typisches Konsumverhalten der Generation der 1990er Jahre. Seit den 1950er Jahren ist die Mediennutzung, insbesondere das Radiohören, bei den Jugendlichen neben dem Ausgehen die wichtigste Freizeitbeschäftigung. Auch Jutta Gysi weist aus DDR-Sicht darauf hin, dass Fernsehen, Rundfunk- und Musikhören die beliebtesten Freizeittätigkeiten sind (vgl. Gysi 1989). Dazu betonen Günter Lange und Hans-Jörg Stiehler einen wichtigen Aspekt der DDR-Medien: „Es ist keine Zuspitzung, sondern eine realistische Zusammenfassung vielfältiger Untersuchungsergebnisse, festzustellen, dass im Verlauf der 80er Jahre die Medien zunehmend als eines der zentralen geistigen Vermittlungsglieder zwischen Gesellschaft und Individuum (bzw. Partei, Staat und Gesellschaft) ausfielen und zunehmend nicht nur dysfunktional, sondern selbst destabilisierend hinsichtlich ihrer (reproduktiven) Leistungen für Individuum und Gesellschaft wurden. In den 80er Jahren kam es bei Rundfunk und Fernsehen zu drastischen Verschiebungen in den Relationen zwischen DDR- und BRD-Medien. In gewisser Hinsicht vollzogen sowohl die Medien als auch das Publikum eine Entkopplung von Lebensalltag und Medienrealität“ (Lange/Stiehler in: Burkart 1990: 60). Und Bernd Lindner betont in seinem Beitrag Erst die neuen Medien, dann die neuen Verhältnisse: „Die Welt stand uns schon lange offen: durch die Medien. Vergleicht man die derzeitigen Umbrüche im politischen Bereich mit den Ergebnissen der jahrelangen soziologischen Forschungen im Bereich der Kultur-, Literatur- und Mediennutzung, so muss man feststellen, dass wir gerade dabei sind, das auf der gesellschaftlichen Ebene nachzuvollziehen, was wir alle im kulturellen Bereich schon mehr oder weniger gelebt haben. […] Diese Annährung der Jugenden beider ehemaliger deutscher Staaten an einen gemeinsamen Mediennutzungslevel ist keineswegs ein Ergebnis der letzten Jahre allein. Hier ist, insbesondere von den Jugendlichen der DDR – noch zu Zeiten, in denen deren Existenz scheinbar unerschütterbar schien – kräftig ‚vorgearbeitet‘ worden. Nirgendwo wird den Heranwachsenden daher der Anschluss an bundesrepublikanischen Alltag so einfach fallen wie im Medienbereich!“ (Lindner in: Hennig/Friedrich 1991: 99; 102).
Deutlich wird gerade im Medienbereich, wie sich die DDR und ihre Medienlandschaft seit der Wende für Jugendliche geändert hat: Intensiver Zugang zum Medienmarkt der Bundesrepublik Deutschland, erweitertes Medienangebot (Video, Computerspiele usw.), Kommerzialisierung des Medienmarktes und Erweiterung der audiovisuellen Kommunikation. Hier weist Bernd Lindner auf einen wichtigen Aspekt hin: „Die Medienzentriertheit des Freizeitverhaltens wird weiter zunehmen, schon weil auf diesem Gebiet das Gros der neuen Angebote erfolgen wird. Bisher in der DDR nur wenig verfügbare technische Geräte (wie Videorecorder und -kameras, CD-Player, Computer) wollen in ihren Möglichkeiten erkundet und ausgeschritten werden. Von einem ‚West-Schock‘ ist bei den DDR-Jugendlichen gegenwärtig nur wenig zu spüren, eher ein selbstverständliches Sich-Bedienen an den neuen Möglichkeiten“ (Lindner in: Friedrich/Griese 1991: 113). Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie Ost- und Westberliner Jugendliche die Medien nutzen, wo es Unterschiede und wo es Gemeinsamkeiten in der Rezeption gibt.