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Fernsehen

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„Ja, ich denke, dadurch, dass jetzt die Mauer gefallen ist, irgendwie hat sich doch schon ziemlich viel verändert. Man hat halt viel mehr Freiheiten, irgendetwas zu machen, und ich glaube, so früher, was ich da gehört habe, wo dann die Leute die Kinder ausgefragt haben, ob die Eltern Westfernsehen gucken und so. Das war damals tabu, aber als ich in diesem Alter war, durfte ich das halt machen, und da war es auch ganz normal, ZDF zu gucken und so“, sagt Petra (13) aus Ostberlin rückblickend.

Helmut Hanke betont die bedeutende Rolle des (West-) Fernsehens, wenn er die These vertritt, dass wir 1989 „Zeugen und Teilnehmer der 1. Fernsehrevolution der Welt waren“: „Die kulturelle Kommunikation in der DDR war stets gesamtdeutsch. Dafür sorgten neben den sich erneuernden und ausweitenden persönlichen Kontakten vor allem die Medien, insbesondere das Fernsehen. Fernsehen war in der DDR stets und in wachsendem Maße Westfernsehen. Jedenfalls war die DDR-Gesellschaft die einzige soziale Gemeinschaft in Europa, die selbstverständlich und alltäglich mit zwei Grundtypen von Medienkultur umging. Mehrheiten lebten in den Abendstunden schon immer im Westen, und dies umso mehr, je unglaubwürdiger die eigenen Medien, speziell das Fernsehen, wurden. Die kulturelle Erosion des alten Herrschaftssystems lief in der DDR vor allem über die Massenmedien, insbesondere über das Fernsehen. […] Jetzt erweist sich, dass ein jahrzehntelanger Umgang mit BRD-Medien langfristige kulturelle Folgen zeitigt, dass der Standard der Wünsche und Träume in allen Generationen überwiegend ‚westlich‘ war und ist, die Botschaften der Medien schon immer auf das reichere und schönere deutsche Land der Verheißung verwiesen. […] Fernsehen machte die Massenflucht öffentlich, Ohnmacht und Wut im Lande steigerten sich von Tag zu Tag. Die Verhöhnung und Verurteilung der Flüchtlinge in den eigenen Medien verstärkten die Wogen der Empörung. Der demokratische Aufbruch in der DDR war und ist wesentlich auch eine Revolution in den Medien und über die Medien“ (Hanke in: Burkart 1990: 144–148).

Nicht zuletzt verkündete Hanns Joachim Friedrichs in den ARD-Tagesthemen am 9. 11. um 22:42 Uhr die Maueröffnung, die aber erst um 23:20 Uhr erfolgte. Der innerdeutsche „Krieg der Bilder“ wurde durch den „Frieden der Bilder“ ersetzt. Hans-Jörg Stiehler und Bernd Schorb betonen: „… die DDR hatte eine Westorientierung. Von oben bis unten. Und ich habe den Eindruck, die BRD hatte keine Ostorientierung. Ich halte es für ein wichtiges kulturelles Problem, dass es ein Ungleichgewicht gibt im Interesse, ‚zusammenzukommen‘“ (Stiehler/Schorb 1991: 148).

Auch andere Forscher betonen die wichtige Rolle des Fernsehens: „Dabei ist natürlich eine Wechselwirkung zwischen Medienrezeption und der politischen Einstellung in Rechnung zu stellen. Langzeitwirkungen einer intensiven und selektiven Nutzung der Westsender auf die Einstellung zur nationalen Frage sind noch heute nachweisbar. […] Tatsache ist, dass die Rezeption westlicher Kanäle generell wesentlich zum politischen Mentalitätswandel vor der Wende beigetragen hat“ (Förster/Friedrich/Müller/Schubarth 1993: 68). Und noch einmal dieselben Autoren: „Die Ergebnisse legen die Annahme nahe, dass eine intensive und selektive mediale Wahrnehmung der Vorzüge westlicher Lebensqualität (Lebensstandard, persönliche Freiheiten) im Kontrast zu den Alltagserfahrungen der Jugendlichen in der von der Krise gekennzeichneten DDR-Gesellschaft langfristig den Boden mit dafür bereitet hat, die Vereinigung herbeizuwünschen und so selbst an der erstrebten Lebensqualität der Bundesrepublik teilzuhaben“ (ebd.: 238 f.). Sarah (16) aus Ostberlin bestätigt das: „Vor der Maueröffnung fand ich eigentlich, die Medien haben ziemlich viel, ja, der böse Osten und der gute Westen im Westfernsehen und im Ostfernsehen genau umgedreht, der böse Westen und der gute Osten und so, dass sie eigentlich ziemlich gegeneinander gehetzt haben, fand ich.“ Auch Andrea (20) aus Ostberlin wirft einen Blick zurück: „Das gab es auch so bei den Parteimenschen, bei der SED, die durften kein Westfernsehen sehen. Fand ich völlig schlimm. Ich meine, was ist denn dabei, okay, ein bisschen Heuchelei und so ist in jedem Fernsehen, gab es im Ostfernsehen genauso dem Westen gegenüber, aber wenn du wirklich keinen Westen gesehen hast, hast du echt hinter dem Mond gelebt. Weil du von vorne bis hinten nur verscheißert wurdest. Und das finde ich eigentlich jetzt urst gut, dass du das jetzt sehen kannst, so wie es wirklich ist.“ Und Peter (16) aus Westberlin beschreibt seine Fernseherfahrungen so: „Bis zum 9. November war das ja eine Propagandamaschinerie, da haben wir uns vorgesetzt, wenn wir ganz herzlich lachen wollten. Da muss man sich erst dran gewöhnen, dass es eben keine Propagandamaschinerie ist, sondern dass diese Sender genau wie ARD und ZDF, N3 oder die Privaten bei uns jetzt dazugehören zur deutschen Medienlandschaft.“ Petra (17) aus Ostberlin erinnert sich: „Früher durften wir ja nicht so viel sehen. Die haben gesagt, das kommt von drüben, und deshalb durften wir es nicht gucken. Habe ich gesagt, wieso der Film anders ist, bloß weil er drüben läuft, der heißt genauso, hat die gleiche Handlung, die gleichen Darsteller, bloß, dass er von drüben kommt. Nein, der kommt von drüben, also durften wir ihn nicht sehen. Aber jetzt kannst du alle Sender einstellen, kannst alles hören, was du willst, kannst alles sagen, was du willst, jedenfalls nimmt dich keiner dafür hops und so.“

Auch andere Aussagen von Ostberliner Jugendlichen machen eine großen Widerspruch deutlich: Zum einen erfahren sie die Wirklichkeit des DDR-Alltags im Widerspruch zu den verkündeten Ruhmestaten der DDR, zum anderen erleben sie im Westfernsehen einen Staat, der immer wieder Anlass für Träume der Jugendlichen wegen seiner Unerreichbarkeit ist. Tanja (19) aus Ostberlin erinnert sich: „… und weil du sowieso wusstest, wie es hier abläuft, dass es immer die gleiche Einheitssoße ist, die hier erzählt wird, deswegen habe ich früher auch nie Aktuelle Kamera gesehen, also wirklich, wenn ich da die Leute gesehen habe, die ganze Aufmachung, und dann erst mal eine Viertelstunde erzählt, wie viel Getreide geerntet wurde, der blanke Wahnsinn. Und dadurch hat man immer nur den Westen gesehen.“

„Die fahren dann eben wirklich mehr auf Fernsehsendungen ab, weil das ist einfacher, der einfache Konsum, da setzt du dich vor und lässt dich berieseln … Aber im Prinzip würde ich das so sehen, dass eigentlich alle Leute zurzeit sich überall berieseln lassen. Man will ja nichts versäumen, man will ja immer brandaktuell und mit dabei sein. Ansonsten, der normale Mensch, der hetzt auch irgendwo immer dem Konsum hinterher, und dann muss man eben auch informiert sein, was ist zurzeit in“, so Peter (18) aus Westberlin. Dieser ständige, berieselnde Fernsehkonsum hat allerdings heute für die meisten Jugendlichen in Ost- und Westberlin keinerlei wesentliche Bedeutung, und Unterschiede in der Rezeption sind kaum erkennbar. Schon Dieter Baacke wies darauf hin: „Fernsehen ist eine normale Aktivität, die in der Jugendkultur wenig Status oder Identität verleiht“ (Baacke/Heitmeyer 1985: 172).

Anfang 1999 stellt die Studie der Thüringer Landesmedienanstalt Ostdeutschland im Fernsehen ein „innerdeutsches Schweigen“ fest. Drei Thesen werden zur Diskussion gestellt:

1. Die Ostdeutschen werden von ARD, ZDF, SAT.1, RTL und Pro 7, gemessen an der Bevölkerungszahl, in der Berichterstattung und im Infotainment so gut beachtet wie die Westdeutschen.

2. In der Tendenz schneiden die Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge nicht schlechter ab als die Bürger*innen zwischen Kiel und Konstanz.

3. Es gibt im Fernsehen zwischen Ost und West ein Kommunikationsloch, weil die Menschen aus beiden Teilen Deutschlands im Medium nur selten miteinander diskutieren (vgl. Früh u. a. 1995).

So wurde hier eine Chance vertan, damit Ostdeutsche und Westdeutsche miteinander ins Gespräch kamen. Seit der Wende wird darüber diskutiert, wieso sich die Fernsehgewohnheiten in Ost- und Westdeutschland unterscheiden. Ostdeutsche bevorzugen die kommerziellen Sender und schauen täglich bis zu 270 Minuten (2013) – fast eine halbe Stunde länger als Westdeutsche (210 Minuten). Dabei sind sicher auch die unterschiedlichen sozialen Bedingungen ein bedeutender Grund: Insbesondere bei Arbeitslosen – die Quote ist im Osten Deutschlands auch heute noch wesentlich höher als im Westen Deutschlands – ist eine Vorliebe für Unterhaltungsprogramme der Privatsender festzustellen. Es ist zu vermuten, dass sich die Menschen durch das Unterhaltungsangebot von ihren beruflichen Sorgen und wirtschaftlichen Problemen ablenken wollen.

In der Konsequenz haben viele Ostdeutsche ein geringeres Interesse an Politik und ein stärkeres Gefühl politischer Machtlosigkeit. Auch die PEGIDA-Demonstrationen deuten darauf hin. Mangelndes Interesse an Informationssendungen ist eine weitere Ursache für den Hang zu kommerziellen Programmanbietern im Osten: Politische Magazine und Reportagen, Wirtschaftssendungen und Kulturberichte finden im Osten nur unterdurchschnittlichen Zuspruch. Außerdem ist die Bevölkerung in Ostdeutschland jünger. Und je jünger die Zuschauer*innen sind, desto mehr werden die kommerziellen Sender bevorzugt. Der Leipziger Kommunikationsforscher Hans-Jörg Stiehler spricht 2002 von einer „Fernseh-Mauer“, die immer noch so hoch sei wie kurz nach der Wiedervereinigung: „Das hätte ich vor zehn Jahren so nicht vorausgesehen, dass die Unterschiede so stabil bleiben“ (Stiehler in: werben & verkaufen 33/2002). Stiehler beschreibt die ostdeutschen Fernsehgewohnheiten so: „In der DDR bestimmt ein anderer Zeitrhythmus das tägliche Leben. In den Betrieben, in den Büros hat der Tag schon um sieben angefangen, und um 22 Uhr war 80 % der Bevölkerung bereits im Bett. In den neuen Bundesländern werden die TV-Geräte gut eine Stunde früher am Tag eingeschaltet, so dass die Nutzungsspitze eine Stunde eher, zwischen 19 und 20 Uhr, erreicht wird. Davon profitiert nicht nur die Sendung RTL aktuell, die um 18.45 Uhr ausgestrahlt wird, die Tagesschau kommt erst um 20 Uhr, aber auch der MDR, der als einziges drittes Programm nicht um 20 Uhr zur Tagesschau schaltet, sondern um 19.30 Uhr mit MDR aktuell eigene Nachrichten präsentiert, zu eben der Zeit, zu der das DDR-Fernsehen seine Nachrichten ausstrahlte. Und der MDR präsentiert in einer Zeit, in der praktisch alles umgekrempelt wird, aus früheren Zeiten bekannte Gesichter und übernimmt inhaltlich mit einem Mix aus Regionalinformationen, Unterhaltungs- und Ratgebersendungen die Funktion des ‚Sprachrohrs für die kleinen Leute‘, ein Programm von Ostdeutschen für Ostdeutsche“, so Stiehler weiter (ebd.).

Aber auch aus einem anderen Grund kommen ARD und ZDF im Osten oft nicht an. Als öffentlich-rechtliche Sender werden sie nach wie vor mit dem „Staatsfernsehen“ assoziiert. Und dem gegenüber „haben die Ostdeutschen noch aus DDR-Zeiten heraus eine tiefe Abneigung“, meint Stiehler. Wenn sich auch das Fernsehverhalten seitdem angeglichen hat, so ist doch beim Sehverhalten der Ostberliner Jugendlichen auch heute noch eine stärkere Orientierung an den Privatsendern erkennbar.

Marktführer in Deutschland war 2019 das ZDF (13,1 %) vor der ARD (11,3 %), RTL (8,5 %), Sat.1 (6,0 %), Vox (4,7 % und Pro 7 (4,3 %). „Ich glaube, das spricht einfach eine große Masse an. Also die haben die besten Bilder, überhaupt die besseren Farben an sich schon. Das sieht ganz anders aus schon“, befindet Gina (20) aus Westberlin über den privaten Marktführer RTL. Anzumerken ist jedoch, dass es im Hauptprogramm von ARD und ZDF keine einzige Sendung mehr mit einem Zuschauer*innendurchschnitt von unter 50 Jahren gibt. ARD, ZDF und Dritte drohen zu Spartenprogrammen für Senior*innen zu werden. Denn beim Publikum zwischen 14 und 49 Jahren sieht die Reihenfolge ganz anders aus: RTL führt weit vor der ARD. Nach West und Ost getrennt sind auch heute noch wesentliche Unterschiede im Nutzungsverhalten erkennbar. Zum einen bleiben RTL in Ostdeutschland und ARD in Westdeutschland die jeweils meistgesehenen Einzelsender. Zum anderen sind beide öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme im Westen und alle großen Privatsender im Osten erfolgreicher als im jeweils anderen Landesteil. Dazu Andrea (19) aus Ostberlin: „Also sagen wir mal so, ARD und ZDF können sie bei mir rausdrehen, das gucke ich so gut wie überhaupt nicht.“ Der Marktanteil des RBB-Fernsehens im Sendegebiet Berlin-Brandenburg liegt 2018 bei 5,9 %, wobei allein die Abendschau mit einem Marktanteil von 25,5 % und etwa 240.000 Zuschauer*innen im Tagesdurchschnitt ein Quotenrenner ist, allerdings mit rückläufiger Tendenz und hohem Altersdurchschnitt (67 Jahre).

Im Berliner Kabelnetz können heute mehrere 100 Fernsehprogramme empfangen werden. Die Musikfernsehsender MTV und VIVA, die ewigen Konkurrenten, gibt es so nicht mehr: VIVA ist abgeschaltet, und MTV konzentriert sich überwiegend auf Serien. Anfang der 1990er Jahre sah es noch anders aus: Neue Musikvideos, präsentiert von Ray Cokes und Heike Makatsch, begeisterten das junge Publikum. So gab es den Klangteppich gegen Einsamkeit: „… aber sonst läuft eigentlich den ganzen Tag nur MTV, wenn ich zu Hause bin, so als Hintergrund, wenn Freunde bei mir sind oder so“, berichtet Ina (15) aus Ostberlin. „Oh ja, es läuft immer Musik, und die haben auch noch die schönste Werbung, wenn auf den anderen wirklich nichts mehr läuft, man schaltet immer zum Schluss auf MTV, weil die doch immer irgendwas bringen, das geht ins Blut“, lobt Thomas (18) aus Westberlin. Heute fällt es der Musikindustrie zunehmend schwerer, ihre Künstler*innen zu Stars aufzubauen. Waren 1989 zur Zeit des Mauerfalls noch Bands wie Milli Vanilli, Roxette und Bros am beliebtesten, bei den Sängern waren es Jason Donovan, David Hasselhoff und Michael Jackson, bei den Sängerinnen waren Sandra, Madonna und Kylie Minogue die Favoriten, so sind es später Eintagsfliegen aus Deutschland sucht den Superstar, Top of the Pops oder The Dome, die Traumquoten erreichen und dann sehr schnell im Nirwana des Pophimmels verschwinden. Als Folge wurde die Musik im Fernsehen reduziert zugunsten von Dating-Shows oder grenzgängerischen Real-Formaten. Galt der Videoclip eine Weile lang als die Kunstform der Zukunft, so ist er heute ein sterbendes Genre. (Amerikanische) Serien und Castingshows sind an seine Stelle getreten und begeistern die Jugend in Deutschland.

Die Medienforschung sieht die Jugendphase als einen Abschnitt des Lebens, in dem am wenigsten Fernsehen geguckt wird. „Ich gucke ja so selten Fernsehen, und wenn, nur so manchmal, wenn ich von der Schule komme um drei und ich habe nichts zu tun, keine Hausaufgabe, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Dann setze ich mich hin, mache irgendwas an“, beschreibt Andrea (17) aus Ostberlin ihren Fernsehkonsum. „Fernsehen tue ich ganz selten. Nur wenn ich absolute Langeweile habe, ich komme aus der Schule, dann setze ich mich vor den Fernseher und dann kommt ja eine Serie nach der anderen. Und wenn man die von nachmittags um drei bis sechs Uhr alle durchgeguckt hat, dann ist einem ja meistens was eingefallen, was man machen kann“, so Sonja (17) aus Ostberlin. Peter (16) aus Ostberlin meint: „Was ich mir immer mal ganz gerne ansehe, sind diese Diskussionssendungen, Talk im Turm, Explosiv und den Ulrich Meyer, Einspruch. Die gehen gut ab und bringen was rüber. Wenn es gute Themen sind, das sieht man ja in der Vorschau, dann schalte ich das auch ein.“ Auch diese Fernsehformate, die damals besonders auch Jugendliche ansprachen, sind inzwischen in der Versenkung verschwunden und machten neuen Formaten Platz, wobei das zunehmende Schielen auf die Einschaltquote oft den frühzeitigen Tod eines neuen Formats bedeutet. Petra (19) aus Westberlin ergänzt: „Fernseher ist wohl in jedem Haushalt da, und der wird eigentlich auch genutzt, der ist unheimlich gut zum Einschlafen, hab ich festgestellt. Bei dem Fernsehprogramm macht sich das wunderbar.“

Nach Jahren höchster Aufmerksamkeit hat sich das Fernsehen aus der Mitte der Familien verabschiedet. Als Tagesbegleitmedium mit sich permanent steigernden Wahlmöglichkeiten schieben sich nicht die einzelnen Programme, sondern das Medium selbst in den Hintergrund. Dabei hat sich das Spiel mit der Fernbedienung, das gemeinsame Sehen am „Lagerfeuer“, wieder aufgelöst. Jeder schaut in seinem Zimmer, allen voran Kinder und Jugendliche. Dabei emanzipiert das Zappen die Zuschauer*innen von den Erzählstrukturen, die die Programmmacher*innen aufgebaut haben. So wird das Fernsehmachen zum Kampf gegen den Wegschaltimpuls der Zuschauer*innen. Jedes Bild, jeder Ton buhlt um das Dranbleiben der Zuschauenden. Die Zapper*innen, insbesondere auch die jugendlichen Zapper*innen, werden zu Herr*innen über die Bilder und liefern sich ihnen dabei nur umso mehr aus. Fernsehen wird so zu einem Kampf um die Gewalt über Bild und Ton, der reizvoller ist als die inszenierten Kämpfe selbst. Und so siegt das Medium über einen Inhalt. Hans Magnus Enzensberger drückt es so aus: „Die Medien haben einen Kalender, der auch als Ersatz für eine Idee dienen kann“ (Gorris im Gespräch mit Enzensberger in: Der Spiegel 41/2014).

Ein weiterer Aspekt zum unterschiedlichen Fernsehkonsum ist noch zu erwähnen: Ostberliner*innen beschreiben als Inhalt ihres Fernsehkonsums oft spannende Spielfilme, die von den Privatsendern RTL, SAT.1 und PRO 7 gezeigt werden. Damit bestätigen sich auch Ergebnisse der Quotenforschung, die besagen, dass die Dominanz der Privatsender zunimmt, je weiter es Richtung Osten geht. Nach der Wende in ein politisches Loch gefallen, verhielten sich viele Ostbürger*innen eher eskapistisch – die Flucht vor der Wirklichkeit und den realen Anforderungen des Lebens in eine imaginäre Scheinwelt verschaffte den Privatsendern eine bis heute ungeteilte Aufmerksamkeit. Das bestätigt auch Manfred (17) aus Ostberlin: „RTL gucke ich ab und zu mal, ist ganz lustig, aber sonst gucke ich gar nichts. Mal SAT.1 oder so was, überwiegend Private. Also die richtigen Fernsehanstalten, die Staatlichen, gucke ich nicht, ich gucke nur Privatfernsehen.“

Ursächlich für eher geringeres Interesse am Fernsehen ist sicher auch zu nennen, dass besonders populäre Programme für Jugendliche, wie z. B. das legendäre Elf 99, die populäre Musiksendung Formel Eins oder die Diskussionssendungen Live aus dem Schlachthof und Doppelpunkt, aber auch die regional ausgestrahlten und beliebten Berliner Jugendsendungen 100 Grad, 45 Fieber oder Moskito, alle regelrecht gekippt wurden. Gina (20) aus Westberlin meint: „Ich war früher ein wahnsinniger Fan von Moskito. Das gucke ich auch heute noch gerne, also das finde ich immer noch genial … Es müssen auf jeden Fall immer Jugendliche zu Wort kommen, die dazu was sagen können. Und es müssen Themen sein, die die Jugendlichen interessieren.“ Dagegen Thomas (18) aus Westberlin: „Es gibt keinen vernünftigen Jugendsender, der irgendwie was bringt.“ Livestreams, Mediatheken und ein schnelles Internet, Programm jederzeit abrufbar, ohne vorgegebenes Sendeschema, auf mobilen Abspielgeräten Smartphone-kompatibel – das trifft heute die Sehgewohnheiten von Jugendlichen.

Talkshows haben für viele Jugendliche nicht nur einen Unterhaltungswert, sondern auch einen hohen Informationswert. Politische Magazine werden dagegen weitgehend ignoriert. Auffällig ist auch, dass Fernsehen weniger als früher Anlass zur Diskussion und Reflexion bietet. Petra (20) aus Westberlin nennt dafür die Gründe: „Also es ist nicht mehr so wie z. B. bei Moskito, da war klar, dass es die ganze Klasse gesehen hat, da war klar, dass man es sich ansehen muss, während es jetzt eigentlich so ist, man guckt es, und dann hält man es mehr oder weniger für sich, also man unterhält sich nicht mehr. Und über Filme, das kann man eigentlich nur immer genau anschließend machen, das ist ja eigentlich das Tolle am Kino … Aber beim Fernsehen, da sitzt man meistens alleine, und dann habe ich auch schon wieder vergessen, ich habe den Film gesehen, ich kann mich nicht mehr erinnern, was war da überhaupt … Nee, man unterhält sich nicht mehr darüber.“

Zusammenfassend lässt sich für den Fernsehbereich festhalten, dass sich die Nutzung des Fernsehgerätes bei zunehmender Kabeldichte in Ostberlin dem Westberliner Fernsehverhalten angeglichen hat. Dabei wird Fernsehen oft als Geräuschkulisse wahrgenommen und selten aktiv gesehen. Für die Jugendlichen hat es seinen Status verloren. Rezeptionsunterschiede gibt es dahingehend, dass Ostberliner Jugendliche auch heute noch stärker Interesse an Unterhaltungssendungen haben, die sie eher bei den Privatsendern finden.

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