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Selbst für mich, der ich mich fast den ganzen Tag mit Mode und Trends auseinandersetze, ist es manchmal schwer, den Überblick zu behalten und zu entscheiden: Welcher Trend passt zu mir und meiner Marke? Wie langlebig ist der Trend, den ich selbst setze? Es kann vorkommen, dass ein Kleidungsstück Trends nicht nur überdauert, sondern vielleicht sogar eigene Standards setzt, je mehr Zeit und Überlegungen ich im Designprozess aufbringe.

In meiner Jugend war klar definiert, welche Subkultur Dr. Martens tragen durfte und welche nicht. Inzwischen sind diese Regeln aufgebrochen, die Grenzen zwischen den Kulturen verschwimmen. Sub- und Jugendkulturen beeinflussen und inspirieren sich gegenseitig. Vor einigen Jahrzehnten waren diese Basis für modisches Trendsetting, und auch die Musik beeinflusste die Mode maßgeblich (wie David Bowie und Iggy Pop, die mit den Genderrollen spielten, aber auch Rap, Pop oder Rock im Allgemeinen), wenn beispielsweise Künstler etwas Neues ausprobierten und die meist jugendlichen Fans dies kopierten, auch um sich von der Elterngeneration abzusetzen. Ein Grund, warum Rock ’n’ Roll als erste echte Jugendkultur gilt: Musik und Mode bildeten eine Einheit, mit der die jungen Leute gegen die verstaubten Vorstellungen ihrer Eltern revoltierten.

Mittlerweile gilt das nicht mehr. Nicht Künstler beeinflussen Jugendliche und Subkulturen, sondern Influencer zeigen auf virtuellen Plattformen eigene Styles, die so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, aufgegriffen und anschließend adaptiert werden. Das Prinzip hat sich verkehrt, plötzlich ist jeder Gestalter seiner Welt. Vom reinen Konsumenten sind wir zum Produzenten geworden – teilweise bringt das Wunderschönes, viel öfter jedoch Grässliches hervor. Genau deshalb ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die aus der Fülle der Trends und Stile eine Auswahl treffen. So gelingt es auch, Kleidungsstücke zu erschaffen, die länger als ein Snapchat-Bild erhalten bleiben.

TRENDSETTING 3.0

Sprechen wir über eine Person, die sich mit Mode beschäftigt, fällt oft das Wort »Trendsetter«. Dabei gibt es nur sehr wenige Trendsetter auf diesem Planeten, wohingegen die Masse der Trendfollower unüberschaubar ist. Ein guter Designer erkennt die Trends, lange bevor andere sie wahrnehmen, und übersetzt sie in seine eigene künstlerische Gestaltung.

Als ich in den Neunzigerjahren Chefdesigner bei Levis war, veranstalteten wir unsere Fotoshootings häufig in den Staaten, um den American Spirit einzufangen. Auf einer dieser Reisen sah ich zum ersten Mal Piercings – also nicht nur Ringe durch die Ohrläppchen, sondern auch durch die Nase oder Augenbrauen. Das gefiel der Marketing-Chefin und mir unglaublich gut, wir hatten so etwas noch nicht gesehen. Also ließ sich die Marketing-Chefin kurzerhand piercen, und wir flogen zurück nach Frankfurt.

Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag zurück in der Bürokantine. Den meisten meiner Kollegen fiel fast das Tablett aus der Hand, als sie den Ring durch die Augenbraue der gut aussehenden Frau sahen. In den Gesichtern stand geschrieben: »Wieso verunstaltet die sich derartig?!« Heute sieht man Piercings so häufig, dass sie kaum mehr die Gemüter erregen.

Das kleine Beispiel zeigt, dass es ein paar wenige Opinion Leader gibt, die modische Phänomene einer breiten Gesellschaft zugänglich machen. Im Übrigen ist das Piercing nicht die einzige Anleihe, die die Mode aus dem Fetisch-Bereich bezogen hat.

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