Читать книгу Minimal Style - Michael Michalsky - Страница 5

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Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich im März 2020 in meinem Berliner Büro am Schreibtisch saß und im Internet las, dass Deutschland zur Eindämmung der Corona-Pandemie einen landesweiten Lockdown verhängen würde.

Zuerst rutschte mir das Herz in die Hose.

Dann dachte ich: Das überlebst du nicht.

Keine Konzerte? Keine Restaurantbesuche? Keine Kinos, keine Kneipen, keine Museen? Für vier Wochen? (Jaja, damals dachten wir noch, nach vier Wochen wäre der Spuk vorbei.) Unmöglich! In meiner kleinen Wohnung in Kreuzberg wäre ich mehr oder weniger von der Außenwelt abgeschnitten. Vermutlich würde ich in Ermangelung von Haustieren nach drei Tagen anfangen, mit mir selbst zu reden …

Nachdem ich den ersten Schock weggeatmet und die unguten Gedanken an die Zukunft nachdrücklich beiseitegeschoben hatte, konzentrierte ich mich aufs Wesentliche und entwarf in Windeseile einen Plan. Was brauchte ich zum Überleben? Brot. Käse. Wein. Zigaretten. Wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Und war mein Netflix-Abo noch aktiv?

Nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel kehrte ich schwer beladen in meine Bude zurück. Deutschland würde runterfahren, das war unumgänglich, aber immerhin fühlte ich mich mittlerweile etwas besser gewappnet. Wird schon nicht so schlimm werden, redete ich mir ein.

Es wurde dann auch nicht so schlimm. Sondern noch schlimmer.

Mein Rechner muckte, sodass ich aus allen Videocalls geschmissen wurde. Die Isolation zu Hause machte mir zu schaffen, und seit langer Zeit fiel mir mein Single-Dasein wieder negativ auf. Auch dass alle Hotlines deutschlandweit offenbar belegt waren und sich niemand für mich und meine Probleme verantwortlich zu fühlen schien, ging mir zunehmend auf den Keks.

Nach einer knappen halben Woche kam ich jedoch zurück auf Kurs. Das fing damit an, dass ich mich trotz meiner großen Sympathie für lässige Kleidung nicht gehen ließ, sondern mich jeden Morgen vernünftig anzog – sogar mit Accessoires und Schmuck. Tag für Tag drang ich tiefer in meinen Kleiderschrank vor und entdeckte einige Stücke, die ich seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Meine alte Liebe für sie wurde neu entfacht. Ein zweiter Frühling, und das mitten im Lockdown! Bald schon hatte ich das Gefühl, eine wahre Schatzkiste in meinem Schlafzimmer stehen zu haben. Wieso hatte ich mich bislang so wenig mit den Dingen auseinandergesetzt, für dich ich einmal Geld ausgegeben hatte?!

Als das nächste Wochenende kam, krempelte ich die Ärmel hoch und zog alles aus dem Schrank, was sich darin vor mir versteckte. Zuerst fühlte ich mich erschlagen von dem riesigen Berg an Kleidungsstücken, der sich vor mir auf dem Bett auftürmte. Gehörte das wirklich alles mir?

Zwei Tassen Kaffee und eine Zigarette später fing ich an zu sortieren. Ich entschied mich für drei Stapel: must have, okay, time to go. Auch wenn der Must-have-Stapel mit Abstand der größte war, das Gefühl, am Ende des Tages endlich wieder Herrscher über meine Besitztümer zu sein, war überwältigend. Marie Kondo hätte sich einen Ast abgefreut, wenn sie mich gesehen hätte, was zum Glück aber nicht der Fall war.

Nachdem ich mit den Kleidern fertig war, widmete ich mich den Schuhen. Ich putzte jedes einzelne meiner dreißig Paar Sneaker und erinnerte mich währenddessen daran, wann und wo ich sie erworben hatte. Dabei kam ich so in den Flow, dass ich sogar eine Verabredung zum Spazierengehen ausschlug – ein gesellschaftliches Highlight im Corona-Frühjahr des Jahres 2020. Aber ich schwang die Schuhbürste mit so einer Begeisterung, dass ich jetzt unmöglich aufhören konnte. Ich war sogar ein wenig traurig, als ich beim letzten Paar Sneaker angekommen war.

Was jetzt?

Ich nahm mir die Wohnung vor. Stellte und dekorierte um, räumte auf, mistete aus. Nach der Einrichtung war mein digitales Leben dran, Playlisten, virtuelle Ordner, digitale Bildersammlungen, kein Bit und kein Byte waren vor mir sicher.

Als die Politik einige Tage später erklärte, dass die Maßnahmen gelockert würden, brach ich erneut kurz in Panik aus – diesmal allerdings aus einem anderen Grund als zu Beginn des Lockdowns. Ich war noch lange nicht fertig mit dem Aufräumen! Vor allem aber fühlte ich mich nach den vielen Wochen, in denen ich in Erinnerungen geschwelgt und mit mir und meinen Besitztümern allein gewesen war, nicht bereit, wieder Menschen zu begegnen. Meine Wohnung war mein Leben, und nach vielen Jahren hatte ich wieder einen Überblick über all die Gegenstände und Habseligkeiten, die mich begleiteten. Das konnte doch nicht einfach wieder vorbei sein!

Zum Glück bin ich anpassungsfähig. Und so überrascht es vermutlich nicht, wenn ich zugebe, dass ich nach den ersten befremdlichen Momenten wieder sehr froh war, auf Menschen zu treffen und Zeit mit ihnen zu verbringen, da mir meine Besitztümer zwar einige spannende Geschichten aus meiner Vergangenheit erzählt hatten, die Kommunikation mit Pullovern und Schuhen aber auf Dauer ein bisschen, na ja, einseitig ist. Und immerhin durfte ich jeden Abend in meine aufgeräumte, gut strukturierte und stilvolle Wohnung zurückkehren, in der ich jeden Papierschnipsel persönlich kannte.

Mein Kleiderschrank ist immer noch die Truhe voller Schätze, nur dass ich nach meiner Bestandsaufnahme viel mehr Freude an ihm habe. Ich trage all die vergessenen Stücke, die ich mir einst geleistet habe – und nicht nur einmal bin ich seitdem auf meinen »neuen« Style angesprochen worden.

Inmitten all der Kleiderberge habe ich allerdings nicht nur meinen Style wiedergefunden, vor allem wurde eine Idee geboren: ein Buch zu schreiben, das auch anderen hilft, nicht nur Lockdowns zu überstehen, sondern vor allem mit minimalem Aufwand modisch und stilvoll gekleidet zu sein.

Minimal Style

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