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LESS IS MORE

Jedes Jahr wandern bis zu sechzig neue Kleidungsstücke in unsere Schränke. Trotzdem haben wir oft das Gefühl, nichts zum Anziehen zu haben. Kein Wunder, denn in der unüberschaubaren Masse der Möglichkeiten ist es manchmal schwer, sich für das Richtige zu entscheiden. Wie aber kannst du dich in deiner Garderobe wieder zurechtfinden und gleichzeitig deinen Style weiterentwickeln? Das Zauberwort lautet: Minimal Style.

Auf den ersten Blick könnte das Gebäude auch ein Museum sein: ein Kubus aus grauem Waschbeton mit wenigen asymmetrisch ausgerichteten Fenstern und Türen und nur einem einzigen Schaufenster. Im quadratischen Innenhof steht ein Baum mit verschlungenen Stämmen und ausladenden Ästen. Den Eingang flankieren mannshohe Skulpturen, die mich an die Osterinseln erinnern. Ich bin jedoch nicht in der Südsee, sondern in L.A. und stehe voller Vorfreude vor den Türen von Maxfield, dem in meinen Augen besten Bekleidungsgeschäft der Welt.

Maxfield ist mein Eldorado. Das Mekka, zu dem ich alle paar Jahre pilgere. Hier entdeckt man Trends, bevor sie entstehen. Es ist der einzige Ort weltweit, an dem die Männer-Kollektion von Chanel verkauft wird – allein das rechtfertigt regelmäßige Reisen in die Stadt der Engel.

Der Ruf des Ladens ist legendär, denn hier wird Mode nicht einfach auf Kleiderbügel gehängt, hier wird sie kuratiert. Jedes Stück, das bei Maxfield verkauft wird, hat etwas Besonderes und wird auf bestmögliche Art in Szene gesetzt. Wer in diesem Laden, ach, was sage ich, diesem Tempel einkauft, ist auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen. Die Kunden von Maxfield haben Style und Gespür für Mode. Und das nötige Kleingeld, um ihre Wünsche wahr werden zu lassen.

Nur alle paar Jahre komme ich hierher und nehme mir einen ganzen Tag, um durch das Geschäft zu stöbern. Wenn ich bei Maxfield etwas kaufe, kaufe ich es mit Bedacht und erfreue mich viele Jahre daran. Nicht nur, weil ich selten an die Westküste der Vereinigten Staaten komme (denn auch, wenn viele Leute etwas anderes von einem Designer denken, jette ich nicht die meiste Zeit des Jahres durch die Welt), sondern auch, weil ich mir viel Zeit bei meinem extraordinären Einkaufsbummel lasse und mir genau überlege, was meine Garderobe komplettieren darf.

DER MARKT PRODUZIERT ZU VIEL VON ALLEM

Man kann so viel Mode kaufen, wie man will: Style erwirbt man deshalb noch lange nicht. Das sehe ich jeden Abend, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme und mein Blick auf eine der größten Jugendherbergen Berlins auf der anderen Straßenseite fällt. Woche für Woche trudeln dort Klassenfahrten aus der ganzen Republik ein. Montags kommen sie an, freitags reisen sie ab. Die Jugendlichen sehen in meinen Augen fast alle gleich aus. Sie tragen dieselbe Skinny Jeans, dieselben Frisuren, dieselben Sneaker. Sie haben keinen individuellen Style – sie tragen im Prinzip Uniformen.

Deshalb gehen sie auch in denselben Läden shoppen. Jeden Tag sehe ich die Horden von ihren Beutezügen aus den Einkaufszentren und der Innenstadt zurückkehren, und es gibt kaum einen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, der nicht mindestens eine prall gefüllte Tüte einer Billigmarke in der Hand hat. Darin befinden sich Kleidungsstücke, die vielleicht eine Woche oder Saison, vielleicht sogar zwei Jahreszeiten im Schrank überdauern werden, bevor sie verwaschen, alt und abgetragen aussehen und nicht mehr der kurzlebigen Mode entsprechen.

MASSE OHNE KLASSE

Konsum bedeutet Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. Sich so viel kaufen zu können, wie man mag, steigert das Selbstwertgefühl wie kaum etwas anderes. Wenn ein T-Shirt nur noch drei Euro kostet, umso besser, denn so bekomme ich scheinbar noch viel mehr für mein Geld.

Aber die Wahrheit ist: Man bekommt nichts für sein Geld, wenn man Produkte dieser Art erwirbt. Jedenfalls nichts von Qualität. Obwohl der Modemarkt übersättigt ist, gibt es immer mehr Brands, die nicht zwei- oder viermal im Jahr, sondern wöchentlich neue Kollektionen in die Läden bringen. Die neue Ware drückt die »alten« Teile in den Sale, die Kundinnen werden dazu angeregt, noch mehr noch billigere Teile zu kaufen, die sie nur ein paarmal tragen werden, wenn überhaupt. (Das Kleidungsstück mit der traurigsten Geschichte ist übrigens das Partytop, das durchschnittlich nur 1,7-mal getragen wird, bevor es in die Altkleidertonne wandert.)

Mir ist bewusst, dass sich nicht jeder teure Kleidung leisten kann. Dennoch bin ich immer wieder erstaunt, dass vielen Konsumentinnen nicht klar zu sein scheint, welches System sie mit ihrem Einkauf unterstützen. Möglicherweise ist es ihnen auch egal? Niemand kann behaupten, dass er nicht wüsste, welche Auswirkungen Fast Fashion auf unsere Welt hat – und doch eröffnen die Billigmarken weitere Stores in den Fußgängerzonen, ziehen noch mehr Menschen mit noch größeren Papiertüten voller Plastikklamotten an meinem Fenster vorbei. Es ist leider immer noch zu leicht, kurzfristige Glücksgefühle durch Modekonsum zu produzieren.

Maßlose Shoppingtrips, bei denen wir unsere bewussten Entscheidungsprozesse für einen kurzen Moment auf stumm schalten und dem Rausch verfallen, sind eine kurze Unterbrechung in unserem ansonsten so kontrollierten, getrackten, austarierten Leben.

Und das Gegenteil von überlegtem Modekonsum.

Früher fuhr man samstags in die Stadt, um eine neue Hose zu kaufen, neue Schuhe oder einen neuen Wintermantel. Man hatte ein Bedürfnis, einen Mangel, den es auszugleichen galt und für den man ein Kaufhaus oder eine Boutique besuchte, um genau das zu kaufen, was man benötigte. Heute erwirbt man Dinge, die man niemals anziehen wird, um nicht mit leeren Händen vom Shoppingtrip nach Hause zu kommen.

Als Konsumierende haben wir oft das Gefühl, am bestehenden System nichts ändern zu können. Ein T-Shirt macht doch schließlich keinen Unterschied. Tatsächlich hat jedes einzelne Produkt, das nicht gekauft wird, sondern im Laden liegen bleibt, eine Wirkung. Die Produzenten spüren das. Wer sich dazu entscheidet, nicht (mehr) bei Marken einzukaufen, die Mode wie einen Wegwerfartikel behandeln, setzt ein Zeichen.

Sich bewusst mit der Welt, dem eigenen Konsum und dem individuellen Style auseinanderzusetzen, wird immer wichtiger. Menschen fangen an zu hinterfragen, wo die Produkte herkommen, die sie konsumieren: Möbel, Lebensmittel, Kosmetik, aber natürlich auch Mode. Slow Fashion ist in aller Munde, wir möchten verantwortungsbewusster konsumieren – und trotzdem stylisch sein. Das ist aber gar nicht so leicht, denn wir sehen den Kleidungsstücken nicht an, durch wie viele Hände in wie vielen Ländern sie bereits gegangen sind, bevor sie in unseren Kleiderschrank wandern. Das wirft Fragen auf: Was darf ich mit gutem Gewissen noch konsumieren? Wie mache ich es richtig? Wie kann ich meinem Style treu bleiben und trotzdem Spaß am Shopping haben? Sollen wir unseren Konsum reduzieren und stattdessen lieber nur noch Selbsthergestelltes tragen? Wie lerne ich stricken – und will ich das überhaupt? Wovon sollen die Leute im produzierenden Gewerbe dann leben? Wie können wir den Anforderungen und Ansprüchen der modernen Gesellschaft so noch entsprechen, ohne unseren Style zu verlieren?

Minimal Style

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