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Juli
ОглавлениеEinmal, erzählt Jane Gerhardt, sei Bernd Hepp frühmorgens gegen fünf in ihr Zimmer eingedrungen. Sie habe Herrenbesuch. Das zweite Bett aber in ihrem Zimmer, darauf erhebe er Anspruch; alles in diesem Haus gehöre zur Hälfte ihm.
»Lass mich schlafen. Oder ich hole die Polizei« – das möge sie ruhig tun. Und sie tat es. – »Mein Vermieter«, erklärte sie dem Polizisten am Telefon, »geht nicht aus meinem Zimmer raus.« – »Geben Sie ihn mir mal.«
Das Ergebnis: sie müsse mit Bernd Hepp zu einer juristisch einwandfreien Aufteilung des Hauses kommen. Dann erst könne die Polizei einschreiten, wenn er sich gegen ihren Willen in einer ihrer Zonen aufhält.
R. wüsste gerne, ob »Franz« (so wurde er vorgestellt), der zuhört, während Jane Gerhardt lachend die Szene schildert, in ihrem Bett lag und wie er sich verhielt. R. fragt aber nicht.
Am Nachmittag, es herrscht schönes Sommerwetter, kommt Michel in das Zimmer von R., setzt sich in einen der Ikea-Sessel und zündet eine Zigarette an. In diesem Zimmer sei es ja kühler als in seinem, bemerkt er; er habe gerade versucht, den Text von Castoriadis ein wenig zu verbessern, eine schwere Anstrengung bei der Hitze …
R. versteht nur langsam: Michel kommt zum Plaudern hierher, und das womöglich zum allerersten Mal. Also entsteht dies Plaudern, dessentwegen R. manchmal, manchmal sogar jeden Morgen, zu Michel geht, jetzt in seinem Zimmer: Von vielen Pausen unterbrochen, woran R. sich erst zu gewöhnen hatte.
Vor allem hatte R. sich daran zu gewöhnen, dass sie nach einer dieser Pausen einander ins Wort zu fallen pflegen, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt des Schweigens jeder es unbedingt unterbrechen will. Heute, hier in seinem Zimmer, lässt R. meist Michel den Vortritt.
»Das reformierte Juliheft soll sich ausgezeichnet verkaufen, sagt die Herausgeberin. Aber sie hat es bloß von dem Kiosk an der Ecke. Diesmal, sagt der Zeitungsmann, habe er gleich in der ersten Woche 12 von seinen 18 Heften verkauft.«
In Harry’s New York Bar glänzt über den Pissoirs, dort wo der Wasserfluss aus der Wand tritt, eine blanke Metallplatte, so dass man dem Schwanz beim Urinieren im Spiegel zuschauen kann.
Genau so sieht es, sagt Bernd Dürr, als R. zurückkommt und davon erzählt, genau so sieht es im Pissoir der Neuen Pinakothek aus.
Alle Monster im »Kampf der Titanen« übersteht Goetz gut. Das Seeungeheuer; den missgestalteten Calibos, dem Perseus beim nächtlichen Kampf im Sumpf die Hand abhackt; die Medusa, wie sie in einem halbdunklen Raum zischelnd und Pfeile verschießend umherschleicht (obgleich Goetz hier schon ein wenig nervös wird).
Aber schwere Unruhe ergreift ihn, als aus dem herabgetropften Blut der Medusa Ungeziefer entsteht, das sich schließlich zu zwei Riesenskorpionen auswächst, mit denen die Helden um ihr Leben kämpfen. »Jetzt reicht’s aber! Das ist zu viel!«
R. schreibt Briefe, schickt Manuskripte zurück, wirft Fotokopien in den Papierkorb: räumt seinen Schreibtisch leer.
Danach geht er in das Zimmer von Frau K. – sie kehrte gestern von ihrer Reise zurück –, wo sie, Dirk Bickel und Michel schon eine Weile plaudern. »Carlos«, sagt sie gerade, »möchtest du mal eine norwegische Zigarette probieren?« – »Danke«, antwortet Michel zeremoniell, »ich glaube nicht.«
Zum Ordnungmachen hat R. die Phantasie verführt: Jetzt gleich gehe ich fort, und ich will meinen Schreibtisch dem Nachfolger leer übergeben.
Zum Beruf des Fachautors für Hifi-Technik, erzählt Heiner Uber, kam er folgendermaßen. Als Student habe er, immer schon an Musik interessiert, immer wieder in Hifi-Läden gearbeitet, um Geld zu verdienen; in einem bedeutenden Geschäft sei plötzlich der Fachmann ausgefallen, und man habe ihn an seine Stelle gesetzt – worauf er sich so gründlich einarbeitete, dass er sogar verbesserte Lautsprecher basteln konnte. Dann las er eine Anzeige: Gesucht wurde ein Autor für Hifi-Technik, »das ist eine echte Marktlücke«, denn die Techniker selber, die sich in den Geräten auskennen, können nicht schreiben.
Aber jetzt, nach mehr als zwei Jahren, habe er genug, »sie tun so, als wäre das Klirren das zentrale Weltproblem.« Jetzt arbeite er an seiner Dissertation. – Worüber? – Probleme der Kommentierung Stifters. – Bei wem? – Frühwald.
Gertraud Busch kommt aus Italien angereist, zusammen mit Werner Middendorf, der sich freilich nach einer halben Stunde verabschiedet.
Gegen neun Uhr kommt das Ehepaar Doppler; sie können nicht weiterfahren, weil Bernhard Dopplers österreichischer Führerschein in der BRD nicht für den Lastwagen gilt, mit dem sie von Klagenfurt nach Paderborn umziehen.
Eigentlich erwartet R. noch Stefan Heerich und Michael Becker, die sich heute mit ihm treffen wollten (später sagen sie ab). Dann ruft Peter Krumme an, der einen Schlafplatz braucht – »leider sind wir ausgebucht«.
Trotzdem trinkt R. ein Glas Wein nach dem anderen, in dem Gefühl, »es ist ja doch nichts los«. So dass er um elf Uhr ins Bett muss.
R. fährt mit dem Ehepaar Doppler nach Riem. Das Mädchen am Schalter von InterRent scheint mit dem Problem vertraut. Es kommt wohl öfter vor: R. wird als Fahrer für den Lastwagen eingetragen. Das könnte nur im Fall einer Polizeikontrolle kritisch werden – Bernhard Doppler wiegelt ab: Er erklärt, dass man ihn bei den 20000 Kilometern, die er durch die BRD gefahren ist, nur ein einziges Mal angehalten habe. Und da wollte der Polizist nicht seinen Führerschein, sondern seinen Pass sehen.
Der Rockgruppe »Breaking Glass«, insbesondere ihrer Sängerin Kate, gelingt der Aufstieg; vom Kneipenauftritt über billige Tourneen bis zur LP. Danny, der Lover von Kate und unermüdliche Manager, organisiert die Karriere.
Aber als sie gelungen ist, hat Danny die Gruppe verlassen, ebenso der Drummer und der Saxophonist, und Kate liegt mit schweren Depressionen in einer Klinik. Die Musik wurde ekelhaft gesüßt – »was ist aus dem Rock ’n’ Roll geworden!?«, schreit Danny, als er sie in der Kneipe hört, er greift eine Flasche und schmeißt sie in die Musikbox.
Merkwürdig, so R. nach dem Kino, das Interpretationsschema »Verrat und Korruption« kommt immer schneller zum Zuge. Früher ließ man den Leuten ein paar Jahre Erfolg und fing erst dann an mit den Vorwürfen, sie hätten ihre Jugend verraten, seien vom Kommerz korrumpiert usf.
Aber Goetz interessiert das Thema nicht. Er, der am Anfang des Erfolgs steht, hat die Vorwürfe vermutlich selber schon oft genug zu hören bekommen.
Auf dem Parteitag in München wird der bayerische Ministerpräsident mit 96,7 Prozent der Stimmen wieder zum Vorsitzenden gewählt. Der bayerische Ministerpräsident nutzt seine Grundsatzrede für eine Generalabrechnung mit der Bundesregierung.
Die Krise ist da, und jeder weiß es. Es wird nicht mehr regiert, es wird nur noch schlecht verwaltet. Während seine Partei die Wirklichkeit zeigt, wie sie ist, und Wege aufzeigt, die vernünftig und gangbar sind, beißt sich die Partei des Bundeskanzlers in ideologischen Dauerdiskussionen fest. Wer, wie der Bundeskanzler, seine Partei nicht in Ordnung hält, kann auch Staat und Gesellschaft nicht in Ordnung halten bzw. bringen. Weite Bevölkerungskreise erfüllen Enttäuschung und Angst, denn die Bundesregierung hat das Land an den Rand eines Staatsbankrotts geführt und eine Vertrauenskrise ausgelöst, die sich zu einer Staatskrise auszuwachsen droht. Die Bundesregierung muss den politischen Offenbarungseid leisten.
R. beschäftigt der Mann, der in seiner Reihe am Fenster des Flugzeugs sitzt. Fett, in einem Pepitaanzug, mit weißem Hemd und Schlips, das üppige graue Haar nach oben und hinten gekämmt.
Irgendetwas stimmt nicht daran, er ist nicht der Graue Löwe, der er gern wäre. Pepitaanzüge gelten als ordinär; das Haar wächst nicht üppig genug, um eine Mähne zu bilden, außerdem zeigt es, weil fettig, Strähnen. Er liest nicht die FAZ, sondern Die Welt. Und später, das ist das Detail, das noch fehlte, später legt er das unzureichend bewachsene und deshalb nicht so zu nennende Haupt auf die Kopfstütze, er schläft und schnarcht hilflos.
»Doch bloß ein Vertreter.«
Köln. Am Frühstücksbüffet des Hotel Intercontinental ergeht es R. wie immer an solchen Büffets: Er findet die gekochten Eier nicht, von denen er gern eines verzehrt hätte; er kann sich nicht zu einem Glas Orangensaft entschließen, geschweige zu den Cornflakes mit Milch, die er gern mal wieder probiert hätte; ein Mann vor R. hebt den Kupferdeckel von einem Rechaud: ein gelblicher Brei, zu dem R. »Porridge« einfällt; aus einem anderen Rechaud legt er vier kleine gebratene Würstchen dazu, was R. richtig ekelt; die Brötchen in dem Korb sind gerade vergriffen.
Als er zwei lappige Toastbrote mit Wurst und Käse lustlos gegessen hat, entdeckt R., von seinem Platz aus, den Korb, der die gekochten Eier enthält; das erste Rechaud enthält nicht Porridge, sondern Rührei, in dem zweiten wurde eben der gebratene Schinken nachgefüllt – R. hätte ein englisches Frühstück haben können, und das hätte ihn erfrischt nach dem kurzen und schlechten Nachtschlaf.
Aber jetzt, da R. das alles richtig gesehen hat, kann er sich auch nicht dazu entschließen, noch einmal von vorn anzufangen.
Harald Wieser, erzählt Goetz, habe ihm erzählt, dass Enzensberger ihm, Wieser, anvertraut habe, seine, Goetz’, Feuilleton-Reportage sei das Naivste und Dümmste, was die Zeitschrift je gedruckt habe. Er, Goetz, werde sich unsterblich blamieren.
Sicher, so R., naiv ist sie, aber das war doch von vornherein klar, dass Sie nicht der große Durchblicker sind, auch Enzensberger war es klar. Das »Naivste und Dümmste« geht gewiss auf Wiesers Kosten – er nimmt Ihnen, sagt Kathrin, übel, dass Sie nicht zum Spiegel gegangen sind, dass er Sie nicht lancieren und protegieren konnte. Und Enzensberger, sagt R., musste Wieser kalmieren, weil Sie in der Zeitschrift geschrieben haben, Wieser aber noch nicht – er habe von Enzensberger sehr sarkastische Bemerkungen über Wieser und seine Fähigkeiten gehört. So geht es eben zu in der Branche.
Aber das überzeugt Goetz nicht, und R. ärgert sich solidarisch ein paar Stunden lang am Nachmittag.
»R136a«, liest R. in der SZ, »der von ganzen Hundertschaften von Astronomen beäugt und abgehorcht wird, ist wegen seiner Größe, Helligkeit und Masse ein Stern, der eigentlich nicht sein kann, weil er der wissenschaftlichen Diskussion nach nicht sein darf.« R. befällt eine intensive Angst. »Der Bonner Astrophysiker Wolfgang Kundt hält eine Sonne mit den von den Forschern Joseph Cassinelli, John Mathis und Blair Savage geschilderten Eigenschaften für ›nicht stabil‹, nach bisherigen Regeln müsste diese gewaltige Masse kollaborieren.« Auch dieser Druckfehler hindert die Angst von R. nicht an weiterer Expansion, als imitiere sie die Bewegung, die der Stern sich erspart. »Nach Auffassung der amerikanischen Astronomen besteht aber so gut wie kein Zweifel daran, dass es sich bei dem Objekt in der großen Magellanstraße«, das ist der Schreibfehler von R., »in der Großen Magellanschen Wolke um einen einzigen Stern handelt.«
Kathrin beschäftigt gerade die Rätselfrage, warum ist etwas und nicht nichts? Wieso sie das in den fünfziger Jahren besonders krass empfand. Und die Magellanstraße lieferte R. in der Kindheit eines der verführerischsten Bilder drohender und lockender Ferne (»Feuerland«).
Der Sohn von Helmuth James Graf von Moltke erklärt in einer Fernsehsendung über die Söhne der Widerstandshelden, dass Deutschland geteilt bleiben muss. Vereinigt habe es entsetzliches Unheil angerichtet. Die Fotos seines Vaters vor dem Volksgerichtshof stehen R. seit Annedore Lebers Bildband im Kopf. R. fiel schon am Morgen wieder die Frage ein, warum heute kein Nationalfeiertag sei?
»Das Auto muss ich mir noch anschauen«, ruft Hartmut Eggert und geht auf ihren neuen Wagen zu, nachdem R. schon eingestiegen ist. »Ah, ein R5!« – »Vierzehn!«, ruft R. aus dem geöffneten Fenster, »R14!«
Aber Hartmut Eggert hört es nicht.
»Neulich sagte jemand zu mir«, erzählt Horst Königstein in seiner allzu freundschaftlichen Manier, »ich weiß gar nicht, was du an dem Rutschky so faszinierend findest. Das sind doch bloß des Kaisers neue Kleider.«
R. lacht kräftig mit – weil er die Kränkung nur langsam versteht. Das Verstehen kostet ihn Stunden.
»Gestern und vorgestern«, erzählt R., »machten mich die Konferenzen wieder richtig krank.« – »Warum?«, fragt Goetz. – »Ich weiß auch nicht, es muss das Phantasieren sein, das wir andauernd betreiben, Tagträume, Größenideen. Gaston Salvatore liest von seinem Notizblock mit dem Hilton-Logo die Themen ab, die ihm so eingefallen sind und die jetzt die Autoren gefälligst zu bearbeiten hätten. Enzensberger und Salvatore halten nichts von der Herausgeberin, die schweigend zuhört, und die Herausgeberin hält nichts von Enzensberger und Salvatore als Blattmachern.« – »Weil sich die Zeitschrift nicht verkauft.« – »So ist es.«
Gegen 23.30 Uhr nach Hause gekommen, schauen sie noch zwei Drittel von »An einem Freitag in Las Vegas« an, ein Film nach der Devise Action, Härte, Sinnlichkeit, worin Elke Sommer mit ihrer blonden Blödigkeit ausgezeichnet, Lee J. Cobb und Jack Palance aber völlig fehl am Platze sind. Die Szenen mit ihnen könnten aus einem anderen Film herausgeschnitten und in diesen an einigermaßen passender Stelle hineinmontiert worden sein. Gleichwohl, »das war eine herrliche Idee«, sagt Kathrin, als der Film zu Ende ist, nämlich den Film, wiewohl angebrochen, doch noch zu sehen, »das hat mich richtig entspannt und erfrischt«.
Für halb acht hatten Erika Quandt und Fritz Posau sie zum Abendessen eingeladen. Es gab Paella sowie einen Nusskuchen mit Schlagsahne. Dann zeigten sie Fotos von ihrer Portugalreise, Fotos, die Fritz Posau auf Kartonbögen (DIN A1) aufgeklebt hatte, »damit man gleich einen Überblick bekommt«. Außerdem 500 Postkarten von den Orten, durch die sie gefahren waren. R. schaut jede einzeln an, obwohl er schon nach kurzer Zeit gar nichts mehr sieht.
Gegen zehn beginnt er unendlich müde zu werden; zu hören ist eine Schallplatte: Ricci spielt Sarasate; und auch Kathrin überwältigt Müdigkeit.
Und die Pointe, in der das Dinner kulminierte, machte erst recht keine Freude, erweckte Scham: Plötzlich breitet sich, während sie essen, beißender Gestank aus. N. hat auf den weißen Flokati geschissen.
Gegen zwölf Uhr mittags kocht Kathrin Eier für sie beide. Sie stehen in der Küche und essen sie aus Gläsern, die für Speiseeis bestimmt sind (sie kauften die Gläser 1972 in einem Moabiter Laden, der auf Gaststättengeschirr spezialisiert war). Kathrin würzt ihre Eier mit Worcestersauce, R. die seinen mit Salz; außerdem isst er ein Butterbrot, das er nach jedem Bissen auf dem Küchentisch ablegt, um wieder einen Löffel Ei zu nehmen. Als Kathrin ihre Eier verzehrt hat, schüttet sie den Rest der Worcestersauce in den Ausguss.
Der Bundeskanzler muss in dieser Woche einen Koalitions- und Kabinettsbeschluss durchsetzen, der den Bundeshaushalt, der auf 240 Milliarden Mark angewachsen ist, um 20 Milliarden kürzt. Zehn Milliarden haben die Bürger zu erbringen, indem sie auf Sozialleistungen und Steuervergünstigungen verzichten. Bei den Koalitionsverhandlungen und der Regierungsbildung ersparte man sich Verabredungen über diese Einschnitte.
Er sei, erzählt Bonorden, bei der Geburt dabei gewesen; Korinna habe eine unvorstellbare, eine wahrhaft ungeheuerliche Leistung vollbracht – so sähen es auch die anderen Männer, die er kenne, wenn sie einer Geburt beigewohnt haben.
Überaus seltsam gestaltete sich der erste Tag mit dem Kind zu Hause. Er, Bonorden, sei krank gewesen, 40 Grad Fieber; alle ihre Freunde unerreichbar, das Kind habe den ganzen Tag geschrien – und sie seien schier verzweifelt über der Unmöglichkeit: dass man dem Kind ja nicht habe klarmachen können, Schreien nützt nichts. Ein derart furchtbarer Tag habe sich aber niemals wiederholt.
»Und wann machen Sie Ferien?«, fragt Enzensberger. – »Anfang August, für zwei Wochen – ich bleibe aber zu Hause.« – »Schreiben, nicht wahr, Sie werden schreiben. Was werden Sie schreiben?« – »Ich werde nicht schreiben.« – »Das ist nicht wahr. Das kann ich mir von Ihnen gar nicht vorstellen.«
R. fühlt sich geehrt und macht ein paar Andeutungen. Aber hilflos, ungeschickt.
Gegen 15 Uhr fährt R. verwirrt in die Redaktion zurück, nach zwei Stunden Fernsehen, die Hochzeit von Prinz Charles und Diana Spencer. Das muss irgendwie R. selber gewesen sein, der da in St. Paul’s Cathedral zu beobachten war.
Was Bonorden neulich erzählte, ergab dasselbe Bild. Sie sind und bleiben Prinzen.
Seit Tagen, erzählt Goetz, habe er aus seinem Fenster die Hauswand gegenüber betrachtet und sie dringlich mit einem Graffito zu verzieren gewünscht, fast eine Obsession. Er habe das Verhalten der ein- und ausgehenden Polizisten richtig studiert – es handelt sich um ein Polizeirevier.
Gestern Nacht war er reif, habe er deutlich gefühlt. Er sei in seine Stammkneipe gezogen, mit eigenen Bierflaschen und der Spraydose gerüstet. Nach der ersten Trinkrunde wieder hinaus, an der Mauer hin und her: Die Fenster des Reviers standen offen, er hörte Sprechen, Schreibmaschinen, das Radio, nein, er musste noch mal zurück in die Kneipe, Alkohol und Mut fassen.
Nach der zweiten Trinkrunde aber gab es kein Ausweichen mehr. »Feuer und Flamme für diesen Staat und seine Bullizei«, habe er schreiben wollen und auch dazu angesetzt, zu groß zuerst die Buchstaben. Auch habe die Mauer die Farbe nicht richtig angenommen – als er beim sichernden Umblicken ein Polizeiauto beim Einparken entdecken musste.
Krampfhaft um Nichtrennen bemüht, sei er über die Straße, ins Haus, in seine Wohnung geschlichen und habe nicht einmal gewagt, das Licht einzuschalten. »Es war eine richtige Zwangsidee.«