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2. Zwei Senate

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30Nach § 2 Abs. 1 BVerfGG besteht das BVerfG aus zwei Senaten. Wegen dieser Aufgliederung wird es gelegentlich auch als „Zwillingsgericht“ bezeichnet. Die Untergliederung in zwei Senate erlaubt es, die Arbeitsbelastung des Gerichts auf mehrere Schultern zu verteilen, ohne die Zahl der Richter in einem einzelnen Spruchkörper untunlich zu erhöhen. Andererseits begründet die Aufteilung in zwei Senate die Notwendigkeit, Aufgaben und Tätigkeit der beiden Senate zu koordinieren.

31In erster Linie geschieht dies durch die Aufteilung der Zuständigkeiten auf die beiden Senate, die in § 14 BVerfGG eine detaillierte, gleichwohl noch nicht abschließende Regelung gefunden hat. Dabei ist die grundsätzliche Aufgabenteilung in der Weise vorgenommen, dass der Erste Senat über Grundrechtsfragen entscheidet, während der Zweite Senat für das organisatorische Verfassungsrecht einschließlich des Wahlrechts zuständig ist. Diese Grundkonzeption der Zuständigkeitsverteilung ist in der Wirklichkeit undurchführbar geworden, weil vor allem durch die sehr hohe Zahl von Verfassungsbeschwerden die grundrechtsbezogenen Verfahren eine weitaus größere Arbeitsbelastung für das Gericht bedeuten als die zum Staatsorganisationsrecht. Diesem Umstand trägt § 14 Abs. 4 BVerfGG dadurch Rechnung, dass das Plenum des BVerfG (→ Rn. 40ff.) ermächtigt wird, die Zuständigkeit der Senate abweichend von den gesetzlichen Grundsätzen zu regeln, wenn dies infolge einer nicht nur vorübergehenden Überlastung eines Senats unabweislich ist. Von dieser Ermächtigung ist seit langem in der Weise Gebrauch gemacht worden, dass dem Zweiten Senat bestimmte Teile der Aufgaben des Ersten Senats übertragen worden sind. Die jedenfalls heute doch recht komplizierte Aufgabenverteilung bringt Abgrenzungsprobleme mit sich, für die § 14 Abs. 5 BVerfGG Vorsorge trifft. Danach entscheidet, wenn zweifelhaft ist, welcher Senat für ein Verfahren zuständig ist, darüber ein besonderer, aus beiden Senaten paritätisch besetzter Ausschuss. Für |11|den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Senaten über Rechtsfragen ist die Entscheidung durch das Plenum vorgesehen (→ Rn. 41ff.).

32Die beiden Senate sind die Spruchkörper, die – mit wenigen Ausnahmen – alle dem BVerfG übertragenen Entscheidungen zu treffen haben. Sie sind damit die zentral bedeutsamen Untergliederungen des Gerichts. Die Zusammensetzung der Senate ist in § 2 Abs. 2 und 3 BVerfGG geregelt. Danach besteht jeder Senat aus acht Richtern, von denen jeweils drei aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) gewählt sein müssen. Um die anteilige Berücksichtigung des spezifisch richterlichen Elements, das den Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG ausformt, auch der Sache nach gegen denkbare Umgehungen zu sichern, sieht § 2 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG vor, dass diese Richter wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sein sollen.

33Den Vorsitz führen in ihrem jeweiligen Senat der Präsident des BVerfG und der Vizepräsident (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Sie werden in dieser Funktion von dem dienstältesten bzw. lebensältesten Richter des Senats vertreten.

34Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann ein Senat Beschlüsse nur fassen, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Bei fehlender Beschlussfähigkeit werden in Verfahren von besonderer Dringlichkeit so viele Richter des anderen Senats durch das Los als Vertreter bestimmt, dass die Beschlussfähigkeit erreicht wird.

35Entscheidungen des Senats werden nach § 15 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG grundsätzlich mit der Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder des Senats getroffen. Von dieser Grundregel formuliert das Gesetz zwei Ausnahmen. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG können in den strafprozessähnlichen Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, 2, 4 und 9 BVerfGG dem Antragsgegner nachteilige Entscheidungen nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der acht Mitglieder des Senats, d.h. von mindestens sechs Senatsmitgliedern, getroffen werden.

Beispiel: Aus diesem Grunde ist die Einstellung des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD durch den Zweiten Senat im Jahr 2003 mit den Stimmen von nur drei seiner Mitglieder gegenüber vier gegenteiligen Voten erfolgt (BVerfGE 107, 339 [356ff.]).

36Als weitere Ausnahme von der Mehrheitsregel sieht § 15 Abs. 4 Satz 3 BVerfGG vor, dass bei Stimmengleichheit im Senat ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Antrag auf die Feststellung eines solchen Verstoßes oder auf seine Verneinung gerichtet war. Für Entscheidungen mit abweichendem Inhalt bleibt es demgegenüber bei der grundsätzlichen Mehrheitsregel, so dass in diesen Fällen bei Stimmengleichheit der jeweils gestellte Antrag abgelehnt ist. Mangels klar ausgerichteter Anträge hilft dies allerdings in einigen Verfahren nicht weiter (→ Rn. 270); insoweit bleibt die Lösung problematisch.

37Eine besondere Rolle für die praktische Arbeit der Senate spielen die im Gesetz nur in einzelnen Zusammenhängen (§ 15a Abs. 2, § 23 Abs. 2, 3, § 97c Abs. 2, § 97d Abs. 1 BVerfGG) erwähnten Berichterstatter. Dabei handelt es sich um Richter, die für das jeweilige Verfahren in besonderer Weise verantwortlich sind; ihnen obliegt insbesondere die allgemeine Förderung des Verfahrens (§ 22 Abs. 3 GOBVerfG) |12|und die Vorlage eines schriftlichen Votums für die vom Senat zu treffende Entscheidung (§ 23 GOBVerfG).

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