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1. Vorgaben des Grundgesetzes selbst

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2Die zentral bedeutsamen Aussagen zum BVerfG und zu seiner Tätigkeit enthält das Grundgesetz selbst. Sie beschränken sich allerdings auf knappe Grundsätze, die durch gesetzliche Regelungen ergänzt werden müssen. Dabei kann es vorkommen, dass eine gesetzliche Regelung den bereits im Grundgesetz getroffenen Festlegungen widerspricht. In einem solchen Fall ist nach dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) allein die grundgesetzliche Regelung maßgeblich. Soweit sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben widersprechen, sind gesetzliche Vorschriften grundsätzlich nichtig (aber → Rn. 163ff.), wenn nicht eine vorrangig gebotene verfassungskonforme Auslegung möglich ist.

Beispiel: In § 63 BVerfGG wird der Kreis möglicher Antragsteller und Antragsgegner ausdrücklich („nur“) durch eine abschließende Aufzählung festgelegt, die in unterschiedlicher Hinsicht hinter den in diesem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG möglicherweise Beteiligten zurückbleibt (näher → Rn. 299ff.). Das BVerfG erkennt in diesem Rahmen auch Beteiligte des Organstreitverfahrens an, die von der Aufzählung des § 63 BVerfGG nicht erfasst sind. Eine förmliche Teil-Nichtigerklärung des § 63 BVerfGG, der selbst nicht Prüfungsgegenstand eines Normenkontrollverfahrens war, im Hinblick auf das „nur“ ist nicht erfolgt. Vgl. für weitere Fälle → Rn. 126ff. (129), 389, 456f.

3Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Organisation des BVerfG finden sich vor allem in Art. 92 und 94 GG. Nach Art. 92 Hs. 2 GG wird die rechtsprechende Gewalt, die nach Hs. 1 des Artikels den Richtern anvertraut ist, u.a. durch das BVerfG ausgeübt. Mit dieser Zuordnung zur rechtsprechenden Gewalt im Rahmen der Gewaltenteilung trifft das Grundgesetz eine entscheidend wichtige Festlegung zur Qualität der Tätigkeit des BVerfG, die dadurch den besonderen Bindungen jeder rechtsprechenden Gewalt unterworfen wird. Vor allem bedeutet dies, dass die Entscheidungen des BVerfG stets in der Bindung an das Verfassungsrecht zu treffen sind und nicht etwa seinem politischen Gestaltungswillen überlassen bleiben. Im Zusammenspiel mit Art. 92 Hs. 1 GG wird auch deutlich, dass die Amtswalter des BVerfG, wie die aller anderen Gerichte, Richter sind. Dies hat vor allem zur Konsequenz|3|, dass die Garantien der Unabhängigkeit des Richters in sachlicher wie in persönlicher Richtung eingreifen (Art. 97 Abs. 1 und 2 GG). Art. 94 GG bezieht sich speziell auf das BVerfG und legt wichtige Grundzüge seiner Organisation fest, die im Übrigen in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG ebenso wie Fragen des Verfahrens und der Entscheidungswirkungen bundesgesetzlicher Regelung überantwortet werden (→ Rn. 6).

4Art. 93 GG enthält eine Aufzählung der dem BVerfG übertragenen Aufgaben. Art. 93 Abs. 1 GG nennt selbst in Nr. 1–4c nur einige der wichtigsten Zuständigkeiten des BVerfG. Nr. 5 verweist auf die übrigen verfassungsunmittelbar begründeten Zuständigkeiten des BVerfG, die sich an ganz unterschiedlichen Stellen des Grundgesetzes meist im Rahmen der jeweiligen Regelungszusammenhänge finden. Dies betrifft namentlich Art. 18 Satz 2, Art. 21 Abs. 2 Satz 2, Art. 41 Abs. 2, Art. 61 Abs. 1 Satz 1, Art. 98 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Satz 3, Art. 99, Art. 100 Abs. 1–3 sowie Art. 126 GG; zu erwähnen ist auch der den Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG ergänzende Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG. Eine weitere Verfahrensart wurde 2006 als Absatz 2 in Art. 93 GG selbst aufgenommen. Einen raschen Überblick über alle diese Verfahren ermöglicht § 13 BVerfGG, der die Verfahrensarten grundsätzlich (aber → Rn. 110) nach der Reihenfolge ihrer Erwähnung im Grundgesetz aufzählt. Art. 93 Abs. 3 GG sieht allgemein die Möglichkeit vor, dem BVerfG durch Bundesgesetz weitere Aufgaben zuzuweisen, die nicht notwendig Rechtsprechungscharakter haben müssen.

Beispiel: Ursprünglich war dem BVerfG gem. § 97 BVerfGG a.F. die Aufgabe übertragen, auf Ersuchen bestimmter oberster Bundesorgane Rechtsgutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen zu erstatten. Aufgrund wenig günstiger Erfahrungen wurde diese Norm nach wenigen Jahren aufgehoben.

5Die auf dieser Grundlage nur (einfach-) gesetzlich begründeten Zuständigkeiten des BVerfG (→ Rn. 630f.) sind heute ohne große praktische Bedeutung.

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