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2. Festland in Sicht
ОглавлениеEldont'haneeva, Wolkenstadt des Zwergenclans der Hanevaa
Barbrot Himmelsherr schloss den vielfarbigen Overall mit der reichen Zierstickerei und griff nach der roten Schärpe mit den drei Quasten. Sehr sorgfältig legte er sie um seine Hüften und registrierte wieder einmal, dass diese an Umfang gewonnen hatten. Ein wenig missmutig ordnete er das Symbol seiner Würde, bevor er einen nachdenklichen Blick auf das Wandportrait des ersten Gründers der Stadt warf.
Mit einem langen Seufzer sah er sich in seiner Amtsrstube um. Trotz seiner Bedeutung war sie recht klein, was nicht der geringen Körpergröße des Zwergenvolkes geschuldet war, sondern dem Umstand, dass Raum ein sehr kostbares Gut in der Stadt war.
Bevor Barbrot durch die Vordertür auf den Versammlungsplatz hinaustrat, wollte er die seitliche benutzen, die auf einen Balkon hinausführte. Er tat dies an jedem Morgen, denn nur dort war er für sich. Dort konnte er seine Gedanken ordnen und sich auf sein Tagewerk vorbereiten.
Mit leisem Klicken öffnete sich das Schloss der sturmsicheren Tür. Als Barbrot sie aufdrückte, wurde er von einem kräftigen Windstoß empfangen. Instinktiv hielt er sich an dem geschmiedeten Handlauf fest und trat an den äußeren Rand des Balkons. Hier konnte er einen unvergleichlichen Ausblick genießen.
Über sich sah er den strahlend blauen Himmel. Keine einzige Wolke trübte die Aussicht. Ein paar Seevögel kreisten und verrieten die Nähe von festem Land. Rechts und links erstreckte sich die niedrige Außenwand der Stadt, über der sich die Gebäude erhoben, von denen einige über drei Stockwerke verfügten. Tief unter ihm glitt die See dahin. Barbrot Himmelsherr beruhigte der Anblick des tiefblauen Wassers und der sich, wenigstens im Augenblick, sanft bewegenden Wellen.
Es war ein Ausblick, wie ihn wohl nur eine fliegende Wolkenstadt des Zwergenvolkes bieten konnte. Ein Anblick, der den Stadtmeister gleichermaßen mit Stolz und mit Sorge erfüllte.
Am nördlichen Horizont erhob sich eine dunkle Kontur aus der See. Sie war groß und die Anwesenheit der Vögel verriet bereits, dass es sich um Land handeln musste. Land, welches möglicherweise bewohnt war. Vielleicht von Barbaren, vielleicht auch von einer hohen Zivilisation. Barbrot wusste es noch nicht. Niemand in der Stadt wusste es, denn Eldont'haneeva, die Wolkenstadt des Zwergenclans der Hanevaa, war noch nie in diesem Gebiet gewesen. Sicher gab es dort unten Neues zu entdecken und vielleicht konnte man einen guten Handel abschließen. Gab es dort streitbare Bewohner, so hatte die Stadt nichts zu befürchten. In zwei Tausendlängen Höhe über dem Boden befand sie sich in Sicherheit. Noch nie waren die Zwerge einem anderen Volk begegnet, welches sich, wie sie, in die Wolken erheben konnte.
Es gab nur eine Handvoll Wolkenstädte und jede von ihnen war ein Wunder aus Handwerkskunst, Erfindungsreichtum und Magie des jeweiligen Zwergenclans.
Eldont'haneeva erhob sich auf einer Plattform, deren Grundfläche eine mal drei Tausendlängen maß. Diese drei Millionen Quadratlängen boten Raum für fast 3.000 Zwerge und alles, was diese zum Leben benötigten.
Die Plattform war nur zwanzig Längen dick. Ihre Wände bestanden, wie alle Wände, Decken und Böden der Wolkenstadt, aus zwei dünnen Metallschichten, zwischen denen eine komplizierte Struktur aus Waben eingefügt war. Die findigen Zwerge hatten diese Bauart von Insekten übernommen.
Im Zentrum der Stadt erhob sich der große Turm des Sonnenkollektors. Er bestand aus einer Reihe von Kristallsäulen, die man zu einer einzigen großen zusammengefügt hatte. In ihr wurde jene Sonnenenergie gespeichert, die von zahlreichen polierten Schüsseln an den Flanken des Turms eingefangen und in die Kristalle geleitet wurde. Ein Teil dieser Energie gelangte über dünne Kabel in die Häuser, beheizte sie und betrieb Kochstellen und andere Geräte. Der Sonnenkollektor war groß genug, um ausreichend Energie für jene Zeit zu speichern, in der man das Sonnenlicht nicht direkt nutzen konnte, da schlechtes Wetter oder Nacht herrschten.
Über die Gebäude auf der Plattform war ein gewaltiges Netz gespannt, welches von unzähligen kräftigen Tauen und einer Vielzahl von hohen Säulen gehalten wurde. Dieses Netz hielt rund dreihundert riesige Heißluftballons. Zusätzliche Ballons waren unterhalb der Stadt angebracht und sorgten für weiteren Auftrieb. Justierbare Kristallschüsseln oder Kristallleitungen sorgten dafür, dass die Luft in ihrem Inneren ausreichend erhitzt wurde. Die Zufuhr an Lichtenergie war entscheidend dafür, ob die Stadt sank oder sich weiter in die Luft erhob.
An den oberen und unteren Ecken der Plattform waren massige Konstruktionen angebracht, mit deren Hilfe die großen Propeller angetrieben und gesteuert wurden, um die Flugrichtung der Stadt zu bestimmen.
Im Allgemeinen hielt sich eine Wolkenstadt in einer Flughöhe von zwei bis maximal drei Tausendlängen auf. Längst hatte sich das Volk der Zwerge den Bedingungen angepasst und war den etwas geringeren Luftdruck gewöhnt. So hatten sich ihre Lungen und Brustkörbe ein wenig vergrößert. Sie betraten den festen Boden einer Landmasse ohnehin nur ungern und selten, denn der Aufenthalt in den Wolken schützte vor gefährlichen Tieren und anderen Feinden. Die Bewohner der Wolkenstadt waren Händler, Entdecker und friedliche Wesen, auch wenn sie sich durchaus zu verteidigen wussten.
Die Fähigkeit der Kristalle, Lichtenergie zu speichern, wurde vom Wolkenvolk auch als Waffe genutzt. Die grellen Todesblitze ihrer Sonnenwaffen waren beim Feind ebenso gefürchtet wie die scharfen Schneiden ihrer Kampfäxte.
Luftschiffe mit starrer Hülle transportierten Waren. Kleine Flügelschwingen streiften eifrig um die Wolkenstadt, um sie vor ihrem wohl einzigen Feind zu schützen: den großen Scharfschnäbeln, die stets in Scharen auftraten und welche nicht nur die Hüllen eines Ballons zerfetzen, sondern auch die dünnen Wände der Plattform oder Häuser beschädigen konnten.
In den zwei- bis dreistöckigen Gebäuden der Stadt lebten nicht nur ihre rund 3.000 Bewohner. Dort waren auch jene Werkzeuge und Maschinen untergebracht, die das Wolkenvolk benötigte. Sorgfältig gehegte Beete, auf denen man Pilze und andere Nutzpflanzen zog, gehörten zur Lebensgrundlage. Das meiste Trinkwasser wurde bei Regen in Behältern gesammelt, welche den größten Anteil am Gewicht der Stadt ausmachten, denn die Zwerge waren ein durstiges und reinliches Volk. Gab es nicht ausreichend Regen, so machten sich die großen Luftschiffe auf den Weg, um das notwendige Wasser zu holen.
Barbrot Himmelsherr trat an jenen Teil der Brüstung, an der das doppelte Langauge angebracht war. Die schwenkbare Konstruktion bestand aus zwei Teleskopen, die einen bestimmten Abstand zueinander aufwiesen und exakt justiert werden konnten. Blickte man durch ihre Okulare und stellte die Objektive scharf, so konnte man mit ihnen die Entfernung zu jenem Objekt bestimmen, welches man gerade betrachtete.
Der Stadtmeister begnügte sich im Augenblick jedoch mit einem kurzen Blick auf die Landmasse am fernen Horizont. Die Vergrößerung zeigte einen langen Küstenstreifen, dichten Bewuchs und hohe Berge. Möglicherweise war dies nicht nur eine große Insel, sondern ein Kontinent. Obwohl die Wolkenstädte schon so lange durch den Himmel flogen, war längst nicht jedes Stück Land bekannt. Es gab immer wieder Unbekanntes zu entdecken. Jede Wolkenstadt war dann bestrebt, das Neue zu erkunden und in seine Karten einzutragen. Diese Karten bildeten ein wertvolles Handelsgut, denn sie waren begehrt bei jenen, die von den Zwergen als „Bodenbedecker“ bezeichnet wurden.
Barbrot vernahm ein lautes Pochen an der Sturmtür und wandte sich halb um. „Du bist mir willkommen. Tritt ein.“
Augenblicke später trat Benara Klughand an seine Seite. Die Handelsmeisterin trug einen grünen Overall, eine Weste mit üppiger Zierstickerei und, als Zeichen ihres Amtes, eine rote Schärpe mit zwei Quasten. Ihre für das Zwergenvolk so typischen roten Haare schimmerten im Sonnenlicht, während sich das von Barbrot, auf Grund des hohen Alters beinahe schwarz gefärbt hatte.
„Sei gegrüßt, Stadtmeister“, sagte sie ungewöhnlich förmlich, doch dann strich sie sanft über die Enden seiner beiden Bartzöpfe, die der Stolz jedes Zwergenmannes waren. Sie verriet so die Zuneigung, die sie beide füreinander empfanden. „Man sagt, wir näherten uns Land.“
„Man hat recht“, gab er lächelnd zu und deutete auf das doppelte Langauge. „Sieh selbst. Direkt nach Norden und unter dem Horizont.“
Als Zwergin trug sie ihre langen Haare zu einem einzelnen Zopf geflochten, dessen Ende über ihre rechte Schulter nach vorne hing. Gemäß der Tradition der Zwerge signalisierte dies, dass sie nicht gebunden war. Eine Frau des Wolkenvolkes, die sich in einer Partnerschaft befand, legte ihn hingegen über ihre linke.
Barbrot lächelte sanft, als sie sich zum Langauge beugte. „Bei der Höhe des Himmels und der Tiefe des Wassers“, murmelte sie, „das sieht nach viel Land aus. Ein Kontinent?“
„Ich werde Flügelschwingen aussenden, so dass wir es sehr bald wissen.“ Er strich ebenso sanft über den Ansatz ihres Zopfes. Die wenigen Augenblicke der Vertrautheit und Zärtlichkeit waren ihnen kostbar, denn ein Zwerg im Range eines Meisters durfte sich offiziell nicht binden. Er sollte sich ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und dem Wohl des Volkes dienen. Sie beide empfanden diese Regel als ungerecht, doch es war nun einmal eine alte Tradition des Wolkenvolkes, so sehr sie beide sich auch eine ganze Schar von Hüpflingen gewünscht hätten und so sehr sie der Anblick von Familien auch heimlich schmerzte.
„Ich hoffe, es leben zivilisierte Wesen auf ihm, mit denen wir Handel treiben können.“ Benara richtete sich wieder auf. „Wir müssen Handel treiben, alter Freund. Es sind zu viele Dinge, derer wir im Augenblick bedürfen.“
„Ich weiß.“ Er öffnete die Sturmtür und sie beide verließen den Balkon. Im Amtsraum trat der Stadtmeister an ein Regal und holte die Weltkarte hervor. Sie bestand aus feinem Leder und war bunt bemalt. Man konnte erkennen, wie oft sie schon ausgebessert und ergänzt worden war. Er entrollte sie auf dem Tisch und tippte mit dem Finger auf eine Stelle, an der nichts außer der freien See verzeichnet war. „Wenn mich meine Kenntnisse der Sternenpositionen nicht trügen, dann müssten wir uns jetzt hier befinden. Viele tausend Längen vom nächsten bekannten Kontinent entfernt. Ohne Frage haben wir ein neues Land entdeckt.“
„Wenn es nicht bereits von einer anderen Wolkenstadt entdeckt wurde“, schränkte sie ein. „Immerhin scheint es auch keinem der Völker bekannt zu sein, mit denen wir bislang Handel getrieben haben. Du wirst also die Ehre haben, es benennen zu dürfen.“
Er lächelte erneut. „Sofern es nicht bereits benannt ist, da es dort Bewohner gibt.“
„Ich hoffe es. Du solltest die anderen Meister zur Beratung rufen. Dieses neue Land ist von Bedeutung für uns alle.“
Er nickte. „Du hast recht, Handelsmeisterin. Ich werde sie rufen.“
Er trat an einen kleinen Kasten neben der vorderen Tür, die zum Stadtinneren führte und betätigte zweimal einen Knopf. Auf dem Dach des Gebäudes war zweimal das schrille Heulen einer Dampfpfeife zu hören.
Kurz darauf versammelten sich die übrigen Meister der Wolkenstadt im Amtsraum.
Axtmeister Grimmbart Hartschlag befehligte die Flieger und Axtschläger von Eldont'haneeva. Kämpfer, die gleichermaßen geschickt im Umgang mit Äxten und Sonnenwaffen waren oder zu jenen wagemutigen Zwergen gehörten, die sich den grazilen Konstruktionen ihrer Fluggeräte anvertrauten. Auf dem Brustteil seines tiefroten Overalls waren zwei gekreuzte schwarze Kampfäxte zu sehen. Auch er trug die rote Schärpe mit zwei Quasten und auch seine dunklen Haare verrieten das zunehmende Alter.
Handmeisterin Kora Eisenschmied bevorzugte an ihrem Overall die vielen grellen Farben, wie sie bei allen Zwergen beliebt waren. Die Stadt zeigte das stumpfe Silbergrau von Metall und es gab nur sehr wenige bunte Fassaden, die wichtigen Funktionsgebäuden vorenthalten waren. Nicht ohne Grund, denn Farbe besaß Gewicht und in einer Wolkenstadt sparte man an diesem, wo immer es möglich war. Da es zudem nur wenige schmückende Pflanzen gab, drückten die Zwerge ihre Sehnsucht nach Farbe in bunter Kleidung aus. Kora war mittleren Alters, ein wenig stämmig und die grüne Schärpe verriet ihre Meisterschaft über alle Handwerker der Stadt.
Der Letzte in der kleinen Runde war Magiermeister Ronulf Sternenhand. Als Einziger trug er eine bodenlange Tunika und eine blaue Schärpe mit drei Quasten. Für sein Amt schien er eigentlich noch sehr jung, doch Zwerge waren langlebig und die Fähigkeiten von Ronulf in den Künsten der Magie waren unbestritten.
Keiner von ihnen verzichtete auf einen Blick durch das Langauge, bevor man sich um den Tisch mit der Karte versammelte. Alle nickten zustimmend, als Barbrot Himmelsherr die Hoffnung ausdrückte, auf dem neuen Land einen Handelspartner zu finden.
Handmeisterin Kora Eisenschmied spielte gedankenversunken mit ihrer Schärpe. „Handel … Bei der Höhe des Himmels und der Tiefe des Wassers, mir fallen recht viele Dinge ein, die wir gebrauchen könnten.“ Sie hob die Hand und zählte an den Fingern auf. „Beim letzten Sturm sind wieder einige der Kristallschüsseln zu Bruch gegangen und wir haben nicht genug Material, um sie zu ersetzen. Mir fehlt es an Erz, um eine Reihe von Reparaturen durchzuführen. Schmelzen und bearbeiten kann ich es selber. Ihr wisst, niemand übertrifft uns Zwerge in der Erschaffung feinster Metalldinge, doch wir können es nicht schürfen.“
„Jedenfalls nicht ohne Land zu betreten“, stimmte Grimmbart Hartschlag zu, „und jeder hier weiß, wie gefährlich ein solches Unterfangen ist.“
„Denkt an den Stoff für die Ausbesserung der Auftriebsballone“, brachte die Handmeisterin in Erinnerung. „Viele Hüllen sind schon so oft geflickt und alt, dass sie mürbe wurden und löcherig wie ein Sieb sind. Wir brauchen jede Menge Stoff, um die beschädigten oder zu alten zu ersetzen.“
„Feinen Stoff von einer Hochkultur“, wandte die Handelsmeisterin Benara Klughand ein. „Das grob gewebte Tuch von Barbaren lässt sich nicht verwenden. Wir brauchen die feine Webart und das dünne Garn von Leuten, die etwas von Stoffen und der Tuchweberei verstehen.“
„Nähen können wir selber“, brummte Kora Eisenschmied. „Aber wir haben keine eigene Weberei.“ Sie sah den Stadtherrn an. „Es wäre wirklich an der Zeit …“
Barbrot seufzte. „Ich stimme dir zu, Handmeisterin. Wenn wir die Mittel erhalten, um die Stadt zu vergrößern und ihren Auftrieb zu erhöhen, dann können wir vielleicht endlich eine kleine Webstube einrichten. Doch derzeit … Allein das Gewicht eines ordentlichen Webstuhls …“
„Mehl.“ Axtmeister Hartschlag zupfte an seinen Bartzöpfen. „Wir haben genug Pilze für den Brei. Auch Gemüse und Salate, aber Mehl … Verdammt will ich sein, meine Freunde, doch ich sehne mich nach dem Geschmack von frischem Brot und guten Pfannkuchen …“
Barbrot errötete, da er ein promptes Knurren seines Magens nicht verhindern konnte. „Ja, Mehl wäre nicht schlecht. Notfalls könnten wir uns auch mit Getreide begnügen und das Mehl von Hand schlagen und mahlen. Ein paar der kleinen Mahlsteine haben wir ja.“
„Nur keine großen und auch keine Mühle“, knurrte Eisenschmied. „Es wäre leicht, sie zu bauen, doch das Gewicht …“
In einer Wolkenstadt hing nun einmal viel vom Gewicht ab. Zwar war jede von ihnen so konstruiert und berechnet, dass es stets eine Bewegungs- und Auftriebsreserve gab, doch schon das anhaftende Wasser bei einem starken Regenguss konnte die Belastbarkeit an ihre Grenzen führen.
Barbrot straffte seine Haltung. „Wir brauchen eine ganze Reihe von Dingen. Die Frage ist nur, ob die uns unbekannten Bewohner des Landes sie anbieten können und was wir ihnen dafür geben. Wir haben etwas Gold, welches bei den Landvölkern als Zahlungsmittel geschätzt ist, doch seine Menge wird schwerlich reichen. Was können wir noch bieten?“
Die Gesichter der anderen Meister verfinsterten sich sichtlich.
Die Handelsmeisterin zupfte unbehaglich an ihrer Schärpe. „Nicht viel, fürchte ich. Möglicherweise können wir nicht alles einhandeln und müssen unsere Wünsche einschränken. Vielleicht sogar einen Mangel erhöhen, um einen oder mehrere andere zu beheben.“
Kora Eisenschmied ahnte Böses. „An was denkst du da, Benara?“
Die Handelsmeisterin zuckte mit den Schultern. „Erz und Stoffe sind dringend. Auf das Mehl können wir notfalls verzichten, auch wenn uns das nicht gefallen wird.“
Die Augen der Handmeisterin verengten sich. „Nun sag endlich, was du als Ware anbieten willst.“
„Wir haben noch geringe Mengen des Kristalls …“
„Niemals!“ Der beinahe entsetzte Aufschrei kam von Ronulf Sternenhand. Der Magier sprang von seinem Platz auf. „Meine Magie ist sicherlich stark, aber ohne die zusätzliche Kraft von Kristall und Sonnenwaffen …“
„Wir alle schätzen deine Gabe“, sagte Barbrot rasch. „Dein magischer Blick hat schon manchen Feind in Schrecken versetzt und mit deiner Geisthand hast du einige unserer braven Zwerge vor dem Sturz in den Tod bewahrt … Dennoch musst du eingestehen, dass wir in der letzten Zeit nicht auf deine Magie zurückgegriffen haben.“
„Statt mir dies nun vorzuwerfen, da solltet ihr euch glücklich schätzen, dass wir ihre Kraft so lange Zeit nicht benötigten!“
Man spürte die Verletztheit des Magiers. So anerkannt seine Person auch war, so hatte er seine Magie in den vergangenen Monaten nicht anwenden müssen. Sternenhand schien sich ein wenig nutzlos zu fühlen, obwohl er auch ein durchaus fähiger Heilkundiger war.
„Du hast manchem von uns das Leben gerettet und das wird in unseren Liedern besungen“, versicherte der Stadtmeister. „Ich weiß, dass du Kristall zur Verstärkung und Fokussierung deiner Gaben benötigst, doch ohne Metall und Stoff können wir die Auftriebskörper nicht instand halten. Sollen wir den Rest unseres Lebens auf dem Boden des Landes verbringen, wie gewöhnliche Bodenbedecker oder gar von ihnen abgeschlachtet werden, da wir uns nicht in die Sicherheit der Wolken zurückziehen können?“
Der Meistermagier atmete mehrmals tief durch und man sah, wie er mit sich rang. Schließlich nickte er widerstrebend. „Eldont'haneeva ist eine Wolkenstadt und so muss sie zwischen den Wolken schweben. So magst du tun, was dafür erforderlich ist. Du bist der Stadtmeister.“
„Ich danke dir, Meistermagier Ronulf Sternenhand“, sagte Barbrot förmlich. „Es wird nicht vergessen werden, dass du mit deiner Selbstlosigkeit der Stadt zum Schweben verhilfst.“
Es mochte übertrieben sein, schmeichelte aber sicher der verwundeten Seele des Magiers.
Kora Eisenschmied blickte noch immer finster. „Die letzten Reste an Reservekristall gehen also in den Handel?“
„So ist es, Handmeisterin, und falls diese Reserve nicht ausreicht, um den erforderlichen Handel zu schließen, so wirst du sogar noch ein paar der funktionierenden Kristallschüsseln für den Verkauf abmontieren müssen.“
„Das bedeutet weniger Wärme für die Häuser und weniger Hitze für die Heißluftballons!“
„Wenn wir genug Stoff bekommen, um die Ballons zu reparieren, benötigen wir auch wieder weniger Hitze“, hielt Benara Klughand dagegen. „Außerdem finden wir vielleicht noch etwas anderes, mit dem wir Waren eintauschen können.“
„Meine Schwingenflieger.“ Grimmbart Hartschlag schlug mit der flachen Hand auf die Karte. „Vielleicht haben die Bewohner dieses Landes noch keine guten Karten von ihrem Land oder von den umgebenden Inseln. Unsere Schwingen können alles erkunden und dann könnten wir den Landwesen unser Wissen verkaufen.“
„Eine wahrhaftig gute Idee.“ Barbrot schlug dem alten Axtschläger und Freund auf die Schulter. „Ha, ich wusste, uns wird etwas einfallen.“
„Bevor wir nun in Euphorie verfallen, muss ich euch allerdings eingestehen, dass es auch um unsere Flügelschwingen nicht besonders gut steht“, knurrte der Axtmeister. „Ich habe sie eben inspiziert und einige von ihnen sind nicht mehr flugtauglich.“
„Der Stoff der Schwingen und die Metalldrähte ihrer Verspannung?“, hakte Kora mit trüber Vorahnung nach und seufzte, als Hartschlag nickte. „Bei den Höhen des Himmels und der Tiefe des Wassers, hoffentlich ist das Land bewohnt. Wir brauchen wirklich einen Handel.“
„Steht es wirklich so schlecht um die Flügelschwingen?“, fragte der Stadtmeister besorgt.
„Lasst uns zu ihnen gehen, dann könnt ihr es selber sehen“, schlug der Axtmeister vor. „Ich habe alle beschädigten Fluggeräte zum rechten Schwingenfeld bringen lassen. So sind sie an einem Ort und man kann ihre Teile bequemer untereinander austauschen.“ Er seufzte vernehmlich. „Das mag einige von ihnen flugfähig erhalten. Andere hingegen taugen dann nur noch als Ersatzteile.“
Sie verließen den Amtsraum und traten in die Stadt hinaus.
Vor ihnen lag der offene Versammlungsplatz am Bug der Stadt. Er diente nicht nur dem Zusammentreffen der Bewohner, sondern auch ihrer Erholung. Hier gab es die meisten der wenigen Bäume und Zierpflanzen, Sitzgruppen und Spielplätze für die kleinen Hüpflinge und sogar einen kleinen Brunnen, der im ewigen Kreislauf sein Wasser spie. Der Rand des Platzes war von den kleinen Geschäften und Ständen gesäumt, in denen derzeit jedoch kaum eine Ware angeboten wurde.
Hinter dem Platz begannen die Arbeitsstätten der Stadt. Dort wurde produziert, was man selbst herstellen konnte. Hier lagen auch die beiden Pflanzenfarmen, die der Grundversorgung dienten. In der Mitte der Stadt standen die Maschinen und der große Lichtsammelturm, dahinter schlossen sich die Wohngebäude an. Bis auf den Lichtsammler wurde alles von den stützenden Säulen und Ankern des Netzes überragt, unter dem die oberen Heißluftballons mit zusätzlichen Ketten und Tauen gesichert waren.
Wie üblich war der Versammlungsplatz belebt. Männliche und weibliche Zwerge strebten ihrer Arbeit entgegen, andere betreuten Gruppen kleiner Hüpflinge oder versammelten diese, um sie in jenen Dingen zu unterweisen, die ein Angehöriger der Wolkenclans wissen und beherrschen musste.
Neben dem bescheidenen Amtshaus des Stadtherrn, direkt in der Mitte des Bugs, stand das Steuerhaus. Ein kompliziertes und sehr komplexes System von Zugseilen, Ketten und Kristallleitungen sorgte dafür, dass die Stadt von dort aus gesteuert werden konnte. Rund um die Uhr versahen hier zehn Zwerge ihren Dienst.
Die Gruppe der Meister erwiderte die höflichen Grüße, mit denen sie bedacht wurde und schlenderte betont gemächlich über den Platz. Es war wichtig, Ruhe und Gelassenheit auszuströmen und den Stadtbewohnern auf diese Weise ein Gefühl der Normalität und Sicherheit zu vermitteln. Obwohl alles in Barbrot Himmelsherr danach drängte, möglichst rasch nach dem Wohlergehen der Flugschwingen zu sehen, nahm er sich die Zeit, für einen Moment am Ballspiel einiger Hüpflinge teilzunehmen.
Außerhalb des Platzes und zwischen den Gebäuden herrschte ein verwirrendes Spiel aus Licht und Schatten. Die Ballons über der Stadt verdeckten die Sonne und ließen ihr Licht nur in den Lücken hindurch, dort, wo sich auch die Kristallschüsseln der Lichtsammler befanden. Gelegentlich bewegte sich die Stadt im Wind und dann wanderte das Licht. Nur über dem Platz selbst war der Himmel frei, damit Pflanzen und Stadtbewohner die Sonne dort uneingeschränkt genießen konnten.
Sie gingen an einer Schmiede vorbei, in der Werkzeuge und auch Schmuck hergestellt wurden. Zwei Männer und zwei Frauen saßen hier beim Würfelspiel. In den Regalen und auf den Werkbänken war kaum ein Stück Metall oder Gold zu sehen.
„Wahrhaftig, wir müssen dringend Handel treiben“, murmelte der Stadtherr. „So schlecht stand es noch nie um den Clan der Hanevaa.“
„Warte, bis du meine Schwingen siehst“, rieb Hartschlag noch ein wenig Salz in die seelische Wunde des Stadtoberhauptes.
Kurz darauf war es so weit.
Zu beiden Seiten der Stadt lagen die beiden Schwingenfelder. Auf ihnen ruhten die Luftschiffe und die Flügelschwingen in ihren Verankerungen. Im Gegensatz zu den Auftriebsballons, deren Hüllen weich waren und die sich erst unter heißer Luft ausdehnten, bestanden die Rümpfe der Luftschiffe aus starrem Material. Die großen Transportfahrzeuge erinnerten an Ruderboote, die an überdimensionale Zigarren hingen. Sie konnten bis zu achtzig Zwerge oder die entsprechende Last an Waren tragen.
Die Flügelschwingen waren vollkommen anders. Der lang gestreckte Rumpf bestand aus einem hölzernen Rahmen, den man mit Stoff bespannte. Vorne befand sich eine ebenfalls hölzerne Luftschraube, die mit Hilfe einer Umsetzung über Pedale von den Beinmuskeln des Piloten angetrieben wurde. Seine Kraft bestimmte die Geschwindigkeit der Flügelschwinge. Hinter dem Piloten war ein großer Tank eingebaut, der ein Gas enthielt, welches leichter als Luft war. Es wurde mit Hilfe von Schwefelsäure und Eisenfeilspänen erzeugt und war sehr effektiv. Dennoch verzichtete man darauf, es für die Auftriebballons der Stadt zu verwenden, da es brennbar war. Bei den Fliegern der Schwingen hielt man das Risiko jedoch für vertretbar, da ein tragender Heißluftballon die Beweglichkeit der Schwinge zu stark behindert hätte. Hinter dem Tank war ein zweiter Sitz angebracht, in dem ein Beobachter Platz nehmen konnte.
Die Bezeichnung Schwinge rührte von den beiden Tragflächen her, die sich auf Höhe des Piloten befanden. Sie dienten allerdings weniger dem Auftrieb als vielmehr der Höhensteuerung, denn der Pilot konnte ihren Anstellwinkel mit zwei Steuerhölzern verändern. Es gab kein Seitenruder und die Bewegung nach rechts oder links wurde durch die Gewichtsverlagerung der Flieger hervorgerufen.
Die beiden Schwingen waren ebenfalls aus Holz und Stoff gefertigt. Damit sie bei raschen Flugbewegungen nicht unter der Belastung zerbrachen, waren sie mittels metallener Drähte mit einem kleinen Mast verbunden, der hinter dem Piloten aufragte.
Die Flügelschwingen waren mit einem kleineren Sonnengeschütz bewaffnet, dessen kristallener Energiespeicher, rechts neben dem Piloten, außen am Rumpf montiert war. Es war starr befestigt und der Pilot musste mit der gesamten Schwinge zielen, um Aussicht auf einen Treffer zu haben. Ihre Erfolge waren jedoch unbestreitbar und so genossen die mutigen Schwingenflieger hohes Ansehen im Clan.
Jede Flügelschwinge stand auf zwei stabilen Kufen. Da ihr Auftriebskörper immer mit der erforderlichen Menge Gas gefüllt war, verhinderten Ankerseile, dass sie sich von ihren Startblöcken erhoben.
Eldont'haneeva verfügte über vier Transportluftschiffe und vierundzwanzig Flügelschwingen, die normalerweise zu gleichen Teilen auf die Schwingenfelder verteilt waren. Grimmbart Hartschlag hatte jedoch befohlen, alle beschädigten Schwingen zum rechten Feld zu bringen, so dass dort ein Luftschiff und acht der leichteren Fluggeräte lagen, an denen die Besatzungen und Wartungshandwerker arbeiteten. In den Blicken, die man den Meistern zuwarf, lag mancher stumme Vorwurf verborgen.
Barbrot Himmelsherr spürte, dass man ihn für die missliche Lage der Stadt verantwortlich machte. Immerhin war es der Stadtmeister, der den Kurs der Wolkenstadt bestimmte. Fast ein Jahr war man keinem Volk begegnet, mit dem man hätte Handel treiben können. Die Welt war groß. Es gab viele Kontinente und unzählige Inseln und dennoch schien es fast, als existiere nichts außer der eigenen Stadt. Der Anblick des neuen Kontinents erfüllte alle Stadtbewohner mit neuer Hoffnung.
Möglicherweise hätte man sich längst selbst aus der misslichen Lage befreien können. Das Volk der Zwerge verstand sich auf das Schürfen von Erz und es gab Inseln, auf denen wildes Getreide wuchs. Doch obwohl der Anblick von Land und die Aussicht auf einen Handel das Herz eines jeden Zwerges mit Freude erfüllte, empfanden sie zugleich große Furcht, festen Boden zu betreten. Vielleicht lag dies in jenen alten Sagen begründet, die davon berichteten, die Zwerge hätten einst in Bergen gelebt und seien von einem entsetzlichen Feind beinahe vernichtet worden, bevor sie sich in die Sicherheit der Wolken begaben.
Selbst zum Bau einer neuen Wolkenstadt wurde kein Land betreten. Alle zehn Jahre versammelten sich die Clanstädte an einem bestimmten Ort. Dort wechselten Heiratswillige die Clans, um das Blut frisch zu halten. Dort tauschte man Güter und das Wissen über neue Inseln und Kontinente und aktualisierte die Karten. Dort baute man in gemeinsamer Anstrengung die Teile einer neuen Wolkenstadt, auf denen ein neuer Clan seine Heimat fand. Es war ein Ort, an dem das Wolkenvolk auch immer wieder mit jenen Zwergen zusammentraf, die in den schwimmenden Floßstädten lebten.
Ja, es gab viele Zwerge und doch war ihre Zahl gering, wenn man sie mit denen der zahllos erscheinenden Rudel, Horden, Stämme und Länder verglich, die auf Inseln und Kontinenten existierten und deren Leben oft von Krieg bestimmt war. Nein, keinen Zwerg verlangte es danach, den Fuß an Land zu setzen, wenn dies nicht unbedingt erforderlich war oder einen guten Handel verhieß. Diese instinktive Angst durfte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zwerge furchtlose Kämpfer waren, die ihr Heim und ihr Volk bis zum letzten Blutstropfen bedingungslos verteidigten.
Die drei Dutzend Männer und Frauen, die hier an den Schwingen arbeiteten, waren gut zu unterscheiden. Die Handwerker trugen bunte Overalls mit grünen Westen. Jene, welche den Mut besaßen, die Fluggeräte zu steuern, waren in die roten Overalls der Axtschläger gekleidet und stolz auf ihre cremefarbenen Westen, auf denen sich eine gestickte Axt und ein gestickter Propeller kreuzten. Die Kleidung der hier Anwesenden war abgenutzt und aufgrund der gerade ausgeführten Arbeiten auch nicht besonders reinlich. Fischöl und Tierfett wurden genutzt um die Mechanik zu schmieren oder die Stoffbespannung und Drahtseile geschmeidig zu halten und sie gegen die Witterung zu schützen.
Grimmbart Hartschlag führte die Gruppe der Meister an der Reihe der Flügelschwingen entlang und deutete immer wieder auf schadhafte Stellen, die es auszubessern galt. Tatsächlich waren viele in beklagenswertem Zustand. Der Stoff war alt und mürbe, Risse nur notdürftig geflickt. Einen beschädigten Holzpropeller konnte man nicht leimen, sondern musste ihn austauschen, doch das geeignete Holz war längst zur Neige gegangen. Spanndrähte waren verrostet und die Drahtzieher mühten sich redlich, die Reste zu säubern, einzuschmelzen und neue anzufertigen. Doch auch ihre geschickten Hände mussten den Mangel verwalten.
Neben einer Schwinge stand ein Rollwagen, auf dem Fässer mit Schwefelsäure und Eisenfeilspänen standen. Ein dick ummantelter Schlauch führte in den unten befindlichen Füllstutzen des Auftriebsbehälters. Noch war nicht genug Gas darin, denn das Fluggerät ruhte reglos auf seinem Startblock.
Es herrschte rege Betriebsamkeit. In die knappen Zurufe der Arbeitenden mischten sich immer wieder spöttische Bemerkungen und Flüche, wenn etwas nicht so gelang, wie es erhofft worden war.
Grimmbart deutete auf einen Schwingenflieger, der ihnen den Rücken zuwandte und dessen Oberkörper und Kopf innerhalb des Rumpfes verschwanden. Ein anderer stand vor dem Bug und betrachtete den Propeller mit verschränkten Armen. Gelegentlich ruckte die Luftschraube, was darauf hindeutete, dass der Flieger im Inneren am Pedalantrieb arbeitete. „Fragt Wolkenbezwinger. Ihr wisst, er hält mit seiner Meinung nicht zurück.“
Gerlon Wolkenbezwinger war eine Legende unter den Schwingenfliegern der Wolkenstädte. Bei ihm handelte es sich wohl um den erfahrensten und erfolgreichsten Flieger und dies galt ebenso für seinen Freund und Beobachter Farold Langauge, dessen Blick nun von der Luftschraube zu der Gruppe der Meister wanderte. „Mein Herr und Meisterflieger, wir bekommen hohen Besuch. Höre auf, da herumzustrampeln und zeige deine beeindruckende Heldengestalt.“
Der halb verborgene Zwergenmann zuckte zusammen, richtete sich ruckartig auf und stieß dabei unsanft gegen den Rahmen. Einen grimmigen Fluch ausstoßend, richtete er sich endgültig auf und wandte sich den Besuchern zu. „Bei den Höhen des Himmels und den Tiefen des Wassers … Die ganze Schar der Meister …“
Gerlon Wolkenbezwinger war ungewöhnlich groß für einen Zwergenmann und besaß die typische extrem ausgeprägte Beinmuskulatur eines Schwingenfliegers. Sein roter Vollbart sowie die Bartzöpfe waren länger als gewöhnlich, und die mit Zierschleifen versehenen Enden hingen bis knapp unter die Knie.
Wolkenbezwinger war für seine großen Leistungen und auch für sein gelegentlich großes Mundwerk bekannt. Ab und an geriet er sogar mit Grimmbart Hartschlag aneinander, da er dazu neigte, die Anweisungen seines Vorgesetzten nicht immer zu befolgen. Meist blieb diese Disziplinlosigkeit jedoch ohne Folgen und sie hielt sich inzwischen auch in Grenzen, denn der alte Axtmeister hatte Wolkenbezwinger einmal, als dieser besonders vorlaut gewesen war, zu einem persönlichen Gespräch aufgefordert. Danach war der Schwingenflieger um einige Erfahrungen und Beulen reicher gewesen und betrachtete den Alten mit ehrlichem Respekt.
„Schön, Wolkenbezwinger“, eröffnete Grimmbart grollend, „ich habe den Meistern von den Problemen unserer Schwingen erzählt. Sie sollten es sich mit eigenen Augen ansehen und die Meinung eines Zwergenmannes hören, der in jenen sein Leben riskiert.“
„Dann gilt das auch für Farold Langauge“, wies der Flieger auf seinen Beobachter hin. „Und für alle, die sich zwischen die Wolken erheben.“
Stadtmeister Barbrot Himmelsherr nickte und deutete mit der Hand in den freien Himmel hinaus. „Höre zu, Wolkenbezwinger, wir nähern uns einem unbekannten Land und hoffen, dort Handel treiben zu können. Ich sage dir und allen hier, wie es ist: Wir haben nicht viel für einen Handel zu bieten und können uns wohl nur wenige Dinge leisten. So sind wir hier, um zu entscheiden, was wir am Dringendsten brauchen.“
Der Schwingenflieger säuberte die Hände an einem alten Lappen. Die Worte des Stadtmeisters hatten ihn nachdenklich gemacht und so überlegte er die seinen sehr sorgfältig.
„Im Augenblick sind nur ein Luftschiff und acht Flügelschwingen wirklich startbereit, ihr Herren. Bei einem weiteren Luftschiff und drei Schwingen ist der Zustand bedenklich und ich würde sie nur besteigen, wenn die Not es unbedingt verlangt. Wir brauchen Holz, Metalldraht und Stoff. Vor allem Stoff, ihr Herren. Farold?“
Der Freund trat an die Flanke der Schwinge und wies mit der Hand auf einige ausgebesserte Stellen und Löcher in der Seitenbespannung. „Die kläglichen Reste, die wir an Tuch noch haben, reichen nicht aus. Inzwischen müssen wir Stoff aus den Seiten herausschneiden, um damit die Steuerflügel auszubessern. Glaubt mir, ihr Herren, das ist kein Vergnügen, denn wenn wir hinausfliegen und in großer Höhe sind, dann pfeift der Wind durch die Löcher. Da schützt uns auch die dickste Weste nicht mehr.“ Der Beobachter zuckte mit den Schultern. „Aber wenigstens sind die Schwingen dicht und auch die Gasbehälter, sonst wäre es ein sehr kurzer und steiler Flug, ihr versteht?“
Jeder verstand die Andeutung von Langauge.
Barbrot Himmelsherr zog unbehaglich an den Enden seiner Zöpfe. „Dann steht es wahrlich bedenklich um unsere Schwingen.“
„Und um unsere Stadt“, fügte Handelsmeisterin Benara Klughand hinzu. „Wollen wir hoffen, dass es zu einem Handel kommt.“
Die Meister der Stadt hörten sich auch die Klagen der anderen Flieger, Beobachter und Arbeiter an. Jeder bekräftigte, was Wolkenbezwinger und Langauge bereits gesagt hatten. So dankte Himmelsherr den Männern und Frauen und zog sich dann mit seiner Gruppe auf den Balkon seines Amtraumes zurück.
Das unbekannte Land war ein wenig näher gekommen und durch das doppelte Langauge waren nun etwas mehr Einzelheiten zu sehen.
Eldont'haneeva schwebte langsam nach Norden und kam nun über flachere Gewässer. Gelegentlich konnte man schon den Meeresgrund erkennen. Einige Tausendlängen vor der Südspitze des Kontinents wurde eine verschachtelte Struktur im Wasser erkennbar.
„Grundgütiger“, entfuhr es Kora Eisenschmied, die sie als Erste entdeckte. „Das muss eine Stadt des Wasservolkes sein.“
„Kiemenmenschen? Hier?“ Himmelsherr drängte sie zur Seite und trat selbst an das Gerät. „Wahrhaftig. Das kann nur eine Stadt sein.“ Er richtete sich auf und gab so auch den anderen die Möglichkeit, einen Blick hinab zu werfen. „Kiemenmenschen … Das ist gut für uns. Wir kennen sie. Es sind friedliche und Handel treibende Wesen, welche in einigen der Küstengewässer siedeln. Sie gedeihen durch Handel, ebenso wie wir. Hm, das deutet darauf hin, dass sie Handelspartner an Land haben müssten.“
Benara Klughand schlug erregt die Hände aneinander. „Dann scheint uns das Schicksal, nach so langer Zeit, endlich wieder gewogen.“
„Was meint ihr, sollen wir das Land erst überfliegen und erkunden?“, schlug Hartschlag vor.
Himmelsherr schüttelte den Kopf. „So verlockend der Gedanke auch ist, doch wir können es uns nicht leisten, uns die dafür erforderliche Zeit zu nehmen. Die Lage unseres Clans ist zu schwierig. Wir nähern uns der Südküste und halten dort Ausschau nach Siedlungen. Da hier Kiemenmenschen leben, gehe ich davon aus, dass die Bewohner des Landes keine Barbaren sein werden.“
„Das sind sie ganz sicher nicht.“ Magiermeister Sternenhand deutete in die Tiefe. „Seht dort. Rauch über dem Wasser. Dort ist ein Schiff.“
„Und es brennt und ist in Not“, meinte die Handelsmeisterin mitfühlend.
„Unsinn“, sagte der Magier unwirsch. „Der Rauch kommt gleichmäßig und in Stößen, und außerdem ist er hell. Erinnert euch der Geschichten, die wir von den anderen Clans hörten.“
„Aber ja.“ Hartschlag lachte dröhnend. „Ich weiß, was du meinst. Es gibt ein großes Menschenreich, welches den Dampf für den Antrieb seiner Schiffe verwendet. Es heißt, es hätte an der Seite einer unserer schwimmenden Städte gekämpft.“
„Ich bezweifle, dass dieses Schiff zu jenem Reich gehört.“ Der Stadtmeister spielte mit den Enden seiner Bartzöpfe. „Wir sind viel zu weit von jenem Ort entfernt, an dem jenes Menschenreich leben soll.“
„Vielleicht ist es ein Erkundungsschiff auf weiter Fahrt.“
„Oder eine anderes Menschenvolk, welches sich ebenfalls den Dampf zum Freund gemacht hat.“
„Wir werden es wohl bald in Erfahrung bringen. Dort kann ich eine große Bucht erkennen und in dieser Bucht liegt eine Stadt.“
Barbrot Himmelsherr klatschte auffordernd in die Hände. „Wir bleiben auf Höhe und ankern in ihrer Nähe. Geben wir Nachricht an Wolkenbezwinger. Wir wollen in Kontakt mit den Bewohnern des fremden Landes treten. Für einen friedlichen Handel und das Wohl der Wolkenstadt.“
„Für das Wohl der Wolkenstadt“, bekräftigten die anderen unisono.