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4. Das Volk des Wassers

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Ronla da Antari, Stadt des Wasservolkes der Antari, fünfzig Tausendlängen vor der Südküste der Landmark

Die Stadt lag in nur hundert Längen Tiefe. So reichte das Sonnenlicht aus, die Stadt und ihre Umgebung in ihrer ganzen Pracht zu zeigen. Ronla da Antari bestand aus einem weitläufigen Areal, in dem sich zahlreiche Kuppelbauten erhoben. Sie besaßen verschiedene Größen und die cremefarbenen Keramikkacheln der Außenhüllen waren an vielen Stellen mit Farbe versehen, was den Gebäuden ein individuelles Aussehen gab und teilweise auf deren Funktionen hinwies. Von Kuppel zu Kuppel zog sich ein Geflecht von Verbindungsgängen aus Klarstein entlang, die den freien Ausblick ins Meer erlaubten.

Ungefähr in der Mitte der Siedlung erhob sich der Schnorchel. Eine zehn Längen durchmessende hohle Säule, welche die Wasseroberfläche um zwanzig Längen überragte. Die dicke Ummantelung bestand auch hier aus Keramikplatten, die auf einem Gerüst aus Stahl fixiert waren. Eine einfache Mechanik setzte die Wellenkraft um und nutzte diese, um Atemluft bis zur Stadt hinunterzufördern.

In einem unregelmäßigen Kreis, ein Stück außerhalb der äußeren Gebäudekuppeln, waren die Masten der Lichtsammler aufgebaut. Die eigentlichen Sonnenkollektoren befanden sich über der Wasseroberfläche. Ein System aus Spiegeln und Kristallleitungen transportierte das Licht und sammelte es in speziellen Speichern aus Blaukristall. Die so gewonnene Energie wurde genutzt, um die erforderliche Wärme für Gebäude und Werkzeuge zu erhalten. Auch wenn das Wasservolk in der Kälte der Tiefe lebte, so benötigte es doch ein Mindestmaß an Wärme, um überleben zu können.

Der Freiraum zwischen den Gebäuden war dem Leben im Meer überlassen. Feiner Sand löste sich mit Felsen, einzeln stehenden Wasserpflanzen und Korallen ab. Schwärme von Fischen huschten umher, die sich längst an die zweibeinigen Bewohner der Stadt gewöhnt hatten und wussten, dass ihnen keine Gefahr drohte, denn die Antari gingen weit abseits ihrer Siedlung auf Fischfang. Das sanfte Beige der künstlich erschaffenen Stadt fügte sich harmonisch in die bunte Vielfalt der Pflanzen- und Fischwelt ein.

Antari waren auf den offenen Tangfeldern unterwegs, andere ernteten Seegras oder jagten in den ausgewählten Fischgründen, sorgsam darauf bedacht, diese nicht zu überfischen. Einige suchten den Meeresboden nach Mineralien und weiteren wertvollen Ressourcen ab.

In einem besonderen Bereich, ein gutes Stück abseits der Stadt, lagen die Aufzucht der Saugrochen sowie die Schule der Delfine. Die intelligenten Delfine und die Kiemenmenschen des Wasservolkes lebten schon lange in Symbiose und schützen sich gegenseitig vor den großen Räubern aus der Tiefe. Die Säuger schienen die Nähe der Antari zu genießen und viele dienten den Wächtern als Reittier. Inzwischen beherrschten die meisten Antari die Klicksprache und konnten sich so mit ihrem Partnervolk verständigen.

Es war der frühe Abend desselben Tages, an dem die Besatzung der An-Nerriva den Blütenstock aus Blaukristall abgebaut hatte. Leriana steuerte das alte Handelsschiff zur Anlegestelle in der großen Hafenkuppel und war sich der aufmerksamen Blicke bewusst, mit denen Steuermann Koros sie dabei beobachtete.

Leriana genoss den Ausblick durch die Bugverglasung. Das Unterwasserschiff glitt langsam über die ersten Kuppeln im Norden der Stadt hinweg. Sein Schatten scheuchte ein paar Schwärme auf. Der Reiter einer Delfinwache hob grüßend den Arm mit dem Pfeilspeer.

„Kurzarm. Fahrt langsamer“, befahl sie. Sie drehte das große Rad ein wenig. „Ändere Richtung um rechts Dreißig. Kurs auf Hafengebäude liegt an. Stelle Winkel auf bugwärts Fünf.“

Während die Männer noch etwas langsamer kurbelten und sich der Propeller am Heck kaum noch zu bewegen schien, drückte sie mit einer Hand einen langen Hebel nach vorne. Die Tiefenruder verstellten sich und der Bug neigte sich fünf Grad nach unten. Ganz behutsam kam die An-Nerriva tiefer und schwamm auf die Kuppel des Hafengebäudes zu.

Es war die größte Kuppel der ganzen Stadt, denn sie musste mehrere Schiffe aufnehmen können. Schiffe, die be- oder entladen wurden, oder solche, die man dort ausrüstete oder wartete. Dieser gewaltige Bau überragte, abgesehen von Schnorchel und Lichtsammlern, alles andere und so befand sich auf ihm ein klein wirkender turmartiger Aufbau, in dem sich die Wache der Stadt befand. Von ihr aus wurden alle Bewegungen innerhalb des Sichtbereiches beobachtet und von hier aus wurde der zentrale Alarm ausgelöst, wenn es zu einem Notfall kam.

Auf dem kleinen Turm der Stadtwache blinkten zwei blaue Lichter, die auch in der Nacht den Standort der Wache deutlich machten. Man sah das blaue Blitzen auf große Entfernung. Im Falle der Gefahr blinkten die Lichter Rot und man konnte zusätzlich das weit tragende Dröhnen des Unterwasserhorns hören.

Der Wachhabende hatte die An-Nerriva längst gesehen. Jetzt ließ er eine dritte Lampe in sanftem Grün leuchten, das Signal, dass im Hafen ausreichend Raum für die An-Nerriva vorhanden war.

Es gab keine verschließbaren Tore. Nur eine hell erleuchtete Öffnung, ganz unten am Rand der Kuppel. Diese war bis zur Hälfte ihrer Höhe mit Wasser gefüllt, der Rest enthielt atembare Luft. Man brauchte nur in den Hafen einzuschwimmen und dann im Inneren zur Oberfläche aufzutauchen. Dann konnte man sein Schiff an einem der Stege festmachen.

Leriana hörte, wie Koros tief Atem holte, als sich die Zufahrt des Hafengebäudes immer weiter näherte, doch sie reagierte bereits. „Kurzarm Gegenrichtung und Fahrt aufheben. Winkel bugwärts auf Null.“

Die An-Nerriva war nun so langsam, dass sie fast stillzustehen schien. Sie lag wieder auf ebenem Kiel und schob ihren stumpfen Bug gemächlich in den Lichtschein der Öffnung.

Am Boden war noch immer der Meeresgrund zu sehen und es gab Fische, welche die Nähe der künstlichen Meeresungeheuer nicht fürchteten. Vorwiegend waren es die „Lichtputzer“, welche die Stege und stützenden Keramiksäulen von Bewuchs frei hielten.

Es gab vier Stege und zusätzliche kleinere Anlegestellen, auch wenn Ronla da Antari derzeit nur über zwei Schiffe verfügte. Eines war die An-Nerriva des Handelshauses Leri, eines gehörte dem Handelshauses Domor und war auf großer Handelsfahrt in fernen Gewässern. Am dritten Steg lag das einzige bewaffnete Schiff der Stadt. Bald würde es veraltet sein, denn dann sollte das neue Kampfschiff in Dienst gestellt werden. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Abmessungen würde es schwierig werden, es im Hafengebäude unterzubringen. Eine ganze Schar von Arbeitern war damit beschäftigt, zwei der Stege so umzubauen, dass die neue An-Tarradena künftig einen würdigen Ankerplatz fand.

Rund ein Dutzend kleiner Boote lag an ihren Anlegestellen, wenigstens zwei Dutzend waren noch unterwegs. Sie dienten speziellen Arbeiten wie dem Fischfang, dem Tangsammeln oder als Streifenboot für die Sicherheitswache.

„Schiff steht“, meldete Steuermann Koros. „Bereit zum Auftauchen und Anlegen.“

„Ballast langsam ausblasen“, ordnete Leriana an. „Klarmachen der oberen Luke für Ankergruppe.“

Die Männer, deren Arme bislang für den Antrieb des Schiffes gesorgt hatten, ließen diese nun erleichtert sinken. Drei von ihnen erhoben sich, drängten sich an Handelsherr Lerimont und Meistermagier Donberon vorbei zur Mitte des langen Innenraums. Sie traten unter die dortige Luke, durch die man im aufgetauchten Zustand auf den Rumpf gelangte.

Das Zischen von Pressluft war zu hören. Gemächlich stieg die An-Nerriva die wenigen Längen zur Oberfläche des Hafenbeckens empor. Durch die Bugverglasung wurde die Oberseite der Stege sichtbar. Arbeiter grüßten und hielten die Festmachleinen bereit. Zwei schoben einen der fahrbaren kleinen Ladekräne heran. Sie spähten durch die Verglasung ins Schiff und Leriana hob die Faust am gestreckten Arm, so dass die Ladearbeiter erkennen konnten, dass das Schiff Fracht an Bord hatte.

„Aufgetaucht“, meldete Koros.

„Luke auf und festmachen.“

Die Seemänner entriegelten die Oberdecksluke, stiegen die kurze Leiter empor und hasteten zu Bug und Heck, um die vom Steg zugeworfenen Leinen an den Festmachern zu fixieren. Ein letztes Mal nutzten sie die Kraft ihrer Arme, um die Leinen zu straffen und das Schiff am Steg zu sichern.

Leriana wandte sich ihrem Vater zu, legte die rechte Hand flach an die linke Brustseite und deutete eine Verbeugung an. „Herr des Handelshauses Leri, ich melde dir die Fahrt beendet und das Schiff vor Anker. Hiermit übergebe ich es in deine Hände.“

„Das Handelshaus Leri dankt Schiffsführer und Besatzung für die erfolgreiche Fahrt. Möge der Fracht ein guter Handel folgen. Die Besatzung ist entlassen.“

Die Seemänner murmelten einen kurzen Dank, warteten, bis Lerimont und Donberon das Schiff verlassen hatten und folgten ihnen dann. Während die Besatzung einem der Verbindungsgänge zustrebte, die zu den Aufenthalts- und Wohnkuppeln führten, traten Leriana und Koros zu Handelsherr und Meistermagier.

An diesem Tag war die Fracht so kostbar, dass vor allem Donberon sie nicht aus den Augen lassen wollte, bis sie sicher und geschützt im Warenlager des Gebäudes lag. „Seid mir ja vorsichtig“, mahnte er die Hafenarbeiter. „Kein Kratzer soll den sanften Glanz des Blaukristalls trüben.“ Er sah Lerimont entschuldigend an. „Und es würde auch den Handelswert mindern, nicht wahr?“

„Das würde es“, stimmte Lerimont zu. „Packt die Säulen in Kisten und polstert diese gut aus. Doch wartet noch damit, sie ins Lager zu bringen. Ich will erst mit Stadtherrin Telmerina sprechen. Es mag gut sein, dass wir schon sehr bald aufbrechen, um die Ware mit der Landmark zu handeln.“

Donberon versteifte sich ein wenig. „Doch nur einen Teil des Kristalls, Lerimont. Auch Ronla da Antari hat Bedarf am Blaukristall. Von der Bedeutung für meine Magie und die der Schiffsbauer ganz zu schweigen. Du wirst nur einen kleinen Teil für den Handel nehmen können.“

„Das müssen die Stadtherrin und die Ältesten entscheiden“, brummte Lerimont. „Ich weiß sehr wohl, dass wir selbst Bedarf am Kristall haben. Daran brauchst du mich als Hochmagier nicht immer wieder zu erinnern. Doch unsere Stadt und unser Volk brauchen mehr als Magie, um das Leben unseres Clans zu erhalten.“

„Gut, sollen Stadtherrin Telmerina und die Ältesten darüber entscheiden“, stimmte Donberon widerwillig zu. Er seufzte. „Da wir alle wissen, dass es stets eine Weile dauert, bis der Rat seine Entscheidung getroffen hat, werde ich die Zeit nutzen und mir einen Imbiss gönnen. Ich muss gestehen, dass eine Seefahrt stets meinen Appetit fördert.“

Leriana lächelte verstohlen. Es lag wohl eher an der Empfindlichkeit von Donberons Magen. Obwohl die Antari ausgezeichnete Schwimmer und Taucher waren, so vertrug doch nicht jeder die Bewegungen eines Unterwasserschiffes. Vor allem dann, wenn es den Bewegungen der Wellen an der Oberfläche ausgesetzt wurde. Donberon hatte Übelkeit befürchtet und vor Fahrtantritt auf seine Mahlzeit verzichtet. Es war kein Wunder, dass er nun Hunger verspürte.

Donberon sah Leriana forschend an. „Du solltest die Zeit nutzen, um nach deinem Saugrochen zu sehen.“

„Ich war erst vor drei Tagen bei ihm und unsere innere Verbindung war gut.“

„Sie kann noch besser werden.“ Donberon wurde förmlich. „Sanari Leriana, als Meistermagier der Stadt Ronla da Antari fordere ich dich auf, nach einer kurzen Erfrischung mit deinem Saugrochen zu üben. Ich habe heute deine Fähigkeiten als Schiffsführer geprüft und deine Gaben sind ausgeprägt wie nur bei wenigen Antari. Es ist deine Pflicht, sie weiter zu vervollkommnen.“

Lerimont sah Donberon verwirrt an. „Der Ernst in deiner Stimme missfällt mir, Meistermagier. Zumal wir alle einen anstrengenden Tag hinter uns haben. Wir alle verdienen eine Erholungspause. Du weißt selbst, wie belastend die Prüfungen der magischen Gaben sind, und jetzt, nachdem Leriana von ihrem Tagewerk erschöpft ist, da willst du, dass sie mit ihrem Rochen in Verbindung tritt? Du weißt, wie sehr ein langer Tag die Fähigkeit zur Verbindung schmälert.“

Leriana fühlte sich tastsächlich müde, doch sie kannte Donberons unnachgiebige Art, wenn es um Belange der Magie ging. „Es geht schon, Vater. Wenn der Meistermagier es wünscht, dann werde ich …“

„Nein, Kind, erst will ich wissen, was das zu bedeuten hat“, lehnte Lerimont unwirsch ab. „Noch kein Antari musste am Tag der Prüfung eine Verbindung eingehen.“

Donberon nickte. „Ich gebe dir recht, Handelsherr Lerimont. Und du hast auch recht, dass ich einen guten Grund für meine Entscheidung habe. Gerade nach der Belastung des heutigen Tages ist es von großer Bedeutung, ob es Leriana gelingt, dennoch in Verbindung mit ihrem Rochen zu treten. Doch ich bin nicht befugt, dir und Leriana zum jetzigen Zeitpunkt den Grund für meinen Wunsch zu nennen.“

Vater und Tochter sahen den Magier gleichermaßen überrascht an. Seine Andeutungen verlangten eigentlich nach einer Erklärung, doch sie beide wussten, dass Donberon schweigen würde.

Auch wenn Lerimont als Handelsherr ein Mann von Bedeutung war, so stand er doch unter dem Rang des Magiers. So gab er schließlich nach und sah seine Tochter auffordern an. „Folgen wir dem Willen des Meistermagiers.“ Er wandte sich Donberon zu und seine Stimme klang scharf. „Natürlich, nachdem wir uns angemessen erfrischt haben. Der hochgeschätzte Meister Donberon wird sicher keinen Einwand haben, wenn wir ebenfalls zuerst unsere Mägen füllen.“

Lerimont packte den Arm seiner Tochter und zog sie mit sich, bevor der Magier etwas erwidern konnte. Der schien tatsächlich einen Moment unentschlossen, ob er sie zurückhalten solle, doch er sah Arbeiter mit Kisten herbeieilen und entschied, seine Aufmerksamkeit den kostbaren Blaukristallen zu widmen.

Lerimont und Leriana betraten Seite an Seite den Verbindungsgang, der zur südlichen Aufenthaltskuppel führte. Der Tunnel war nur mäßig beleuchtet, denn die Sonne begann zu sinken. Ihr Licht erreichte kaum noch den Meeresgrund. Es wurde zunehmend dunkel außerhalb der Rundumverglasung aus Klarstein, aber die beiden Antari waren den Anblick, der sich ihnen außerhalb des Ganges bot, ohnehin längst gewohnt. Bald würde Lichtenergie aus den Speicherkristallen durch Kristallleitungen fließen und kleine Lichtkörper würden den Verbindungsgang in angenehm sanftes Licht tauchen.

Nach gut einhundert Längen passierten sie die Verbindungstür zur ersten Kuppel und wurden sofort vom Stimmengewirr einer pulsierenden Stadt empfangen.

Die untere Ebene der Kuppel war ein einziger offener Raum, in dem die schlanken Säulen aufragten, welche die oberen Ebenen stützten. Wendeltreppen verbanden die einzelnen Stockwerke miteinander. Die umgebende Rundwand war immer wieder mit großen Flächen aus Klarstein verglast, die den Ausblick ermöglichten und bei Tageslicht für ausreichende Helligkeit sorgten.

Hier unten war einer der Erholungsbereiche angelegt. Schlanke, durchsichtige Tanks mit Wasserpflanzen wurden als Sichtschutz benutzt, um gemütliche Sitzgruppen voneinander zu trennen. Viele der Tische waren besetzt, denn ganze Familien waren hier versammelt, um der Musik zu lauschen, die eine Gruppe aus Sängern und Instrumentenspielern produzierte. Muschelhörner, Schlagtrommeln und Zupfinstrumente konkurrierten mit dem Klang der Stimmen. Das Repertoire erstreckte sich von Balladen zu fröhlichen Liedern, in die manche der Anwesenden einstimmten. Kinder tollten zwischen den Sitzgruppen umher und gelegentlich kam es einem Wunder gleich, dass sie mit keinem der Erwachsenen kollidierten.

Es gab Stände, die aus hölzernen Streben und bunten Tüchern errichtet waren und die an den Markt der Landbewohner erinnerten. Hier wurden Getränke und Speisen gereicht, hier gab es die in der Stadt selbst hergestellten Waren und solche, die auf dem Land produziert waren.

Jede Antari-Familie hatte das Recht, kleine Gegenstände herzustellen, die dem täglichen Gebrauch oder der Zierde dienten und diese für den eigenen Gewinn zu verkaufen. Es konnten schlichte Schmuckstücke aus Muscheln oder Koralle sein, aber auch feine Schnitzereien aus Fischbein. Die Knochen einiger Meeresbewohner waren groß genug, um daraus Skulpturen und Statuen zu fertigen, die an Land sehr begehrt waren. Sie zeigten Situationen aus dem Leben des Wasservolkes oder Meereslebewesen. Umgekehrt schmückten die Antari ihr persönliches Heim gerne mit den Pendants vom Land. Derzeit waren es vor allem Figuren von Pferden und anderen Landlebewesen. Auch gebrannte oder geschmiedete Waren ließen sich gut handeln.

In anderen Kuppeln waren die Werkstätten und sonstigen Arbeitsplätze untergebracht, der Außenring war den Wohnstätten vorbehalten.

Leriana und ihr Vater nahmen kurz an einem freien Tisch Platz, stärkten sich und machten sich dann auf den Weg zum südlichen Außenbereich der Stadt.

Schließlich erreichten sie die südlichste Kuppel. Sie war zum Teil geflutet, da sie Zugang zu den nahen Tangfeldern bot. Hierher kamen die Schwimmer mit ihren gefüllten Netzen, übergaben die Fracht an Arbeiter, die sie zur weiteren Verarbeitung in die inneren Kuppeln brachten, und von hier kehrten die Tangsammler wieder auf die Felder zurück.

Lerimont sah missmutig auf das dunkle Wasser. „Es wird Nacht, Kind, und wir werden kaum noch etwas sehen. Man sollte die Stadt bei Dunkelheit nicht mehr verlassen.“

Im Grunde hatte er recht. Die letzten Außenarbeiter kehrten nun in den Schutz der Kuppeln zurück. Nur ein paar Streifenboote und Delfinreiter wachten jetzt außerhalb über die Sicherheit der Stadt und ihrer Bewohner.

„Wir nehmen Lichtstäbe mit und das Gebiet der Saugrochen ist beleuchtet und bewacht“, antwortete Leriana. Sie ging zu einem kleinen Kasten, in dem sich das Ende einer Kristallleitung befand. Auf diesem steckten kleine Kristallstäbe, die mit Lichtenergie aufgeladen waren. Sie zog zwei von ihnen aus ihrer Halterung und reichte einen an ihren Vater. „Nun komm, Herr des Handelshauses Leri“, sagte sie unbeschwert, „die finsteren Abgründe werden uns schon nicht verschlingen.“

Sie ließ sich ins Wasser gleiten und der Lichtstab leuchtete auf. Seine Energie reichte aus, ein Umfeld von fünf Längen ausreichend zu erhellen, so dass man sich mühelos orientieren konnte. Nach einigen Augenblicken folgte ihr Vater. Wieder war da der kurze Schmerz der Umstellung auf Kiemenatmung, dann schwammen sie, Seite an Seite, los.

Trotz der Stadtwache hätte sich Leriana sicherer gefühlt, wenn sie nun ihren Pfeilspeer bei sich gehabt hätte. Zwar verirrte sich nur noch selten ein Raubfisch in die Nähe der Stadt, aber es war nicht ganz auszuschließen.

Hinter ihnen glommen die Lichter und beleuchteten Gänge der Stadt, vor ihnen war kaum mehr als Dunkelheit, nur an einer Stelle von schwachem Schimmer durchbrochen. Dort umgaben Lichtmasten das Schutzgebiet der Saugrochen und dort war ihr Ziel.

Ein Delfinreiter sah das Licht ihrer Stäbe und kam heran. Das Wasser verzerrte die Stimmen ein wenig, doch auf kurze Distanz konnte man sich gut verständigen. „Ihr seid spät“, meinte die Wache. „Um diese Zeit gilt die Nachtruhe. Die Rochen sollten ungestört schlafen.“

„Glaube mir, mein Freund“, brummte Lerimont, „ich würde jetzt auch lieber schlafen, doch der Meistermagier äußerte den Wunsch, Leriana solle ihre Verbindung herstellen.“

„Donberon? Nun, dann wird er seinen Grund haben. Am besten ruft deine Tochter ihren Rochen nach hier. Dann verlässt er den Schwarm und der behält seine Ruhe. Zwei Rochen haben gekalbt und ihr wisst, wie nervös sie sind, wenn sie Nachwuchs haben. Wir Wachen sind zu dritt und halten Abstand.“

„Ein guter Rat“, antwortete Lerimont und sah seine Tochter an. „Versuche es von hier aus.“

Insgeheim hoffte Lerimont, dass seine Tochter keine Verbindung herstellen konnte. Denn wenn dies gelang, so würde sie sich eine ganze Weile mit ihrem emphatisch verbundenen Partner befassen und der Handelsherr war nun tatsächlich rechtschaffen müde.

Leriana konzentrierte sich. Damit ihr dies besser gelang, formulierte sie ihre Gedanken in Worten. „Schnellschwinge, komm zu mir. Schnellschwinge, ich rufe dich.“

Saugrochen waren Fische von sehr mäßiger Intelligenz. Sie besaßen flache, dreieckig wirkende Leiber, wobei sich das Maul und die Augen in der Mitte der breiten Seite befanden, die das Vorderteil bildete. Der muskulöse Körper, der eine einzige bewegliche Tragfläche zu sein schien, wies bei ausgewachsenen Rochen bis zu vierzig Längen in der Breite und dreißig in der Länge auf, wobei er an der stärksten Stelle entlang des Rückrats kam mehr als deren vier maß. Am spitzen Ende des Dreiecks lagen die Verdauungs- und Geschlechtsorgane sowie zwei kräftige Ringmuskeln, die gleichermaßen der Ausscheidung und als Rückstoßorgan dienten.

Im Allgemeinen bestand ihr Leben aus Nahrungssuche, Vermehrung und Schlaf. In jungen Jahren waren sie ein leichtes Opfer für Raubfische, doch ausgewachsen wurden sie einfach zu groß, um noch als Beute gesehen zu werden. Zu groß und zu schnell, denn die Eigenheit der Saugrochen war es, durch ihr riesiges Maul Wasser und Kleinstlebewesen anzusaugen und Wasser und unverdauliche Nahrungsreste am Hinterleib komprimiert wieder auszustoßen. Sie erreichten eine erstaunliche Geschwindigkeit. Die Antari hatten sich dies schon früh zunutze gemacht. Verband man ein Unterwasserschiff mit Hilfe eines Geschirrs mit einem dieser Lebewesen, so erhielt man einen biologischen Antrieb.

Saugrochen mochten nicht unbedingt intelligent sein, aber sie waren fühlende Wesen. Um einen Saugrochen mit einem Schiff zu verbinden, musste der Schiffsführer eine emphatische Verbindung mit ihm eingehen. Nicht jeder Antari war dafür geeignet, denn die Rochen erwiesen sich durchaus als wählerisch. So suchten die Magier schon frühzeitig junge Antari aus, um sie von Kindesbeinen mit geeigneten Saugrochen zusammenzubringen.

So entstand eine Verbindung von gegenseitigem Nutzen. Der Rochen bewegte das Schiff und die Besatzung desselben sorgte ihrerseits für das Wohlbefinden des Wesens, das ihnen so nützlich war.

Lerimont stieß einen leisen Seufzer aus. Der grauweiße Leib eines der großen Saugrochen glitt heran und drehte sich auf den Rücken. Es war das Zeichen größten Wohlbehagens und Vertrauens, wenn die Fische ihre verletzliche Bauchseite auf diese Weise zeigten.

Schnellschwinge hatte auf Lerianas geistigen Ruf reagiert und nun würden die beiden eine ganze Weile miteinander herumspielen.

„Kind, ich wusste immer, dass dich deine ausgeprägte Fähigkeit des Geistsehens zu einem hervorragender Schiffsführer machen wird“, gestand Lerimont ein, „doch deine Gabe des Fühldenkens scheint dies noch weit zu übertreffen.“

Missmutig registrierte der Handelsherr, dass es wohl noch einige Zeit dauern würde, bevor er sich endlich zur Ruhe begeben konnte.

Wolken, Land und Wasser

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