Читать книгу Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes - Michael Schenk - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеNacht senkte sich über das namenlose Dorf.
Gajaths anmutige Gestalt trat aus ihrem Haus hervor. Das Haus war ihr Refugium. Das einzige Gebäude im Lande Julinaash, welches die Nachtläufer niemals betreten durften. Hier studierte sie die alten Schriften, vervollkommnete ihre geheimnisvollen Künste.
Sie blickte zu den sieben Hügeln. Die Spitzen der sieben Säulen funkelten hell im letzten Licht des Tages, und die Schatten wurden länger und wanderten über die Runen der schlanken Gebilde hinweg. Bald würde sich der Schatten zur Dunkelheit vereinigen.
Gajath strich langsam über das seidig schimmernde Gewand und vergewisserte sich unbewusst, dass der Stab der Beschwörung an seinem Platz war. Sie spürte die Kälte, die er unter ihrer Berührung ausstrahlte. Für einen Moment schloss sie die Augen, genoss den sanften Hauch des Windes auf ihrer Haut. Eine seidige Berührung, wie vom Fell eines Nachtläufers. Sie gab sich der Liebe hin, die sie für diese Wesen empfand. Eine Liebe, die weit tiefer ging als jegliches körperliches Verlangen, das sie einst als Mensch empfunden hatte.
Gajath erreichte den Punkt, an dem sich die Schatten der sieben Säulen trafen. Dunkelheit, welche die Rudel rief. Sie hob den Stab in ihrer emporgereckten Hand. Blaues Leuchten waberte, und die dunklen Schlieren breiteten sich darin aus, verdichteten sich im Zeichen der Zusammenkunft. „Schewar, deine Dienerin und Gebieterin ruft dich.“
Aus dem Blau wurde Schwarz. Nebel wallten.
„Schewar hört die Dienerin des Volkes und die Gebieterin der Rudel.“
Gajath trat an den Nachtläufer heran. Ihre freie Hand hob sich und strich über das kurze Haar des graubraunen Fells. Schewar stieß ein leises Schnurren aus und reckte ihren spitzen Schädel behaglich vor. Viel zu selten waren diese vertrauten Berührungen geworden.
„Die Nacht gehört uns“, sagte Gajath zärtlich. „Und die Herrschaft des Menschen im Licht des Tages wird nun bald enden.“
„Es ist Zeit, dass die Rudel ausschwärmen und ihre Fänge in die Glatthäuter schlagen“, stimmte Schewar zu. „Sie sind unruhig und kaum noch zu halten.“
„Die Menschen sind uneins, und das erleichtert es uns, sie zu vernichten.“ Gajath trat lächelnd zurück und blickte in den klaren Sternenhimmel empor. „Sie haben die alten Legenden vergessen, und nun werden wir sie ihnen in Erinnerung bringen. Doch wir werden nicht die alten Fehler begehen. Auch wenn die Menschen entzweit sind und nicht ihre alte Stärke haben, so könnten sie sich dessen besinnen, wie man uns einst bezwang. Daher werden wir ihre Uneinigkeit ausnutzen und bestärken. Bald kommt die Zeit, in der die männlichen Tagwesen zur Stadt der Frauen gehen, um die Knaben abzuholen. Du kennst den Ort?“
„Es ist seit Jahrhundertwenden derselbe Platz, Gajath. Jeder Nachtläufer der Rudel kennt ihn.“
„Dort werdet ihr eure Fänge zum ersten Mal in frisches Blut tauchen.“ Gajath kraulte Schewar unter dem Kinn, und erneut war das sanfte Schnurren zu hören. Das helle Grün der Pupillen wurde dunkler, und die waagrechten Schlitze wandelten sich zu einem weiten Oval.
„Die Kriegerinnen der Frauen werden die männlichen Kinder an diesen Ort bringen und warten, bis sie das Zeichen der Männer hören, dass deren Ankunft verkündet. Dann kehren die Frauen um, damit sie den Männern nicht begegnen müssen.“
„Die Übernahme findet am hellen Tag statt. Du weißt, wir müssen sein Licht meiden.“
Gajath lachte auf, und der Laut schien für einen Moment perlend in der Luft zu hängen, bevor er verwehte. „Ich kann hinaus in das Licht des Tages und in die Dunkelheit der Nacht. Ich werde dort sein, noch vor den Männern. Ich werde das Zeichen an ihrer Stelle geben, und wenn die Frauen gegangen sind, so warten wir auf die Wohltat der Nacht. Dann gehören die Knaben dem Rudel.“
Schewar nickte. „Ich weiß, du würdest sie gerne selbst töten.“
Gajath seufzte leise. „Ich darf die Hand gegen keinen Julinaash erheben. Dies musste ich dem damaligen König schwören, als er uns bezwang. Nur so konnte ich mein Leben erhalten und auch die Keimzelle der neuen Rudel.“
„Du könntest den Schwur brechen“, meinte Schewar mitfühlend.
„Oh, wie oft habe ich mir das gewünscht.“ Hass flammte in der schönen Frau auf. „Doch mein Zauber würde erlöschen, und das darf nicht geschehen. So müsst ihr Nachtläufer die Werkzeuge meiner Rache sein.“
Schewar verzog ihre Lefzen zum Gegenstück eines menschlichen Lächelns. „Du bist die Dienerin des Volkes und die Gebieterin der Rudel. Wir werden dir mit Freude folgen.“
„Besorge eines der Langmesser, wie die Kriegerinnen der Frauen sie tragen. Damit werdet ihr die Knaben töten. Alles muss so aussehen, als hätten die Frauen die Tat begangen. Dann wird sich der Zorn der Männer gegen sie richten.“ Gajath wandte sich um und mustert die Silhouetten der sieben Hügel, die im Licht des Vollmondes silbrig schimmerten. „Nehmt auch ein Schwert der Männer und tötet damit ein paar Kriegerinnen. So werden wir die Tagwesen aufeinanderprallen lassen, und die Rache wird endlich unser sein.“
„So wird es geschehen.“ Schewar leckte sich unwillkürlich über die Lefzen. „Schade, dass wir das Blut der Knaben nicht kosten können.“
Gajath schloss die Augen. „Bald wird in den Nächten reichlich Blut vergossen werden, und alle Rudel werden sich daran erfreuen.“ Sie lächelte verträumt. „Ebenso wie ich mich daran erfreuen werde.“