Читать книгу Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes - Michael Schenk - Страница 11
Kapitel 9
Оглавление„Ich kann mich nicht daran erfreuen.“ Scharführer Arkarim hatte die Lanze des Berittwimpels in die Armbeuge geklemmt und schlug die Hände mehrmals gegeneinander. Trotz der dick gefütterten Handschuhe waren sie klamm geworden. „Wahrhaftig, Erster Schwertmann der Hochmark, ich würde es begrüßen, wenn Ihr uns zur Zeit des Sommers in unser nächstes Abenteuer hinausführtet.“
Nedeam nickte betont ernsthaft. „Ich werde es mir vormerken, Scharführer Arkarim.“ Dann grinste er auf seine jungenhafte Art. „Verdammt, mein Freund, ich habe langsam auch genug von Kälte und Schnee.“
Llaranya trabte auf Fallan heran. Sie hatte die Worte der Männer gehört. „Es wird noch kälter werden. Wir sind nun an der Grenze des Kaltlandes und werden dem ewigen Eis begegnen.“
„Hm. Du verstehst dich wirklich darauf, uns zu erfreuen“, murrte Nedeam.
Die Elfin beugte sich zu ihm und küsste ihn flüchtig. „Sei nicht brummig. Immerhin sind wir besser vorbereitet, als beim Kampf um die Ruine der Festung von Merdoret.“
Das waren sie in der Tat. Auch wenn sich die Pferdelords bei der Kälte nicht unbedingt wohlfühlten, so erging es ihnen doch wesentlich besser, als dies bei dem missglückten Vorstoß in das Reich des Schwarzen Lords der Fall gewesen war. Die fleißigen Hände von Menschen und Zwergen sowie die zahlreichen Schafe der Hochmark hatten dazu beigetragen.
Jeder Mann und natürlich auch die Elfin trug ein dick gefüttertes Wams. Hinzu kamen Fäustlinge, die einen Kompromiss darstellten. Man konnte Zügel, Schwert oder Lanze mit ihnen halten, doch zur Benutzung des Bogens musste man sie ablegen. Bei der herrschenden Kälte würde sich der Beritt also nicht lange auf die Wirksamkeit dieser Fernwaffe stützen können, falls es zum Kampf kam.
Über die ledernen Reithosen waren Beinlinge aus dicker Schafswolle gebunden, die mit Lederriemen geschlossen wurden und zusätzlich am Waffengurt befestigt waren. Das alte Innenfutter der Helme, welches Schläge dämpfen sollte, war durch ein wärmendes ersetzt worden. Über den grünen Umhängen der Pferdelords lagen dicke Schals, welche die Männer vor Mund und Nase zogen, um die beißende Kälte des Windes zu mildern.
Auch an die Pferde hatte man gedacht, denn sie waren für den Beritt lebenswichtig. Ihre Ausdauer und Schnelligkeit entschied über das Überleben der Reiter. Gefütterte Umhänge lagen über ihren Rücken. Hufe und Fesseln waren mit gefüttertem Leder geschützt. Harscher Schnee oder Eis sollte die Pferde nicht verletzen.
Dies alles erinnerte durchaus an jene Vorbereitungen, die man gelegentlich auch gegen die strengen Winter in der Hochmark traf. Doch auf Llaranyas Betreiben war von den Zwergen zudem etwas gefertigt worden, das für die Männer ausgesprochen ungewohnt war.
Als Nedeam ein junger Pferdelord von siebzehn Jahren gewesen war, hatten die Orks die grüne Kristallstadt Nal´t´rund überfallen, die Zwerge durch Überraschung und Übermacht überwältigt und zur Zwangsarbeit angetrieben. Der Schwarze Lord hatte einen hinterhältigen und zugleich schlauen Plan entwickelt, einer Schwäche seiner Orks entgegenzuwirken. Da ihre Augen sehr empfindlich gegen das Licht der Sonne waren, ließ er die Zwerge feinste Plättchen aus Schwarzkristall schleifen. Man konnte gerade noch hindurchsehen, und sie dämpften helles Licht in einem Maße, dass es für die Legionäre der Finsternis angenehm war. Auch das Pferdevolk hatte unwissentlich dazu beigetragen, den Plan der Finsternis in die Tat umzusetzen. Einer der Grauen Magier war in Gestalt eines harmlosen Händlers in die Hochmark gekommen, unter dem Vorwand, Schmuckstücke für den Handel mit Alnoa erwerben zu wollen. Von den ahnungslosen Schmieden der Menschen hatte er kleine Metallrahmen fertigen lassen, in welche die Kristallplättchen eingefügt werden konnten. Wurden diese an den Kampfhelmen der Rundohren befestigt, schützten sie deren Augen vor dem hellen Tageslicht. Der Plan war gescheitert, denn der König der Kristallstadt, Balruk, war entkommen und hatte die Pferdelords zu Hilfe rufen können. Zum ersten Mal hatten Zwerge und Pferdevolk Seite an Seite gestanden, und daraus war eine unverbrüchliche Freundschaft entstanden. Die einstige Absicht des Schwarzen Lords hatte Llaranya nun abgewandelt. An jedem Helm war eine mit einem Scharnier versehene Blende befestigt, welche eine dünne Platte aus Schwarzkristall hielt.
„Ihr werdet dem Schwarzen Lord noch Dankbarkeit erweisen“, hatte die Elfin gesagt. „Das Gleißen des Sonnenlichtes auf Schnee und Eis kann einem Menschen das Augenlicht rauben.“
Das leuchtete Nedeam ein, und in ihm hatte sich sofort die Sorge des Reiters geregt. „Und unsere Pferde?“
Die Elfin hatte fröhlich gelacht. „Vielleicht könnte man auch für sie ein paar Helme anfertigen.“ Als sie bemerkte, wie Nedeam die Stirn in nachdenkliche Falten legte, schüttelte sie lächelnd den Kopf. „Eine Stoffhaube oder ein Schal werden genügen.“
Ja, der Beritt war darauf vorbereitet, in das Kaltland vorzudringen, dennoch freute sich niemand auf Eis und Kälte.
Es gab keine erkennbare Grenze. Niemand konnte genau sagen, ob sich der Beritt noch in der Öde von Rushaan oder bereits im Kaltland befand.
„Wäre es Sommer, so könnten wir es erkennen.“ Es hatte geschneit, und Llaranya mutete unwirklich an, denn an ihrem elfischen Umhang haftete kein Schnee, während alle anderen davon gepudert waren. „Das Kaltland ist von ewigem Eis und Schnee bedeckt, der auch im Sommer nicht taut.“
„Ich hatte gehofft, das Wissen deines Volkes wäre uns hilfreicher“, brummte Nedeam.
„Die Häuser der Elfen haben sicher großes Wissen über das Kaltland gesammelt und in den Büchern der Schröpfung niedergeschrieben. Aber du weißt, mein Geliebter, die Häuser sind zu den Neuen Ufern aufgebrochen und haben ihr Wissen mitgenommen. Mir blieb nur wenig, denn auch mein Vater Jalan-olud-Deshay und das Haus des Urbaums sind gegangen.“ Sie lächelte schwermütig. „Zudem hat sich unser Haus nie sonderlich für die Belange anderer interessiert.“
Die Landschaft war sehr hügelig geworden, und im Norden und Osten erhoben sich schroffe Berge. Sie schienen unpassierbar, doch Nedeam war zuversichtlich, dass es einen Pass gab. Die Fremden waren von dort gekommen, und der Eten floss in diese Richtung. Er musste sich einen Weg bahnen, und es war nur zu hoffen, dass er nicht, wie dies im Gebirge von Noren-Brak der Fall war, einen Teil der Strecke unterirdisch verlief.
Entlang des Flusses Eten wurde die nördliche Öde ihrem Namen nicht gerecht. Unter dem Schnee lag fruchtbarer Boden. Es gab weite Ebenen, mit dichtem Gras bedeckt, die an die Marken des Pferdevolkes erinnerten. Die Wälder hingegen waren bescheiden. Ihre Bäume drängten sich dicht aneinander und waren auf ungewohnte Weise geformt. Ihre Äste wirkten verschlungen.
Maratuk, der als Zwerg in seinen Bergen lebte und diese liebte, waren die Gewächse nicht geheuer. „Seht sie euch an, ihr guten Herren“, meinte er nervös und zupfte an einem seiner Bartzöpfe. „Ihre Zweige weisen nach Süden, als wollten sie uns sagen, wir sollten von hier verschwinden.“
„Das liegt am Wind, der stetig von Norden herunterkommt.“ Llaranya lächelte den kleinen Herrn freundlich an. „Sein Druck formt die Bäume. Sie geben ihm nach, passen sich an, und so werden die Zweige der südlichen Seite länger und stärker, da sie dort vor dem Wind geschützt sind.“
„Nun, wenn Ihr es sagt, Hohe Frau Elfin“, brummte Maratuk. Er sah sie zweifelnd an. „Auch in unseren Bergen gibt es starke Winde. Dennoch sind Büsche und Bäume dort nicht auf diese Weise geformt. Ich sage Euch, das ist kein gutes Zeichen.“
Der Beritt trabte am linken Ufer des Eten entlang, und Nedeam nahm das Eis an den Seiten des fließenden Gewässers besorgt zu Kenntnis. Er hoffte, dass der Fluss nicht zufror. Es war schon kalt genug, wie er fand, und das Plätschern des Wassers wirkte tröstlich in der sonst so stillen Landschaft.
„Ich weiß nicht, ob wir im Kaltland ebenfalls auf Bäume stoßen werden“, sagte er zu Arkarim. „Beim nächsten Halt, wenn wir unsere Wärmefeuer anlegen, sollten wir einen Holzvorrat schlagen und mitnehmen. Wir werden Feuer benötigen, um in der Eiseskälte zu überleben.“
„Ich mag kein Holzfeuer“, brummte Maratuk. „Es stinkt und raucht. Ah, wahrhaftig, ihr Pferdereiter, der Gestank hängt selbst in meinem Bart. Da lobe ich mir die Wärme von Brennstein.“
„Nun, guter Herr Axtschläger“, warf ein Schwertmann ein, „wenn Ihr unter all dem Schnee etwas Brennstein entdeckt, könnt Ihr gerne nach ihm graben.“
Der alte Zwerg warf dem Reiter einen giftigen Blick zu. „Ich mag alt sein, Pferdereiter, doch das heißt nicht, dass ich deswegen ein Narr bin. Ich weiß selbst, dass wir das Holz brauchen werden.“
Gegen Abend hielten sie an einem kleinen Wäldchen.
Arkarim teilte Wachen und Arbeitskommando ein. Während einige Männer die Pferde zum Tränken führten und die Wasserflaschen der anderen mitnahmen, um diese aufzufüllen, ging eine andere Gruppe an den Rand des Wäldchens, um Holz für dieses und künftige Feuer zu schlagen. Maratuk und Nedeam schlossen sich an.
Der alte Zwerg prüfte die Schärfe einer seiner Äxte und begutachtete missmutig den vor ihm stehenden Baum. „Es missfällt mir, die Schneide meiner schönen Axt in dieses Gewächs zu schlagen.“ Er sah Nedeam an und zuckte die Schultern. „Ich weiß, ich weiß, wir brauchen das Holz dennoch.“
Der Beritt führte eine Handvoll Äxte mit sich, obwohl diese Werkzeuge eigentlich nicht zur Ausrüstung der Schwertmänner gehörten, denn er war gut vorbereitet. Man hätte sicherlich auch die Schwerter verwenden können, doch ihre Klingen hätten gelitten und nachgearbeitet werden müssen.
Nedeam hatte keine der Äxte, sondern seine elfische Klinge. Er zögerte einen Moment, die fein verzierte Klinge in das Holz zu treiben. Doch immerhin zerteilte sie auch die eisernen Brustpanzer der Rundohren.
Das Schlagen der Fällarbeiten hallte zwischen den Bäumen wider. Die Pferdelords achteten darauf, nur dünne Stämme zu fällen, aus denen sich leicht geeignetes Brennholz fertigen lassen würde.
„Hoher Herr?“ Einer der Schwertmänner unterbrach seine Tätigkeit und sah zu Nedeam herüber. „Seht Euch das einmal an. Ich glaube, hier waren vor uns schon andere am Werk.“
Der Erste Schwertmann ging hinüber, gefolgt von Maratuk, der froh über den Anlass war, die eines Axtschlägers unwürdige Arbeit unterbrechen zu können.
Der Schwertmann deutete mit seiner Axt auf den vor ihm stehenden Stamm. „Kerben von Fällhieben, Hoher Herr. Sie sind alt und Harz hat sich angesammelt, um die Wunde des Baumes zu verschließen.“
Nedeam ging in die Hocke und betastete die Spuren, welche ein fremdes Werkzeug in der Rinde hinterlassen hatte. „Das ist mehrere Zehntage alt. Aber es sind Spuren einer scharfen Klinge.“
Maratuk musste sich nicht bücken, um die Kerben bequem begutachten zu können. „Das war keine Axt. Seht Euch die Breite des Einschnitts an, Nedeam. Das war ein einziger Hieb, und er wurde mit Kraft geführt.“
Nedeam nickte. „Ja, das war ohne Zweifel ein Schwert.“ Er brach ein Stück der Rinde ab, um die Tiefe der Kerbe besser sehen zu können. „Eine breite und eher plumpe Klinge, aber sorgfältig geschärft. Zweifelsohne kein Schwert des Pferdevolkes.“
„Hätte mich auch gewundert“, knurrte Maratuk. „Wir sind die Ersten hier oben im Norden. Es muss die Horde der Mörder gewesen sein.“
„Dem stimme ich zu.“ Nedeam richtete sich wieder auf. „Sie hatten die gleiche Idee wie wir und haben hier Feuerholz gemacht. Das ist in mehrerlei Hinsicht sehr beruhigend. Wir sind ihnen noch immer auf der Fährte, und sie haben das gleiche Wärmebedürfnis wie wir. Somit werden sie auch Siedlungen und Häuser haben, in denen sie sich wärmen können.“
„Das hatten wir bereits vermutet.“ Arkarim war hinzugetreten und nickte nachdenklich. „Ich hoffe, sie heizen nur mit Holz und nicht mit Brennstein.“
Maratuk stieß ein vernehmliches Schnauben aus. „Ah, ich höre mit Entsetzen, dass Ihr für stinkende Holzfeuer schwärmt, Scharführer der Pferdereiter.“
Arkarim schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn es ringsum friert, dann ist es mir gleich, von welcher Quelle die Wärme kommt. Brennstein brennt ohne Rauch. Wenn die Mörder ihre Feuer aber mit Holz in Gang halten, dann besteht zumindest die Chance, dass wir den Rauch ihres Lagers auf große Entfernung sehen.“
Maratuk schob seine Axt in das Rückenfutteral zurück. „Ich muss den Qualm eines Holzfeuers nicht sehen. Ich kann seinen Gestank riechen.“
Nedeam hatte Verständnis für den alten Zwerg. In ihrem Reich gab es Moose, Flechten und Pilze, doch kaum Büsche und Bäume. Der Anblick eines dichten Waldes konnte einen Zwerg durchaus beunruhigen. Nedeam erinnerte sich, wie sehr sein orkscher Freund Fangschlag den Duft von wilden Blumen verabscheute. Llaranya hingegen konnte sich daran berauschen und brachte immer wieder Blumen in ihre gemeinsamen Kammern in Eternas, um die Räume mit deren Wohlgeruch zu erfüllen.
Während sie das Nachtlager herrichteten, fanden sie auch die Überreste zweier alter Feuerstellen. Llaranya untersuchte die geschwärzten Steine, mit denen die Feuergruben eingefasst worden war. „Ich glaube, sie haben diese Lagerstätte zweimal genutzt. Einmal auf dem Marsch zur Mine und ein zweites Mal auf dem Heimweg.“
„Ein gutes Zeichen“, murmelte Maratuk. „Sie orientieren sich am Fluss, ebenso wie wir das tun. Es steht wohl kaum zu befürchten, dass wir sie verpassen. Wenn wir stetig dem Fluss nach Norden folgen, werden wir sie irgendwann einholen. Spätestens, wenn sie ihr Heim erreicht haben.“
„Nordosten“, korrigierte Llaranya. „Der Fluss fließt in nordöstliche Richtung.“
„Hrrrmph.“ Maratuk wiegte sich auf den Absätzen. „Gelegentlich verläuft er auch direkt nach Norden, elfische Frau.“
„Jedenfalls werden wir seinem Verlauf folgen“, warf Arkarim ein. „Ich hoffe, er weist uns einen gangbaren Weg ins Kaltland hinein. Wie weit wird es wohl noch sein?“
Nedeam seufzte leise. „Ich weiß es nicht, mein Freund. Wir werden auf unsere Vorräte achten, und wenn es an der Zeit ist umzukehren, dann werden wir das tun.“
Maratuk sah ihn empört an. „Umkehren, ohne meine Freunde zu rächen?“
„Wenn unsere Vorräte zur Neige gehen, guter Herr Axtschläger, dann bleibt uns keine andere Wahl.“
Der alte Zwerg rang mit sich. „Dann werde ich meinen Gürtel ein Loch enger schnallen, ihr Herren. Lieber ein Rumoren im Bauch, als dass die Mörder entkommen.“
„Nun, wir Pferdelords mögen den Riemen durchaus enger schnallen können“, warf Arkarim ein, „doch wir müssen auch an die Pferde denken. Sie können nicht von unseren Vorräten leben und brauchen ihre eigene Nahrung. Wir haben Futter dabei, aber es wird nicht ewig reichen.“
„Schön, Pferdereiter Arkarim, an euren Pferden sind genug Riemen und Schnallen. Da wird sich wohl auch etwas enger machen lassen, nicht wahr?“
„Arkarim ist der Scharführer des Beritts“, sagte Nedeam und legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Er trägt die Verantwortung für Pferd und Reiter, und er wird entscheiden, wenn die Zeit gekommen ist.“
Maratuk zog an seinen Bartzöpfen. „Aber Ihr seid der Erste Schwertmann der Pferdereiter, Hoher Herr Nedeam, nicht wahr? So habt Ihr auch das Sagen über alle Beritte oder nicht?“
„Hört auf damit“, schaltete sich Llaranya ein. „Noch sind wir den Mördern auf der Spur.“
„Nun ja, das sind wir“, räumte der Zwerg ein. „Aber wenn wir ständig lagern, dann werden wir die Bestien niemals einholen.“
Nedeam strich sich nachdenklich über das Kinn. Der alte Zwerg grämte sich über den Verlust seiner Freunde, da war es verständlich, dass er die Übeltäter nicht entkommen lassen wollte. Aber hier ging es um weit mehr als darum, den Rachdurst eines Zwerges zu befriedigen. Wer waren die Fremden, warum waren sie in die Öde marschiert und hatten die Zwerge erschlagen? Fragen, auf die Nedeam eine Antwort brauchte.
Eine Feuerstelle konnte verschiedene Zwecke erfüllen. Das Anlegen eines Wärmefeuers bestand im Ausheben einer trichterförmigen Grube, an deren Grund Feuer und Glut entfacht wurden. An die Seiten des Trichters wurden die langen Brennhölzer gelegt, welche an der Spitze gekerbt wurden. Wenn diese Hölzer unten abbrannten, rutschten sie allmählich tiefer. Auf diese Weise ersparte man sich das stete Nachlegen und Nachschieben des Holzes. Erst wenn die dicken Hölzer aufgezehrt waren, wurden neue an die Trichterwände gelegt. Das Erdreich um die Feuerstelle wurde auf diese Weise erwärmt, und der Funkenflug frisch geschlagenen Holzes wurde von den Schläfern fern gehalten. Noch gab es reichlich Holz und mehrere der Feuerstellen glosten in der Nacht, während aufmerksame Schwertmänner über den Schlaf ihrer Gefährten wachten.
Bei Sonnenaufgang war der Beritt wieder auf dem Marsch.
Anstelle der Hügel und kleinen Wälder erhoben sich nun Berge und schroffe Felsen, die von Schnee und Eis bedeckt waren. Der Schnee war hart gefroren, und die Männer waren froh, dass die Überzieher aus gefüttertem Leder die Läufe der Pferde schützten. Bei der Flucht aus der Festungsruine von Merdoret vor einem Jahr im Winter waren viele Tiere verletzt worden und hatten ihre Reiter nicht mehr in Sicherheit bringen können.
Llaranyas Idee mit den Kristallplättchen bewährte sich. Wenn die Sonne schien, wurde ihr Licht vom Weiß des Landes grell reflektiert und blendete die Männer. Die geschliffenen Kristallscheiben bewahrten sie vor Blendung, und die Augen der Pferde wurden durch Tuchstreifen geschützt. Vielen Pferden behagte das nicht besonders, denn sie mussten somit im wahrsten Sinn des Wortes blindlings auf ihre Reiter vertrauen.
Tag um Tag zog sie dahin.
Immer entlang des Eten, der bis auf die Flussmitte gefroren war. Gelegentlich sah man einen Fisch, der dicht unter der Oberfläche entlang schwamm, aber niemand wäre so verrückt gewesen, sich dem dünnen Eis am Ufer anzuvertrauen, um ihn zu fangen.
Die Landschaft wurde seltsam unwirklich. Der Boden war ungewohnt gleichförmig und eben, und die Berge und Felsen schienen sich aus einem Meer aus Eis zu erheben.
„Vielleicht war dies wirklich einmal ein Meer oder ein riesiger See“, vermutete Llaranya. „Unter der Macht der Kälte könnte er erstarrt sein.“
Einer der Schwertmänner schauderte. „Ihr meint, wir reiten auf Wasser?“
Die Elfin sah ihn an. „Auf gefrorenem Wasser.“ Sie zuckte die Schultern. „Allerdings kann es sein, dass es nicht zur Gänze gefroren ist.“
Der Reiter starrte unwillkürlich zu Boden. „Bei den Abgründen der Finsternis. Ihr meint also, das Eis könnte brechen und wir stürzen dann in den Abgrund des Wassers hinein?“
„Der Boden wird halten“, versicherte Arkarim rasch, der das Unbehagen des Mannes registriert hatte. „Wenn es unter uns Wasser gab, dann hat das Eis es sich erobert.“
Der Pferdelord leckte sich über die Lippen. „Dennoch, guter Herr Scharführer, wir sollten die Hufe unserer Pferde sehr achtsam setzen.“
Die Aussicht, sich über Wasser zu bewegen, welches nur an der Oberfläche gefroren war, spornte die Männer sichtlich an. Nedeam konnte das gut verstehen. Das Pferdevolk war dem Land und seinen Pferden verbunden, und er konnte sich noch daran erinnern, welches unbehagliche Gefühl ihn und andere beschlichen hatte, als sie einst gegen die Korsaren der Schwärme der See kämpften. Die Bewegungen der Schiffe mochten ja an einen Pferdrücken erinnert haben, doch allein der Gedanke an das bodenlose Wasser unter ihm, hatte dem jungen Ersten Schwertmann zugesetzt.
Die Männer atmeten erleichtert auf, als der Untergrund wieder ungleichmäßiger wurde, und die Berge den Beritt zu umschließen schienen. Das Auf und Ab des Bodens gab den Reitern das gute Gefühl, wieder festes Erdreich und Stein unter sich zu haben.
Von dem bescheidenen Bächlein in der Hochmark hatte sich der Eten zu einem breiten Fluss entwickelt. In sanften Bögen und Geraden zog er dahin, und seine Ufer bildeten einen überraschend bequemen Weg, der immer tiefer in das Kaltland hinein führte. Es gab keine Anzeichen einer Besiedlung, ja, nicht einmal Anzeichen von Tieren. Selbst die zähen Pelzbeißer schienen die Kälte des Landes zu meiden und hätten hier wohl auch kaum genug Nahrung gefunden. Ein einziges Mal stießen die Männer auf einen Wildläufer, der sich mit seinem weißen Fell kaum vom Untergrund abhob. Das kleine Tier kauerte sich zusammen, als der Beritt nahte und seine langen Ohren zuckten nervös.
Einer der Pferdelords zog den Bogen hervor, doch ein anderer legte ihm die Hand auf den Arm. „Lass ihn. Er hat es schwer genug, in dieser eisigen Öde zu überleben. Er ist ein zäher kleiner Kerl und hat es sicher verdient, am Leben zu bleiben.“
Der Bogenschütze zögerte und steckte dann die Waffe zurück. Das Tier schnupperte aufgeregt, dann wandte es sich ab und hoppelte hastig in den Schutz einer Felsengruppe.
„Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie wir“, sinnierte Nedeam. „Sie brauchen Wasser, Nahrung und Wärme.“
„Was meinst du?“, fragte Llaranya irritiert.
Nedeam wies nach Nordosten. „Die Mörder. Wie können sie in einer solchen Landschaft überleben? Wovon ernähren sie sich?“
„Ich denke, das werden wir bald erfahren.“
Er nickte und warf einen Blick auf die Männer des Beritts. „Hoffentlich bald. Unsere Vorräte schrumpfen, und der Zeitpunkt nähert sich, an dem wir umkehren müssen.“
Llaranya blickte in die Richtung, in welche sich die Hundertschaft bewegte. Vor ihnen, zwischen den Bergen, schien feiner Dunst aufzusteigen. Doch vielleicht täuschte sie sich, obwohl ihre elfischen Augen weit schärfer waren als die der Menschen oder Zwerge.