Читать книгу Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes - Michael Schenk - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеHerdur-Mann und die anderen Auserwählten hatten ihre Pflicht erfüllt, und der alte Kämpfer war stolz darauf, dass er jeden Einzelnen von ihnen über die Brücke zurück ins Reich der Männer führte. Die Hüterinnen hatten die üblichen Schmähungen von sich gegeben, während sie die Bullen begleiteten, doch sie waren vergleichsweise milde, denn die Frauen waren gut gelaunt, da die Samenspender nun ihr Land verließen. In acht Monden würde man sich erneut begegnen. Dann würde man erfahren, welche Früchte die Übereinkunft getragen hatte.
Drei neue Wachen waren an der Brücke aufgezogen, und wie üblich trat ihre Disziplin hinter der verständlichen Neugierde zurück. „Wie war es?“, fragte der Wachführer. „Gab es … Schwierigkeiten?“
„Wären wir sonst alle zurück?“, knurrte Herdur-Mann bissig. „Wir haben getan, was ein Mann tun muss. Wenigstens, wenn er zu den Auserwählten gehört. Und nun gib den Weg frei, ich sehne mich nach einem reinigenden Bad, um den Gestank der Weiber abzuwaschen.“
Im Gegensatz zu dem narbigen Anführer wirkten die Übrigen erleichtert und plauderten miteinander. Sie versicherten sich gegenseitig ihrer besonderen Fähigkeiten als Bullen, wie es wohl alle Männer taten, deren Pflicht es war, eine Frau zu bedecken.
Der junge Gelbat-Mann hielt sich in der Nähe von Sebor-Mann, und er war vielleicht der Einzige, dem das sanfte Lächeln des Älteren auffiel. Gelbat-Mann war zum ersten Mal mit einer Frau zusammen gewesen. Alles war so verlaufen, wie man ihm versichert hatte, und zugleich auf eine merkwürdige Weise vollkommen anders. Der junge Mann konnte plötzlich keinen Widerwillen mehr gegen die Frauen empfinden, nein, er verspürte ein unerwartetes Bedauern, ihnen den Rücken zu kehren. Er wusste, dass dies nur den Hohn der anderen Männer nach sich ziehen würde und war verunsichert. Vielleicht war er ja einfach kein normaler Mann … Die Verwirrung seiner Gefühle ließ ihn Sebor-Manns Nähe suchen, denn er spürte, dass dieser ähnlich zu empfinden schien.
Die Gruppe marschierte die alte Straße entlang, und Sebor-Mann und Gelbat-Mann fielen ein wenig hinter die anderen zurück. Das gab dem Jüngeren die Gelegenheit, den Älteren unbemerkt anzusprechen. Er war unsicher, ob er über seine geheimen Gefühle sprechen sollte, doch Sebor-Mann bemerkte, dass sich der Jüngere in einem Konflikt befand.
„Es war anders, als du erwartet hast, nicht wahr?“, eröffnete Sebor-Mann das Gespräch.
Gelbat-Mann errötete ein wenig und nickte zögernd. „Es war … seltsam. Diese Frau, die ich beschlief … sie war sanft und schön.“
„Anders, als du es erwartet hast?“
„Oh, man warnte mich davor, nicht der Schönheit der Frauen zu verfallen“, sagte Gelbat-Mann hastig. Dann zuckte er die Schultern. „Als ich den Hüterinnen begegnete, da ahnte ich nicht, dass eine Frau auch ganz anders sein kann. Weich und anschmiegsam und sanft.“ Der Jüngere erblasste ein wenig, und sein Blick wurde ängstlich. „Nicht, dass du denkst, ich würde einer Frau verfallen. Ich gehöre der Gemeinschaft der Männer an und …“
„Red keinen Unsinn“, unterbrach Sebor-Mann leise. „Ich weiß selbst, wie es ist, in sanfte Augen zu blicken, aus denen die Liebe spricht.“
Der Jüngere riss Augen und Mund auf. „Du … du hörst dich an, als würdest du eine Frau schätzen.“ Besorgnis sprach aus seinen nächsten Worten. „Du weißt, das ist gefährlich. Es ist Verrat an der Gemeinschaft und an der Übereinkunft. Wenn die anderen davon erfahren, werden sie uns einem Dorm vorwerfen.“
Sebor-Mann legte dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. „Du bist, ebenso wie ich, dem Zauber tiefer Gefühle begegnet. Ja, es ist gefährlich, sich diesem Zauber hinzugeben. Und doch ist es ein wundervolles Empfinden, in die Seele einer Frau einzutauchen und sich ihr anzuvertrauen, nicht wahr?“
Gelbat-Mann nickte unwillkürlich und sah ängstlich nach vorne, wo die anderen Männer marschierten. Doch keiner von ihnen war in Hörweite, zumal sie beide ihre Stimmen gesenkt hielten. „Aber es ist nicht richtig. Ein Mann darf nicht für eine Frau empfinden.“
„Und eine Frau nicht für einen Mann.“ Sebor-Mann spuckte angewidert aus. „Ein Unsinn, der von hasserfüllten Menschen aufgebracht wurde. Wahre Liebe gibt es nur unter Männern, will uns die Übereinkunft weismachen, und für die Frauen gilt es umgekehrt. Nun, natürlich gibt es Liebe von Mann zu Mann und Frau zu Frau, doch hast du dich nicht schon einmal gefragt, warum es zweierlei Geschlechter gibt und warum diese sich vereinigen müssen, um das Volk zu erhalten?“
„Nun, das Gleichgewicht verlangt es so“, erwiderte Gelbat-Mann unsicher.
„So steht es in der Übereinkunft.“ Erneut spuckte der Ältere aus. „Erinnere dich der alten Legenden, in denen Männer und Frauen Seite an Seite lebten.“
„Es führte zum Untergang des Königreiches von Julinaash.“
„Nein. Der Zorn einiger Männer und einiger Frauen führte zum Hass. Die Übereinkunft besiegelte ihn schließlich.“
„Wenn die anderen dich so reden hören, werden sie uns töten“, murmelte Gelbat-Mann.
Sebor-Mann lächelte sanft. „Ich freue mich, dass du von ‚uns’ gesprochen hast. Ich weiß, in deinem Herzen empfindest du wie ich. Glaube mir, die Liebe zwischen Mann und Frau kann kein Unrecht sein. Doch die Übereinkunft verlangt, dass wir unsere Gefühle verborgen halten. Wenn du jene, die du liebst, wiedersehen willst, dann sorge dafür, dass du bei der nächsten Zusammenkunft wieder als Bulle erwählt wirst.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Das dürfte nicht schwer sein, denn die meisten Männer sind froh, wenn sie diese Pflicht nicht erfüllen müssen.“
„Das werde ich tun“, versicherte Gelbat-Mann.
„Und halte deine Gefühle bedeckt. Prahle mit deinen Fähigkeiten als Bulle und damit, mit welchem Widerwillen sich die Frau besteigen ließ. Das macht es dir leichter, wieder angenommen zu werden.“
„Aber ich liebe sie“, seufzte Gelbat-Mann. „Und sie empfand keinen Widerwillen.“
Sebor-Mann nickte verständnisvoll. „Ich weiß. Doch das muss unser Geheimnis bleiben.“
Bald darauf trennten sich ihre Wege.
Während Sebor-Mann und die meisten anderen Männer weiter in Richtung der Stadt Ataraan nach Norden gingen, folgte eine Handvoll, darunter auch der junge Gelbat-Mann, dem Anführer auf eine Straße, die zu einem kleinen Dorf im Nordwesten führte.
Sespiru war eine bescheidene Siedlung, deren Bedeutung einst darin bestanden hatte, den wenigen Händlern, die zwischen den Reichen von Julinaash und Rushaan verkehrt hatten, als Haltepunkt zu dienen. Hier hatte man sich auf die Reise durch das Kaltland vorbereitet oder nach ihr ausgeruht. Der größte Teil der Handelswaren war weiter zu den großen Städten transportiert worden, doch die Bewohner von Sespiru hatten einen kleinen Teil davon für sich beansprucht. Das hatte dem Ort einen bescheidenen Wohlstand gebracht, von dem nur wenig geblieben war.
Hier waren die Temperaturen gemäßigt, und die großen Räuber, die den heißen Dschungel so gefährlich machten, tauchten nur selten auf. Dennoch war Sespiru befestigt, und zwar auf eine Weise, die für Julinaash eher ungewöhnlich war. An diesen Befestigungen wurde noch immer gearbeitet, und als die Handvoll Männer unter Herdur-Mann ihr Heimatdorf erreichte, war man gerade dabei, scharfe Metallspitzen auf die Palisaden zu montieren.
Borsik-Mann, der Herdur-Mann als Anführer vertreten hatte, begrüßte den Narbigen freudig. „Es tut gut, dich wiederzusehen, alter Freund. Ein Besuch bei den Weibern ist immer ein Wagnis.“
Herdur-Mann lächelte kalt. „Man tut seine Pflicht. Doch wir beide wissen, dass die Frauen nicht die größte Gefahr sind, die uns bedroht, nicht wahr? Ich sehe, ihr seid mit den Metallspitzen fast fertig.“
Das Gesicht des anderen wurde ernst. „Die Palisaden sind nun um das ganze Dorf gezogen und hoffentlich hoch genug, damit niemand sie bezwingen kann. Für jeden Pfahl haben wir eine scharfe Spitze geschmiedet. Wer versucht, sich daran emporzuziehen, schlitzt sich die Hände oder Pfoten auf.“
„Jene anderen, von denen die Legende berichtet, sind durch Eisen und Stahl nicht zu verletzen“, knurrte Herdur-Mann. „Die Spitzen werden nichts nützen, es sei denn, du warst auch in anderer Hinsicht erfolgreich.“
Borsik-Mann lachte auf. „Das will ich meinen. Komm mit, ich zeige dir, was wir heimgebracht haben.“
Das Dorf war ursprünglich entlang der Straße erbaut worden. Zwei Reihen von Häusern, zwischen denen der Dorfplatz lag. Alles beherrschend war die ehemalige Herberge, in deren Häusergeviert einst die Handelskarawanen rasteten. Sie war inzwischen befestigt worden und glich einer bescheidenen Festung innerhalb einer noch bescheideneren Wehranlage. Als Sespiru im Verlauf der Jahre gewachsen war, waren weitere Häuser hinzugekommen, doch nach dem großen Krieg gegen die Finsternis war der Handel zum Erliegen gekommen und die Zahl der Menschen geschrumpft.
Borsik-Mann und Herdur-Mann betraten das große Hauptgebäude der ehemaligen Handelsstation und kletterten in den Aussichtsturm hinauf. Von dort hatte man einen guten Ausblick über die Siedlung und einen Teil des umliegenden Geländes.
„Während du fort warst, haben wir viel geschafft“, sagte Borsik-Mann nicht ohne Stolz. „Alle Leute leben nun in der inneren Anlage. Die abseits gelegenen Häuser haben wir abgerissen. Damit haben wir freien Blick auf das Vorfeld. Stein und Holz konnten wir für die Befestigungen verwenden. Die Palisade umschließt nun ganz Sespiru, und das Tor an der Straße wurde verstärkt. Im Vorfeld stehen Feuerbecken. Mit Anbruch der Nacht werden sie entzündet, und sie brennen während der ganzen Dunkelphase. Kein Nachtläufer wird sich uns unbemerkt nähern.“ Er warf seinem Anführer einen zögernden Blick zu. „Wenn es sie denn überhaupt gibt.“
Herdur-Mann verstand die Skepsis seines Stellvertreters. „Es gibt sie, mein Freund, es gibt sie. Ich bin einem dieser Wesen vor Jahreswenden begegnet und habe, wie durch ein Wunder, überlebt. Aber die Narben, die ich erlitt, sind mir eine stete Mahnung. Mein Schwert fügte der Kreatur keinen Schaden zu. Ich habe lange in den Archiven von Ataraan gesucht, bis ich eine Erklärung fand.“
„Die Nachtläufer des Todes“, sinnierte Borsik-Mann. „Wenn du nicht einer der Bestien begegnet wärst, würde ich nicht an ihre Existenz glauben. Doch an deinem Wort will ich nicht zweifeln.“
„Sei froh, dass diese Kreaturen der Finsternis noch nicht über uns hergefallen sind.“ Herdur-Mann starrte finster über das Land. „Einst waren sie eine große Gefahr, doch die Truppen des Königs fanden ein Mittel, mit dem man sie töten konnte. Man überzog den Stahl der Waffen mit einer dünnen Schicht Gold. So bezwang man die Nachtläufer und glaubte, sie ausgelöscht zu haben.“
„Bis du einem von ihnen begegnet bist.“
„Bis ich einem von ihnen begegnet bin.“ Herdur-Mann strich unbewusst über eine der langen Narben. „Und wo eine der Nachtbestien lebt, da wird es auch andere geben. Doch jetzt gibt es keine Truppen des Königs mehr und auch kein Gold, um die Waffen damit zu überziehen.“
Borsik-Mann grinste vergnügt. „Ha, das haben wir. Wie ich schon sagte, wir waren erfolgreich. Ich drang mit einer Gruppe unerkannt über die Grenze.“ Er lachte erneut. „Niemand bewacht noch eine Grenze, die in ein totes Land führt. Wir marschierten durch das Kaltland nach Rushaan, und wir fanden, was wir brauchten.“
Herdur-Mann seufzte erleichtert. „Dann habt ihr Gold gefunden.“
„Es machte nicht viel Mühe“, fuhr Borsik-Mann fort. „In der Öde trafen wir auf eine Gruppe sehr kleiner Menschen, die eifrig danach grub. Wir beobachteten sie eine Weile und warteten, bis sie so viel aus der Erde gekratzt hatten, wie wir noch tragen konnten. Dann nahmen wir uns das Gold und brachten es heim.“
„Und jene, die nach ihm gruben?“
„Wir haben nicht lange gefragt“, knurrte Borsik-Mann. „Wir brauchten das Gold ja.“
„Das ist wahr.“ Herdur-Mann strich sich über das Gesicht. „Leben in der Öde? Seltsam, es ist doch ein totes Land. Jene kleinen Menschen, wer waren sie wohl?“
„Sie stammten nicht aus der Öde“, erklärte Borsik-Mann. „Es gibt dort keine Anzeichen für eine Siedlung. Gut, wir waren natürlich nicht überall“, schränkte er ein, „doch wir haben die Toten genau betrachtet. Sie müssen von jenseits des südlichen Gebirges stammen.“
„Dann haben die alten Reiche überlebt“, murmelte Herdur-Mann. „All das Schlachten des Ersten Bundes, und es gibt Überlebende. Erstaunlich.“ Sein Gesicht wurde ernst. „Wir sollten ein Auge auf die Südgrenze halten, mein Freund. Jene, die ihr erschlagen habt, gehören zu einem Volk. Es könnte sein, dass jemand sie zu rächen versucht.“
„Wir hinterließen keine Spuren“, versicherte der Stellvertreter. „Und niemand würde mehrere Zehntage in das Kaltland hinaufmarschieren, um ein paar Tote zu rächen.“
„Ich bin mir dessen nicht so sicher“, seufzte Herdur-Mann. „Doch wir haben dringendere Sorgen. Zeig mir das Gold. Reicht es für unsere Zwecke?“
„Wenn wir es sehr dünn auftragen, dann reicht es für eine Menge Schwerter“, versicherte Borsik-Mann. „Unser Sespiru und seine Männer werden sicher sein.“ Er räusperte sich. „Was, äh, ist mit den anderen?“
„Den anderen?“
„Den anderen Männern. Und was ist mit den Frauen?“
„Das Gold reicht nicht, um sie alle vor den Nachtläufern zu schützen.“
Borsik-Mann biss sich auf die Unterlippe. „Du willst sie opfern?“
„Ich will uns bewahren“, korrigierte Herdur-Mann.
„Du willst sie nicht einmal warnen?“
„Wozu?“ Der alte Anführer schüttelte den Kopf. „Damit sie in Angst leben, bis der nächtliche Tod sie ereilt? Wahrscheinlich würden sie meiner Warnung ohnehin nicht glauben.“
„Aber die Frauen …“ Borsik-Mann griff sich demonstrativ in den Schritt. „Ohne sie wird unser Volk untergehen.“
Herdur-Mann lachte auf. „Wenn die Nachtläufer erst über sie herfallen, dann werden die Weiber unseren Schutz suchen. Jene, die uns gefallen, mögen uns dann dienen. So wie es in den alten Zeiten war.“ Er blickte nach Nordosten. „Zur Finsternis mit den anderen Frauen. Sollen die Nachtläufer sie ruhig fressen.“