Читать книгу Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes - Michael Schenk - Страница 7

Kapitel 5

Оглавление

Die Gruppe hatte die Stadt Ataraan vor vielen Tagen verlassen. Die dortige Nähe der heißen Quellen hatte die Luft stickig und schwül gemacht, doch die Männer waren das gewohnt. Sie marschierten auf den alten Pfaden, immer auf der Hut, denn der Dschungel Julinaashs war voller Leben, und einiges davon konnte sich rasch als tödlich erweisen.

Sie näherten sich nun dem Fluss, und der mächtige Strom schickte ihnen einen Hauch kühler Luft entgegen. Einige zogen fröstelnd die Schultern zusammen. Die dicht stehenden Bäume und Schlingpflanzen begannen langsam zurückzuweichen. Die Männer ließen in ihrer Vorsicht nicht nach und spähten aufmerksam um sich. Vor allem in der Nähe des Flusses, der für viele Tiere die übliche Wasserstelle war, musste man mit Raubtieren rechnen. Normalerweise mieden diese Räuber die Nähe der Menschen, denn sie hatten gelernt, dass sie meist den Kürzeren zogen. Aber wenn ein Doppelkopf oder gar ein Schakral ausgehungert genug war, ging er auch ein hohes Risiko ein. Daher lauschten die Männer auf die Geräusche des Urwaldes. Die Schritte eines Doppelkopfes waren nicht zu hören, dazu war er zu geschickt, aber die Vögel reagierten auf seine Anwesenheit, und ihre Warnschreie würden den Menschen Zeit genug verschaffen, sich auf die Bestie vorzubereiten.

Gelbat-Mann war zum ersten Mal auf dem Weg ins Land der Frauen, und seine Nervosität rührte sicher nicht nur von den Gefahren des Urwaldes her. Er umklammerte das kurze Schwert mit schweißnasser Hand, und seine Zunge leckte immer wieder über die vollen Lippen.

Am Ufer des Flusses waren Gruppen der verschiedensten Tiere zu sehen, die vorsichtig tranken und ihre Aufmerksamkeit gleichermaßen auf den Dschungel und das Wasser richteten. Es gab Fische, die den Tieren als Nahrung dienten, und solche, die sich an den Tieren labten.

„Bleibt dem Ufer fern“, sagte Herdur-Mann. Er war der Anführer der Gruppe, und die zahlreichen Narben an seinem Körper verrieten, dass er zu den erfahrensten Kriegern des Männervolkes gehörte. Er packte Gelbat-Mann am Arm und zog ihn weiter vom Ufer fort. „Bleib weg, sage ich. Die Tentakel eines Dorm können dich noch packen, wenn du drei Längen vom Wasser entfernt bist. Wir werden uns dem Fluss des Eten erst nähern, wenn wir an der Brücke sind.“

Der Eten. Sie wussten, dass man den Fluss so nannte, doch wer ihm den Namen gegeben hatte und woher der mächtige Strom kam, bevor er ins Meer mündete, das konnte keiner der Männer sagen. Die Legenden nannten ihn den Eten, und die Legenden waren die Grundlagen des Lebens.

Die Legenden und die Übereinkunft.

Gelbat-Mann warf einen unruhigen Blick auf den Fluss und sah Herdur-Mann dann fragend an. „Wie ist es eigentlich so, Herdur-Mann? Mit den Frauen, meine ich?“

Einige der Männer grinsten verständnisvoll. Herdur-Mann hingegen spuckte aus. „Wie es ist? Wie soll es schon sein? Du legst dich zwischen ihre Schenkel und gibst ihnen deinen Samen. Nach acht Monden gehen wir wieder in die Stadt der Frauen, und dann erfahren wir, wie viele Knaben sie empfangen haben.“

Gelbat-Mann biss sich auf die Lippen. „Meinst du, sie geben uns immer alle Knaben?“

„So lautet die Übereinkunft“, brummte der alte Krieger. „Sie behalten die Mädchen, und wir bekommen die Jungen.“

„Alle?“

„Was soll diese dumme Frage?“ Der Anführer wirkte nun ein wenig verärgert. Es mochte sein, dass ihn die Nähe zum Land der Frauen ein wenig gereizt und nervös machte, doch das galt sicher für alle Männer.

Gelbat-Mann machte eine entschuldigende Gerste. „Nun, ich meine, einmal in jeder Jahreswende geben wir den Frauen unseren Samen. Die Frauen könnten doch ein paar Knaben dabehalten und warten, bis diese groß genug sind, damit sie deren Samen nutzen können.“

Herdur-Mann schüttelte den Kopf. „Glaube mir, Jungmann, die Frauen ekeln sich ebenso vor uns Männern, wie wir eine berechtigte Abscheu ihnen gegenüber empfinden. Nein, jene Knaben, die wir nicht mit in unsere Stadt nehmen, die finden den Tod.“

Sebor-Mann, der schon einige Male in der Stadt der Frauen gewesen war, trat heran und legte Gelbat-Mann die Hand auf die Schulter. „Die Übereinkunft gibt uns Pflichten, ebenso wie den Frauen. Ohne unseren Samen gibt es keine Knaben und keine Mädchen mehr. Daher dulden die Frauen uns zweimal in jeder Jahreswende in ihrem Land. Einmal, damit sie unseren Samen empfangen können, und ein zweites Mal, damit wir die Knaben abholen. Diese Übereinkunft besteht seit vielen, sehr vielen Jahreswenden, und sie hat sich bewährt.“

„Ich weiß, ich wurde als Bulle erwählt“, seufzte Gelbat-Mann, „doch ich weiß nicht einmal, was ich tun muss, damit … damit …“

Sebor-Mann lächelte sanft. „Das fügt sich. So hat es die Natur eingerichtet.“

Herdur-Mann räusperte sich. „Du musst an deine Aufgabe unserem Volk gegenüber denken. Die Männer zählen auf Bullen wie dich. Es mag dich Überwindung kosten, zwischen die Schenkel eines verdammten Weibes zu rutschen, doch du musst dein Bestes geben.“

„Es ist ekelhaft“, murmelte einer der anderen Männer. „Und doch auf eine merkwürdige Weise auch angenehm.“

„Wäre es nicht so, könntest du den Weibern deinen Samen nicht spritzen.“ Der Anführer legte die Hand um den Griff seines Kurzschwertes. „Und jetzt genug geschwätzt. Dort vorne ist die Brücke.“

„Ihr Anblick jagt mir immer wieder einen Schauer über den Rücken“, raunte einer von ihnen. „Dahinter beginnt das Frauenland.“

„Es ist nicht anders als das unsere“, knurrte Herdur-Mann. „Nur dass die Weiber es bewohnen und dort keine Männer leben.“

Es war eine Bogenbrücke, die den Fluss überspannte. Ihre Konstruktion wirkte massiv, und die vier gemauerten Stützen im Fluss schienen ihr Gewicht kaum tragen zu können. Dennoch war sie keineswegs grob gefertigt. Sie stammte noch aus den Tagen des Königreiches von Julinaash und zeigte in verwitterten Reliefs die Gesichter lange vergangener Krieger. Von der Mitte des Flusses an, dort wo das Reich der Frauen begann, waren die männlichen Gesichtszüge mit groben Hammerschlägen unkenntlich gemacht worden. Ein Anblick, der in Herdur-Mann immer wieder Zorn hervorrief.

„Halt!“ Aus einem kleinen Gebäude am diesseitigen Aufgang der Brücke traten drei Männer hervor. Ihre Hände lagen griffbereit an den Schwertern.

Herdur-Mann verdrehte die Augen und seufzte theatralisch. „Wir sind keine Weiber, das seht ihr doch, oder tragen wir Drüsen vor uns her? Lasst also eure Klingen stecken und gebt uns den Weg frei.“

„Ah, die Bullen.“ Der Wachführer sah die Gruppe mitfühlend an. „Dann ist es also wieder so weit. So sehr ich euch auch bedauere, so bin ich doch froh euch zu sehen.“

„Hattest du Angst, wir kämen nicht, und du müsstest den Weibern selbst als Bulle dienen?“

Der Wachführer grinste niederträchtig. „Da kann ein tapferer Krieger schon Angst bekommen oder nicht? Nein, euer Erscheinen zeigt mir, das unsere Wachablösung in drei Tageswenden eintreffen wird. Ich habe genug von der Kälte, die dieser Fluss ausstrahlt, und von der Feindseligkeit, mit der die Hüterinnen zu unserem Ufer sehen.“

Herdur-Mann nickte. „Du musst nur ihre Blicke aushalten, doch wir müssen ihre Berührungen ertragen. Sie werden uns wieder nach versteckten Waffen durchsuchen.“ Er sah die fünfzig Männer seiner Gruppe an. „Schnallt eure Schwerter ab und vergewissert euch, dass keine Waffe in eurem Besitz verbleibt. Auch kein noch so kleines Messer. Die verfluchten Hüterinnen würden jeden Vorwand nutzen, um einen von uns abzustechen.“

Die drei Wachen nahmen die Waffen entgegen und trugen sie in das Gebäude, um sie dort sorgfältig zu verwahren.

Herdur-Mann packte Gelbat-Mann am Arm und zog ihn zum Eingang. Er deutete in den Raum hinein. Dort war das Mobiliar der Wachmannschaft zu erkennen und ein großes Regal, in welches die Schwerter gelegt wurden. „Siehst du dort die Schwerter, Jungbulle? Sie stammen von Männern, die in die Stadt der Frauen gingen, um ihre Pflicht zu erfüllen. Aber sie kehrten nie zurück. Sie machten einen Fehler. Niemand von uns hat je erfahren, was sich zugetragen hat, die Bullen verschwanden spurlos. Vielleicht haben die Frauen einfach nur die günstige Gelegenheit genutzt, ihre Mordlust auszuleben. Gib ihnen also keinen Anlass, Gelbat-Mann, halte dich an die Übereinkunft und kehre mit uns ins Land der Männer zurück.“ Herdur-Mann räusperte sich. „Und tue deine verdammte Pflicht.“

Für die fünfzig auserwählten Männer war es ungewohnt, die Kurzschwerter abzulegen. Der Dschungel jenseits des Flusses war ebenso gefährlich wie der auf dieser Seite. Aber die Übereinkunft ließ ihnen keine Wahl. Kein Mann durfte die Brücke bewaffnet überqueren, und dies galt umgekehrt auch für die Frauen.

„Haltet euch in der Mitte der Brücke und geht nicht zu dicht an das Geländer“, riet eine der Wachen. „Es treibt sich ein Dorm unter der Brücke herum, und gestern hat er versucht, einen von uns mit seinen Tentakeln zu packen.“

„Wir werden es beherzigen.“ Herdur-Mann musterte seine Gruppe. „Jenseits der Brücke beginnt das Land der Frauen. Verbergt euren Ekel und reizt die verfluchten Weiber nicht. Wir begeben uns nicht nur zwischen ihre Schenkel, sondern auch unter die Klingen ihrer Langmesser. Seid vor allem bei den Hüterinnen vorsichtig. Sie sind auf Blut aus und Stolz darauf, nie einen Mann bei sich geduldet zu haben.“

„Sie werden gebührend hässlich sein“, scherzte einer der Männer.

Herdur-Mann schnellte vor und packte den erschrockenen Mann am Hals. „In ihrem Inneren sind die Weiber alle hässlich, Bulle. Lass dich niemals von einem glatten Antlitz täuschen. Sie dulden uns zur Bullenzeit und zur Abholung der Knaben, zu jeder anderen Tageswende schneiden sie uns vergnügt den Hals durch.“ Er grinste. „Was auf Gegenseitigkeit beruht.“

„Es lebe der König“, raunte ein Bulle.

Herdur-Mann sah ihn kalt an. „Die Zeit des Königs ist lange vorbei. Der Ruhm Julinaashs ist vergangen. Jetzt hausen Frauen in dem alten Palast und haben die Statuen der Krieger entweiht. Nehmt es hin und ertragt die Schande, eine Frau bedecken zu müssen. Uns bleibt keine Wahl, ebenso wenig wie den Frauen. Wir brauchen Kinder, wir brauchen unsere San, sonst wird das Land endgültig in Vergessenheit versinken.“

Der narbige Krieger übernahm die Spitze, und die Gruppe der fünfzig betrat die alte Brücke. Hinter ihm folgte Sebor-Mann, der schon mehrmals im Land der Frauen gewesen war, und der unerfahrene Gelbat-Mann schloss sich ihm instinktiv an. Im Gegensatz zu Herdur-Mann schien Sebor-Mann weitaus beherrschter und strahlte eine Ruhe aus, die dem jungen Mann Zuversicht einflößte. Eine Zuversicht, die er dringend benötigte, denn er kannte Frauen nur aus den Schilderungen der anderen Männer und wusste nicht, ob er ihren Anblick ertragen würde.

Gelbat-Mann war neugierig und trat näher an das Brückengeländer. Erschrocken zuckte er zurück, als prompt die gescheckten Tentakel eines Dorm aus dem Wasser zuckten und gierig in seine Richtung peitschten.

Sebor-Mann konnte ihn gerade noch zurückzerren und sah ihn strafend an. „Hör auf die Worte, die man dir sagt. Wenn der Dorm dich gepackt hätte, dann wärst du ebenso sicher tot, als wenn du einen Fehler bei den Frauen machst. Richte dich nach den erfahrenen Männern, und du kannst überleben.“

Gelbat-Mann sah den Älteren in einer Mischung aus Dankbarkeit und Schauder an. „Ich habe noch nie einen Dorm aus der Nähe gesehen. Und auch keine Frau“, fügte er rasch hinzu.

„Nun, das wird sich jetzt ändern“, versicherte Sebor-Mann lächelnd und wies zum anderen Ende der Brücke. „Dort kommen die Hüterinnen. Verhalte dich ruhig und denke an die Übereinkunft.“

Eine Gruppe von Frauen wurde sichtbar. Es waren um die Zwanzig, und sie alle waren in die knielangen eng anliegenden Gewänder gehüllt, die in Julinaash von beiden Geschlechtern getragen wurden. Die bauschigen Ärmel schlossen eng um die Handgelenke, ein kurzer Stehkragen hob sich in intensivem Rot von dem zarten Beige des übrigen Bekleidungsstückes ab. Um die Hüften lag ein geflochtener Gurt, von dem mehrere kleine Taschen und die Scheide eines langen Messers hingen. Über Brust und Rücken lag ein metallisch glitzernder Überwurf aus Ketten, die eng miteinander verbunden waren. Der Panzer reichte bis zum Saum des Gewandes und wurde an den Seiten durch Lederriemen geschlossen.

Auf die Entfernung waren die Frauen nur an Haarfarbe und Haartracht zu unterscheiden.

„Was sind das für Stöcke, die sie da halten?“, raunte Gelbat-Mann.

„Keine Stöcke“, erwiderte Sebor-Mann ebenso leise. „Die Übereinkunft mit den Frauen verbietet Fernwaffen wie Bögen oder Speere. Die verdammten Hüterinnen haben sich mit Blasrohren ausgerüstet und so den Vertrag umgangen.“

„Sie haben die Übereinkunft gebrochen?“

„Nein, sie waren nur schlauer als wir. Hinterlistiger, um genau zu sein.“

„Wir könnten auch solche Dinger anfertigen“, brummte einer der anderen.

„Könnten wir“, zischte Herdur-Mann, „aber wir tun es nicht. Solche Waffen sind eines Mannes nicht würdig. Man sieht dem Feind ins Auge, wenn man mit ihm kämpft. Diese Blasrohre sind heimtückisch und passen zu den Weibern. Damit kann man aus dem Hinterhalt töten. Kein Mann käme auf so eine Arglist.“

„Die Legenden berichten, dass wir früher Bögen und Speere besaßen“, meinte Gelbat-Mann.

„Damals hatten wir auch noch einen König und keinen Kronenträger.“ Sebor-Mann stieß den Jüngeren an. „Und jetzt Ruhe. Denk daran, lass dir keinen Widerwillen anmerken, wenn die Weiber dich nun berühren.“

Ein anderer Mann lachte leise. „Bald muss er weit mehr tun, als sich nur berühren lassen.“

„Es gibt Schlimmeres“, meinte Sebor-Mann.

„Du musst es ja wissen“, kam die Erwiderung. „Du gehst ja nun schon zum dritten Mal in die Stadt der Frauen.“

Sebor-Mann nickte. „Man gewöhnt sich daran. Soll ich einen anderen Mann für mich leiden lassen?“

„Ruhe“, zischte Herdur-Mann. „Ich verlange Disziplin von meinen Bullen.“

Die Gruppe der Hüterinnen stand am Ende der Brücke und versperrte den Männern den Weg. Die Gesichter waren unfreundlich, und die Hände lagen an den gefährlichen Blasrohren.

„Es ist die Zeit der Empfängnis“, sagte Herdur-Mann anstelle einer Begrüßung. „Ich bringe fünfzig Bullen, wie die Übereinkunft es verlangt. Gebt den Weg frei, Hüterinnen, damit wir unsere Pflicht erfüllen.“

„Wir werden den Weg freigeben und euch zur Stadt Julinaar eskortieren, wenn wir uns vergewissert haben, dass ihr keine Bedrohung des Friedens darstellt.“ Eine der Frauen, die einen seltsam geflochtenen Lederknoten auf der rechten Schulter trug, deutete mit dem Blasrohr auf Herdur-Mann. „Stellt euch in einer Reihe auf. Wir werden nachsehen, ob ihr verborgene Waffen tragt.“

„Wir halten uns an die Übereinkunft“, knurrte Herdur-Mann.

„Lasst es euch geraten sein“, erwiderte die Anführerin der Wache genauso unfreundlich. „Wir kennen die Heimtücke von euch Männern.“

Vier der Frauen tasteten die Männer mit raschen und kundigen Bewegungen ab. Die Anführerin nickte und machte eine einladende Bewegung. „Geht voraus, Bullen. Ihr kennt den Weg. Weicht nicht von ihm ab. Wir folgen euch und behalten euch im Auge.“

Ja, einige der Männer waren bereits in der Stadt der Frauen gewesen, zudem war der Weg mit Steinen gepflastert und bequem. Er war eine der einst königlichen Straßen, welche die Dörfer und Städte des Reiches Julinaash miteinander verbunden hatten. Nun waren nur zwei Städte und etliche kleine Siedlungen geblieben. Es gab einfach nicht mehr genug Menschen, um das Land wie einst zu bevölkern, und die Übereinkunft zwischen den Geschlechtern hielt die Bevölkerung auf einem nahezu gleichbleibenden Stand. Selbst die beiden großen Städte waren nur noch teilweise bewohnt. Einst hatte es drei Brücken gegeben, die den Strom des Eten überquerten, doch eine von ihnen waren zerstört worden, um den Wechsel zum jeweils anderen Ufer leichter kontrollieren zu können.

Das Land der Frauen unterschied sich nicht von dem der Männer. Dennoch fühlten diese sich sehr unbehaglich. Waffenlos und dem Schutz der Hüterinnen anvertraut, versuchten sie ihre Unsicherheit hinter einer Maske des Gleichmuts zu verbergen.

Gelbat-Mann gelang das nur unvollkommen. Der Anblick der Frauen hatte ihn aufgewühlt. „Sie sehen so anders aus als wir“, raunte er Sebor-Mann zu.

„Natürlich sehen sie anders aus. Es sind schließlich Frauen.“

„Ich wusste ja schon, dass sie Brüste haben“, flüsterte der junge Mann fasziniert, „aber sie haben so wenige Haare. Also, am Körper meine ich. Ihre Haut ist ganz glatt. Sie schimmert wie ein See im Mondlicht.“

Einer der anderen hatte das gehört. „Lass dich nur nicht von ihnen verzaubern. Denke daran, sie sind Frauen. Voller Heimtücke und sehr gefährlich.“

Sie würden mehrere Tageswenden durch das Land der Frauen marschieren müssen, bevor sie Julinaar erreichten. Sie waren darauf vorbereitet, und jeder trug eine Tasche mit Proviant bei sich. Um Wasser brauchten sie sich nicht zu sorgen. In Julinaash gab es eine Vielzahl von Bächen und heißen Quellen.

In den Nächten drängten sich die Männer dicht beisammen. Die Hüterinnen lagerten ein Stück abseits, doch ihre Wachen ließen die unwillkommenen Besucher nicht aus den Augen.

Niemand wanderte während der Nächte. Der Dschungel war zu gefährlich, und früher waren Menschen in ihm verschwunden, die nie wieder gesehen worden waren. Sobald die Sonne versank, suchte man den Schutz einer Siedlung auf und mied die Dunkelheit, bis sie erneut dem Sonnenlicht wich.

Einmal stieß die Gruppe auf ein Dorf der Frauen. Rasch eilten zwei Hüterinnen voraus und warnten die Bewohnerinnen, die in den Häusern verschwanden, bis die Männer vorbeigezogen waren. Dann, am dritten Tag der Wanderung durch das Frauenland, erreichten sie endlich den Hügel, von dem aus man die Stadt sehen konnte.

Julinaar.

Der Edelstein in der Krone des Reiches von Julinaash. Die Stadt des Königs und das Zentrum unvergänglichen Ruhmes. Von hier war das verborgene Reich regiert worden.

Der Kern der Stadt war in einem perfekten Kreis angelegt worden, doch im Laufe der Jahre war die Stadt gewachsen und hatte diese Grundform verloren. Die späteren Straßenzüge verliefen dort, wo es leicht gewesen war, den Dschungel zu roden. Im Stadtzentrum erhoben sich der alte Königspalast und eine Vielzahl hoher Gebäude, die einst von Bedeutung gewesen waren oder Bürgern von hohem Rang gehört hatten. Julinaar war nicht nur das Zentrum der Macht, sondern auch das des Wissens und der Kultur gewesen. Wissenschaft und Magie, Philosophie und Kunst hatten der Stadt ihre besondere Prägung verliehen. Die muschelförmigen Theater hoben sich von den eiförmigen Bauten der Wissenschaftler und Zauberer ab, die kastenartigen Wohnbauten bildeten hierzu einen auffälligen Kontrast. Dazwischen waren die bunten Fassaden von Händlern zu sehen. Julinaar hatte sich nie eigenständig versorgen können, und die Märkte dienten dem Handel mit Lebensmitteln und dem Austausch von Neuigkeiten.

Die Ausdehnung der Stadt war beeindruckend. Es gab eine Mauer, die sie vollständig umschloss, aber sie war nur wenige Längen hoch und nicht befestigt. Ein schmaler Wehrgang bot gerade genug Raum für die patrouillierenden Wachen. Mehr war auch nicht erforderlich. Kein Feind hatte je seine Schritte nach Julinaash gelenkt. Seine Nordgrenze wurde vom Kaltmeer geschützt, der Rest des Landes war von dem gewaltigen Ring des Eisgebirges umgeben. Der einzige Pass im Süden war leicht zu schützen gewesen, und die Mauer der Stadt hatte nur dazu gedient, die Tiere des Dschungels fernzuhalten.

Doch von all dem war nur wenig geblieben.

Das einstige Königreich von Julinaash war zerfallen, und dieser Zerfall machte sich in der alten Stadt bemerkbar.

Der Dschungel hatte begonnen sie zurückzuerobern.

Von dem Hügel aus, auf dem die Männer und die Hüterinnen standen, war das gut zu erkennen. Im Westen und Norden war die Stadtmauer geborsten, und die üppige Pflanzenwelt hatte sich ihren Weg nach Julinaar gebahnt. Ganze Straßenzüge waren überwuchert, und kaum die Hälfte der Stadt war noch bewohnbar. Die Frauen kämpften fortwährend gegen die Ausbreitung von Farn und Gras und fällten die rasch wuchernden Kaskadenbäume.

Doch immer wieder mussten sie vor der Macht der Natur weichen. Palisaden umgaben den Bereich innerhalb der überwachsenen alten Mauer, den die Menschen noch ihr Eigen nannten, und die Hüterinnen waren ständig auf der Hut, um die anderen Bewohnerinnen vor Raubtieren und giftigen Dschungelbewohnern zu schützen.

„Die Stadt ist verkommen wie alles, was in ihr haust“, raunte Herdur-Mann. „Die Frauen lassen sie verfallen.“

Sebor-Mann hatte die Bemerkung gehört und schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich glaube eher, dass sie nicht die Kraft haben, sich dem Dschungel zu widersetzen.“

„Dann sollen sie es wie wir machen“, knurrte der narbige Krieger. „Den Dschungel verbrennen, wenn er sich zu weit vorwagt. Aber wahrscheinlich könnten die Weiber die Flammen nicht beherrschen.“ Er lachte. „Wahrscheinlich würden sie eher ihre verdammte Stadt niederbrennen.“

Sie verstummten, als eine Hüterin sie mit scharfem Blick musterte und dann stumm mit dem Blasrohr zur Stadt hinunterzeigte.

Unter der strengen Obhut der Frauen marschierte die Gruppe die Straße entlang und näherte sich bald dem Haupttor Julinaars. Die beiden Statuen des letzten Königs und seiner Gemahlin, rechts und links des Tores, waren zerschlagen worden. Für die Frauen der Stadt war die frühere Königin eine Verräterin, die sich bereitwillig dem Mann hingegeben hatte, der für die Unterdrückung und das Elend von Julinaash verantwortlich gewesen war.

Die Hüterinnen der Torwache winkten der Gruppe zu und machten anzügliche Bemerkungen, die von den Männern ignoriert wurden. Sie wussten, dass man sie provozieren wollte, um einen Vorwand zu finden, sie zu töten. Auf dem kleinen Platz jenseits des Tores wartete eine weitere Gruppe Wachen gemeinsam mit jenen fünfzig Frauen, die zur Empfängnis ausgewählt worden waren. Die wenigsten von ihnen zeigten ein freundliches Gesicht. Den meisten war die Übereinkunft eine ebenso lästige wie notwendige Pflicht, um das Überleben Julinaashs zu sichern.

Die Anführerin der Eskorte gab ein Kommando, und die Gruppe verharrte. Das Geraune, welches sich beim Anblick der Männer unter den Frauen erhoben hatte, verstummte nun und machte gespannter Erwartung Platz.

Herdur-Mann stieß Sebor-Mann unmerklich an. „Ich kann diese Elian-Frau erkennen, die du schon oft bestiegen hast. Seltsam, sie sollte eigentlich genug haben.“ Er grinste Sebor-Mann an. „Scheinbar schätzt sie deine Fähigkeit als Bulle.“

„Mag sein“, murmelte Sebor-Mann, ohne eine Miene zu verziehen. „Sie ist immerhin erträglich.“

„Dann hast du Glück, mein Freund. Wenn ich meine Pflicht erfülle, starrt man mich an, als sei ich dabei, die Frau zu erwürgen.“ Herdur-Mann zuckte die Schultern. „Man muss wahrhaftig an etwas Schönes denken, sonst gibt es keinen Samen und keinen Nachwuchs.“

„Jene, die erwählt wurden oder die Last der Empfängnis freiwillig auf sich nehmen, sie mögen nun die Wahl ihres Schmerzes treffen.“ Die Anführerin der Hüterinnen gab den anderen Wachen einen Wink, und die Bewaffneten traten zurück. „Vor jeder Tür, hinter der die Übereinkunft erfüllt wird, steht eine Hüterin bereit, um über euch zu wachen. Bei Sonnenaufgang werden die Männer wieder aus der Stadt geführt. Trefft eure Wahl, Dienerinnen des Volkes, mit dem Segen unserer Kronenträgerin.“

Einige Frauen traten rasch zu den Männern und trafen ihre Wahl. Es war wohl weniger die Erwartung der Empfängnis als vielmehr der Wunsch, es rasch hinter sich zu bringen. Andere zögerten und mussten mit jenen Bullen vorliebnehmen, die noch keine Frau gefunden hatten.

Sebor-Mann wurde, wie Herdur-Mann nicht anders erwartet hatte, von Elian-Frau erwählt.

„Du musst sie hart stoßen“, riet der narbige Krieger, „damit sie dich endlich in Ruhe lässt. Oder findet sie etwa Gefallen an dir?“

„Red nicht so einen Unsinn“, brummte Sebor-Mann. „Ich tue meine Pflicht und du tu die deine. Bei Sonnenaufgang sehen wir uns wieder.“

Elian-Frau war eine schlanke und zierlich wirkende Person mit schwarzem Haar, das sie offen trug und das ihr bis zu den Schenkeln reichte. Sie musterte Sebor-Mann und nickte schließlich. „Gut, Bulle, bringen wir es hinter uns.“

Elian-Frau ging voraus, gefolgt von Sebor-Mann und einer aufmerksamen Hüterin, die darauf achten würde, dass der Frau kein Leid geschah. Wenigstens keines, das nicht durch die Übereinkunft vorbestimmt war.

Der Anblick eines Mannes innerhalb der Stadt war, trotz der alljährlichen Übereinkunft, ein seltenes Ereignis. Frauen und Mädchen traten aus den Häusern, und ihre Blicke folgten der Dreiergruppe, begleitet von Getuschel. Manchmal ertönten Spottrufe gegen den Mann, andere sprachen Elian-Frau Mut zu und wünschten ihr, dass die Kronenträgerin ihr beistehen möge. Sebor-Mann war dies bereits gewohnt und fragte sich unwillkürlich, wie sich der unerfahrene Gelbat-Mann wohl fühlen mochte. Hoffentlich machte der keinen Fehler. Die Hüterinnen waren begierig, die Schärfe ihrer langen Messer an einem Mann zu erproben.

Sie erreichten ein Haus, an dessen Eingang ein gelbes Tuch davor warnte, dass in dieser Nacht ein Mann anwesend sein würde. Die Hüterin nickte Elian-Frau ermunternd zu. „Ich werde die ganze Nacht wachen. Beim geringsten Laut werde ich dir beistehen.“

„Dafür sei bedankt“, erwiderte die Schwarzhaarige. „Ich weiß es zu schätzen.“

Elian-Frau und Sebor-Mann traten durch die Tür, die hinter ihnen in den Riegel fiel.

Für einen Moment standen beide schweigend und unbewegt in dem angrenzenden Raum. Dann, fast verstohlen, berührte Elian-Frau die Hand des Mannes. „Ich habe dich vermisst, Sebor-Mann.“

Er erwiderte den sanften Druck. „Ich habe dich ebenfalls vermisst.“

Die Berührung wurde fester und verlor an Unsicherheit. Ihre Blicke glitten zu der verschlossenen Tür, doch die Hüterin konnte weder sehen noch hören, was in diesem Raum geschah.

„Fast eine Jahreswende ist vergangen“, seufzte Sebor-Mann und schloss sie zärtlich in seine Arme. „Eine schrecklich lange Zeit. Ich habe den sanften Blick deiner Augen vermisst.“

„Und ich die sanfte Berührung deiner Hände.“

Ihre Lippen fanden sich. Zögernd, dann voller Leidenschaft. Erneut glitten ihre besorgten Blicke zur Tür, als sie sich voneinander lösten.

„Wir müssen in deine Kammer gehen“, meinte Sebor-Mann. „Wenn die Hüterin überraschend hereinsieht und uns so entdeckt, dann sind wir des Todes.“

„Du hast Recht, doch ich hatte solche Sehnsucht nach dir.“

Hand in Hand gingen sie zu Elian-Fraus Wohnräumen. „Ich wollte, du könntest unsere Tochter sehen“, sagte sie wehmütig. „Sia-san-Frau ist nun zwei Jahreswenden alt und entwickelt sich prachtvoll. Sie hat deine wundervollen Augen. Aber du weißt ja, die Hüterinnen achten darauf, dass ein Kind niemals mit dem Anblick des Vaters konfrontiert wird. Es soll nicht leiden.“

„Wer denkt an mein Leid?“, knurrte Sebor-Mann. „Ich habe unsere Tochter nie zu Gesicht bekommen.“

„Ich weiß. Ich wollte, es wäre anders.“ Elian-Frau streichelte über seine Wange. „Diese Übereinkunft ist ein schreckliches Verbrechen gegen unsere Liebe.“

„Der Hass sitzt tief.“ Er strich über ihr langes Haar. „Obwohl ich glaube, dass die meisten seine Wurzeln nicht mehr kennen. Die Knaben werden darin erzogen, die Frauen zu verachten, und für die Mädchen gilt es umgekehrt.“ Er lächelte. „Es ist ein Wunder, dass wir beide dies überwinden konnten.“

„Es wäre auch anderen möglich“, fand sie. „Wenn die Augen der Hüterinnen nicht so wachsam wären.“

„Eines Tages werden wir unsere Liebe vielleicht auch anderen gegenüber zeigen können.“

„Vielleicht. Eines Tages.“ Sie zog ihn zum Bett hinüber. „Doch heute bleibt uns nur die Zeit bis zum Sonnenaufgang.“

„Dann werde wir sie nutzen“, versicherte er ihr.

Draußen lehnte die Hüterin gelangweilt an der Hauswand. Hätte sie geahnt, dass sich hinter ihrem Rücken ein liebendes Paar vereinte, so wäre sie mit gezücktem Messer hineingeeilt. Liebe zwischen den Geschlechtern war nicht erwünscht im Reiche von Julinaash. Nicht mehr. Aber vielleicht war Sebor-Manns Hoffnung berechtigt. Vielleicht würde sich das eines Tages ändern.


Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes

Подняться наверх