Читать книгу Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes - Michael Schenk - Страница 6

Kapitel 4

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Das rotbraune Wams war dick gefüttert, und der grüne Umhang der Pferdelords reichte bis hinab auf den Boden und bestand aus schwerer Wolle. Dennoch zog der Mann ihn enger um seine Schultern und fröstelte. Der Wind war beißend und kalt. Tief unter sich sah er den Pass des Eten, der sich von der Hochmark nach Norden erstreckte, bis er an der Südgrenze Rushaans endete.

Der Pass glich einer Schlucht, die tief in die Berge schnitt, und er war gut zu passieren. Für die Augen Nedeams war wichtig, dass er sich leicht verteidigen ließ. Ein gutes Bollwerk konnte hier selbst ein starkes Heer für lange Zeit aufhalten. Früher war die Festung Eternas im Tal der Hochmark das nördlichste Sperrwerk des Pferdevolkes gewesen. Doch nie war ein Feind von Norden vorgedrungen. Die Elfen und die Paladine Rushaans hatten das verhindert. Nun waren beide vergangen. Während die Elfen zu den Neuen Ufern aufgebrochen waren, hatten die Paladine endlich ihren Frieden gefunden. So lag zwischen der Öde und der Hochmark des Pferdevolkes nur noch die gelbe Kristallstadt Nal´t´hanas. Die Stadt der Zwerge war jedoch zu schwach, um einen massierten Angriff aufzuhalten. So hatten sich die kleinen Herren und das Pferdevolk dazu entschlossen, am Nordende des Passes des Eten eine neue Festung zu errichten. Diese Nordfeste stand bereits und sicherte nun die Grenze. Ihre Mauern schützten den Pass vor einem Überraschungsangriff. Aber der Pass war viele Tausendlängen lang, und auch der schnellste Reiter brauchte Tage, um ihn zu durchqueren. Zeit, die kostbar war, wenn die Nordfeste Verstärkungen benötigte.

Aus diesem Grund musste die Festung in das Signalsystem der freien Völker eingebunden werden. Als der Mann in dem grünen Umhang noch ein Knabe gewesen war, hatte eine lange Kette von Signalfeuern die Städte und Festungen des Pferdevolkes miteinander verbunden. Ihre Feuer waren bei Gefahr entzündet worden und hatten die Pferdelords zu den Waffen gerufen. Diese Signalfeuer hatten bis tief in den Süden, in das ferne Königreich von Alnoa gereicht.

Inzwischen waren die Stapel aus ölgetränktem Brennholz und Brennstein gewichen und durch andere Hilfsmittel ersetzt worden. Große metallene Schüsseln, die das Sonnenlicht reflektierten und die mit Blenden versehen waren, sodass man eine Reihe unterschiedlicher Signale übermitteln konnte. In der Nacht entzündete man starke Brennsteinlampen, deren Licht von den Spiegeln übertragen wurde.

Die Signalstationen wurden stets an den höchsten Punkten errichtet. In den Städten und Festungen nutzte man dafür hohe Türme. Doch im Gebirge des Noren-Brak und entlang des Passes des Eten konnte man solche Türme nicht errichten. Der Fleiß des Zwergenvolkes hatte es nun ermöglicht, eine Lösung zu finden und jene zehn Zwischenstationen zu bauen, welche die Signalverbindung gewährleisteten.

Deswegen war der Mann an diesem Ort und versuchte, trotz des beißenden Windes zu lächeln. Man erwartete es von ihm, denn er war Nedeam, der Erste Schwertmann der Hochmark des Pferdevolkes. Er war es, der das Banner seiner Herrin Larwyn in den Kampf führte, wenn ein Feind die Grenzen bedrohte.

Nedeam war von durchschnittlicher Größe und schlank, und sein langes blondes Haar lugte unter dem Nackenschild des Helmes hervor. Darin ähnelte er vielen Männern des Pferdevolkes. Doch er trug nicht die gerade Klinge der Schwertmänner, sondern die leicht gekrümmte eines Elfenschwertes. Es war die Dankesgabe des Hauses Deshay, dem Nedeam und seine Gefährten im Kampf gegen Orks und Graue Magier beigestanden hatten. Er war nun achtunddreißig Jahre alt, und seine Augen hatten ferne Länder gesehen. Sein Herz hatte dabei Freude und Schmerz erfahren. In den Jahren seines Lebens waren Freunde vergangen und neue an seine Seite getreten. Aber er hatte auch die Liebe seines Lebens gefunden. Llaranya, die Tochter des Elfen Jalan-olud-Deshay. Eine Frau und Kriegerin, die sein Leben teilte und im Kampf an seiner Seite stand.

Auch jetzt stand sie neben ihm, gehüllt in den zartblauen Umhang des elfischen Volkes. Während die Elfen normalerweise weißblondes Haar ihr Eigen nannten, fiel das von Llaranya lang und schwarz über ihren Rücken. Ihr ebenmäßiges Gesicht zeigte ein sanftes Lächeln, während ihre Blicke den Pass entlangschweiften.

„Es ist wunderschön“, sagte sie leise.

„Es ist kalt“, erwiderte Nedeam und zuckte mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern. „Wahrhaftig, meine Geliebte, ich wünschte mir, wir hätten eine angenehmere Jahreszeit für diesen Ritt gewählt.“

„Es ging nicht früher.“ Sie ergriff seine Hand. „Dies ist die letzte Signalstation, und sie wurde jetzt erst fertiggestellt.“

Neben ihnen reckte sich eine kleine Gestalt empor. Sie trug nicht die kniehohen Stiefel des Pferdevolkes, sondern derbes Schuhwerk, welches bis knapp über die Knöchel reichte. Das Wams war knielang und dick gefüttert. Es leuchtete in intensivem Blau und war mit zahlreichen Stickereien aus Metallfäden versehen. Kleine Kristallscheiben waren auf einer Seite der Brust an das Leder genäht. Der breite Gürtel hielt einen schweren Hammer und einen Meißel sowie eine Tasche mit Schreibmaterial. Es war das Festgewand des Ersten Steinschlägers der gelben Kristallstadt Nal´t´hanas. Allruk trug es voller Stolz, und er hatte auch allen Grund dazu. Der Zwerg gehörte zu den fähigsten Baumeistern und Steinmetzen seines Volkes, und er hatte den Bau der Nordfeste sowie der zehn Signalstationen geleitet.

Allruk schien die Bemerkung der schönen Elfin als Kritik aufzufassen. „Wir arbeiteten so rasch, wie es nur eben ging, Hoher Herr Nedeam und Hohe Frau Llaranya.“

„Entschuldige, guter Herr Allruk, der Fleiß Eures Volkes ist uns wohl bekannt.“ Nedeam legte dem kleinen Herrn anerkennend die Hand auf die Schulter. „Und Euer Werk, guter Herr, ist wohlgelungen.“

„Das will ich auch meinen“, erwiderte Allruk ohne jegliche falsche Bescheidenheit. „Es war eine schwierige Arbeit, doch ich hatte fleißige und kundige Hände, die sie vollführten.“ Er trat an die Brüstung der Plattform und schlug gegen den Stein. „Alles in zweierlei Maßen, Hoher Herr und Hohe Frau, alles in zweierlei Maßen. Menschen und Zwerge sollen alles gut gerichtet vorfinden.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig das war.“ Nedeam sah sich um und musterte die Plattform und ihre Installationen.

Die Schlucht des Passes zog sich in einer leichten Kurve von Süden nach Norden. Es gab zahlreiche Klippen und Felsformationen, die sie gelegentlich verengten, bevor sich der Weg wieder verbreiterte. Es war daher ein Problem gewesen, die Signalstationen so zu errichten, dass sie untereinander Sichtkontakt halten konnten. Dazu hatten die Zwerge, mit ihrem unnachahmlichen Gespür für Fels, genutzt, was ihnen das Gebirge bot. An einigen Stellen waren die Oberkanten von Klippen geglättet und die Felsen zusätzlich mit steinernen Säulen abgestützt worden. An anderen Orten hatten sich die Zwerge förmlich in den Berg hineingegraben und eine geeignete Höhlung geschaffen. Gleichgültig, welche Schwierigkeiten sich dem kleinen Volk dabei in den Weg gestellt hatten, die meisterlichen Handwerker hatten sie bewältigt.

Alle zehn Signalstationen bestanden aus einer großen Plattform, die nicht nur das Signalgerät, sondern auch ein kleines Unterkunftsgebäude für die drei Wachen trug. Diese Männer versahen ihren einsamen Dienst einen vollen Zehntag lang, bevor sie abgelöst wurden. Die erforderlichen Vorräte an Nahrung und Wasser mussten sie selbst auf die Plattform tragen. Zu jeder der Plattformen führte eine steinerne Treppe hinauf, die in den Felsen geschlagen oder über tragenden Säulen errichtet worden war.

„Ja wahrhaftig, ihr Zwerge habt Großartiges vollbracht“, bestätigte Nedeam.

Allruk reckte sich erneut und schüttelte dann lächelnd den Kopf. „Seht es mir nach, Hoher Herr Nedeam, doch ihr Pferdemenschen mögt kundig im Reiten eurer Pferde sein, doch vom Handwerk der Zwerge versteht ihr nur wenig. Nichts für ungut, doch glaubt mir, Hoher Herr, Ihr habt keine Vorstellung davon, was unsere Hände hier geleistet haben.“ Allruk klopfte abermals auf die Brüstung und trat dann zurück, um auf die Plattform und die obersten Stufen der Treppe zu zeigen. Wie nicht anders zu erwarten, herrschte die fünfeckige Form vor, die das kleine Volk so sehr liebte.

„Einige der Plattformen wurden in zweihundert Längen Höhe über dem Pass errichtet. Ihr wisst ja, Hoher Herr und Hohe Frau, jede der Plattformen muss zu jener vor und jener hinter ihr Verbindung halten. Und, das gebe ich zu bedenken, wir Zwerge haben darauf geachtet, dass dies auch für den Fall gilt, dass eine der Signalstationen ihren Dienst nicht versehen kann.“ Er zuckte die Schultern. „Bei aller Zwergenkunst könnte doch eine Signalschüssel zu Bruch gehen oder ein Steinschlag oder Erdrutsch die tragende Plattform beschädigen. Oh, wir Zwerge haben vorgesorgt, so gut es eben ging. Ihr wisst, gerade jetzt im Winter kann Wasser in Gesteinsspalten gefrieren und den Felsen auseinandersprengen. Uns ist das wohlbekannt, und manchmal nutzen wir es zu unserem Vorteil, wenn wir unsere Stollen in die Berge treiben. Doch bei den Signalstationen haben wir jede Spalte sorgfältig aufgefüllt und sie geglättet. Wahrhaftig eine enorme Arbeit.“

Allruk strich sich zufrieden über die langen Bartzöpfe und wippte leicht auf seinen Fersen. „Arbeit, wie sie nur das Zwergenvolk bewältigen kann. Seht euch die Brüstung der Plattformen an. Sie musste für Zwerge und Menschen tauglich sein. So haben wir sie unten gemauert und oben mit metallenen Streben versehen.“ Er lächelte freundlich. „Die Streben sind ein Werk eurer Schmiede in der Hochmark, wie ich gerne zugebe. Auf das Bearbeiten von Metall versteht sich das Pferdevolk fast so gut wie das unsere.“

Der Erste Steinschläger stampfte mit dem Fuß auf den Boden der Plattform. „Jede Platte ist fest gefügt. Die Stufen der Treppen wurden besonders angefertigt, damit eure Füße ausreichend Halt finden.“

„Ihr meint unseren großen Füße“, stellte Llaranya fest und schenkte dem Zwerg ein Lächeln, das Männerherzen zum Schmelzen bringen konnte.

Allruk errötete ein wenig. „Verzeiht, ich wollte Euch nicht beleidigen, Elfenfrau. Aber das Maß unserer Treppenstufen ist für Menschen oder Elfen ein wenig … unbequem.“

„Ich sehe, Erster Steinschläger Allruk, Ihr habt beim Bau der Nordfeste und der Signalstationen wirklich an alles gedacht“, sagte Nedeam freundlich.

„Ah, Ihr müsst erst die Feste sehen, Pferdelord.“ Allruks Augen tränten ein wenig. Dies konnte bei Zwergen ein Zeichen der Trauer oder des höchsten Glücks sein, vielleicht war es auch nur eine Folge des scharfen Windes. „Obwohl wir Zwerge eher unter der Erde bauen, hat auch dort unsere Handwerkskunst Unglaubliches vollbracht.“

„Hm, dessen bin ich mir sicher.“ Nedeam musterte den Zwerg nachdenklich. Was war mit Allruk los? Seine besondere Betonung der geleisteten Arbeit seines Volkes war ungewöhnlich. Nedeam hatte das unangenehme Gefühl, dass der Baumeister die Pferdelords in der Schuld der Zwerge sah. Oder ihnen dieses Empfinden aufdrängen wollte. Aber warum?

Er sah Llaranya an und zwinkerte ihr zu. „Ich denke, wir sollten uns nun auf den Weg zur Nordfeste machen. Man wird uns schon sehnsüchtig erwarten.“

Die Elfin blickte in den Pass hinunter. Unten standen zwei volle Beritte der Schwertmänner. Ihre Umhänge und die beiden Wimpel bewegten sich leicht im Wind. Die Männer hatten geduldig abgewartet, während sie und Nedeam mit Allruk den Signalposten besucht hatten. In der Schlucht war es nicht so kalt wie auf der zugigen Plattform. Dennoch würden die Männer froh sein, wenn es endlich weiterging.

„Vor allem die beiden Beritte werden sicher erwartet“, stimmte Llaranya zu. „Immerhin sind sie die Ablösung für jene, die dann in die Hochmark zurückkehren können. Es ist ein einsamer Dienst, dort oben in der Festung.“

„Und ein wichtiger Dienst“, schaltete sich Allruk ein. „Den wir Zwerge und ihr Menschen voller Stolz gemeinsam versehen.“

„In der Tat.“ Nedeam ging voraus und konzentrierte sich auf die Stufen der Treppe.

Die zweihundert Reiter unten in der Schlucht waren Schwertmänner. Sie waren die Elite der Kämpfer und verstanden sich auf den Umgang mit Stoßlanze und Schwert ebenso wie auf den treffsicheren Umgang mit dem Bogen. Das Pferdevolk hatte stets um sein Land kämpfen müssen und war dabei nicht immer siegreich gewesen. Als es noch im Westen gelebt hatte und seine Marken noch gegeneinander kämpften, war es von den Barbaren des Dünenlandes aus der Heimat vertrieben worden. Die Besiedlung der neuen Marken hatte zur Einrichtung eines besonderen Wehrsystems geführt. Jeder Pferdefürst einer Mark, der Hohe Lord, unterhielt eine ständige Wache an Kämpfern, für deren Ausbildung, Ausstattung und Unterhalt er verantwortlich war. Dies waren die Schwertmänner, deren Umhänge in der Kennfarbe ihrer Mark gesäumt und deren Rosshaarschweife an den Helmen in der Farbe ihres Pferdefürsten eingefärbt waren. Alle anderen Männer des Pferdevolkes konnten den freiwilligen Pferdelords beitreten. Auch sie trugen den grünen Umhang der Kämpfer des Pferdevolkes, allerdings ohne den farbigen Saum. Sie führten an Waffen, was sich für den täglichen Gebrauch ebenso verwenden ließ wie für den Kampf. Diese Männer bevorzugten Axt und Bogen, wurden jedoch einmal im Jahr in der Handhabung der Lanze unterwiesen. Es gab auch Männer, die sich dem Kampf verweigerten und den Eid der Pferdelords nicht leisteten. Niemand dachte deswegen schlecht von ihnen, auch wenn sie nie das Grün des Pferdevolkes trugen. Diese Männer waren es, die mit den Frauen die einsamen Gehöfte, die Weiler oder die Städte verteidigten, wenn die Pferdelords in den Krieg ritten.

Es war ein langer Abstieg hinunter in die Schlucht, und Allruk betonte bei jeder einzelnen Stufe die Leistungen der Zwerge. Nedeam achtete kaum auf die Worte, sondern versuchte den Sinn hinter ihnen zu verstehen. Es konnte nur einen Grund für dieses eifrige Selbstlob geben – die Zwerge, oder zumindest Allruk, wollten ein Entgegenkommen vom Pferdevolk erwirken. Dieser Gedanke beunruhigte den Ersten Schwertmann der Hochmark, denn das entsprach keineswegs den sonstigen Gepflogenheiten des kleinen Volkes.

Scharführer Arkarim kommandierte die Ablösung für die Nordfeste. Erleichtert winkte er den Pferdehalter heran, der Nedeams und Llaranyas Reittiere zu ihnen führte. Den starken und kampferprobten Hengst Duramont und Llaranyas weiße Stute Fallan.

„Ihr seid zufrieden, Hoher Herr Nedeam?“, fragte er mit leiser Stimme.

Nedeam schwang sich in den Sattel und nickte. „Sehr. Diese zehn Stationen garantieren uns eine schnelle Nachrichtenverbindung zwischen der Nordfeste und Eternas.“

„Ihr solltet erst die Festung sehen.“ Arkarim wies nach Norden. „Ihr habt sie ja nur während des Baus zu Gesicht bekommen. Ihr werdet überrascht sein, welche Leistung dort vollbracht wurde.“

Nedeams Gesicht verfinsterte sich ein wenig. „Heute scheint mir wirklich jeder die Leistungen der kleinen Herren unter die Nase reiben zu wollen.“

Den Zwergen lag das Reiten nicht besonders. Doch in diesem Fall musste sich Allruk der Notwendigkeit fügen. Man hatte ein besonders ruhiges Pferd für ihn ausgesucht, und ein Schwertmann half dem kleinen Mann in den Sattel hinauf. Obwohl die Steigbügel hoch geschnallt waren, hatte Allruk alle Mühe, ausreichend Halt zu finden. Dennoch ließ es sein Stolz nicht zu, dass einer der Pferdelords neben ihm ritt und ihn stützte.

Die beiden Beritte trabten langsam nach Norden, mit Arkarim und Nedeam an der Spitze. Arkarims langer dreieckiger Wimpel mit der blauen Einfassung der Hochmark flatterte im sanften Reitwind. Nedeam hatte nie als Scharführer einen solchen Wimpel geführt. Er war ein gewöhnlicher Pferdelord gewesen und vom Beschluss des verstorbenen Pferdefürsten Garodem überrascht worden, die Nachfolge des früheren Ersten Schwertmannes Tasmund anzutreten. Nedeam hatte gezögert, denn es war ein Unterschied, ob man im Kampf als Pferdelord in der Angrifflinie ritt oder als Erster Schwertmann die Verantwortung dafür trug. Schließlich hatte er das Banner der Hochmark angenommen, auch wenn er es sich nicht angewöhnen konnte, es, wie es eigentlich der Tradition entsprach, selbst zu führen. Stattdessen wurde es von einem erfahrenen Schwertmann getragen, der im Kampf nicht von Nedeams Seite wich. Dieser Ritt galt jedoch nicht der Schlacht, und so stand das rechteckige Banner im Saal der Burg von Eternas.

Staub wallte unter den Hufen der Pferde auf und legte sich über Tiere und Reiter. Während in den vorderen Reihen noch die kräftigen Farben des Pferdevolkes sichtbar waren, erschienen die nachfolgenden zunehmend in einem eintönigen Graubraun.

Arkarim wandte sich halb im Sattel. „Erster Beritt hinter den zweiten zurückfallen“, befahl er.

Nedeam nickte. Es war nur gerecht, dass die Reiter abwechselnd den Staub der anderen zu schlucken bekamen. Arkarim kümmerte sich um das Wohl seiner Männer, und das zeichnete einen guten Scharführer aus. Ebenso wie die Tatsache, dass er kein Sonderrecht für sich in Anspruch nahm. Der Scharführer ließ sich ebenfalls zurückfallen, und Nedeam folgte seinem Beispiel.

Während der vordere Beritt wartete, zog der andere an ihm vorbei. Llaranya, die mit einigen Schwertmännern am Ende der Formation gesprochen hatte, kam an Nedeams Seite, und dieser musste unwillkürlich lächeln. Sie war wie die anderen auch mit Staub gepudert, nur ihr elfischer Umhang, der aus einem besonderen Material gewebt war, strahlte in seinem frischen hellen Blau. Ihre Augen blitzten, während sie die Wasserflasche vom Sattelhorn nahm und sich den Mund ausspülte.

„Gelegentlich vermisse ich die grünen Wälder meines Volkes“, gestand sie ein. „Dieser Staub ist grässlich. Er kriecht unter die Kleidung und knirscht zwischen den Zähnen.“

„Wir sind bald in der Nordfeste“, tröstete Arkarim. „Dort werdet Ihr ein erfrischendes Bad nehmen können, Hohe Frau.“

Nedeam bemerkte bei diesen Worten eine gewisse Wehmut in den Augen des Scharführers und konnte sich den Grund dafür sehr gut denken. Als die Clans des Pferdevolkes noch gegeneinander gekämpft hatten, da war es den Ersten Schwertmännern, im Gegensatz zu den anderen Schwertmännern, gestattet worden, sich mit einem Weib zu verbinden und eine Familie zu gründen. Dies war keine Geste guten Willens der einstigen Pferdefürsten gewesen, sondern hatte einen ganz pragmatischen Hintergrund. Auf diese Weise versicherte sich der Herr einer Mark der bedingungslosen Treue seines Ersten Schwertmannes, denn er hielt dessen Familie als Geisel. Die anderen Schwertmänner hingegen sollten nicht durch sorgenvolle Gedanken an ihre Liebsten abgelenkt werden. Diese Zeiten waren vorbei, doch die Tradition hatte sich gehalten. Während Nedeam als Erster Schwertmann eine Frau haben durfte, war dies den anderen versagt. Wollten sie ein Weib ehelichen, mussten sie den Dienst beim Pferdefürsten aufgeben. Einige der Männer, unter ihnen auch Arkarim, konnten ihre geliebten Frauen daher nur heimlich treffen. Nedeam empfand dies als Ungerechtigkeit und hoffte darauf, dass das Pferdevolk diese alte Sitte bald aufgab. Aber es war schwer, sich gegen die alten Bräuche aufzulehnen. Zu tief waren sie im Bewusstsein der Menschen verankert.

Llaranya lächelte den Scharführer an. „Danke für Eure Freundlichkeit, guter Herr Arkarim. Ich hoffe doch sehr, dass ein solches Bad uns alle erfrischen wird.“

Arkarim bemerkte den Blick, den Nedeam ihm zuwarf. „Ich werde einmal nach dem guten Herrn Allruk sehen“, meinte er und zog sein Pferd herum. „Nicht dass er uns so kurz vor dem Ziel doch noch vom Pferd fällt.“

Nedeam folgte dem Kampfgefährten und Freund mit den Blicken und sah dann seine Elfin an. „Die grünen Wälder“, sagte er nachdenklich. „Vermisst du die Wälder oder die Wesen deines Volkes?“

Sie legte die Hand über seine. „Sei unbesorgt, Nedeam, du weißt, dass ich dich von Herzen liebe. Ja, manchmal sehne ich mich nach dem Klang der Wälder und nach den Stimmen der elfischen Häuser. Doch mein Herz ist nicht einsam, Nedeam, und wenn ich mich den feinsinnigen Gedanken der Elfen hingeben möchte, so habe ich Lotaras und Leoryn und das elfische Haus in der Hochmark. So klein es auch sein mag“, fügte sie auflachend hinzu.

„So, so, feinsinnige elfische Gedanken“, brummte er. „Das hört sich so an, als könntest du mit mir keine feinsinnigen Gedanken austauschen.“

Sie strich über seine Hand. „Du vermagst dein Schwert vortrefflich zu schwingen, doch im Schwingen der Worte bist du weniger gewandt.“

„Ich bin ein Pferdelord und kein elfischer Philio… Phil…“

„Philosoph“, half sie aus. „Ich liebe dich dennoch.“

Sie beugte sich im Sattel zu ihm und ihre Lippen trafen sich, was Nedeam wieder mit der Welt versöhnte. Für eine Weile ritten sie Hand in Hand nebeneinander.

„Feinsinnige Worte.“ Nedeam seufzte leise. „Mich plagen schwere Gedanken, meine Liebe.“

Sie drückte seine Hand leicht. „Du trägst große Verantwortung für die Hochmark. Gerade jetzt, da die Herrin der Mark, die Hohe Dame Larwyn, erkrankt ist.“

„Der Tod ihres Gemahls Garodem, der Verrat und Mordversuch durch ihren Sohn Garwin und dann die Sorge um die Mark …“ Nedeam nickte betrübt. „Das bedrückt sie sehr und zehrt an ihrer Kraft.“

„Es ist die Eigenheit von euch Menschen, mit der Zeit dahinzugehen und zu verwelken.“

Er erwiderte ihren Blick. „Ich weiß, was du für unsere Liebe auf dich nimmst.“

Llaranya lächelte sanft. „Wenn die Zeit einmal gekommen ist, werde ich von jenen Augenblicken zehren, die wir gemeinsam erlebten.“

Ihre Hand legte sich auf den Umhang über ihrer Brust und Nedeam wusste, dass sie dort jene Kette berührte, die er ihr erst vor Kurzem geschenkt hatte. Die Umhänge der Pferdelords wurden mit dem Symbol des Pferdevolkes verschlossen. Es hatte die Grundform eines Hufeisens und seine Enden zeigten zwei nach außen blickende Pferdeköpfe. Diese Spangen waren gut handtellergroß und bestanden aus reinem Gold. Zwei lederne Schlaufen waren in den Umhängen vernäht, die über die Pferdeköpfe geschoben wurden und den Umhang geschlossen hielten. An Llaranyas Umhang hatte die Spange die Form eines Baumes und verkörperte so ihre Abstammung vom elfischen Haus des Urbaums. Sie hatte die Spange niemals ausgetauscht, und Nedeam konnte das gut verstehen, war es doch eine Erinnerung an ihren Ursprung. So hatte er mit eigener Hand eine goldene Kette mit einem kleineren Symbol des Pferdevolkes für sie angefertigt. Er hatte nicht das handwerkliche Geschick eines Kunstschmiedes, doch es war eine Gabe der Liebe und Llaranya trug sie seitdem über ihrem Herzen. Die Unsterbliche hatte einst lange gezögert, sich ihrer Gefühle zu dem sterblichen Nedeam hinzugeben, denn der Pferdelord würde altern und eines Tages von ihr gehen. Dass sie dies dennoch auf sich nahm, war ein Zeichen ihrer innigen Liebe.

Immerhin hatte das Schicksal ihnen zur Seite gestanden. Als Nedeam einst mit einem Grauen Magier kämpfte und diesen mit Llaranyas Hilfe bezwang, da hatte das Wesen im Todeskampf einige seiner Fähigkeiten auf den jungen Pferdelord übertragen. Nedeams Wunden heilten nun wesentlich schneller als bei einem gewöhnlichen Menschen, und die Kreatur hatte ihm einen Teil ihrer Langlebigkeit vermacht. Hinzu kam die Fähigkeit, anhand einer magischen Aura die Stimmungen eines Lebewesens zu erkennen. Leider besaß Nedeam nicht das Können, diese Gaben zu kontrollieren, doch für ihn und die Elfin war es ein willkommenes Geschenk, welches ihnen zusätzliche Jahre des Glücks versprach. Obwohl er nun achtunddreißig Jahre zählte, wirkte er körperlich wie ein Dreiundzwanzigjähriger.

Dennoch war das Thema dem Ersten Schwertmann der Hochmark unangenehm, und er versuchte, das Gespräch wieder in andere Bahnen zu lenken.

„Immerhin scheinen die Marken nun etwas Ruhe zu finden.“ Er entzog ihr seine Hand und zählte auf. „Die Grenze hier oben im Norden ist nun durch die Nordfeste geschützt. Der Pass von Merdoret im Osten, der durch die Weißen Sümpfe führt, wird von Pferdefürst Bulldemut und seinen Pferdelords bewacht. Ich hörte, dass man gelegentlich Lederschwingen über den Bergen sieht. Feedana und ihre Schwingen werden dazu beitragen, dass die Orks des Schwarzen Lords nicht in die Ostmark einmarschieren. Wenn sie es versuchen, dann werden sie wohl über den Süden vordringen müssen.“

„Über das Reich von Alnoa“, stimmte Llaranya zu. „Es ist stark und wird sich zu wehren wissen.“

„Und es steht nicht alleine. Das Pferdevolk wird ihm zu Hilfe eilen, wenn die Zeit gekommen ist.“

Die Elfin blickte nach Osten, obwohl dort nichts außer der steil aufragenden Felswand des Passes zu sehen war. „Es ist schade, dass der Winterfeldzug gegen Cantarim scheiterte.“

„Ohne die Ränke des verfluchten Garwin wären wir und die alnoische Gardekavallerie mit großer Macht aufgetreten. So hatten wir Glück, mit dem Leben davongekommen zu sein“, knurrte er. „Ohne die Hilfe der Lederschwingen hätten die Orks uns vielleicht überrannt.“ Er lachte auf, und der Laut klang grimmig. „Der Hochgeborene Daik ta Enderos und seine Garde durchkämmen das Reich Alnoa ebenso wie unsere Streifscharen die Marken. Wenn wir Garwin und seine Männer erwischen, dann gibt es keine Nachsicht. Aber er ist wie vom Erdboden verschwunden.“

„Er tut gut daran.“ Llaranyas Hand legte sich unbewusst um den Griff ihres elfischen Schwertes. „Sein Mordversuch und sein heimtückisches Spiel sind nun wohlbekannt und haben den Zorn des Volkes entfacht. Viele gute Männer starben durch Garwins Schuld. Er weiß, was ihm bevorsteht, wenn man ihn stellt, und er findet keinen Zuspruch mehr in den Marken.“

„Es gibt Menschen, die vergessen ihr Gewissen, wenn sie dadurch ihre goldenen Schüsselchen mehren können“, wandte Nedeam ein. „Daher müssen wir wachsam sein. Irgendwann wird sich der Verräter erneut bemerkbar machen.“

„Ja, der Kampf gegen den Schwarzen Lord der Finsternis tritt hinter den Kampf um die goldenen Schüsselchen zurück“, stimmte sie bedauernd zu. „Das Pferdevolk folgt dem Beispiel der Menschen des Reiches Alnoa. Dort ist man satt und träge geworden, und König und Garde erhalten kaum Unterstützung im Kampf gegen den Feind.“

„Die Pferdelords stehen fest an ihrer Seite.“ Nedeam bemerkte eine huschende Bewegung aus den Augenwinkeln, und sah ein kleines Tier, das, vom Hufschlag der Pferde aufgeschreckt, hastig von einer Seite der Schlucht zur anderen hoppelte und in der Deckung einiger Felsen verschwand.

„Solche Wildläufer werden wir wohl für eine Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen“, rief einer der Männer ihm zu. „Eine Jahreswende ist eine lange Zeit.“

„Vor allem für Scharführer Arkarim“, raunte Llaranya. „Er wird seine Geliebte Etana lange nicht in die Arme schließen können.“

Der Erste Schwertmann trieb sein Pferd zu dem Reiter hinüber. „Ja, eine lange Zeit, guter Herr, doch es geht nicht anders. Alle Beritte, die zum ersten Mal zur Nordfeste reiten, müssen dort eine Jahreswende dienen, damit sie den Süden Rushaans und die Feste kennenlernen. Später, wenn alles vertraut ist, werden die Ablösungen rascher erfolgen.“

„Das höre ich gern“, meinte der Schwertmann. „Ich scheue nicht den Dienst, Hoher Herr, das wisst Ihr, aber unsere Hochmark wird mir fehlen. Sagt, warum müssen wir den Süden Rushaans bestreifen? Man sagte, die nördliche Öde sei zu meiden.“

„Kennt Ihr die Geschichte der Schlacht, in der wir Pferdelords gemeinsam mit den Paladinen an der alten Wache kämpften?“

„Ah, wer kennt die nicht. Jene Schlacht, in der die Legionen der Orks über den Pass von Rushaan vordrangen und in welcher der unvergessene Dorkemunt gegen Fangschlag kämpfte. Glaubt mir, Hoher Herr, solches wird in den Schenken besungen.“

Die Erwähnung Dorkemunts rief ein schmerzliches Gefühl in Nedeam hervor. Der alte Pferdelord war sein Ziehvater und Mentor gewesen und hatte im Kampf gegen die grausamen Magier Jalannes den Tod gefunden. Es war ein ehrenvoller Tod gewesen, wie ihn sich ein Pferdelord nur wünschen konnte, dennoch vermisste Nedeam den kleinen Dorkemunt.

„Damals brachten die Orks ihre Ferntöter in die Öde. Sie schleuderten mit der Kraft des Berstpulvers mächtige Kugeln auf uns. Aus der Ferne eine furchtbare Waffe.“ Nedeam grinste. „Dennoch haben unsere Beritte sie in den Boden gestampft.“

„Ein ruhmreicher Ritt“, bestätigte ein anderer Mann. „Doch was hast das mit dem Süden Rushaans zu tun?“

„Unsere Freunde, die Zwerge, nutzten das erbeutete Berstpulver, um den Pass von Rushaan zu sprengen und ihn so mit Fels zu füllen.“

„Ja, der Pass ist nun versperrt.“

Nedeam lächelte. „Die Legionen des Schwarzen Lords müssten eine Menge Steine schleppen oder den Fels mit anderem Berstpulver auseinandersprengen, um den Pass wieder nutzen zu können. Beides braucht Zeit und macht Lärm. Daher streifen unsere Scharen von der Nordfeste aus durch den Süden der Öde, bis hin zum ehemaligen Pass von Rushaan. Wir würden entdecken, wenn sich dort etwas verändert, und das gäbe uns die Zeit, uns darauf vorzubereiten und die Feste zu verstärken.“

„Hm.“ Einer der anderen Reiter räusperte sich. „Stehen deswegen zwei volle Beritte im Dienst der Nordfeste?“

Der Erste Schwertmann lachte auf und deutete dorthin, wo sich Allruk nur mühsam auf dem Pferd hielt. „Für die Zwerge wäre es ein weiter und langer Weg. Sie schätzen Pferde nicht besonders.“

Die Männer stimmten in sein Lachen ein.

Arkarim trabte heran. Er hatte die Lanze mit dem Wimpel seines Beritts in die Armbeuge gelegt und verschloss gerade seine Wasserflasche. „Wir sind gleich bei der Feste. Scharführer Pendrat und seine Männer werden sich freuen, uns zu sehen.“

Nedeam reckte sich leicht im Sattel. „Ihr habt es gehört, Männer der Hochmark. Wir werden die Nordfeste gleich erreichen. In dieser Jahreswende ist einer der Zwerge der Kommandant der Festung. Lasst es also nicht an Respekt fehlen.“

„Die Männer wissen Bescheid“, versicherte Arkarim. „Auch wenn es ein wenig seltsam ist, unter dem Befehl eines Zwerges zu stehen. Gute Kämpfer und gute Freunde, fraglos, aber eben doch Zwerge.“

Nedeam sah den Scharführer forschend an. „Glaubt mir, Arkarim, es sind gute Männer, und wir wechseln uns mit Bedacht im Kommando der Feste ab. Ursprünglich waren zwei Kommandeure geplant. Einer für die Axtschläger und einer für uns Pferdelords. Aber das wäre im Kampf nicht gut. Da braucht man bedingungslose Einigkeit. So hat Sandfallom, der Erste Axtschläger von Nal´t´hanas, damals den Vorschlag gemacht, dass wir und die Zwerge uns im Befehl abwechseln.“

„Nun, es fördert die Gemeinsamkeit“, meinte Arkarim. „Wisst Ihr, wer dort das Kommando hat?“

Nedeam lachte auf. „Eben dieser Erste Axtschläger. Glaubt mir, guter Arkarim, Sandfallom wird Euch gefallen. Ein kluger Mann und tapferer Krieger. Er war es, der einst den König der gelben Kristallstadt überzeugte, an unsere Seite zu treten.“

Der Scharführer lächelte nun ebenfalls. „Dann werden wir uns seinem Wort gerne fügen.“

Vor ihnen war der gedämpfte Klang eines Horns zu hören.

„Die Wachen der Nordfeste müssen uns bemerkt haben.“ Arkarim machte eine kurze Ehrenbezeugung vor Nedeam. „Ihr solltet zur Spitze reiten, Hoher Herr. Ich werde mich vergewissern, dass die Beritte einen tadellosen Eindruck machen.“

Auch Allruk hatte das Horn gehört, und es gelang ihm mit der Unterstützung seines Begleiters, sein Pferd zu Nedeam zu dirigieren. „Wir sind da“, sagte er überflüssigerweise. „Ihr werdet begeistert sein, Hoher Herr. Eine solche Feste habt Ihr nie zuvor zu Gesicht bekommen.“

„Einiges davon kenne ich schon“, sagte Nedeam, der ahnte, dass Allruk wieder die besondere Leistung des Zwergenvolkes hervorheben wollte.

„Es ist eine ganz besondere Festung“, begann der Erste Steinschläger auch schon. „Nicht wie eure Menschenfestungen in den Marken oder im Reich von Alnoa. Bei denen gibt es ja immer eine umfassende Mauer, die einen Kern von Gebäuden schützt. Die Nordfeste hat nur eine einzige Mauer, und sie ist ein Sperrwerk, keine der üblichen Burgen. Eine Mauer, die von einer Seite des Passes zur anderen reicht. Gebäude und Katapultstellungen liegen offen auf dieser Seite des Passes. Eine schlaue Planung, das kann ich Euch sagen, Hoher Herr.“ Allruk reckte sich, so gut es eben ging, im Sattel. „Von der Öde aus ist sie ein richtiges Bollwerk. Doch sollte der Feind, was sicherlich unmöglich ist, die Festung dennoch überrennen, so nutzt sie ihm wenig. Denn auch wenn sie von der Öde aus so wehrhaft ist, kann sie doch vom Pass aus leicht genommen werden.“

„Ja, fürwahr, ihr Zwerge habt sorgfältig geplant und hervorragend gebaut“, bestätigte Nedeam mit wachsendem Unmut.

Vor ihnen kamen nun die Anlagen der Nordfeste in Sicht. Die Haltung der Männer straffte sich, denn sie wollten einen guten Eindruck auf die dortige Garnison machen.

Es war, wie Allruk es beschrieben hatte.

Zunächst erkannte Nedeam die Gebäude der Anlage. Unterkünfte, Ställe und Vorratsbauten waren entlang der Seiten der Schlucht errichtet worden. Der freie Platz zwischen ihnen diente den Übungen der Besatzung. Die Stirnseite, welche zur Öde wies, wurde von der Mauer beherrscht. Sie wirkte wuchtig und massiv, und war so breit, dass mehrere Katapulte auf ihrer Krone Platz fanden. Andere Wurfmaschinen standen auf dem Boden und würden ihre Last über die Köpfe der Verteidiger hinwegschleudern. Ihre Position war für einen Feind nicht einsehbar, und die Bedienungen mussten sich nach den Zielanweisungen jener richten, welche die Mauer besetzt hielten.

„Keine gewöhnliche Mauer“, begann Allruk erneut. „Sie hat eine besondere Form. An der Basis ist sie nur zehn Längen stark, doch oben, an ihrer Krone, misst sie deren fünfzehn. Kennt Ihr den Grund hierfür, Hoher Herr?“

„Ihr werden ihn mir sicher gleich nennen“, mutmaßte Nedeam und versuchte, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben.

„Ah, die Mauer ist nach vorne geneigt“, sagte der Zwerg und rieb sich instinktiv die Hände. Dabei hätte er fast den Halt verloren und umklammerte rasch das Sattelhorn. „Sie gleicht einer überhängenden Klippe, Ihr versteht? So ist es unmöglich, sie von außen zu ersteigen, und wir Zwerge haben eine Vorrichtung ersonnen, mit der man das Anlegen von Sturmleitern verhindern kann.“

„In der Mauerkorne befinden sich Schienen“, warf Llaranya ein. „Mit ihnen kann man stählerne Streben nach außen drücken, sodass eine Sturmleiter nicht an der Mauerkorne selbst angelegt werden kann.“

„Äh, ja“, brummte Allruk überrascht. „Woher wisst Ihr das?“

„Weil diese Vorrichtung von dem elfischen Gelehrten Mionas ersonnen wurde.“ Die Elfin strahlte den Zwerg mit ihren großen Augen an. „Bevor die Häuser der Elfen zu den Neuen Ufern aufbrachen, hat er mir einiges von seinem Wissen übermittelt. Ich gab es für den Bau der Feste weiter.“

„So, ah, war mir glatt entfallen.“ Allruk zupfte verlegen an seinen Bartzöpfen und wankte bedenklich im Sattel. „Dennoch eine gute Idee, und wir Zwerge haben sie meisterlich umgesetzt.“

„Fraglos.“ Nedeam konnte seinen Ärger kaum noch unterdrücken.

Vor ihnen war Bewegung zu erkennen, als die Besatzung der Nordfeste auf dem freien Platz zwischen Mauer und Gebäuden antrat. Die beiden dortigen Beritte formierten sich, wobei die Schwertmänner neben ihren Pferden standen. Eine höfliche Geste gegenüber dem anderen Teil der Garnison. Zweihundert brave Axtschläger des Zwergenvolkes traten zu Ehren der Neuankömmlinge in voller Kriegsrüstung an. Die Sonne warf blitzende Reflexe über die blanken fünfeckigen Schilde und die gedrungenen Helme der Zwerge. Die Bolzenschleudern steckten in den Waffengurten, und die Kämpfer hatten ihre Äxte aus den Futteralen gezogen und hielten sie im Ehrensalut vor der Brust gekreuzt.

Ein einzelner Zwerg stand vor den angetretenen Formationen und sah Nedeam und den anderen entgegen. Sandfallom, Erster Axtschläger der gelben Kristallstadt Nal´t´hanas und derzeitiger Kommandant der Nordfeste.

„Willkommen, Hoher Herr“, grüßte er, als Nedeam sein Pferd vor ihm zügelte. Sein Blick glitt zu Llaranya und den Männern der Beritte. „Seid auch ihr willkommen, Hohe Frau und Pferdelords der Hochmark.“ Er nickte Allruk zu. „Auch dir mein Willkommen, vortrefflicher Baumeister der Nordfeste.“

Nedeam zuckte kurz zusammen. Hatten Sandfallom und Allruk sich abgesprochen, die unbestreitbaren Verdienste des Zwergenvolkes derart zu betonen? Er ließ sich aus dem Sattel gleiten. „Seid bedankt für Euer Willkommen, Hoher Kommandant Sandfallom. Ich überbringe die Grüße unserer Herrin, der Hohen Dame Larwyn und die Grüße der Hochmark.“

Sandfallom nickte würdevoll. „Wir hörten vom Leid der Hohen Dame. Wir alle wünschen, dass es ihr bald besser gehen möge.“ Er lächelte. „Lasst Eure Männer absitzen und erfrischt euch alle von dem langen Ritt. Wird Euer Scharführer Arkarim nun die Beritte der Festung führen?“

„So ist es gedacht.“

Der Zwerg nickte. „Wir haben von seinen Taten in Jalanne und beim Feldzug gegen Cantarim gehört. Fraglos ein ausgezeichneter Pferdelord und eine gute Wahl.“

Aus den Augenwinkeln sah Nedeam den Scharführer, der bislang die Pferdelords der Nordfeste befehligt hatte und nun mit seinen Beritten in die Hochmark zurückkehren würde. Pendrats Gesicht wirkte seltsam unbewegt und verriet nicht die erwartete Freude über die Ankunft der Ablösung. Nedeam gab Arkarim einen Wink. „Mein Scharführer Arkarim wird mit Scharführer Pendrat besprechen, was es beim Bestreifen der Öde zu beachten gibt, Hoher Kommandant Sandfallom. Ihr werdet euch noch näher kennenlernen, doch ich denke, zunächst sollten wir uns unter vier Augen über die Lage in der Öde unterhalten.“

„Unter sechs Augen“, warf Llaranya ein.

Sandfallom runzelte die Stirn und nickte zögernd. „Wie ich sagte, ihr seid uns willkommen, Hoher Herr und Hohe Frau.“

Es gab sicher keine Geheimnisse auszutauschen, dennoch war es üblich, dass sich zwei Befehlshaber zunächst nur untereinander besprachen, bevor sie die unterstellten Scharführer und Männer hinzuzogen. Die Anwesenheit eines weiblichen Wesens, wie es Llaranya unzweifelhaft war, entsprach nicht den Gebräuchen, doch Sandfallom wollte nicht unhöflich erscheinen.

„Lasst uns in meinen Dienstraum gehen“, meinte er. „Derweil können die anderen Männer sich entspannen.“ Er gab Pendrat ein Zeichen, der daraufhin eine Reihe von Kommandos gab.

Die strengen Formationen lösten sich auf, und sofort bildete sich ein wildes Durcheinander von Zwergen und Menschen, die sich freudig begrüßten und ihre Neuigkeiten austauschten. Sandfallom führte Nedeam und Llaranya zu einem zweistöckigen Bau, und Allruk schloss sich ihnen ungefragt und hastig an.

Das Gebäude stellte eine ungewohnte Mischung aus der Bauweise der Menschen und jener der Zwerge dar. Wie viele Häuser des Pferdevolkes hatte es zwei Stockwerke. Ein kleiner Vorbau schützte den Eingangsbereich bei schlechter Witterung. Sein Dach war in Höhe des ersten Stocks angesetzt und ragte leicht geschwungen nach vorne. In den Marken der Pferdelords wurde ein solches Vordach von schlanken Säulen aus Stein oder Holz gestützt, hier hatten die Zwerge, wie es kaum anders zu erwarten gewesen war, ihre fünfeckige Grundform eingebracht. Das Pferdevolk bevorzugte noch immer Holz als reichlich vorhandenem Rohstoff. Lediglich in der gebirgigen Hochmark war es rar, und dort nutzte man, wie auch an der Nordfeste, den vorhandenen Stein des Gebirges. Die Steinquader waren sorgfältig ineinandergefügt, und die Steinschläger der Zwerge hatten zahlreiches Zierwerk angebracht. Die Fenster im Erdgeschoss waren niedrig und schmal und ähnelten Schießscharten, die im oberen Stock konnten mit metallenen Blenden verschlossen werden. Die Kommandantur machte den Eindruck einer Festung innerhalb der Festung. Neben der mit massiven Beschlägen versehenen Eingangstür hing ein überdimensionales fünfeckiges Zwergenschild an der Wand.

Zwei Wachen, ein Axtschläger und ein Schwertmann, gingen in den Ehrensalut.

Sandfallom bemerkte Nedeams Blick. „Wir Zwerge führen keine Banner oder Wimpel, wie es bei den Pferdelords üblich ist. In unseren heimatlichen Bergstollen wäre das auch eher unpraktisch, Erster Schwertmann. So hängt hier ein Schild, um anzuzeigen, wer gerade den Befehl über die Nordfeste führt.“ Er lächelte. „Trägt einer der Scharführer das Kommando, so hängt hier ein Rundschild des Pferdevolkes. Doch nun tretet ein.“

Nach dem trutzig und kalt wirkenden Äußeren der Festungsbauten war es im Inneren der Kommandantur überraschend gemütlich. Obwohl sie ein Zweckbau war, hatten die Männer, welche hier ihren Dienst versahen, alles getan, um ein Stück Heimat zu erschaffen. Man sah gewebte Stoffe aus der Hochmark an den Wänden und auf dem Boden, schimmernde Kristallsäulen, die zur Zierde im Raum standen, und eine Reihe von Skulpturen, die von den Künstlern beider Völker erschaffen worden waren. Kleine Brennsteinbecken standen auf fünfbeinigen Gestellen und erhellten die Räume dort, wo kein Tageslicht einfiel.

Sandfallom führte die Gruppe ins obere Stockwerk hinauf, wo sich der Amtsraum und das Privatgemach des jeweiligen Kommandanten befanden. An einer Wand hing eine detaillierte Karte der bekannten Regionen. Ein schmiedeeiserner Halter verriet, wo der menschliche Befehlshaber seinen Wimpel aufstellen konnte, und an der anderen Wand stand ein Regal, in dem sich eine Reihe von Büchern und Schriftrollen befanden.

Der Raum wurde von dem massiven Schreibtisch dominiert, dessen hölzerne Platte mit Einlegearbeiten verziert war und der auf fünf steinernen Stützen ruhte. Schreibutensilien und Schriftrollen lagen auf der einen Seite, auf der anderen stand eine Schale mit glitzernden Kristallstückchen. Sie gehörte sicherlich zu Sandfalloms persönlichen Erinnerungsstücken.

Der Kommandant der Nordfeste deutete auf ein kleines Brennsteinbecken, auf dessen Gitter ein Kessel stand. „Heißer Gerstensaft. Genau das Richtige bei einem so kalten Wind, wie er derzeit herrscht.“ Er nahm Becher aus einem Gestell, füllte sie auf und reichte jedem der Anwesenden einen davon. „Möge die Feste jedem Feind widerstehen.“

Sie prosteten sich zu und setzten sich dann auf die bequemen Stühle. Nedeam bemerkte die verstohlenen Blicke, die sich Allruk und Sandfallom zuwarfen. Er war sich nun sicher, dass irgendetwas in der Luft lag, und mit Sicherheit war es nichts Angenehmes.

„Ein harter Dienst, doch zugleich ein wichtiger Dienst“, sagte Sandfallom unvermittelt. Er deutete mit der Hand, die den Becher hielt, um sich. „Diese Festung schützt unsere beiden Völker vor jeder Gefahr, die aus der Öde drohen könnte. Die Scharen des Pferdevolkes streifen von hier durch den Süden Rushaans zum ehemaligen Pass, der nun versperrt ist. Vierhundert Kämpfer sind nicht viel für eine Festung, doch ihr könnt gewiss sein, dass diese vierhundert Äxte und Schwerter jedem Angriff standhalten werden.“ Sandfallom nahm einen langen Schluck und schmatzte genießerisch. „Nun, da die Kette der Signalstationen geschlossen ist, kann sich auch rasch Verstärkung sammeln, falls dies jemals erforderlich sein sollte.“

Nedeam nickte. „Wir kennen die Schliche des Schwarzen Lords und seiner Orks. Sie haben uns schon manches Mal mit ihrer Schläue überrascht. Denkt an die hölzernen Stege, die sie einst über die Weißen Sümpfe bei Merdonan legten. Doch Ihr habt recht, Erster Axtschläger, diese Festung ist gut gebaut, und ihre tapferen Kämpfer werden sich nicht überraschen lassen.“

„Das will ich wohl meinen.“ Sandfallom nickte beifällig. „Das Volk der Zwerge hat sich damals nicht an den Kriegen des ersten Bündnisses beteiligt. Wir wähnten uns in den Tiefen unserer Berge vor jedem Angriff der Finsternis sicher. Doch von den fünf Kristallstädten sind uns nur zwei geblieben. Es war die richtige Entscheidung, an die Seite der Menschen zu treten.“ Er deutete auf Nedeam. „An die Seite des Pferdevolkes, dem Ehre und Tradition noch etwas gelten.“

„Ihr traut den Alnoern nicht?“

Der Zwerg wiegte den Kopf. „Auch wenn wir an den Kämpfen im Süden und Osten nicht beteiligt waren, so verfolgen wir Zwerge sie dennoch sehr aufmerksam. Bedenkt, dass wir mit dem Reich Alnoa unseren Handel treiben. Den Menschen dort gelten die goldenen Schüsselchen mehr als die Ehre.“

„Es gibt Ausnahmen“, wandte Nedeam ein. „Der Hochgeborene Daik ta Enderos und die Garde sind über jeglichen Zweifel erhaben.“

„Mag sein. Doch der König ist ohne große Macht, wenn sich das Reich nicht im Krieg befindet. Im Frieden wird es von Händlern und Adligen regiert, die sich mehr um ihre Bequemlichkeit denn den Schutz der Grenzen sorgen.“ Sandfalloms Ausführungen verrieten seine Kenntnisse von dem fernen Menschenreich. „Sie wiegen sich in falscher Sicherheit. Wenn die Legionen des Feindes erneut vorrücken, werden sie im Süden angreifen und die Alnoer werden alle Hände voll zu tun haben, sich ihrer zu erwehren.“

„Das Pferdevolk wird an ihrer Seite stehen“, versicherte Nedeam.

„Selbstverständlich.“ Sandfallom nickte bedächtig. „Die Ehrenhaftigkeit der Pferdelords steht außer Frage. Sollten eure Reiterscharen eines Tages in den Süden ziehen, so wird das Volk der Zwerge im Norden standhalten.“

„Ohne Zweifel.“ Der Erste Schwertmann der Hochmark bemerkte den Ausdruck in Llaranyas Augen. Sie lauschte den Ausführungen aufmerksam und wirkte auf jene Weise bewusst entspannt, die Nedeam schon an ihr kannte. Eine jener Eigenheiten, die sie auch bei den eher spielerischen Streitgesprächen zeigte, die sie beide sich gelegentlich lieferten. Und bei denen er, wie er zugeben musste, meist unterlag. Die Art, wie sie den Zwerg ansah, verriet, dass sie ihre Ungeduld kaum zügeln konnte.

„Ihr wisst, die gelbe Kristallstadt Nal´t´hanas wird nie von der Seite des Pferdevolkes weichen“, sagte Sandfallom eindringlich.

„Jetzt kommt er zur Sache“, dachte sich Nedeam und nickte abermals. „Die Treue des kleinen Volkes wird in den Legenden besungen“, stimmte er dem Ersten Axtschläger zu.

Sandfallom stellte seinen Becher auf den Schreibtisch zurück. Er tat es mit langsamen, bedächtig wirkenden Bewegungen, die verrieten, dass er Zeit gewinnen wollte, um die richtigen Worte zu finden.

„Wir Zwerge treiben schon immer Handel mit anderen Völkern“, begann er zögernd. „Dieser Handel ist sehr wichtig, denn Nal´t´hanas leidet noch immer unter den Folgen, die der damalige Einsturz der Stadthöhle nach sich zog. Wir haben viele Leben verloren und haben manchen Mangel an lebenswichtigen Ressourcen.“ Er zupfte unruhig an seinen Bartzöpfen. „Ungeachtet der Tatsache, wie bereitwillig uns unsere Freunde vom Pferdevolk zur Seite stehen.“

„Sagt es frei heraus, Erster Axtschläger.“

Die kalte Stimme kam von der Tür, und als Nedeam sich umwandte, sah er dort die beiden Scharführer Arkarim und Pendrat. Das Gesicht von Pendrat war unbewegt, doch das von Arkarim verriet unverhohlenen Zorn.

Sandfalloms Gesicht verdunkelte sich ein wenig. „Ich spreche selbst mit dem Hohen Herrn Nedeam, Scharführer. Ihr mögt euch später dazu äußern.“

Arkarim ignorierte die Worte seines künftigen Vorgesetzten und sah Nedeam an. „Sie waren in der Öde, Nedeam. Nicht unsere Streifscharen, sondern die Zwerge!“

Nedeams Kopf ruckte zu Sandfallom herum. „Ihr wart in der Öde?“

Der Zwerg stieß ein leises Knurren aus. „Ja.“

Nedeam atmete mehrmals tief durch und versuchte, seinen aufkeimenden Zorn zu bezwingen. „Ihr alle kennt das Versprechen, welches wir den Paladinen Rushaans gaben. Wir sagten zu, nur den Süden zu bestreifen und den Rest des toten Landes zu meiden. Dies gab ihnen den Frieden.“

„Ihr Pferdemenschen habt es den Paladinen versprochen“, wandte Allruk hastig ein. „Es waren nicht die Worte der Zwerge.“

„Halt den Mund“, brummte Sandfallom unwirsch. „Solche Steinspaltereien sind der Zwerge unwürdig. Sie mögen im Königreich Alnoa gelten, doch nicht für uns.“ Er sah Nedeam an und zuckte die breiten Schultern. „Ich hätte es Euch ohnehin gesagt, Nedeam, das könnt Ihr mir glauben. Ja, wir Zwerge kennen das Versprechen, und auch wenn wir es nicht gegeben haben, so ist es doch das Wort unserer Freunde und somit auch für uns bindend.“

„Aber ihr habt dagegen verstoßen“, stellte Nedeam fest. „Ihr seid in die Öde gegangen und habt das Wort gebrochen, welches ich den Paladinen gab. Warum, Sandfallom? Warum habt Ihr mich in diese ehrlose Lage gebracht?“

„Die Paladine sind vergangen, es schmerzt sie nicht mehr“, murmelte der Erste Axtschläger.

„Es schmerzt mich!“, brüllte Nedeam auf. „Es war mein Wort, das ihr Zwerge gebrochen habt!“

„Das stimmt.“ Sandfallom war selbst ein Mann von großer Ehre, und es fiel ihm schwer, den Wortbruch einzugestehen. „Wir taten es nicht ohne Grund, Hoher Herr.“ Er senkte die Stimme und sah Nedeam beschwörend an. „Ihr mögt meine Bartzöpfe beschneiden, doch es gab einen guten Grund.“

Nedeams Zorn verrauchte. Er kannte den Stolz, den das kleine Volk mit seinen Bartzöpfen verband. Dennoch war Sandfallom bereit, die seinen aufgrund des Wortbruchs zu opfern. „Behalte deine Zöpfe, Freund Sandfallom“, knurrte er versöhnlich. „Aber sagt mir, um unserer Freundschaft willen, warum es geschah.“

„Wir Zwerge sind ein stolzes Volk.“ Der Zwerg strich sich unbewusst über die geflochtenen Zöpfe. „Ihr wisst, Nal´t´hanas leidet noch manchen Mangel, auch wenn unser Volk sich nun langsam erholt. Oh, ich weiß, das Pferdevolk hätte uns fraglos geholfen, wenn wir darum gebeten hätten, doch bedenkt unseren Stolz. Wir waren es immer gewohnt, unsere Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Doch für einen Teil der Sorgen ist diese Nordfestung verantwortlich. Wir brauchten Männer und Ressourcen, um sie zu errichten. Beides fehlte unserer Stadt.“

Nedeam nickte den beiden Scharführern zu, die unschlüssig in der Tür standen und die sich nun zurückzogen. „Ich verstehe. Deswegen kündete Allruk so überreichlich von den Verdiensten des kleinen Volkes an Feste und Signalstationen.“

„Er mag es ein wenig übertrieben haben“, räumte Sandfallom ein. „Er wusste von dem Ereignis in der Öde und versuchte, Euer Entgegenkommen zu erwirken, Nedeam.“

„Hm.“ Nedeam musterte Allruk, der ein wenig zu schrumpfen schien. „Schön, weiter, Sandfallom. Es geht ja wohl nicht allein darum, dass ein paar Zwerge in die Öde vordrangen. Offensichtlich ist dort etwas geschehen, das euch beunruhigt.“

„Nicht nur uns Zwerge.“ Sandfallom seufzte. „Scharführer Pendrat war es, der den einzigen Überlebenden entdeckte und zur Feste brachte.“ Er lächelte verlegen. „Glaubt mir, Pendrat war sehr erzürnt, doch er stand unter Befehl und hielt sich zurück, da ich ihm zusagte, euch selbst zu informieren.“

„Nach einer gewissen Einstimmung auf die Verdienste des Zwergenvolkes durch Allruk.“

„Hm, ja, das will ich wohl zugeben.“ Sandfallom erhob sich und ging ein paar Schritte auf und ab. „Es macht mich verlegen, die Ehre Eures Wortes, Nedeam, gegen den Stolz der Zwerge aufzuwiegen. Nun, das Reich Alnoa braucht viel Gold, und eine Streifschar des Pferdevolkes entdeckte ein reichhaltiges Vorkommen in der Öde.“

Nedeam seufzte schwer. „Dann ist auch eine unserer Streifscharen in die Öde vorgedrungen?“

„So ist es. Sonst hätten wir niemals von dem Goldvorkommen erfahren.“

„Ich werde einmal mit Scharführer Pendrat zu reden haben“, brummte Nedeam.

„Er tat es nicht ohne Grund.“ Sandfallom lächelte unglücklich. „Die Streifschar entdeckte fremde Spuren, denen sie eine Weile ohne Ergebnis folgte. Dabei stieß sie auf das Gold.“

„Ihr Zwerge verfügt selber über Gold.“ Nedeam strich sich über das Kinn. „Warum interessiert euch nun das Vorkommen in Rushaan?“

„Für den Handel mit Alnoa brauchen wir sehr viel Gold, und je schneller wir es bekommen, desto besser. Ha, dieses Gold Rushaans liegt direkt an der Oberfläche. Man braucht es nur aufzuheben.“ Für einen Moment funkelten Sandfalloms Augen begeistert.

„Also zogen eure Schürfer in die Öde, um genau dies zu tun.“

„Es sollte eine einmalige Aktion sein. Wir schickten eine Gruppe Schürfer und Axtschläger hinaus, die das Gold bergen und nach Nal´t´hanas bringen sollten. Doch dann geschah das Unglück. Die Gruppe wurde überfallen und niedergemetzelt.“

Nedeam erwiderte den Blick des Zwerges. „Die Paladine Rushaans sind vergangen. Es waren also nicht die ehemaligen Herren der Öde.“

„Wir wissen nicht, wer oder was es war. Der Überlebende berichtet von riesigen, pelzbedeckten Gestalten, die über das friedliche Lager herfielen und alle töteten.“

„Nun, für das kleine Volk erscheinen auch wir Menschen riesig“, meinte Nedeam lakonisch. „Könnte es ein Rudel Pelzbeißer gewesen sein?“

„Maratuk, das ist der überlebende Axtschläger, berichtet vom geordneten Vorgehen der Angreifer. Sie nutzten einen Kundschafter, um das Lager auszuspähen, und der Angriff erfolgte koordiniert. Nein, Nedeam, das waren sicherlich keine Tiere. Und es waren sicherlich auch keine Geister, die das Blut unseres Volkes vergossen.“ Sandfallom reckte sich ein wenig. „Blut, welches nach Rache schreit.“

„Ich kann diesen Wunsch wohl verstehen“, räumte Nedeam ein.

„Wer immer das war, er ist längst weit fort“, wandte Llaranya ein. „Er kam nicht aus der Öde und ist längst in seine Heimat zurückgekehrt.“

„Woher wollt Ihr das wissen, Hohe Frau?“, knurrte Sandfallom.

Nedeam überlegte. „Denkt an die Paladine der toten Stadt Rushaan. Sie bestreiften die Öde, um ihre Grenzen zu sichern. Nein, niemand lebt noch dort. Der Feind muss von außerhalb gekommen sein.“

„Er kam nicht über den verschütteten Pass.“ Sandfallom trat an die Karte und deutete mit dem Finger auf die betreffende Stelle. „Die Pferdescharen bestreifen den Bereich regelmäßig, und dort gibt es keine Veränderungen. Selbst eine kleine Gruppe Orks könnte sich nicht über ihn nach Rushaan schleichen.“

„Dann bleibt nur der Norden.“ Llaranya seufzte leise. „Hoch im Norden, an der Grenze zum Kaltland, gibt es einen weiteren Pass ins Reich der Finsternis.“

„Die Orks vertragen die Kälte nicht. Sie leiden stark unter ihr“, meinte Nedeam. „Denk an den Feldzug gegen Cantarim und die Kämpfe um Merdoret.“

„Genau das tue ich.“ Sie lächelte. „Denk an die fellgefütterten Rüstungen der Rundohren. Vielleicht haben sie ihre Rüstungen mit noch dickerem Fell versehen, damit sie den Pass im Norden nutzen können.“

„So viel Fell gibt es im gesamten Reich der Finsternis nicht, um damit genug Rüstungen zu füttern“, knurrte Nedeam.

„Unser Freund Fangschlag sagte, der Schwarze Lord wolle die Öde, um an ihre Erze heranzukommen. Er braucht viel Eisen für die Waffen und Rüstungen seiner Legionen.“ Die Elfin trat neben Sandfallom. „Vielleicht muss er ja nicht viele Orks über den Norden nach Rushaan schicken. Gerade genug, um das Erz zu schürfen und in seine Schmieden zu bringen.“

„Maratuk ist ein erfahrener Axtschläger.“ Sandfallom schüttelte den Kopf. „Er kennt die Orks und schwört, dass es keine der Bestien waren.“

„Jedenfalls gibt es dort etwas, das uns feindlich gesonnen ist.“ Nedeam sah Llaranya an. „Kennt ihr Elfen ein Volk, das dort lebt?“

„Ich weiß es nicht.“ Llaranya zuckte die Schultern. „Das Haus Deshay war das Haus des Urbaums und lebte isoliert in seinem Wald. Wir … Wir interessierten uns nicht sonderlich für die Vorgänge in anderen Ländern. Es mag Leben im Norden geben. Wenn wir Elfen dies wussten, so kann ich dennoch nicht helfen. Die Aufzeichnungen meines Volkes, die mir noch zur Verfügung stehen, sind sehr lückenhaft.“

„Wir sollten es nicht riskieren, dass jemand im Norden lebt, den wir nicht kennen“, sinnierte Nedeam. „Zumal wenn die Gefahr besteht, dass er uns feindlich gesonnen ist. Vielleicht ist es nur ein kleiner Stamm, vielleicht ist es aber auch ein mächtiges Volk.“

Sandfallom nickte. „Eben dies müssen wir in Erfahrung bringen.“ Er sah Nedeam abermals verlegen an. „Wir Zwerge sind dafür kaum geeignet. Nicht, dass wir Kälte und Gefahr scheuen, doch seht euch die Karte an … Mit unseren kurzen Beinen werden wir langsam sein und viel Zeit brauchen, den Norden zu erkunden.“

„Dem stimme ich zu“, sagte Nedeam. „Dies ist eine Aufgabe für die Pferdelords.“

„Und für eine Elfin“, wandte Llaranya ein. „Ich kenne dieses Funkeln in deinen Augen. Du willst sie selbst hinausführen.“

„Ich kann nichts von ihnen verlangen, was ich selbst nicht zu geben bereit bin.“

„Ah, gib es zu, es ist auch die Neugierde, die dich hinaustreibt. Ich bin selbst gespannt, was wir im Norden entdecken werden.“

In Nedeam regte sich Widerspruch. „Pferdelords, meine Geliebte. Eine Frau gehört nicht …“

„Ah, wollen wir einander wieder in der Kampfkunst messen?“ Ihre Stimme verriet Selbstsicherheit. „Reiten, Fechten oder der Bogen? Was wählst du?“

Nedeam errötete. Er wusste sehr wohl, dass seine Elfin ihn in den meisten Kämpfen schlagen würde.

Llaranya lächelte in ihrer sanften Art. „Zudem solltest du etwas bedenken, mein geliebter Erster Schwertmann. Die Pferdelords sind Menschen, und ich bin eine Elfin. Wenn wir einem fremden Volk begegnen, so könnte es hilfreich sein, wenn dieses erfährt, wie sehr wir miteinander verbunden sind.“

„Sie hat recht“, sagte Sandfallom.

Nedeam warf ihm einen giftigen Blick zu. „Du bist sehr hilfreich, Freund Sandfallom.“

Der runzelte ein wenig die Stirn und nickte dann. „Ich verstehe deine Bedenken, weil sie dein Weib ist. Aber sie ist auch eine elfische Kämpferin. Die Schlacht von Merdonan, dann Merdoret … Erwähnte ich schon, dass wir Zwerge solche Berichte sehr aufmerksam verfolgen?“

„Du erwähntest es“, bestätigte Nedeam mit düsterem Blick.

„Schön.“ Llaranya lachte auf. „Dann wäre das ja geklärt.“

Nedeam blieb nichts anderes, als sich zu fügen. Seine Elfin passte nun einmal nicht in das traditionelle Frauenbild des Pferdevolkes und hatte dies schon oft bewiesen. Sie war ihm selbst nach Merdoret gefolgt, in das Reich des Schwarzen Lords, obwohl er ihr dies untersagt hatte. Er mochte seinen Pferdelords befehlen können, doch Llaranya kümmerte das wenig.

„Ich müsste einen der Beritte nehmen, die mit uns aus der Hochmark heraufgekommen sind“, überlegte Nedeam. „Es wäre nicht Recht, jene Männer nach Norden zu führen, die nun schon eine Jahreswende in der Nordfeste dienen.“ Er sah Sandfallom fragend an. „Reicht ein Beritt für die Streifen in die Öde aus?“

Der Befehlshaber der Festung nickte.

Nedeam rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich bin der Erste Schwertmann der Hochmark und führe das Banner der Hohen Dame Larwyn. Ich kann nicht ohne ihre Zustimmung handeln, aber ich bin mir sicher, dass sie ihre Einwilligung geben wird. Sagt, Freund Sandfallom, kann ich ihr über die Signalstationen eine Nachricht übermitteln?“

„Jederzeit, mein Freund.“ Sandfallom lächelte. „Das Signalsystem ist längst verfeinert. Früher konnten wir nur wenige Zeichen übermitteln und haben ihnen eine feste Bedeutung zugeordnet. Nun, die Alnoer sind durchaus habgierig, aber keinesfalls dumm, wie ich zugebe. Sie haben eine Sprache aus kurzen und langen Blinkzeichen entwickelt, mit dem sich jedes beliebige Wort übermitteln lässt. Es ist noch hell genug, und die Antwort trifft vielleicht ein, bevor sich die Sonne neigt.“

„Gut. Dann werde ich der Hohen Dame Larwyn die Situation schildern und ihr mitteilen, was ich beabsichtige. Sie wird nicht zögern.“

Sandfallom zog an seinen Bartzöpfen. „Wahrhaftig, Nedeam, ich würde selbst eine Schar braver Axtschläger anführen. Es ist unser Blut, das vergossen wurde, und es behagt mir nicht, dass es durch die Schwerter und Lanzen der Pferdelords vergolten wird. Aber ich muss den Stolz der Zwerge hintanstellen.“

„Ich weiß. So kraftvoll eure Beine auch sind, sie bleiben dennoch langsamer als die Läufe unserer Pferde.“

„Bevor ihr Männer euch nun in gegenseitigem Lob und Treueversicherungen ergeht, sollten wir uns den praktischen Vorbereitungen zuwenden.“ Llaranya trat neben Sandfallom an die Karte. „Es ist ein weiter Weg ins Kaltland hinauf.“ Sie sah Nedeam an. „Du erinnerst dich noch an Merdoret?“

„Welche Frage“, knurrte er. „Worauf willst du hinaus?“

„Der Feldzug wurde im Winter durchgeführt.“

„Falls du es noch nicht weißt, mein geliebtes elfisches Wesen, ich war dabei.“

„War dir kalt?“

„Gelegentlich.“ Nedeam strich sich über das Kinn. „Ich verstehe. Das Kaltland ist noch kälter, nicht wahr?“

„Viel kälter. Es ist das Land des ewigen Eises.“

Nedeam überlegte kurz und nickte dann. „Du hast Recht, darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir brauchen warme Bekleidung und Schutz für unsere Pferde.“

„Kannst du dich noch entsinnen, wie du den guten König Balruk von der grünen Kristallstadt Nal´t´rund kennenlerntest?“

„Unvergessen.“ Der Erste Schwertmann der Hochmark seufzte leise. „Die Attacke Garodems, als wir um die letzte Zuflucht der Zwerge kämpften … Dorkemunt mit seiner Axt … Ein glorreicher Kampf und doch voller schmerzlicher Erinnerungen.“

„Du hast mir von den damaligen Ereignissen erzählt“, bestätigte die Elfin. „Und auch von dem Grund, warum die Orks einst Nal´t´rund berannten.“ Sie lächelte Sandfallom an. „Sagt, Hoher Herr Sandfallom, gibt es in Nal´t´hanas Schwarzkristall?“

„Selbstverständlich.“ Der Zwerg zupfte nachdenklich an seinen Bartzöpfen.

„Ihr könnt ihn in kleine hauchfeine Plättchen schneiden? Gerade so, dass man noch ein wenig hindurch sehen kann?“

„Welche Frage.“ Sandfallom klang ein wenig beleidigt. „Gebt uns Zwergen Stein oder Kristall, und wir zeigen euch, was sich daraus fertigen lässt.“

„Schön, dann brauchen wir nur noch die passenden metallenen Rahmen“, sagte Llaranya zufrieden.

Nedeam kratzte sich nachdenklich im Nacken.

Seine Elfin hatte etwas ersonnen, und er hätte zu gerne gewusst, was es damit auf sich hatte.


Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes

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