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Kapitel 10

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Sie war Julara-Alecia-Frau, die Kronenträgerin. Sie war es, welche die Geschicke aller Frauen lenkte. Ihre Gestalt war anmutig und das golden schimmernde Haar fiel in weichen Kaskaden über ihre Schultern. Ihre Stirn war von einer Halbkrone bedeckt, die an den Schläfen in einen schlichten Goldreif überging. Dies war das Symbol ihrer Macht, das Zeichen der Kronenträgerin. Sie hieß das neue Leben willkommen oder verbannte es aus Julinaar, denn Julinaar war die Stadt der Frauen.

Hinter ihr, im gebührenden Abstand von einem halben Schritt, folgte Helen-Frau, die Kommandantin der Hüterinnen, in ihrer besten Uniform. Das galt ebenso für die Kämpferinnen, die in Dreierreihen folgten. Die beigefarbenen Gewänder waren in ordentliche Falten gelegt, das Rot von Stehkragen und Ärmelabschlüssen leuchtete. Alles Leder war geölt und die Griffe der Langmesser poliert. An den Unterarmen der Frauen flatterten grüne und schwarze Stoffstreifen. Die Kommandantin trug zusätzlich eine Tasche aus glänzendem roten Leder, welche weitere dieser Bänder enthielt. Als die Kronenträgerin und ihre Eskorte vom Palast aufbrachen, war diese Tasche voll gewesen. Inzwischen war die Gruppe schon fast am Ende ihrer Runde und die Zahl der Stoffstreifen hatte abgenommen. Diese waren nun um die Türgriffe diverser Häuser gebunden, als Zeichen der Freude oder der Trauer.

„Mir tun die Füße weh“, raunte eine der Hüterinnen.

Helen-Frau hatte die leise Bemerkung gehört. „Es mag eine schmerzliche Pflicht sein, Hüterin“, erwiderte sie ebenso leise und ohne sich umzuwenden, „doch deine schmerzenden Füße dienen dem Wohl Julinaars. Klage also nicht, denn anderen Füßen ergeht es sicherlich nicht besser.“

Die Hüterin errötete ein wenig. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Helen-Frau die Bemerkung gehört hatte, und es machte sie verlegen, da sie zu jenen Auserwählten gehörte, die mit der Kommandantin gelegentlich das Bett teilten.

Sicherlich hatte die Kronenträgerin den kurzen Disput vernommen, doch sie ignorierte ihn. Sie hatten erneut ein Haus erreicht, an dessen Türgriff das weiße Band der Geburt hing.

„Im Namen Julinaars und der Übereinkunft“, rief Helen-Frau, „öffnet die Tür, um Trauer oder Freude Einlass zu gewähren.“

Die Tür wurde geöffnet, und eine junge Frau trat hervor, die ein Stoffbündel im Arm hielt, in dem etwas protestierend krähte und heftig mit den kleinen Beinen strampelte. Schon das Lächeln der jungen Mutter verriet ihre Freude, doch die Tradition verlangte, dass sich die Kronenträgerin persönlich überzeugte.

Julara-Alecia-Frau schlug den Stoff auseinander und nickte dann. „Ein Grund zur Freude. Acht Monde hast du die Leibesfrucht getragen und unter der Ungewissheit gelitten. Nun hältst du den Lohn in Armen.“ Sie lächelte den Säugling an. „Sei uns willkommen, junge San.“ Die Kronenträgerin beugte sich vor und küsste sanft die Stirn des Mädchens. Dann richtete sie sich auf und sah die Mutter an. „Du hast deinen Teil der Übereinkunft erfüllt und großes Leid auf dich genommen. Ganz Julinaar ist stolz auf dich.“

Die Kronenträgerin machte eine unmerkliche Geste und Helen-Frau öffnete die rote Ledertasche und nahm ein grünes Stoffband heraus.

„Dies sei das Zeichen deiner Aufopferung und unser aller Freude“, sagte Julara-Alecia-Frau und knotete das Band um den Türgriff.

Die Gruppe schritt weiter, folgte dem Verlauf der Straße.

Überall vor den Häusern standen Frauen uns sahen der Kronenträgerin und ihren Begleiterinnen zu. Mitleidige Blicke trafen ein paar Frauen, die ein Stück hinter den Hüterinnen gingen und andere Stoffbündel trugen, in denen andere Säuglinge friedlich schliefen oder ihren Unwillen kundtaten. Jede dieser Frauen trug eine Flasche mit dem Saft des Ojat-Farns bei sich. Es war derselbe Saft, den die Männer nutzen würden, um die der Mutterbrust entrissenen männlichen Säuglinge am Leben zu erhalten.

„Im Namen Julinaars und der Übereinkunft“, rief die Kommandantin. „Öffnet die Tür, um Trauer oder Freude Einlass zu gewähren.“

Die Tür öffnete sich mit leisem Knarren und eine Frau trat hervor. Auch sie hielt ein Stoffbündel im Arm.

Julara-Alecia-Frau schlug den Stoff auseinander und nickte betrübt. „Ein Grund zur Trauer. Acht Monde hast du die Leibesfrucht getragen und unter der Ungewissheit gelitten. Nun hältst du in Armen, was die Übereinkunft erzwang. Du hast deinen Teil der Übereinkunft erfüllt und großes Leid auf dich genommen. Ganz Julinaar ist stolz auf dich.“

Auf eine Geste der Kronenträgerin hin, öffnete Helen-Frau die rote Ledertasche und nahm ein schwarzes Stoffband heraus.

„Dies sei das Zeichen deiner Aufopferung und unseres Leides“, sagte Julara-Alecia-Frau und knotete das Band um den Türgriff. „So kannst du nun die Frucht der Übereinkunft an uns übergeben. Kein Makel wird auf dich fallen.“

Eine Frau aus der Gruppe hinter den Hüterinnen eilte herbei und nahm das Bündel an sich.

Die Kronenträgerin nickte der Mutter zu, dann schritt die Gruppe weiter.

Einige der Säuglinge waren erst wenige Tage alt, andere beinahe einen vollen Mond. Eine Geburt erfolgte nicht immer nach dem rechten Maß des achten Mondes, und in Julinaar wurde das berücksichtigt. Doch nun waren alle Kinder geboren und eine Botin würde zur Brücke eilen und die Nachricht an die Wachen der Männer überbringen. Diese warteten sicherlich schon darauf, die männlichen Säuglinge abzuholen.

„Ich werde froh sein, wenn wir die kreischenden Knaben endlich los sind“, murmelte die Hüterin, die sich zuvor bereits über ihre Füße beklagt hatte.

Helen-Frau nickte. „In fünf Tageswenden werden wir sie zum üblichen Ort bringen. Dann sind sie in der Obhut der Männer.“


Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes

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