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Kapitel 3 Passage
ОглавлениеDer steinerne Kai am Dock wirkte übervölkert und der Träger hatte Mühe, dem Ehepaar Ganzweiler und ihrer Tochter Friederike zu folgen. Immer wieder wurde der Mann von anderen angerempelt, die den verschiedensten Verrichtungen nachgingen.
Friederike verstand nicht viel von Seefahrt, obwohl sie einiges darüber gelesen hatte. Vor allem spannende Geschichten mit tapferen Seeoffizieren, die unschuldige Maiden vor blutrünstigen Piraten erretteten. Doch in solchen Büchern wurde immer von stolzen Segelschiffen geschrieben und Friederike fühlte sich verwirrt, wie sehr hier im Hamburger Hafen die Qualmwolken von Dampfmaschinen dominierten. Sie war das Zischen der Gaslaternen in den besseren Vierteln von Frankfurt gewohnt, doch der Lärm der Dampfmaschinen war um ein vielfaches lauter. Zudem roch es bei weitem nicht so gut, wie es in ihren Romanen immer beschrieben worden war. Der viel gerühmte Duft der See bestand aus einem Gemisch von fauligem Gestank und den Gerüchen von Teer und Kohlestaub, die sich mit denen der verschiedenen Ladungen, und dem von Obst und Gemüse mischten.
Friederike rümpfte ein wenig die Nase und drehte unbewusst den Sonnenschirm in ihrer behandschuhten Hand. Sie irritierte nicht nur die Maschinen der mächtigen Schaufelraddampfer, die ihre Rauchfahnen aus dünnen Schornsteinen bliesen. Nein, erst vor wenigen Minuten war sie erschrocken zusammengefahren, als neben ihr eine Dampfpfeife schrillte. Sie hatte erstaunt gesehen, wie ein dampfbetriebener Kran seine Lasten aus einem Zubringerboot an Land hob.
Es gab nur wenige Frauen hier im Dockbereich des Hafens und die eine oder andere mochte nicht zu jener Sorte Damen gehören, die sich eigentlich geziemte. Karolina, Friederikes Mutter, zog ihre hübsche und neugierige Tochter immer wieder hastig mit sich, wenn sie ein solches „loses“ Frauenzimmer zu Gesicht bekam.
Es gab sicher nicht viele Männer, die sich nach einer Begegnung mit Karolina Ganzweiler gesehnt hätten, obwohl sie früher ein hübsches Mädchen gewesen sein sollte. Inzwischen hatte sie jedoch ebenso viel an Umfang gewonnen, wie an Liebreiz verloren. Es bereitete der fülligen Frau keine Probleme, in all dem Gedränge eine Gasse für sich und ihre Tochter zu bahnen.
Sogenannte Schauerleute entluden Schiffe oder Fahrzeuge und trugen die Waren zum nächsten Transportmittel oder in die angrenzenden Lagerhäuser. Dazwischen waren die Uniformen von Matrosen und Schiffsoffizieren zu erkennen. Die Stimmen von Händlern oder Lagerverwaltern schienen alles zu dominieren. Ein Stimmengewirr unterschiedlicher Sprachen mischte sich, bei dem die deutschen Dialekte und das Englische vorherrschten. Einige Zollbeamte kontrollierten Warenstapel oder Papiere, und die Ganzweilers wichen einer Gruppe Männer aus, welche, mit Kohlenstaub bedeckt, Säcke voller Brennstoff für die Dampfmaschinen zu wartenden Booten trugen. Entlang des Kais lagen Dutzende von Schiffen, größere und kleinere. Nur wenige davon waren noch reine Segler, denn hier lagen überwiegend jene Schiffe, welche den Atlantik überquerten und das waren überwiegend Schiffe mit Dampfantrieb. Es gab einige davon, die zur Reserve auch noch eine Beseglung aufwiesen. Das Schiff, auf dem die Ganzweilers ihre Passage gebucht hatten, sollte einer der schnellen Postdampfer sein. Friederike freute sich auf die Reise mit dem Schiff, auch wenn ihr der endgültige Abschied von der Heimat ein wenig schwer fiel.
„Ich hätte nicht gedacht, dass der Hafen so groß ist“, sagte sie fasziniert. „All diese Leute und diese Schiffe.“
„Nun, mein Liebes, der größte Teil des Überseehandels kommt hier herein“, sagte Josef Ganzweiler geistesabwesend. „Und der größte Teil des Passagierverkehrs. Gott, wo ist bloß die verdammte Celeste?“
„Josef.“ Es war nur dieses einzelne, leise und mahnende Wort, welches Karolina aussprach und das Friederikes Vater zu einem entschuldigenden Räuspern nötigte.
„Äh, ja“, fuhr er nervös fort, „das Schiff muss hier irgendwo liegen.“
„Ich könnte einen der Männer fragen“, erbot sich Friederike unbekümmert.
„Kind.“ Es war derselbe Tonfall wie bei ihrem Vater, doch Friederike hatte eine gewisse Übung darin, ihn zu überhören, und bevor Karolina die Hand der Tochter fester packen konnte, hatte diese sich schon aus dem Griff gelöst.
Es war heiß hier im Hamburger Überseehafen und die junge Frau schwitzte unter dem dicken Stoff ihres Reisekostüms und den vielen Lagen von Unterkleidern, die den Rock bauschten. Vorhin hatte sie im Hotel heimlich ihr Mieder ein wenig gelockert, damit sie wenigstens leichter atmen konnte. Friederike erblickte einen hoch gewachsenen Mann in der dunkelblauen Uniform eines Schiffsoffiziers und ging entschlossen auf ihn zu.
„Was kann ich für Sie tun, meine junge Dame?“
Karoline Ganzweiler blickte zu ihrer Tochter herüber wirkte halbwegs erleichtert, als Friederike einen Mann ansprach, der immerhin die Uniform eines Schiffsoffiziers trug.
„Wir haben eine Passage nach Amerika gebucht“, sagte Friederike lächelnd und sie wusste inzwischen, dass dieses Lächeln unmögliche Dinge möglich machte. „Auf der Celeste. Aber wir können das Schiff nicht finden.“
Der Offizier blickte über Friederikes Schulter hinweg auf Karolina, die keinen Zweifel daran ließ, dass ihr Küken unter ihrer Obhut stand. „Nun, mein Fräulein, die Celeste liegt auch draußen auf Reede. Der Ankerplatz vor dem Hafen“, fügte er freundlich hinzu. „Aber wenn Sie den Kai weiter gehen, dann kommen Sie zum Anlieger, wo die Dampfbarkasse liegt, die Sie zur Celeste bringen wird.“
Friederike Ganzweiler deutete einen Knicks an und der Offizier legte grüßend seine Hand an die Schirmmütze. Friederike wandte sich den Eltern zu. „Wir müssen noch ein Stück den Kai entlang.“
Karolina seufzte. Sie warf dem Träger einen intensiven Blick zu. Der Mann nahm die Koffer erneut auf und ging folgsam voraus. Karolina Ganzweiler hielt den Mann stets im Auge. „Offen gesagt, mein lieber Josef“, sagte sie leise, damit andere dies nicht hören konnten, „ich finde es keine glückliche Wahl, dass wir ausgerechnet nach Amerika gehen. Wir hätten nach England gehen können. Schmurz war doch auch dort.“
„Schurz. Karl Schurz“, korrigierte Josef unbewusst. „Und jetzt ist er nach Amerika. Meine Liebe, wir werden viele alte Freunde und Bekannte dort vorfinden.“
„Du wirst viele Freunde und Bekannte vorfinden“, erwiderte seine Frau seufzend. „Herrgott, Josef, ich habe dir damals schon gesagt, wir hätten uns nicht in die Politik einmischen sollen. Außerdem hättest du deine Geschäfte auch in Frankfurt weiterführen können.“
Josef Ganzweiler ignorierte ihre Bemerkung. Er war es leid, darüber mit ihr zu diskutieren. Eigentlich war es ohnehin erstaunlich, dass sie der Emigration überhaupt zustimmte. Aber sie hatte es getan und wenn Karolina einmal zu einem Entschluss gekommen war, ließ sie sich nicht mehr davon abbringen. Wie damals, als sie diesen „Friedrich sowieso“ als nicht standesgemäß beurteilt hatte. Josef fand ihn ganz sympathisch, zumal der Junge und seine Brüder sich aktiv an der demokratischen Revolution beteiligt hatten.
Fast ein Jahr war vergangen, bis Josef sein Geschäft in Frankfurt endlich auflösen konnte. Er verließ die Stadt ohne Bedauern, auch wenn er hier gute Geschäfte getätigt hatte. Aber in einem königlichen Frankfurt fühlte er sich nicht wohl. Nicht, nachdem er einmal, wenn auch nur kurz, den Geschmack demokratischer Freiheit kosten konnte.
Die wichtigsten Papiere und Aktien führten sie nun mit sich, dazu ein Teil des Barvermögens. Das meiste Geld hatte Josef bereits auf ein New Yorker Bankhaus transferieren lassen. Es würde ihnen nicht schlecht gehen in Amerika und wahrscheinlich würde Karolina schon bald nach einer guten und, vor allem, angemessenen Partie für Friederike Ausschau halten.
„Da vorne ist ein Schild der Reederei, für welche die Celeste fährt!“, rief Friederike erleichtert.
„Gott sei Dank.“ Karolina Ganzweiler keuchte ein wenig. Auch ihr war zu warm und das ständige Gedränge und Geschiebe nervten sie zusehends.
Von dem gemauerten Kai führten glitschige Stufen etliche Meter hinunter zu der vertäuten Dampfbarkasse. Karolina Ganzweiler beäugte die Treppe misstrauisch. Ein junger Mann in Offiziersuniform blickte von dem Zubringerboot zu ihnen herauf. „R.M.S. Celeste?“
„Ja, zur Celeste“, bestätigte Josef erleichtert. „Wir haben eine Passage gebucht. Nach Amerika.“
Der junge Seeoffizier kam die Stufen herauf und reichte Karolina galant die Hand, um ihr die Stufen herab zu helfen. Es war ein schlanker junger Mann, der Karolinas Masse sicher wenig entgegenzusetzen gehabt hätte, wenn diese ins Straucheln geraten wäre. Doch Friederikes Mutter gelangte sicher auf das kleine Dampfboot. Ihre zunehmende Blässe verriet, dass der auf den Wellen dümpelnde Rumpf und seine Bewegungen ihr nicht geheuer waren.
„Josef, das Schiff wackelt“, sagte Karolina unsicher. Sie tastete nach einem Halt und ließ sich erleichtert auf eine der Bänke sinken. „Oh, Jesus, ich fürchte, mir wird ein wenig übel.“
„Es wird Ihnen gleich besser werden, gnädige Frau“, versicherte der junge Offizier hastig, während er Friederike lächelnd ins Boot half. „Auf der Celeste sind die Bewegungen für Sie nicht so unangenehm. Die Celeste ist ein großes Schiff, gnädige Frau. Wenn Sie gestatten… Lieutenant Timothy Arguille, zu Ihren Diensten, gnädige Frau. Ich bin der zweite Offizier der Celeste.“
„Dieses Schiff hier wackelt jedenfalls äußerst unangenehm, junger Mann.“ Karolina fächelte sich Luft zu.
„Das ist nur ein Boot, Mama“, sagte Friederike und erwiderte das Lächeln des Seeoffiziers. „So etwas wie ein Rettungsboot.“
„Rettungsboot?“ Karolinas Blässe vertiefte sich. Die Bemerkung ihrer Tochter führte ihr wohl vor Augen, das Wasser keine Balken besaß.
„Ein Beiboot, gnädige Frau“, sagte der Leutnant freundlich. „Sie werden sehen, die Celeste ist ein sicheres und sehr schönes Schiff. Sie werden die Reise genießen, gnädige Frau.“ Der Seeoffizier beobachtete zwei Matrosen, welche die Überseekoffer und Kisten der Familie in die Barkasse luden und dort verstauten. Karolina schien es in der Tat ein wenig übel zu sein, da sie sich nicht über die Behandlung des Gepäcks beschwerte. Sie machte auch keine Anmerkung, als Josef dem Gepäckträger ein, ihrer Meinung nach zu hohes, Entgelt gab.
Friederike machten die unruhigen Bewegungen des Bootes nichts aus. Sie beobachtete den jungen Offizier und bewunderte die Selbstsicherheit, mit welcher der junge Mann die älteren Matrosen beaufsichtigte. Dieser Timothy Arguille gefiel ihr. Seine Haut war tief gebräunt und ihr fiel auf, wie gekonnt der Seeoffizier die Bewegungen des Bootes mit seinem Körper ausglich.
„Friederike.“ Karolina war nicht übel genug, als dass ihr die Blicke ihrer Tochter nicht aufgefallen wären. „Das ist unschicklich.“
Friederike errötete ein wenig. Nach Meinung ihrer Mutter war nahezu alles unschicklich, was auch nur im mindesten Spaß machte. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie „echauffiert“ ihre Mutter gewesen war, als Friederike einmal nicht im Damensitz auf einem Pferd gesessen hatte. Vielleicht war es ja einfach die Sorge der Mutter um ihre Tochter, aber Friederike fühlte sich eingeengt, vor allem was ihre Kontakte zum anderen Geschlecht angingen. Zu jedem Ball oder Tanzvergnügen war Karolina mitgekommen. Mancher junge Mann war dadurch von jedem Kontaktversuch abgehalten worden.
Als Friederike dann Friedrich Baumgart und seine Brüder in der Paulskirche kennengelernt hatte, war dies nur dem Umstand zu verdanken gewesen, dass ihre Mutter sich vehement weigerte, sich für Politik zu interessieren. „Es heißt nicht umsonst, dass uns der König von Gottes Gnaden regiert“, pflegte Karolina stets zu betonen. Sie war dem Interesse ihres Mannes für Demokratie eher unverständig begegnet. Friederike spürte, dass ihre Mutter allerdings eine inständige Liebe zu Josef Ganzweiler empfinden musste, denn sie hatte dem Gatten stets beigestanden. Ja, Karolina hatte sicherlich ihre guten Seiten, auch wenn Friederike sich durch ihre Mutter zunehmend eingeengt fühlte.
„Leinen los“, kommandierte Timothy Arguille.
Zischend und prustend stieß die kleine Dampfmaschine eine Rußwolke in den Himmel. Friederike sah Funken aus dem spargeldünnen Schornstein aufsteigen, während das Boot sich von der Anlegestelle löste.
„Obacht, da vorne, Simmons“, befahl Arguille. „Haltet von der Pinasse da vorne klar.“
Der Mann an der Ruderpinne der Dampfbarkasse, sie verfügte nicht über das Steuerrad der größeren Schiffe, legte das Steuerholz nach links und das Boot zog nach rechts herum. Wasser klatschte an den hölzernen Rumpf. Als sie an einem einfahrenden Schiff vorbeikamen, wurde der Rumpf von den Wellen ruckartig angehoben und gesenkt. Karolina legte ihre Hand vor den Mund und in ihrem Gesicht kämpften Blässe und Röte miteinander.
Gekonnt steuerte die Dampfbarkasse aus dem Hafen heraus. Vor ihnen breitete sich die Reede aus, wo die meisten der großen Schiffe ankerten. Während ihre Mutter mit aufkeimender Übelkeit kämpfte, beobachteten Friederike und ihr Vater interessiert die ankernden Schiffe.
„Welches davon ist die Celeste, Herr Leutnant?“, erkundigte sich Josef Ganzweiler.
„Der große Dampfsegler, direkt voraus. Mit dem schwarzen Rumpf und den weißen Aufbauten“, erklärte Arguille bereitwillig. „Die R.M.S. Celeste ist erst vor vier Jahren in Liverpool vom Stapel gelaufen.“
„Was heißt eigentlich R.M.S.?“, fragte Friederike und lächelte Arguille an. Sie bemerkte, dass er unter ihrem Blick leicht errötete. Zumindest vertiefte sich seine Bräune. Sie fand, dass ihm das gut stand.
„Royal Mail Ship, königliches Postschiff“, erläuterte der Seeoffizier. Er räusperte sich und schien unter Friederikes Blick unsicher zu werden. „Wir fahren Liverpool, Hamburg, New York, und ich denke, wir dürften das schnellste Schiff auf der Strecke sein. Wir haben zwei Whittney-Pratt-Dampfmaschinen, die direkt auf die beiden Schaufelräder wirken. Wir können mühelos zwölf Knoten Dauergeschwindigkeit fahren.“
„Und wofür haben Sie die Segel? Rahbesegelung, nicht wahr?“
„Oh, Sie kennen sich gut aus, gnädiges Fräulein.“ Arguille sah Friederike überrascht an. „Ja, wir haben drei Masten mit Rahbesegelung. Nur für den Fall, dass mit dem Dampfantrieb etwas nicht in Ordnung ist.“ Er bemerkte Karolinas Blick und fügte rasch hinzu: „Nur für alle Fälle, aber ich versichere Ihnen, wir hatten noch nie Probleme mit den Maschinen. Sind äußerst zuverlässig.“
„Hoffentlich wackelt das Boot nicht so wie dieses“, seufzte Karolina.
„Schiff, Mama“, sagte Friederike automatisch. „Das da vorne ist ein Schiff. Das hier, das ist ein Boot.“
„Hauptsache“, sagte Karolina, „es wackelt nicht so.“