Читать книгу Für Freiheit, Lincoln und Lee - Michael Schenk - Страница 8
Kapitel 6 1854 – Differenzen und die Gradwanderung des Missourikompromisses
ОглавлениеAmerika war ein ungeheuer großes Land, doch nur die Ostküste und die Westküste waren wirklich besiedelt. Die wesentlichen Handelsverbindungen führten an den Küsten entlang. Schiffe waren die Lasttiere, welche Fracht und Menschen von Küste zu Küste brachten. Der Westen bot zwar ungeheuere Weiten und Möglichkeiten, aber er war nicht erschlossen. Doch der Gedanke keimte zunehmend, seine Besiedlung zu forcieren und eine Verkehrsverbindung über Land zu schaffen. Das erforderliche Mittel, die Eisenbahn, gab es längst.
Im Kansas-Nebraska-Akt schlug die Geburtsstunde einer rein unionistisch ausgerichteten republikanischen Partei. Ursache war der Wunsch, jene transkontinentale Eisenbahn zu bauen, welche Ost- und Westküste miteinander verbinden sollte und so die Erschließung des Westens ermöglichen würde. Zwar gehörte das nicht erschlossene Land den Ureinwohnern Nordamerikas, den Indianern, aber im Gegensatz zu den alten indianischen Zivilisationen, aus der Zeit der Kolonien, gab es keine vereinigten Stämme und keine indianische „Zentralregierung“, mit der man Verträge abschließen konnte. Solange die einzelnen indianischen Stämme das Land nicht an die Regierung der Union abtraten, solange konnte dieses Land nicht als Territorium ausgewiesen werden. Das sogenannte Territorium war jedoch die Voraussetzung dafür, dass dieses Land vermessen und besiedelt werden konnte.
Theoretisch hätten alle Amerikaner von der Aussicht begeistert sein müssen, den Westen zu besiedeln. Aber da war das Problem des 36. Längengrades. Es gab unübersehbare Differenzen zwischen jenen Staaten, welche Sklaven hielten, und denen, die dies ablehnten. Um dies nicht eskalieren zu lassen, hatte man sich im sogenannten Missouri-Kompromiss darauf geeinigt, dass nördlich des 36. Längengrades keine Sklaven gehalten werden durften.
Die Besiedlung des Westens würde überwiegend nördlich dieser „Grenze“ stattfinden, das war den Menschen im Süden bewusst. Eine Zustimmung der Südstaatler zur Besiedlung der Territorien, die später einmal als Staaten in die Union aufgenommen werden würden, musste zwangsläufig dazu führen, dass der sklavenfreie Norden immer stärker wurde und sich das Stimmenverhältnis immer weiter gegen den Süden verlagern musste. Da jeder neue Mitgliedsstaat der Union in Senat und Kongress vertreten war, würde der Norden dadurch in die Lage versetzt, Gesetze zu verabschieden, die von den Staaten des Südens nicht verhindert werden konnten.
Im Jahr 1854 war es allerdings noch so, dass der Senat der Vereinigten Staaten von Nordamerika die Stimme von wenigstens sechs Repräsentanten der Südstaaten benötigte, um die Besiedlung der Territorien und den Bau der transkontinentalen Eisenbahn beschließen zu können. Um die geplante Ausdehnung der Union in den Westen zu ermöglichen, kam es zu einem neuerlichen Kompromiss, welcher den Missouri-Beschluss aufweichte. Das Leibeigenschaftsverbot für die neuen Gebiete wurde aufgehoben, und Sklavenhalter wie Nichtsklavenhalter wurden gleichberechtigt auf eine Stufe gestellt.
Der Süden war mit dieser Regelung zufrieden, doch bei den Gegnern der Sklaverei löste der erneute Kompromiss einen wütenden und emotional geführten Proteststurm aus. Angeheizt wurde die Stimmung durch leidenschaftliche Reden und den Nachdruck den Buches „Onkel Toms Hütte“. Zudem herrschte in diesen Monaten auch noch Wahlkampf.
Abraham Lincoln kam aus ärmlichen Verhältnissen und war in Kentucky aufgewachsen. Er schaffte es, Rechtsanwalt zu werden und war ein leidenschaftlicher und durchaus schlagfertiger Redner. Lincoln war ein ausgesprochener Gegner der Sklaverei, die er für menschenunwürdig hielt, doch zugleich ein fast schwärmerischer Verfechter des Gedankens der Union. Wenn er in seinen Reden leidenschaftlich gegen die Sklaverei auftrat, suchte er zugleich nach einem Weg, die Wogen zwischen Norden und Süden zu glätten, um die Gemeinschaft der Union zu beschwören.
Abraham Lincoln war der Auffassung, die Gründerväter der Vereinigten Staaten hätten sich gegen die Sklaverei ausgesprochen. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung habe man festgelegt, dass alle Menschen gleich seien. Auch wenn viele Gründerväter selbst Sklaven besessen hätten, so vertraten sie doch eine grundsätzliche Ablehnung der Sklaverei. Darum habe man in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika auch nie von Sklaven, sondern von gedungenen Personen gesprochen. Lincoln argumentierte, die Gründerväter der Union hätten sich 1807 immerhin für das Verbot des afrikanischen Sklavenhandels eingesetzt. Er vertrat vehement den Standpunkt, dass die Versklavung eines Menschen niemals gerechtfertigt sein könne.
Dem Abgeordneten Lincoln war klar, dass er mit dieser Auffassung, entgegen seiner Absicht, eine Lunte an die Gegensätze zwischen Norden und Süden legte. Da dies seinem Ziel, die Union zu erhalten, entgegen lief, versuchte er eine Brücke zu den Sklavenstaaten zu bauen. Er bekannte, dass die Sklavenhalterstaaten für den Ursprung der Sklaverei nicht verantwortlicher seien, als die Staaten des Nordens. Und dass die Abschaffung dieser Institution, auf der ein großer Teil der Wirtschaftskraft des Südens beruhe, sehr schwierig sei. Lincoln musste eingestehen, dass er für die Lösung der Sklavereifrage keine Antwort wusste.
Was hätte man mit befreiten Sklaven anfangen sollen? Sie politisch und gesellschaftlich mit Weißen gleichzustellen, wäre selbst von der großen Mehrheit im Norden nicht akzeptiert worden. Die Mehrheit der Bevölkerung im Norden mochte durchaus für die Befreiung der Schwarzen vom Joch der Sklaverei sein, doch es gab keine einheitliche Vorstellung, was die Farbigen mit ihrer Freiheit anfangen konnten und sollten. Die Palette der Meinungen erstreckte sich von Gleichgültigkeit über Gleichberechtigung, hin zu gerechter Entlohnung oder der Deportation in die Ursprungsländer.
Lincoln vertrat allerdings klar die Meinung, dass die Sklavenfrage niemals die Angelegenheit eines einzelnen Mitgliedsstaates der Union sein könne. Sie sei immer auch eine moralische Frage der gesamten Gesellschaft und somit der Union. Er machte die Frage der Sklaverei zu einer moralischen Angelegenheit der Nation und trieb, wohl ohne dies zu wollen, einen weiteren Keil zwischen die unterschiedlichen Auffassungen.
Für die deutschen Demokraten, wie Carl Schurz und Friedrich Baumgart, stellte sich die eigentümliche Erkenntnis, dass die demokratische Partei im Parlament, nach ihrer Auffassung, überwiegend antidemokratische Grundeinstellungen hatte. In ihr sammelten sich die Sklavereibefürworter, wohingegen Lincolns republikanische Partei gegen die Sklaverei eintrat. Dabei waren die Grenzen durchaus fließend. Es gab etliche Republikaner, die im Grunde nichts gegen die Sklaverei hatten. Bei den Republikanern wurde allerdings deutlich, dass der Erhalt der gemeinsamen Union für sie im Vordergrund stand, wohingegen die Demokraten dies nicht unter allen Umständen wollten. Das Wohl der Gemeinschaft traf auf das Recht des Einzelnen.
Die Mehrheit der Wähler im Norden schien die Auffassung Abraham Lincolns zu teilen. Die Demokraten mussten bei den Wahlen des Jahres 1854 empfindliche Verluste hinnehmen, während die Republikaner, mit zwei Ausnahmen, die Wahlen in den sklavenfreien Staaten der Union für sich entschieden.