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Abel Inkun – Die Essenz des Veronesen
Оглавление„Na endlich!“, fauchte Berthold Flieder, als sein Enkel Fabius abgehetzt die Buchhandlung betrat. „Wo hast du dich um Himmels willen nur herumgetrieben? Der Laden ist voll, das Telefon klingelt ohne Unterlass, auf dem Tresen stapeln sich die auszuliefernden Bücher … Und wo bleibst du?“ Fabius wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch sein Großvater drückte ihm stattdessen eine Plastiktüte in die Hände. „Das muss zu Frau Molte, Schlossparkstraße 12. Und beeil dich diesmal gefälligst ein bisschen.“ Der Alte wandte sich schon ab, um sich einem Kunden zu widmen, der erwartungsvoll vom Krimiregal aus zu ihnen herüberschaute.
Fabius lagen tausend Fragen auf der Zunge, die die nervenaufreibenden Erlebnisse auf seiner heutigen Tour betrafen. Doch er sah ein, dass er das auf später verschieben musste, wenn sie beide ungestört sein würden. Allerdings eines wollte er trotzdem wissen: „Opa!“ Der Buchhändler drehte sich mit unwilligem Gesichtsausdruck zu seinem Enkel um. „Gibt es da vielleicht eine Kleinigkeit zu Frau Molte, die ich wissen sollte und die du in der Eile nicht erwähnt hast?“
Berthold Flieders Miene war das Abbild reinster Unschuld und Ahnungslosigkeit. Nur der Anflug eines Errötens störte diesen Eindruck. „Was meinst du denn damit, mein Junge?“, fragte er mit einem Räuspern. „Frau Molte ist eine langjährige Stammkundin von mir. Sie sammelt begeistert Liebesromane. Letzten Monat kaufte sie Sündige Leidenschaft von Thorsten Doyle und In der Schwüle einer Liebesnacht von Britta Tomsen.“
Schweigen. Für einen kurzen Augenblick herrschte es in der Leseratte trotz der Kunden, die sich in dem kleinen Geschäft gegenseitig auf die Füße traten, gespenstische Stille. „Und das ist alles?“, fragte Fabius. Deutliches Misstrauen schwang in seiner Stimme mit.
„Natürlich ist das alles!“, zischte Flieder. „Und jetzt mach, dass du in die Hufe kommst! Oder hast du etwa Angst vor einer alleinstehenden Dame, die auf ihren neuen Liebesroman wartet? Vermutlich, um von ihrem Märchenprinzen zu träumen, fügte er für sich hinzu.“ Entschlossen schob er seinen verdatterten Enkel Richtung Tür. Auf der Straße musste Fabius zunächst einmal seine wirren Gedanken ordnen. Der Alte hatte es wieder einmal kaltschnäuzig geschafft ihn abzuwimmeln. Aber immerhin besaß er jetzt wenigstens ein paar Informationen über die Kundin, die er als Nächstes beliefern sollte. Eine alte Jungfer, die Liebesromane verschlang, um ihre Einsamkeit zu vergessen … Das klang in der Tat wenig bedrohlich.
Seltsam … dachte Fabius dann bei sich, Sündige Leidenschaft war erst vor wenigen Wochen verfilmt worden und stand wochenlang in den Kinocharts. Seine Freundin Lena hatte ihn dazu genötigt, den Schmöker zu lesen und später mit ihm in den Film zu gehen, damit er lernte, was Romantik bedeutet. Trotzdem konnte er sich nicht daran erinnern, worum es in dem Film oder in dem Buch ging. Und In der Schwüle einer Liebesnacht? Von dem Buch hatte er noch nie gehört oder vielleicht doch?
Er radelte am Oberforster-Bach entlang Richtung Südstadt. Kurz vor Sonnenuntergang trieb ein kühler, frischer Wind ihn an, stärker in die Pedale zu treten. Er fuhr quer durch den Schlosspark, hinter dem parallel die gleichnamige Straße verlief. Das letzte Haus gehörte Frau Molte. Ihr Vorgarten grenzte seitlich direkt an den gusseisernen Zaun des Parks.
Plötzlich trat aus dem Schatten eines dichten Gebüschs eine dunkle Gestalt, die mitten auf den Weg torkelte. Fabius konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, sein Hinterrad schleuderte zur Seite. Fast wäre er gestürzt. Der Mann vor ihm starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Offensichtlich handelte es sich um einen Obdachlosen, der sich nach einem Schlafplatz für die Nacht umsah.
„Passen Sie doch auf, um Himmels willen. Ich hätte Sie fast über den Haufen gefahren!“, rief Fabius ihm verärgert aber gleichzeitig auch erleichtert zu.
„Machts kurz, ich sehn´ mich nach dem Tode!“, antwortete der Mann mit einem leiernden Tonfall. Der Kerl schien angetrunken zu sein. Aufgrund seiner Verwahrlosung konnte er das Alter schwer schätzen. Er hatte wirres, angegrautes Haar und einen ebensolchen Vollbart. Das gebräunte, wettergegerbte Gesicht erinnerte an einen verknitterten Faltenrock. Unter den trüben, grauen Augen hingen tiefe Tränensäcke. Sein dunkelblauer Trainingsanzug war von oben bis unten mit Schmutzflecken bedeckt, deren genaue Herkunft der Betrachter nicht wirklich erfahren wollte. Unterm rechten Arm klemmte ein Schlafsack, in der linken Hand trug er eine Plastiktüte vom Discounter, in der zwei Flaschen mit rotem Weinfusel steckten.
„Mensch, ich krieg kaum Luft, so hab ich mich erschrocken“, japste Fabius und machte eine Geste, als wolle er sich Schweiß von der Stirn wischen.
„Wie kannst du außer Atem sein, wenn du noch Atem hast, um mir zu sagen, dass du außer Atem bist?“ Der Obdachlose machte eine weit ausladende Geste mit dem linken Arm, die ziemlich theatralisch wirkte. Ganz offensichtlich hatte der Kerl einen Dachschaden. Trotzdem stieg Fabius vom Rad und trat näher an den Mann heran.
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte er besorgt. „Fehlt Ihnen was?“
„Wie geht es meiner Julia? Denn nichts kann schlechter sein, wenn's ihr nur gut geht!“ Fabius Gegenüber entblößte beim Sprechen zwei Reihen lückenhafter, bräunlich-schwarzer Zahnreihen. Der verzückte, schwärmerische Gesichtsausdruck stellte einen kaum erträglichen Kontrast zu dem kloakenhaften Gestank dar, der aus dem Mund des Penners strömte.
Fabius kam immer mehr zu der Überzeugung, dass er es mit einem Irren zu tun hatte, der dringlich in eine entsprechende Anstalt eingewiesen werden musste.
„Wie heißen Sie, guter Mann? Haben Sie Angehörige, die ich benachrichtigen könnte?“ Er tastete nach seinem Smartphone, um Hilfe herbeizurufen.
„Was ist schon ein Name? Was uns Rose heißt - wie es auch hieße - würde lieblich duften“, kam die lallende Antwort. Nun reichte es dem Bücherboten endgültig. Er tippte gerade die Notrufnummer ein, da fing der Kauz plötzlich an zu husten und zu würgen. Im Schwall pladderte eine Lache Erbrochenes vor Fabius Füße. Der sprang entsetzt mit einem Aufschrei zur Seite. „Das ist ja widerlich, Mann!“ Der Obdachlose dagegen stand mit einem Mal stocksteif da, wurde ganz bleich um die Nase und starrte Fabius mit weit aufgerissenen Augen an. Nach einer Weile entspannte sich die Körperhaltung des Mannes, so, als fiele eine Last von seinen Schultern. Er atmete einmal tief ein und aus und wandte das Gesicht dem jungen Flieder zu.
„Endlich …, jetzt ist es vorbei. Hast du mal ne Kippe für mich, Junge?“
Kopfschüttelnd steckte Fabius sein Smartphone ein, nachdem er sich vergewissert hatte, dass von der Sauerei nichts auf seine Hose oder die Schuhe geraten war.
„Was – um Zeus Willen – ist mit Ihnen eigentlich los?“, fuhr er sein Gegenüber an, der sich den Mund mit dem Ärmel abwischte.
„Das sind noch die Nachwirkungen des Dopes von der alten Hexe da drüben.“ Er zeigte zum Haus von Frau Molte hinter dem Gitterzaun des Parks. „Ich hab gestern Nacht in ihrem Gartenhaus gepennt und von ihrem selbst gebrannten Kräuterschnaps getrunken.“ Der Penner kicherte amüsiert, als er daran zurückdachte. „Mannomann …, das ging aber ab wie Schmitz Katze! So einen Horrortrip hab ich noch nie erlebt!“
„Dope? Kräuterschnaps?“, fragte Fabius verwirrt. „Moment mal, wir reden hier doch von Frau Molte, einer einsamen Dame, die Liebesromane liest.“
„Ist mir egal, was die Alte liest“, grölte der Obdachlose. „Aber ihr Stoff ist einmalig. Zwischendurch packt mich der Flash und ich fühle mich wie ein brünstiger Liebhaber auf der Pirsch nach seiner Liebsten!“ Mit dreckigem Lachen klopfte er sich auf die ebensolchen Schenkel. Nachdenklich nahm Fabius sein Rad auf, winkte dem seltsamen Kerl noch einmal kurz zu und machte sich auf den restlichen Weg bis zu Frau Moltes Haus.
Inzwischen war es dunkel geworden. Im Licht der Straßenlaterne lehnte er sein Fahrrad an den Jägerzaun vor dem etwas heruntergekommenen Fachwerkhaus. Er nahm die Plastiktüte mit seiner Buchlieferung aus dem Gepäckträger und ging zur Haustür. Er klingelte mehrmals, doch niemand öffnete ihm, obwohl ein uralter Ford-Taunus unter dem Carport stand.
Fabius ging ums Haus herum und gelangte auf ein langgezogenes Gartengrundstück. Tatsächlich sah er etwa sechzig Meter weiter ein Gartenhaus, das mehr einem kleinen, vergammelten Schuppen aus vermoderten Holzbrettern entsprach und in dem Licht brannte. Da er keine Lust verspürte, am nächsten Tag noch einmal hierher zu fahren, lief er kurzentschlossen weiter und betrat nach flüchtigem Anklopfen das Gartenhaus. Er sah sofort, dass niemand da war. Fabius wollte schon enttäuscht hinausgehen, als sein Blick auf sorgfältig aufgereihte Einmachgläser in einer offenen Regalwand fiel, die er sich neugierig anschaute. Auf den Etiketten las er zunächst erwartungsgemäß Aufschriften wie: Pflaumenmus, Kirsch- oder Holundermarmelade. Doch auf dem obersten Brett standen mit Männernamen etikettierte Fläschchen. Bruce Weller stand dort, oder Henry Russel, oder Peter Unger … Peter Unger! Ja … Das war er! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Wie hatte er das nur vergessen können? So hieß der Protagonist und Liebhaber aus Sündige Leidenschaft, dem verfilmten Bestseller. Noch vor vier Wochen stand der Roman in der Spiegel-Bestsellerliste und führte die Kino-Charts an, doch von einem Tag zum anderen schien er in Vergessenheit geraten zu sein. Ganz merkwürdig … Und Henry Russel? Hmm … dämmerte ihm da was? Sein Großvater hatte doch eben im Laden einen Titel erwähnt … In der Schwüle einer Liebesnacht … Genau! Noch vor drei Monaten der skandalträchtigste Erotik-Thriller der letzten Jahre. Henry Russel hieß der standfeste Dauerbeglücker der Damenwelt, nach dem sich pubertierende Teenies und unbefriedigte Vorstadt-Mutties gleichermaßen in ihren Träumen verzehrten, bis – von Jetzt auf Gleich – das Vergessen einsetzte und niemand mehr von dem Buch redete. Irgendetwas stimmte da nicht. Fabius nahm eines der Glasfläschchen in die Hand und hielt es gegen das Licht der nackten Glühbirne. Die Flüssigkeit darin war vollkommen klar wie Wasser. Als Fabius einen Schritt zurücktrat, stieß sein Fuß an einen Gegenstand, der mit leisem Klacken gegen einen Fuß der Regalwand rollte. Er bückte sich und sah, dass es sich um ein weiteres, allerdings leeres Fläschchen handelte. Es musste dasjenige gewesen sein, von dem der Obdachlose getrunken hatte. Auf dem Etikett stand geschrieben: Romeo Montague …
Fabius hielt inne, als er von draußen im Garten eine Art Zischen und Blubbern vernahm. Ein winziges verstaubtes und durch Spinnweben verklebtes Fensterchen erlaubte ihm einen Ausblick. Unter einer von Rosen umwachsenen Pergola hantierte eine etwa 60-jährige, eindeutig zu fette Frau mit mausgrauen, schulterlangen Haaren an einem Tisch mit merkwürdigen Gerätschaften, die an ein mittelalterliches Alchemie-Labor erinnerten. Aus verschiedenen Erlenmeyerkolben und Reagenzgläsern mixte sie Flüssigkeiten von verschiedenster Farbe zusammen und goss das Ergebnis in einen mit kochendem Wasser gefüllten, bronzenen Topf, der über einem offenen Feuer hing.
Dann nahm sie ein Buch vom Labortisch, um … noch einmal die Rezeptur ihres Gebräus zu kontrollieren, dachte Fabius . Doch weit gefehlt! Sie warf das Buch ebenfalls in den Topf und rührte anschließend sorgfältig mit einer Schöpfkelle darin herum. Nach ein paar Minuten nahm sie etwas von dem heißen Gebräu und goss es in eine gläserne Retorte, unter der die gelbe Flamme eines Bunsenbrenners brannte. Fabius hatte genug gesehen. Die alte Hexe hatte nicht alle Tassen im Schrank. Aber als er sich umdrehte, um möglichst unauffällig zu verschwinden, knallte sein Ellbogen gegen die wacklige Regalwand. Ihm entfuhr ein unwillkürlicher Schmerzensschrei. Aus dem Augenwinkel sah er, wie eines der Fläschchen vom obersten Brett herunterkippte. Im letzten Augenblick konnte er es auffangen, bevor es auf dem Boden zerschellte.
„Wer ist da?“, rief eine Stimme aus dem Garten. „Mist!“, fluchte Fabius und ließ das Fläschchen in seine Jackentasche gleiten. Frau Molte hatte ihn entdeckt. Kurz darauf riss eine massige Gestalt die Tür des Gartenhauses auf. Mit der schweren Schöpfkelle in der Hand stand sie im Türrahmen und verstellte ihm jede Fluchtmöglichkeit.
„Was haben Sie hier zu suchen?“, zischte Frau Molte. „Hier gibt’s nichts zu holen!“
Fabius bemerkte, wie seine Knie anfingen zu zittern.
„Ähh … Ich bin Fabius Flieder. Mein Großvater ist Inhaber der Buchhandlung Leseratte. Ich bringe Ihnen Ihren neuen Roman.“ Mit zitternden Händen hielt er der Frau die Plastiktüte entgegen.
Frau Molte musterte ihn eine Weile mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen von Kopf bis Fuß. Schließlich ließ sie langsam die Kelle sinken und riss Fabius die Tüte aus der Hand. Sie zog das Buch heraus und las genüsslich schmunzelnd den Titel vor: „Rendezvous bei Sonnenuntergang … von Bianca Myers …“ Ihre Augen strahlten vor Verzückung. „Oh Roderick, mein Roderick …“, schwärmte sie mit einem Zungenschnalzen. „Bald bist du mein und gehörst nur mir!“
Fabius lief ein kalter Schauer über den Rücken. Irgendwie erinnerte ihn die Szene an einen gewissen Gollum aus dem Herrn der Ringe. Er hatte nur noch das Bedürfnis, hier schnellstmöglich zu verschwinden. „Kann ich … kann ich nun gehen?“, fragte er mit leiser, heiserer Stimme. Frau Molte, die den Roman fest an ihren üppig ausladenden Busen gepresst hielt, schien aus einer Art Trance zu erwachen. Ihr wütender Blick schien Fabius Stirn durchbohren zu wollen.
„Selbstverständlich!“, fauchte sie und gab die Tür frei. „Verschwinden Sie endlich von meinem Grundstück. Ich hab zu arbeiten.“ Fabius zögerte einen Moment, da ihn die Enge des Gartenhauses dazu zwang, sich dicht an Frau Moltes Leibesfülle vorbeizudrängen. Dann gab er sich einen Ruck und stolperte vor lauter Hast beinahe aus der Tür ins Freie. Erleichtert sog er die kühle, frische Abendluft in seine Lungenflügel und lief durch den Garten Richtung Straße. „Einen schönen Abend wünsch ich …!“, beeilte er sich noch, Frau Molte über seine Schulter zurückblickend, zuzurufen. Doch die Frau war bereits wieder verschwunden.
Als der Bücherbote wieder auf seinem Fahrrad saß, erfasste ihn eine wahre Euphorie, als er fühlte, wie der Fahrtwind den Schweiß auf seiner Stirn trocknete. Vor lauter Erleichterung, dieser widerlichen Hexe entkommen zu sein, fing er an, laut lachend einen alten Schlager zu singen. Aber schon bald fiel ihm sein Großvater ein, der ihm dieses Erlebnis der besonderen Art eingebrockt hatte, und seine Laune verdüsterte sich um zwei Grautöne. Er nahm sich fest vor, seinen lieben Opa noch in dieser Nacht zur Rede zu stellen. Inzwischen durchquerte er den Park und musste sich in der Dunkelheit darauf konzentrieren, tückischen Schlaglöchern auszuweichen.
Am Wegesrand sah er auf einer Bank eine Gestalt im Schlafsack liegen. Fabius war sofort klar, dass es sich um den Obdachlosen von vorhin handeln musste. Der alte Kauz hatte ihn offensichtlich auch wiedererkannt und winkte ihm mit einer matten Armbewegung zu. Fabius hörte, dass der Mann leise vor sich hin wimmerte und stieg daher aus Sorge vom Rad.
„Was ist los mit Ihnen?“, fragte er und trat etwas näher, bis er das Gesicht im Licht des hellen Vollmondes erkennen konnte. „Meine Güte!“, stieß Fabius erschrocken aus. „Sie sehen ja aus wie ein Zombie, der unterm Grabstein hervor gekrochen kommt.“
„Wen selbst noch nie ne Wunde quälte, der macht sich über Narben lustig“, murmelte der Obdachlose erschöpft.
Fabius überlegte, ob er einen Krankenwagen rufen sollte, da kam ihm eine Idee. Aus der Jackentasche zog er das Fläschchen aus Frau Moltes Gartenhaus hervor und dachte bei sich: Warum nicht Teufel mit Beelzebub austreiben?
„Hier, guter Mann … Trinken Sie das. Es wird Ihnen gut tun.“ Das bleiche Gesicht des Alten hellte sich vor Freude auf. „Schnaps! Wunderbare Idee … Besten Dank, mein Guter.“
Er setzte das Fläschchen an den Mund und im Nu gluckerte die klare Flüssigkeit seinen Rachen hinab. Gespannt wartete Fabius auf eine Reaktion des Mannes. Mit zufriedenem Seufzen gab der dem Bücherboten das leere Gefäß zurück und machte Anstalten sich auf der Bank auf die Seite zu drehen, vermutlich, um endlich Schlaf zu finden. Doch abrupt setzte sich der Alte auf, starrte verwirrt in den sternklaren Himmel und stieß einen animalischen Schrei aus. Fabius war das nicht geheuer, deshalbwollte er sich schon auf seinem Fahrrad davonmachen, da rief ihm der Obdachlose zu:
„Oh Baby. Willkommen in meiner Welt.“ Fabius wurde neugierig und sah fasziniert zu, wie der Kerl flink aus dem Schlafsack kletterte und sich vor ihm dynamisch aufbaute, als sei er mit einem Mal zwanzig Jahre jünger geworden.
Etwas unsicher und ängstlich wich Fabius einen Schritt zurück. „Uups … Was ist denn mit Ihnen passiert?“ Während er antwortete, schaute der Obdachlose Fabius mit einem überheblichen Blick von oben herab an. „Ich treffe Entscheidungen, die auf Logik und Fakten basieren und besitze einen gesunden Instinkt, der gute, realistische Ideen und fähige Leute erkennt. Am Ende kommt es immer auf die fähigen Menschen an.“
Vor Staunen fiel dem Bücherboten die Kinnlade herunter. Als er prüfend einen Blick auf das Etikett des Fläschchens warf, las er: Christian Grey.
„Na dann … Prost Mahlzeit!“, konstatierte Fabius mit säuerlichem Gesichtsausdruck. „Und noch viel Spaß mit Ihrem neuen Mitbewohner …“, verabschiedete er sich mit einem letzten Winken und radelte davon.
„Ich würde gerne in diese Lippe beißen“, rief ihm der Alte noch hinterher.
Fabius hätte eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil er dem armen Kerl die Essenz dieses Sado-Maso Milliardärs eingeflößt hatte. Andererseits: Hauptsache, dass Romeos Geist wieder frei war.