Читать книгу Zwielicht 11 - Michael Schmidt - Страница 9
Gordon McBane – The Hanky Panky Girl
Оглавление„Es hatte rote Augen und war kreidebleich. Die Gestalt sagte nichts, sondern starrte mich aus tiefen, leblosen Augen an. Es war, als würde ich in einen Abgrund schauen.“
Auf diese Nachricht brauchte er erst mal einen Schluck. Henry McMillan nahm das Glas Wasser, um seine Stimme zu ölen. Schließlich ließen die Sorgen und Wünsche der Menschen, die ihm ihr Anliegen fünf Mal die Woche mitteilten, seine Zunge nicht zur Ruhe kommen. Das Zuhören und Sprechen waren die beiden wichtigsten Instrumente in seinem Beruf; gleichwohl schaffte er es bis heute nie, beide Anforderungen ganz in der Waage zu halten. Dabei erhielten die Menschen, die ihn um eine Audienz ersuchten, nie die Gelegenheit sein Gesicht zu sehen, sondern hofften einzig auf die Kraft seiner Stimme.
Henry McMillan war ein ungeschlachter Mann mittleren Alters mit drahtigen Augenbrauen, steingrauen Pupillen und schwarzem Haar. Der imponierenden Wirkung seiner markigen Baritonstimme – vor allem beim weiblichen Publikum – durchaus bewusst, war es für ihn stets ein leichtes Spiel, Menschen kennenzulernen. Besondere emotionale Bindungen vermochte er aber über all die Jahre nie auf Dauer aufzubauen, sei es privater oder beruflicher Natur. Warum sollte er auch? Henry McMillan hatte alles, was er wollte und noch mehr. Die Popularität seiner Sendung Shut Up and Talk!, die als Hörfunk in der Nachtschiene eines eigentlich kleinen Senders namens Bay FM in Galway und Umland ausgestrahlt wurde, hatte sich vor allem durch die Aufzeichnungen auf YouTube in den letzten zwei Jahren geradezu überschlagen und wurde als Geheimtipp gehandelt. Mittlerweile wurde die Sendung auch als Podcast angeboten und sollte demnächst landesweit als Pilotprojekt ausgestrahlt werden. Der Fernsehsender TV3 hatte bereits Interesse durchscheinen lassen, dass man bei einer erfolgreichen, landesweiten Zuhörerschaft ein Angebot unterbreiten könnte, welches es McMillan ermöglichte Shut Up and Talk! ins Fernsehen zu bringen – ebenfalls mit ihm als Moderator. Der Gipfel seiner Karriere oder erst Durchbruch zu noch weitaus höheren Sphären?
So oder so, Henry McMillan hatte guten Grund mit seinem Konzept und mit sich zufrieden zu sein. Trotz einiger böser Briefe vonseiten vereinzelter Zuhörer, die ihm Voyeurismus vorwarfen oder ihm unterstellten ein zynischer Heuchler zu sein, der das Leid und die Not seiner Anrufer ausnutze, um in Form eines Seelenstriptease höhere Quoten zu erzielen, überwog deutlich das Gros seiner Fangemeinde. Auf Twitter und Facebook folgte ihm auch das normalerweise schwer zu erreichende, jüngere Zielpublikum. Die Generation U21 galt unter Marktanalytikern als ebenso sprunghaft und unstet wie das Wetter vor der Atlantikküste, das McMillan stets durchs Fenster in seinem Sendestudio bestaunen konnte. Auch heute zog sich wieder ein Gewitter zusammen, das nördlich aus Schottland angebraust kam. Immerhin bedeutete dieses Wetter in der Regel höhere Quoten. McMillans Zuhörerschaft hatte sich gerade durch den späten Sendeplatz verfestigt, da viele Erwerbstätige eine Ablenkung während der einsamen Nachtschicht benötigten und viele ledige Seelen dort draußen hungerten danach, jemanden zum Sprechen zu finden. Wo kommen bloß all diese Verrückten her?, hatte McMillan sich schon bei dem einen oder anderen Kandidaten gefragt. Besondere Affinität hegte er für keinen seiner Anrufer – selbst wenn einer zufälligerweise Fan desselben Rugby-Teams war, hielt sich seine persönliche Anteilnahme in Grenzen. Für McMillan handelte es sich bei den Anrufern um seine Kunden. Und Kunden zählte er nicht zu seinen Freunden, sondern verbuchte sie lediglich als anonyme Nummern. Zahlen. Und McMillan wollte viele Zahlen sehen, besonders auf seinem Konto. Zahlen bedeuteten Macht, das hatte er schon früh gelernt. Seine Anrufer waren wie Auftraggeber und er der Söldner. Der Auftrag lautete, sich ihr Gequatsche anzuhören und hohe Einschaltquoten zu generieren. Jeden Abend wurde dabei ein Thema festgelegt, zu dem Zuhörer anrufen und fünf bis zehn Minuten mit ihm sprechen durften.
Als McMillan vor drei Jahren seinen Job angetreten hatte, war er zunächst froh überhaupt einen Beruf gefunden zu haben, nachdem er sein Studium am Trinity College ohne Abschluss geschmissen hatte, um daraufhin wie viele gescheiterte Existenzen seiner Zunft bei den Medien anzuheuern. Zunächst als ordinärer Late-Night-Talk konzipiert, konnte die Sendung im Laufe der Zeit wachsende Beliebtheit verbuchen, die vor allem auf McMillans zackige Moderationen und der exotischen Themenauswahl zurückzuführen war. Statt Diskussionen um die ersten pubertären Pickel zu führen oder bei Problemen mit den Nachbarn auszuhelfen, verschob sich das Gewicht mehr auf Gebiete wie sexuelle Perversionen oder dunkle Geheimnisse. Je abgedrehter, umso besser, denn dies lockte die Freaks an die Telefonleitungen und die Zuhörer an die Empfangsgeräte, während die Klicks in den sozialen Netzwerken weiter nach oben anzogen und vom Mob geliked, geteilt und kommentiert wurden.
Habt ihr einen Lehrer damals in der Schule sexuell befriedigt, um euren Notenspiegel aufzubessern? An wen denkt ihr wirklich, wenn ihr mit euren Partnern schlaft? Hattet ihr schon mal Geschlechtsverkehr mit Tieren? Steht ihr auf Natursekt?
Aber auch okkulte Themen wie paranormale Erscheinungen oder Verschwörungstheorien wurden bei McMillan abgeklappert. Gläserrücken und schwarze Hexenmagie. Wann soll die Welt das nächste Mal untergehen? Steckt die CIA hinter den Anschlägen auf das World Trade Center? Wer zieht hinter den Kulissen die Fäden? Und wer muss am Ende die Bühne für immer verlassen? Gibt es einen Gott? Und wenn ja, muss es dann nicht auch einen Teufel geben?
Der Gegenstand des heutigen Abends lautete schlicht: Das Böse. McMillan hatte es zuvor wie folgt angekündigt: