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Das leichte und wärmende Glücksgefühl begleitete ihn den restlichen Tag über.

Die Sitzungen vergingen schnell und als er am Abend die Praxis verlassen wollte, begegnete ihm Carl auf dem Flur.

„So spät bist du doch sonst nicht mehr in der Praxis?“, sprach Paul ihn erstaunt an.

„Es wird Winter und die Golfplätze sperren zu“, antwortete Carl mit seiner sonoren Bassstimme und einem Augenzwinkern, „also bleibt mir abends wieder Zeit, mich im Gegensatz zu Golf mit den unwesentlichen Themen des Lebens zu beschäftigen, wie Terminplanung, Klientengespräche oder der unsäglichen Archivierung meiner Notizbücher.“ Der groß gewachsene, mittlerweile gealterte Herr strahlte schelmisch. „Lass uns noch was trinken gehen“, fügte er hinzu, „haben wir ohnedies schon zu lange nicht mehr getan und gleich um die Ecke hat ein neuer schottischer Pub eröffnet. Die führen gesegnete Single Malt Whiskys.“

Nachdem der Kellner mit schottischem Akzent eine für Paul erschreckend lange Liste unverständlicher Namen von Whiskysorten aufgezählt hatte, war er dankbar, dass Carl kurzerhand für sie beide die Entscheidung traf.

„Zur Feier des Tages genehmigen wir uns einen 18 Jahre alten Macallan. Das ist der Ferrari unter den sanft rauchigen Sorten der Speyside, dem Herzland des schottischen Whiskys“, erklärte er stolz und fügte hinzu: „Wusstest du, dass der keltische Ursprung des Wortes übersetzt Wasser des Lebens bedeutet?“

„Ich wusste nicht mal, dass du ein Kenner bist!“

„Das Ergebnis der Golfreise im letzten Sommer. Mein Golfspiel war grausam, aber der Whisky war großartig.“ Carl lachte auf.

„Und was genau haben wir zu feiern?“, fragte Paul.

„Also“, begann Carl nun etwas zurückhaltend, „ich wollte ohnedies schon länger mit dir darüber sprechen, bislang hat sich aber keine Gelegenheit ergeben.“

Paul sah seinen Freund erwartungsvoll an.

Carl seufzte tief, schob seine Brille auf die Stirn und beugte sich etwas vor: „Die letzten Monate haben mir gezeigt, dass ich langsam alt werde. Lange Zeit habe ich versucht, die Alterserscheinungen einfach zu ignorieren. Aber mittlerweile geht das nicht mehr. Ich vergesse einfach zu viel. Und allzu oft vergesse ich sogar, das, was ich vergessen könnte, wenigstens zu notieren.“ Er lächelte mild. „Meine Konzentration lässt zusehends nach und, was das Schlimmste ist, auch mein Engagement. Mein Herz ist müde geworden. Es schlägt, um es pathetisch zu sagen, nicht mehr mit dem meiner Klienten. Ich verbringe meine Zeit mittlerweile tatsächlich lieber auf dem Golfplatz oder mit einem Buch und Whisky auf der Veranda meines Hauses als mit der Psyche der Menschen. Obwohl mich diese Arbeit ein Leben lang zutiefst erfüllt hat.“

Der Kellner kam mit zwei kleinen, bauchigen Gläsern, in denen die bernsteinfarbene Flüssigkeit schimmerte. Nachdem er sie abgesetzt hatte, nahmen die beiden einen kräftigen Schluck, wonach sich Pauls Gesicht zu einer Grimasse verzog. Selbst bei milden Sorten war er den immer noch intensiven Geschmack nicht gewohnt. Carl musste lachen und kam, nun wieder aufgerichtet, mit Elan zum Punkt:

„Ich möchte mich im Frühjahr aus der Praxis zurückziehen und dir die Leitung übertragen.“ Er beobachtete Pauls Reaktion. „Was sagst du?“

Paul war mehr als überrascht. Er wandte sich aus Carls Blickfeld und vor seinem inneren Auge tauchten Bilder und Gedanken der vergangenen Tage auf.

Wie hinter Schleiern die Silhouette eines vertrauten Gebäudes. Der Herr zeigt denen, die ihn suchen, stets einen Weg.

Eins mit allem und von allem zugleich unendlich beschützt und behütet.

Nach einer Weile sagte er mit Bedacht: „Das ist zu früh, Carl.“

Er atmete durch und erklärte: „Ich bin noch nicht so weit. Ich kenne dich gut und lange genug, um mir sicher zu sein, dass du dir einen solchen Schritt reiflich überlegt hast. Und du liegst vermutlich sogar richtig, wenn du meinst, ich könnte das bewältigen. Nur“, es fiel ihm schwer, die passenden Worte zu finden, um den Freund nicht vor den Kopf zu stoßen, „es haben sich auch bei mir in den letzten Wochen Ereignisse zugetragen, die mir zeigen, dass ich dich zuvor leider noch eine Weile im Stich lassen muss. Darüber wollte ich meinerseits mit dir sprechen. Bis vor wenigen Stunden war mir das allerdings noch nicht so klar.“ Er stockte.

„Sprich ruhig weiter“, sagte Carl mit hochgezogenen Brauen. „Ich bin gut in dem, was ich tue. Das weiß ich schon“, holte Paul aus, „ich habe viel gelernt, mein Buch ist ein Erfolg und die Praxisstunden sind voll mit Klienten. Doch“, er suchte nach Worten, „etwas fehlt. Ich kann es nicht genau benennen. Auch nicht nach all unseren Stunden der Supervision, den Jahren der Ausbildung und der umfassenden Kenntnis psychischer Zustände, ihrer Ursprünge und Auswirkungen.“ Er wollte es treffender ausdrücken und wusste, das ging nur mit großer Offenheit. „Zum einen ist da diese Unsicherheit, die mich immer wieder einholt. Besonders in Gegenwart von interessanten Frauen. Zum anderen fühle ich manchmal eine Leere in mir, die ich nur durch übermäßigen Arbeitseinsatz ausfüllen kann. In den Abendstunden, wenn ich allein in meinem Bett liege, bin ich oft so erschöpft und aufgewühlt zugleich, dass der Schlaf sich nur schwer und spät einstellt. Etwas fehlt, Carl. Und ich glaube, ich weiß jetzt, wo ich es finden kann.“ Er hielt inne und blickte seinen Mentor direkt an. „Ich werde nach Nepal reisen und dort im Himalaya nach einer geheimen Tempelschule suchen, in der man angeblich alle Charakteranteile durchleben und sein wahres Selbst entdecken kann.“

Sein Mentor richtete sich auf und wollte etwas einwenden. „Warte noch einen Augenblick, bitte.“ Paul musste seine Gedanken noch konkreter fassen. „Das klingt ein bisschen nach esoterischer Verklärung und hört sich so gar nicht nach mir an, das ist mir schon bewusst. Doch du kennst mich wie kein Zweiter und weißt, dass ich eher zu übertriebener Selbstreflexion neige. Gewiss, man ist immer gefährdet, sich selbst zu betrügen, doch hier verhält es sich anders.“ Er sah Carl mit wachen Augen voll Energie an. „Etwas hat es mit dieser Tempelschule auf sich, das mich in ihren Bann zieht. Du selbst hast immer gesagt: Erst wenn objektiv sinnvolle Entscheidungen durch Synchronizitäten bestätigt werden, erweist sich ein Lebensweg als der richtige. Und damit hast du deinem Namensvetter C. G. Jung alle Ehre gemacht. Was nun diese Reise betrifft, häufen sich die Zufälle auf erstaunliche Weise.“ Er kam zum Schluss. „Worum ich dich bitte ist, dass du deinem Schützling, bevor du ihm deine geheiligte Praxis überträgst, noch etwas zusätzliche Zeit zum Reifen gibst. Es handelt sich vielleicht um ein halbes Jahr, nicht mehr. Danach können wir über alles reden. Glaubst du, so lange noch durchhalten zu können?“

Väterlich legte Carl eine Hand auf Pauls Schulter und antwortete mit seiner beinahe hypnotischen Stimme: „Du weißt, eines meiner Talente war es stets, zu erkennen, wann man dem Schicksal die Führung überlassen muss und wann es besser ist zu intervenieren. Diese Gabe, die Energie des Schicksals zu fühlen, habe ich bis heute nicht eingebüßt. Und was du mir eben erzählt hast, ist voll von dieser Energie und ich sehe dich in deiner Kraft. Ich werde alles tun, um dich auf diesem Weg zu unterstützen.“

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