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Das Abendmahl verlief zum größten Teil schweigend. Arjun betrachtete immer wieder den Shila, den er neben sich auf den Tisch gelegt hatte, schüttelte mitunter versonnen den Kopf und kaute weiter an den kleinen Stücken etwas zähen Lammfleisches.

Paul konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen, ließ dem Freund aber Zeit, um sich zu sammeln.

Nach dem Essen saßen die beiden, jeder mit einem Schluck Whisky im zerkratzten Glas, auf der schmalen Holzveranda, die zum Fluss hin an das schlichte Steinhaus gebaut war. Schließlich brach Arjun sein Schweigen und begann zu erzählen.

„Als du mir in einer deiner ersten Mails von dem Shila und deiner Absicht, den Tempel zu suchen, berichtet hast, konnte ich nächtelang kein Auge zutun. Erst Manisha schaffte es mit ihrer Geduld und Weisheit, mich in langen Gesprächen wieder zu beruhigen. In diesen Tagen war es, als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen, und zugleich war ich mit den schlimmsten Ängsten meiner Kindheit konfrontiert.“ Er stockte und blickte traurig, beinah verzweifelt in den Himmel. „Du musst wissen, dass meine Eltern, für nepalesische Verhältnisse, relativ spät geheiratet hatten. Mein Vater wurde dann in seinen fortgeschrittenen Jahren“, es fiel ihm sichtlich schwer, darüber zu sprechen, „zu einem sehr, ja, sehr gewalttätigen Mann. Gewalt durch Männer an ihren Frauen und Kindern ist in unserer Kultur keine Seltenheit. Religiöse Frömmelei und männlicher Stolz ergeben gerade bei strenggläubigen Hindus eine oft gefährliche Mischung.“ Wieder hielt er inne und musste erst durchatmen, bevor er fortfahren konnte. „Es geschah kurz nach meinem achten Geburtstag. Während einer seiner cholerischen Anfälle traf ein Hieb meine Mutter so unglücklich, dass sie mit dem Kopf auf die Kante eines Glastisches fiel. Meine jüngere Schwester und ich kauerten in einer Ecke des Zimmers und mussten das schreckliche Geschehen mit ansehen. Die Verletzung meiner Mutter war so schlimm, dass sie wenige Tage danach“, Trauer brach nun seine Stimme und Tränen liefen ihm über die Wangen, „dass sie wenige Tage danach verstarb.“ Er barg den Kopf in seinen Händen. Paul reagierte instinktiv aus seiner therapeutischen Erfahrung. Er ließ ihm Zeit und legte nur beruhigend eine Hand auf seinen Rücken. „Entschuldige, mein Freund“, fand Arjun schließlich seine Fassung wieder und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Eigentlich ist es lange genug her, um mich nicht mehr dermaßen tief zu berühren. Aber diese Reise mit dir, deine Entschlossenheit und jetzt auch noch der Shila.“ Er griff nach Pauls Hand, drückte sie fest und ließ sie auch während der folgenden Worte nicht mehr los. Langsam sprach er aus, was er außer seiner Frau niemals zuvor einem Menschen anvertraut hatte: „Am Sterbebett hat meine Mutter mir prophezeit, dass eines Tages ein Shila den Weg in meine Hände finden würde. Dieser würde dann die weiteren Tage meines Lebens bestimmen. Weißt du, meine Mutter konnte so manches voraussehen, denn“, er blickte Paul angespannt in die Augen, „es gab im letzten Jahrhundert nicht nur eine nepalesische Meisterin im Tempel der Acht, sondern noch eine weitere, die jüngste, begabteste, die es jemals zu diesen Weihen gebracht hatte: meine Mutter.“ Paul konnte kaum glauben, was er da hörte, und blickte ihn verwundert und gerührt an. „Und das war es“, fuhr Arjun fort, „was meinen Vater so sehr faszinierte, was er in jüngeren Jahren an ihr bewunderte, liebte und dann, je älter er wurde, umso weniger verzeihen konnte: ihre Vergangenheit als Ungläubige, als Hellsichtige, als Magierin des Tempels, die ihn stets und in allen Lebenslagen überflügelte.“

Nachdem sich beide dicke Lammfelldecken aus der Lodge geholt hatten und die Kälte der Nacht heraufzog, erzählte Arjun bewegt weiter.

Die Tatsache, dass seine Mutter ein Mitglied der Lehrerschaft des Tempels war, wurde geheim gehalten, solange er sich erinnern konnte. Sowohl innerhalb der Familie als auch nach außen hin musste das Geheimnis gewahrt bleiben. Sein Vater hatte darauf bestanden, einen, seiner hohen Kaste und den religiösen Doktrinen entsprechenden, streng hinduistischen Lebensstil zu pflegen. Trotz allem hatte Arjuns Mutter den Glauben an ihren Mann nie aufgegeben und ihn auch in späteren Jahren so geliebt wie dreißig Jahre zuvor, als sie ihn bei einem ihrer Aufenthalte in der Stadt als gebildeten und kultivierten Menschen kennengelernt hatte. Ihm zuliebe hatte sie damals schließlich auch den Tempel verlassen und sich, wenn auch mit Widerwillen, den engen Regeln der Familie gefügt.

Arjuns Entscheidung, Paul als Klienten anzunehmen, war allein das Ergebnis seiner langen Gespräche mit Manisha, die feinfühlig geahnt hatte, dass diese Aufgabe den alten Schmerz würde wenigstens lindern können.

Zum einen bestand für Arjun also auch ein großes Interesse, den Tempel zu finden, zum anderen war dieser Weg mit dem Trauma des gewaltsamen Todes seiner Mutter belegt – für den sein Vater seiner gesellschaftlichen Stellung wegen nicht einmal zur Rechenschaft gezogen worden war.

Eines stand für Arjun jedoch fest: Die letzte Wegstrecke würde er nicht mit Paul gehen, sondern ihn im besten Fall nur bis in Sichtweite des Gebäudes begleiten. Das hatte er Manisha bereits vor Wochen versprochen. Sollte er sich später den Lehren des Tempels stellen, dann nur gemeinsam mit ihr. Zu schwer wog noch die Last der Vergangenheit und er wollte von vornherein jede mögliche seelische Distanz zu seiner geliebten Frau ausschließen. So vieles hatten sich die beiden in ihren gemeinsamen Jahren schon erkämpfen und Seite an Seite bestehen dürfen. Unter keinen Umständen wollte Arjun riskieren, dass der Tempel seine Familie ein weiters Mal entzweien sollte.

Nach einer guten Stunde verabschiedeten sich die Freunde schließlich zur Nacht. Arjun konnte nun das Shaligrama dankbar annehmen, wickelte es wie einen kostbaren Edelstein in ein Tuch und verstaute es sorgsam in seiner Tasche. Dann stiegen die beiden über die knarrende Holztreppe zu ihren Zimmern hoch.

Paul legte sich auf seine Pritsche und war zu erschöpft, um noch in sein Tagebuch zu schreiben. In der stockdunklen, engen Kammer roch es nach trockenem Holz und nach etwas wie Kampfer.

Die Bilderflut in seinem Kopf versank schließlich unter dem aufziehenden Nebel eines Traumes, in dem Paul abermals die Konturen des vertrauten achtseitigen Gebäudes zu erkennen glaubte.

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