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Carls Villa in Esch-Auweiler, einem nördlichen Stadtteil von Köln, nahe des Escher Sees, glich einem Herrenhaus und war mit ihren parkähnlichen Gärten und der ausgedehnten Südterrasse seit Generationen im Besitz der Familie Seyfried.

Carl hatte beschlossen, Pauls vierunddreißigsten Geburtstag Ende Januar als Anlass zu nehmen, um das Praxisteam zu einem Abendessen in sein Domizil einzuladen. Unterstützt von seiner treuen Haushälterin Mathilda lebte er vorwiegend allein in den mit Holz getäfelten weitläufigen Zimmern des ansehnlichen Hauses. Seine geliebte Frau war schon vor Jahren einem langen Krebsleiden erlegen und so nahm er jede Gelegenheit wahr, um den leeren Räumen durch die Einladung von Freunden Leben einzuhauchen.

Er selbst, Suzan, die Physiotherapeutin des Teams, deren Lebensgefährtin Annika, eine Quantenheilerin, und Nora, die systemische Beraterin, hatten sich im Vorfeld abgesprochen und sämtliche Informationen über Trekking in Nepal zusammengetragen. Sie wollten Paul mit allem beschenken, was er auf seiner Reise an nötigen Utensilien brauchen könnte. Die Erkundigungen bei zahlreichen Freunden und nepalerfahrenen Wanderern ergab vor allem eine Hauptregel: Reise mit leichtem Gepäck.

Was schließlich am Gabentisch übrigblieb, war ein leuchtend roter, gerade mal zur Hälfte gefüllter, Hightechrucksack. Bereits vor Pauls Ankunft hatten die Freunde das geräumige Speisezimmer mit einem glitzernden Spruchband und bunten, garantiert echt nepalesischen Gebetsfahnen aus einem Esoterikladen dekoriert. Den ovalen Esstisch zierten üppige Kerzenständer, Silberbesteck und Porzellanerbstücke aus Carls Familienbesitz.

Nora hatte den Wachdienst auf der Eingangsveranda übernommen und so wurde Paul beim Betreten des Hauses von einem aus voller Kehle Happy Birthday singenden Quartett mit Sprühkerzen in Händen förmlich erschlagen. Dass einzelne Töne entsetzlich schief gerieten, machte den Auftritt, der üblicherweise in großem Ernst versammelten Praxisgemeinschaft, umso liebenswerter und endete schließlich in ausgelassener Heiterkeit.

„Und das alles wegen einer Frau?“, fragte Nora zu fortgeschrittener Stunde schon mit leichtem Zungenschlag. „Wir sollten noch mal deine Urfamilie aufstellen.“

Das Festessen, zu dem Carl die besten Tropfen aus seinem Weinkeller aufgetischt hatte, lag bereits hinter ihnen. Nun saß die kleine Gruppe gemütlich im Salon vor dem offenen Kamin. Das knisternde Feuer verbreitete seine wohlige Atmosphäre und nahm der in die hohen Räume einziehenden Kälte die Schärfe.

„Natürlich“, entgegnete Paul nicht minder angeheitert, „ich reise knapp zehntausend Kilometer, kämpfe mich tagelang mit Sauerstoffmangel durch die unwirtlichste Region dieses Planeten, um dort schließlich, ganz zufällig, meiner Traumfrau in die Arme zu fallen.“

„Ach, wie romantisch“, meldete sich die sensible Annika zu Wort.

„Dabei hättest du das gar nicht nötig!“, warf Suzan schnippisch ein, „jede dritte Klientin, die dir im Flur begegnet, fragt mich danach, ob du noch zu haben bist.“

„Das hat uns immerhin eine Menge Klientinnen eingebracht“, brummte Carl lachend und wollte Paul Whisky nachschenken, der jedoch mit einer freundlichen Geste ablehnte.

„Kann mir jetzt bitte jemand erklären, wozu die Wäscheleine in meinem tollen neuen Rucksack gut ist?“, versuchte Paul das Thema zu wechseln.

„Natürlich“, antwortete Suzan todernst, „die dient dazu, deine Angebetete an die Leine zu nehmen, dass sie dir nicht wieder davonläuft. Hatten wir ja schon das eine oder andere Mal.“ Das schallende Gelächter wurde von Annika unterbrochen, die den Opfern ihrer geliebten Partnerin stets zu Hilfe eilte, sobald sie im angetrunkenen Zustand zu persönlich wurde.

„Also“, begann sie laut ausholend, erhob sich und brachte damit die Freunde zum Verstummen, „hier die Gebrauchsanleitung unserer, nach umfangreichen Recherchen akribisch ausgewählten Trekkingausrüstung: Rucksack und Wander-schuhe verstehen sich von selbst. Die Schuhe kannst du übrigens ganz unkompliziert umtauschen, falls sie nicht passen sollten. Wir haben vorsichtshalber die Rechnung aufbewahrt. Hinter der Flasche erstklassigem Single Malt, die natürlich Carl beigesteuert hat, verbirgt sich allerdings schon ein wertvoller Hinweis.“

„Nämlich der, dass du nicht vergisst, den einen oder anderen feuchtfröhlichen Abend einzustreuen“, unterbrach Carl ihren Redefluss.

„Lass sie das erzählen“, stellte sich jetzt Suzan ihrer Geliebten zur Seite.

„Schon gut, schon gut“, winkte Carl mit gespieltem Ernst ab. „Weiter in der Liste“, fuhr Annika fort, „der Whisky ist nicht so sehr für feuchtfröhliche Abende gedacht – sonst müsstest du ja auch den ganzen Rucksack mit Flaschen anfüllen, sondern vor allem zur täglichen Desinfizierung deiner Mageninhalte. Ohne Whisky überlebt unsereins Nepal angeblich nicht. Also morgens und abends einen kräftigen Schluck zur Mundund Magenspülung. Kann mir übrigens noch jemand Wein nachschenken? Man trocknet ja völlig aus, wenn man so viel reden muss.“

Carl ließ sich nicht zweimal bitten.

„Danke, großer Meister“, sagte Annika mit einer Verbeugung und fuhr nach einem ordentlichen Schluck fort.

„Jetzt also zur Wäscheleine: Als wichtigste Regel wurde uns aufgetragen, dir jedes überflüssige Gepäckstück auszureden. Und weil sonst der Rucksack bei den Strapazen des Aufstieges auf die Dächer dieser Welt einfach zu schwer wird, wirst du wohl oder übel nicht umhinkommen, deine spärliche Wäsche ab und an zu waschen. Da du aber deinen einzigen Slip am nächsten Tag wieder brauchen wirst, muss selbiger die Nacht auf der Leine verbringen. So einfach ist das.“

„Und ich darf nicht vielleicht zwei Slips mitnehmen?“, warf Paul amüsiert ein.

„Da hat er recht. Das müssen wir noch mal recherchieren.“, meinte Nora todernst.

„Sicher darf er zwei Slips mitnehmen“, schloss Suzan trocken an, „sonst hat er ja nichts zu wechseln, wenn das Höschen beim Liebesspiel feucht wird.“

Nun konnte sich auch Paul nicht mehr halten und verschüttete beinahe den letzten Schluck aus seinem Glas.

Annika drückte ihrer Gefährtin im allgemeinen Gelächter einen Kuss auf die Lippen und flüsterte für alle hörbar: „Ich geh gleich mit dir aufs Zimmer, wenn du so weitermachst.“

„Tut euch keinen Zwang an“, sagte Carl, „die Zimmer sind ohnedies für euch bereit, die Betten frisch bezogen und Mathilda ist so einiges gewohnt.“

„Aber zuvor muss ich die Liste noch abarbeiten“, entgegnete Annika, „ich bin schließlich noch nicht durch.“

„Aber mach’s kurz“, sagte Carl, der noch nüchtern genug war, um eine kleine Spitze anzubringen, „Deine Frau ist wieder mal ganz aus dem Höschen.“

„Jetzt ist aber gut“, unterbrach Nora die ausgelassene Stimmung, „schließlich feiern wir Pauls Geburtstag und sollten, wenn jemanden, dann vor allem ihn verwöhnen.“ Sie hatte schon lange ein Auge auf Paul geworfen, doch war dieser ihren dezenten Avancen stets charmant ausgewichen.

„Du hast völlig recht“, nahm Annika das Wort unter fortschreitendem Einfluss des Alkohols wieder auf, „also Paul, geliebter Paul, zum Abschluss noch zur Stirnlampe und den Batterieboxen: Die haben da einfach zu wenig Strom. In Nepal. Nicht nur hoch oben auf den Bergen, sondern überhaupt, im ganzen Land. Ja, so ist das“, sie schlug abschließend einen pathetischen Ton an, „und damit du uns unbeschadet erhalten bleibst, möge dieses Licht auf deiner Stirn dir stets deine steilen Wege erleuchten. So, habe fertig, danke.“ Unter Gelächter und Applaus sank sie sichtlich erschöpft in ihr antikes Polstermöbel.

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