Читать книгу Ich bin der Sturm - Michaela Kastel - Страница 11

6

Оглавление

Ich sehe einen See. Still und friedvoll liegt er da, die Oberfläche ist mit Eis überzogen. Dahinter Berge und die verschneiten Spitzen eines Nadelwaldes. Es ist wie ein Gemälde, in das erst noch Farbe und Struktur gebracht werden muss: unscharfe Ränder, skizzierte Linien, hier und da ein Klecks Gold, wo das Licht die Erde berührt. Nichts, was wirklich ist. Ein Traum höchstens, wie in meiner Erinnerung. Aber es ist real. Ich stehe hier und spüre die Sonne auf meinem Gesicht. Sehe die Atemwölkchen vor mir tanzen. Fasziniert strecke ich die Hand danach aus, will es fühlen, das Sonnenlicht, die kalte, klare Luft, die gleichmäßig in meine Lungen und wieder hinausströmt. Das alles will ich mit meiner Hand festhalten, weil ich sonst nicht glaube, dass es da ist.

Keine einzige Flamme weit und breit. Kein Strom aus Lava und keine vom Himmel fallenden Sterne. Als ich den Kopf hebe, erkenne ich Vögel über mir. In der Tat, es ist wie im Traum. Aus Träumen muss man für gewöhnlich aufwachen. Aber noch möchte ich nicht aufwachen. Ich möchte hierbleiben und den See betrachten. Seine glatte, runde Form, die feinen Pastellfarben im Eis, Blau, Lila, Silber und Gelb. Er hat mich an den Ort meiner Träume geführt. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass das möglich ist.

»Gefällt es dir?«

Er steht hinter mir, seine Arme umschlingen mich ganz fest. Ich schmiege mich in seine Umarmung, lasse mich von ihm halten, dann küsst er mich und bringt mich ins Haus.

Eine kleine Hütte aus Holz am See. Es gibt einen Kamin im Schlafzimmer. Geist sagt, niemand sonst sei je hier gewesen. Dieser Ort gehört uns. Und niemand wird uns finden.

Er hilft mir, mich auszuziehen. Ich kann es nicht allein, meinen Armen fehlt die Kraft. Aber er ist stark, stark für uns beide. Vor dem Kamin legen wir uns hin. Nackt schmiege ich mich an ihn wie so viele Nächte zuvor, und in der Hitze des Feuers verschmelzen unsere Körper und werden eins. Flüssiges Metall, das ineinanderläuft, sich verbindet, sich vermischt. Es tut weh, so schön ist es.

Später streichelt er mein Gesicht. So müde sieht er aus und so glücklich. Zum ersten Mal sehe ich ihn bei Tageslicht. Der Schweif, der verschmust nach mir schlägt. Die Hörner, die keine Hörner mehr sind. Er hat sie abgeschliffen, meinetwegen. Er ist für mich menschlich geworden. Das Biest hat sich in die Beute verliebt. Ich möchte weinen vor Glück, aber alle Tränen sind verbraucht.

»Ich danke dir«, flüstere ich ihm ins Ohr.

Das Messer in meiner Hand ist scharf. Es durchdringt Stoff, Leder, Fleisch. Seine Augen sind vor Schreck weit geöffnet, er röchelt und hält mich fest umklammert. Drückt sich an mich, sagt meinen Namen. Immer wieder steche ich zu, das Messer in sein Herz, das für mich schlug und nun für niemanden mehr. Sanft sinkt sein Kopf gegen meine Brust. Seine Augen glühen nicht länger. In diesem Moment ist er sterblich. Er stirbt in meinen Armen, mein Retter, mein Geist. Der Teufel, der zum Menschen wurde. Ausgelöscht und kalt. Sein Körper wird schwer, und ich schiebe ihn weg und strecke mich nach meiner Kleidung.

Er hätte mich nicht gehen lassen. Niemals. Aber gehen muss ich. Zurück nach Hause, zurück ins Licht. Dahin, wo ich hingehöre.

Ich lasse ihn liegen und zünde das Haus an.

Ich bin der Sturm

Подняться наверх