Читать книгу Ich bin der Sturm - Michaela Kastel - Страница 15
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ОглавлениеEs geht ihr gut. Sie hat ein Haus, einen Mann und einen Sohn. Die Tage sind ruhig, und die Nächte sind es auch. Sie sieht oft aus dem Fenster. Sieht zu, wie der Wind sich in den Bäumen fängt. Wie Sonnenstrahlen über die Eisfelder tanzen. Wie alles einfach nur wunder-, wunderschön ist.
Auch die Geräusche sind schön. Das Knistern des Kamins. Diese selige, seltene Stille. Am meisten mag sie es, wenn der Junge mit dem Ball durch die Gänge tollt. Er hat dunkles Haar und dunkle Augen, er kommt nach seinem Vater, aber er hat auch etwas von ihr, zumindest glaubt sie das, irgendwo in diesem Kind muss es etwas geben, das von ihr kommt und nicht von ihm.
Sie ist froh. Sie ist dankbar. Dass sie jeden Tag in diesem wunderschönen Bett aufwachen darf. Mit diesem wunderschönen Jungen an ihrer Seite. Da ist es gar nicht so schlimm, wenn der Sturm die Landschaft verwischt und ihre Blicke aus dem Fenster im Nichts enden. Sie ist froh, hier zu sein. Sie ist dankbar, dass ihr Mann sie so liebt.
»Warum ich?«, fragt sie ihn manchmal, wenn er neben ihr liegt. Warum hat er sich ausgerechnet für sie entschieden? Es gab doch so viele. So viele Möglichkeiten.
»Weil du etwas Besonderes bist. Weil du die Schönste von allen warst.«
Er könnte das tausendmal sagen. Sie glaubt es nicht. Sie versteht es nicht. Und doch ist sie hier. Er hat sie ausgewählt, und das ist alles, was zählt.
»Ich würde so gern ans Meer fahren«, sagt sie. »Können wir das? Können wir ans Meer fahren?«
»Was willst du denn am Meer? Hier ist es viel schöner.«
»Manchmal ist es einsam.«
»Möchtest du, dass ich mir mehr Zeit für dich nehme?«
Sie schüttelt den Kopf. Ihr Mann ist sehr beschäftigt. Er hat Pflichten, das versteht sie. Er sorgt für sie, und das ist ihr genug.
»Du bist meine Königin«, flüstert er ihr zu. »Wünsch dir etwas, und es wird in Erfüllung gehen.«
»Ich habe schon alles, was ich jemals wollte«, antwortet sie.