Читать книгу Ich bin der Sturm - Michaela Kastel - Страница 18

12

Оглавление

Es ist eine Dachgeschosswohnung. Fenster und Tür sind mit Brettern vernagelt. Er hat mich eingesperrt, hier in dieser Wohnung. Auf dem Untersuchungstisch liegt ein Messer. Er wird mich damit aufschneiden. Mir Arme und Beine abnehmen wie dem kümmerlichen Ding auf der Trage nebenan. Alles hat er ihr abgesägt, bloß der Torso liegt noch da. War das einmal Fairy? Die Tür zur Küche öffnet sich. Dort steht er und rührt in einem Topf. Pfeift ein Liedchen, während die Suppe brodelt, in der er mich kochen wird. Er langt mit dem Kochlöffel in den Topf und zieht ein tropfendes Haarbüschel heraus. Schlürfend probiert er die Brühe.

»Fehlt noch Salz«, sagt er.

Eine Erschütterung schleudert mich umher. Hände, die mich packen und schütteln. Stöhnend reiße ich die Augen auf.

»So, Kleine, ich muss dich jetzt leider rauswerfen. Es wird Zeit.« Er steht in Hemd und Krawatte am Bett und schlägt meine Decke zurück. »Tut mir wirklich leid, aber ich muss noch die Bettwäsche wechseln, bevor ich aufbreche, also mach mal ein bisschen zackig.«

Erneut ein Schlürfen. Aber es ist keine Suppe, bloß Kaffee in einem Becher. Die ganze Wohnung duftet danach.

»Hast du schlecht geträumt?«, fragt er, während ich mich aufsetze. »Du hast im Schlaf geredet.«

»Mir geht es gut.«

Er nickt, betrachtet mich nachdenklich und geht dann in die Küche zurück, um den Becher in den Abwasch zu stellen.

Verschlafen suche ich meine Kleidungsstücke zusammen. Die Unterwäsche, die Jeans, den Pulli, den ich schon seit zwei Tagen trage. Das Laken ist komplett durchgeschwitzt. Er hat mir das Bett überlassen, während er mit der ausziehbaren Couch vorliebgenommen hat. Solche Güte ist beinahe verdächtig. Ich frage, ob ich das Badezimmer benutzen kann. Er nickt. Ich dusche schnell und ziehe mich an. Als ich rauskomme, steht er mit ein paar Zwanzig-Euro-Scheinen vor mir.

»Hier, ich glaub, die kannst du gut gebrauchen.«

»Du musst mir nichts geben, ehrlich. Ich komme schon klar.«

»Versprich mir einfach, dass du keine Drogen davon kaufst, okay?«

Er drückt mir das Geld in die Hand und beginnt mit dem Wechseln der Bettwäsche. Ich zähle fünf blaue Scheine und möchte jubeln wie ein Kleinkind. Damit lässt sich was anfangen. Ein günstiges Hotel, neue Kleidung und etwas zu essen. Verstohlen mustere ich ihn aus dem Augenwinkel. Offenbar bin ich tatsächlich an die einzige gute Seele im Umkreis von hundert Kilometern geraten. Ich könnte fragen, ob er einen Blowjob will. Oder etwas anderes in diese Richtung. Dann springt vielleicht ein Scheinchen mehr raus. Aber dass ich und meine schmutzigen Gefälligkeiten hier genauso unerwünscht sind wie eine Küchenschabe oder ein Fleck auf seinem weißen Hemd, ist mir klar. Es wird Zeit, aufzubrechen, eine neue Bleibe zu finden. Wahrscheinlich wird es wieder ein Loch mit Rohren und Ungeziefer. Nicht so wie hier. Alles ist sauber und ordentlich, wie er. Gesittet. Ein Ort, an dem ich nicht bleiben kann.

Bevor ich zur Tür hinaus bin, ruft er mir noch einmal nach.

»Warte, ich möchte dich was fragen. Kennst du das Funkhaus?«

Das Funkhaus. Beinahe hätte ich es vergessen. Es war mal mein Zuhause, damals mit Shark. Ich wollte doch vorbeischauen. Ich wollte so tun, als hätte ich keine Angst davor, an jenen Ort zurückzukehren, der einer Heimat noch am nächsten kommt.

Was, wenn er dort ist? Ich kann ihn noch nicht wiedersehen. Nicht, solange ich nachts wach liege und morgens aus blutverschmierten Träumen erwache.

»Du könntest mir nämlich einen Gefallen tun. So als kleine Wiedergutmachung.« Er ist zu mir an die Tür gekommen. Er trägt jetzt ein Sakko und eine Laptoptasche.

»Soweit ich weiß, suchen die dort immer neue Mädchen. Ist ein richtiges Kommen und Gehen. Keine Ahnung, vielleicht wäre das ja was für dich. Falls du einen Job brauchst.«

»Wieso sagst du mir das?«

»Wenn du dort bist, kannst du dich für mich nach jemandem erkundigen? Sie nennt sich Flo.«

»Deine Lieblingshure?«

Er grinst schief, doch es wirkt gestellt. Meine Frage hat ihn verärgert. »Tu mir einfach den Gefallen und hör dich ein bisschen nach ihr um. Hab lange nichts von ihr gehört. Vielleicht kannst du ja was rausfinden.«

Ich nicke, und er drückt mir eine Karte mit seiner Nummer in die Hand. »Damit kannst du mich erreichen.«

»Ich werde schauen, was ich herausfinden kann.«

Gemeinsam verlassen wir die Wohnung. Er mit der Laptoptasche, ich mit meinem zerfledderten Rucksack, in dem sich mein ganzes Leben befindet. Vor dem Ausgang des Wohngebäudes bleibt er stehen, und ich begreife, dass ich vorausgehen soll. Damit niemand uns zusammen sieht.

»Mach’s gut«, sage ich.

»Geh zum Funkhaus!«, ruft er mir nach. »Und vergiss nicht, nach Flo zu fragen.«

Ich lasse den Mann im Treppenhaus zurück. Sonnenlicht und Wärme schmettern wie Kugelhagel auf mich ein. Sofort ziehe ich mir die Kapuze über den Kopf und suche Zuflucht im Schatten einiger Bäume. Hinter einer Mauerecke versteckt warte ich. Er verlässt das Haus wenige Minuten nach mir. Er fährt mit dem Bus. Wie vorbildlich. Der Vorzeigebürger mit der staubfreien Wohnung. Jetzt um einige Scheine ärmer. Verübt in einem Moment gute Taten und vernascht im nächsten Atemzug kleine Huren namens Flo. Flo aus dem Funkhaus. Herr Saubermanns kleine Bettgeschichte. Auf meinen Lippen zuckt ein Lächeln. Solche Typen sind Peanuts. Leicht zu handhaben. Die haben keine Hörner, nur Geld.

Das Funkhaus also. Heute Nacht. Das Funkhaus.

Ich bin der Sturm

Подняться наверх