Читать книгу Du bist dran - Mieze Medusa - Страница 11
Übungsmodus
ОглавлениеDas Büro des Neukunden liegt im Mezzanin eines Altbaus. Wenig Sonne, hohe Räume, gute Adresse. Ein junger Mann im Anzug bringt mir einen Kaffee. Keine Falten, kaum Barthaare. Er ist so jung, der kennt keine Welt ohne Plug & Play. Durch die offenen Flügeltüren sehe ich drei Arbeitsplätze, einer ist frei. Neben der Tastatur liegt eine externe Festplatte auf dem Tisch.
»Die Festplatte? Ist das Ihre?«
Er nickt.
»Passwortgesichert?«
Er wird ein bisschen rot, nickt aber wieder.
»Ist das Passwort Ihr zweiter Vorname? Enthält es eine Jahreszahl? Sonderzeichen?«
Sein Gesicht verfärbt sich noch mehr.
»Wenn Sie kurz hier warten würden … Herr Berger kommt gleich zu Ihnen.«
»Bringen Sie mir doch schon mal Ihren internen Security-Leitfaden. Schließlich zahlen Sie mich für die Zeit hier. Ich möchte Ihnen gerne die Chance geben, davon zu profitieren.«
Herr Berger hat dünnes Haupthaar und einen besorgten Blick. Er erklärt mir, was seine Firma macht, ich vergesse es sofort wieder. Dann erkläre ich ihm, was meine Firma macht. Ich weise darauf hin, dass mir sein Mitarbeiter den Security-Leitfaden ausgehändigt hat, bevor ich den Vertrag unterzeichnet habe. Herr Berger nickt besorgt und macht sich eine Notiz.
Eine Stunde später verlasse ich das Büro. In der Tasche habe ich die schriftliche Erlaubnis, den Betrieb hacken zu dürfen. Kinderspiel bis Level 1 im Übungsmodus. Bei der Verabschiedung erinnere ich Herrn Berger daran, ein wöchentliches Backup auch außerhalb des Büros aufzubewahren. Verschlüsselt und passwortgesichert. Bitte, danke.
Ich laufe die Stufen runter und staune, wie weit oben das Mezzanin in Wien sein kann. Mezzanin, Hochparterre, in jeder anderen Stadt wäre das schon der zweite Stock. Im Kopf mache ich eine Liste. Wie soll ich vorgehen, um die Zeit bis zur erfolgreichen Penetration zu verkürzen? Müsste ich nicht. Herr Berger freut sich, wenn’s länger dauert, dann fühlt er sich sicherer. So ein Unsinn! Sicherheit ist ein Prozess, kein Zustand. Den Hack möglichst schnell zu machen, ist aber immer noch Ehrensache.
In Gedanken tief abgetaucht in die Welt meines Kali Linux, pralle ich beim Verlassen des Hauses mit voller Wucht gegen jemanden, der ganz klar weder eine 0 noch eine 1 ist. Eher schon eine 10. Ich mache die Augen auf und schaue direkt in ein Gesicht, das ich mir gemerkt habe. Vor mir steht die Technikerin von neulich.
»Hallo«, stottere ich.
Ein Versuch, ihren Gesichtsausdruck zu deuten: nachdenklich, irritiert, mit Spuren eines Lächelns.
»Kennen wir uns?«
»Ja. Eduard. Neulich, von der Fachmesse …«
Ihr Lächeln wird breiter. Sie hat mich wiedererkannt. Ich löse meine Gedanken aus der Welt der Penetrationstests, was mir schwerfällt, oder wie kann ich sonst erklären, dass ich anfange, über das Wetter zu reden. Ich höre die Wörter »Feinstaubbelastung, Allergiewerte, Biowetter« aus mir purzeln und überlege gerade, ob es noch schlimmer geht.
Ihr Lächeln zieht sich wieder zurück. Ihre Hände reiben den Hosenstoff an der Seite ihrer Oberschenkel. Die Zeit dehnt sich. Erleichtert atme ich auf, als ihre Hände den Hosenstoff loslassen und sie sich mit allen Fingern durch die Haare fährt.
Sie schüttelt bedauernd den Kopf. Ihr Lächeln ist entwaffnend:
»Ehrlich gesagt: Das Wetter ist mir heute noch gar nicht aufgefallen.«
Sie heißt Bianca. Ihre Augen sind groß und schwarz wie Magnete. Aus mir völlig unerfindlichen Gründen hat sie schon dreimal gelacht, nachdem ich etwas gesagt habe. Wir sitzen an einem Marmortisch, vor uns stehen zwei Bier. Trotz meines Blackouts ist das Gespräch ins Laufen gekommen. Ich habe meinen Mut zusammengenommen und gefragt, ob wir etwas trinken gehen wollen.
»Warum nicht? Schließlich geht die Sonne bald unter, und die Welt wird es schon nicht tun, nur weil wir heute eine Stunde früher mit der Arbeit aufhören.«
Jetzt sitzen wir da und fachsimpeln über Kollegen, Fachtrottel und DAUs, die dümmsten anzunehmenden User. Bianca grinst mich an.
»Und ich sag ihm noch, er muss das Servicepack deinstallieren. Aber hat er mir geglaubt? Er hat immer mehr geschwitzt und gesagt: Aber auf dem anderen Computer geht er ja, warum geht der Scheiß-Dongle nicht. Schließlich hat er den Dongle einfach in den Mülleimer geworfen. Ich hab ihn rausgenommen und auf ebay weiterverkauft. Weißt du noch, ebay?«
Sie lacht. Ich lache. Läuft gut.
»Ich hab ihm dann die Betriebsrichtlinie für Mülltrennung auf den Desktop kopiert. Er ist nicht lange bei uns geblieben.«
Ihr Lächeln wird nachdenklich.
»Aber ich auch nicht. Ich bin auch gegangen. Der Job war okay, aber eigentlich: Am liebsten arbeite ich selbstständig. Für mich. Und klar, Messetechnik ist nicht gerade meine Erfüllung. Aber ich mach jetzt hier ein paar Aufträge, die Geld bringen, und dort ein paar, die interessant sind, und insgesamt hab ich Zeit und kann’s mir einteilen, wie ich will. Ich bin gern mein eigener Chef.«
»Was für ein Zufall«, sage ich, »das bin ich nämlich auch.«
»Überhaupt. So lernt man immer wieder interessante Leute kennen.« Biancas Augen scannen mein Gesicht. Sie lächelt immer noch. Ich bestelle noch zwei Bier. Zwei große. Biancas Haut schimmert. Wir reden über Filme. Die schlechteste Rave-Szene in einem Film? Ganz klar, die findet man im zweiten Teil von Matrix. Wir sind uns einig beim Herrn der Ringe, aber nicht beim Hobbit. Ich wundere mich, dass es, abgesehen von dem seltsamen Film mit Keanu Reeves, keine Verfilmungen von William Gibson gibt. Bianca lacht so laut, dass sich die Leute im Lokal neugierig zu uns umdrehen. Es bahnt sich etwas an, was ich sonst nur über den Computer anbahne. Der Vorteil von Chat Rooms ist, dass ich mir einfach vorne in die Hose greifen kann, wenn es dort eng wird. Die Lage entspannt sich nicht, als Bianca sich fast am Bier verschluckt: »Der Delfin! Der sprechende Delfin in Johnny Mnenomic, den habe ich vergessen gehabt. Oh Gott, Special Effects haben sie damals einfach nicht gekonnt!«
Ich weiß jetzt, dass Bianca drei Katzen hat, was gegen sie spricht. Ich weiß aber auch, dass Biancas Katzen bei ihrer Oma am Land wohnen, was für sie spricht. Stadtkatzen tun mir leid. Stadthunde tun mir noch mehr leid, weil die ja einen ausgezeichneten Geruchssinn haben, und wir wissen doch, wie es in Städten riecht.
Ich weiß, dass Bianca alleine wohnt, aber ein Gästezimmer hat, das sie manchmal bei AirBnB anbietet. Sie reist gern. Sie war neulich in Barcelona und will ziemlich dringend nach Istanbul, bevor ein Erdbeben die Stadt kaputt macht. »Oder Erdoğan!«, sagt Bianca und lacht schon wieder.
Um das Gespräch in Gang zu halten, behaupte ich, ebenfalls gerne zu reisen. Das ist gelogen oder stimmt nur, wenn man das Rumklicken in Google Streetviews als Reise gelten lässt.
Schon wieder nähert sich ihr Mund meinem Ohr. Das ist nur deshalb keine gute Nachricht, weil ich nach dem ganzen Bier jetzt schon recht dringend aufs Klo muss. Erregtes Pinkeln ist was für Fortgeschrittene. Außerdem hab ich Angst, dass man meinen Zustand sehen kann, wenn ich aufstehe. Biancas Begeisterung verschiebt meinen Gang aufs Klo gut und gerne eine halbe Stunde nach hinten. Denk an was anderes, rede ich mir selbst zu. Ihr Lächeln wird noch breiter: »Weißt du was, Eduard?«
Ich schaue ratlos.
»Drei Straßen weiter gibt es eine Karaokebar. Wir gehen nachschauen, was sie im Programm haben.«
Was Karaoke betrifft, bin ich zwiegespalten. Persönlich hasse ich es, aber in Japan ist Karaoke riesengroß. Ich mag Japan, weil die Menschen dort ein entspanntes Verhältnis zu neuen Technologien haben. Deshalb meine Paranoia: If Japan recht hat, then bin ich ein dummer Europäer, der Karaoke einfach nicht verstanden hat, else: Karaoke ist wirklich so blöd, wie ich es in Erinnerung habe. Egal. Beim Aufstehen halte ich meine Jacke so, dass die Auswertung des Bianca-Sympathietests nicht für alle Welt zu sehen ist. »Okay«, sag ich also, »aber ich werde nicht singen.«