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Essen top, Service verbesserungswürdig

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Das »Poseidon« ist wie Kurzurlaub in der Vorstadt. Wie bringt man die Leute zum Träumen? Man streicht die Wände weiß und hängt ein Fischernetz an die Decke. Die Tischtücher sind aus Papier, die Stühle unbequem, aus Holz und blau gestrichen. Wie in der Taverne am Strand. Laut einer Bewertung auf Tripadvisor ist das »Essen top, Service verbesserungswürdig«.

An der Wand hängt die Gitarre, die Nikos manchmal herunternimmt, wenn Vasilis mit seiner Bouzouki vorbeikommt. Griechisch kann ich nicht, mitsingen schon. Bei der Kassa hängt das Foto von Mama mit den Zwillingen. Daneben eines von der γιαγιά und eines von Nikos’ Auto, als es neu war.

Ich liebe das »Poseidon«. Wenn Vasilis und Nikos nicht selbst Musik machen, läuft jeden Abend die gleiche Playlist mit griechischer Musik. Die Leute essen und sehen dabei glücklich aus.

Am liebsten helfe ich in der Küche. Erstens muss ich dort den Bauch nicht einziehen. Zweitens riecht es gut. Drittens kocht da die Maria. Sie redet viel, während sie arbeitet. Sie erzählt von ihrer Kindheit oder von ihren Abenteuern auf Saison. Märchen aus dem Gastgewerbe mit vielen Fröschen und keinem einzigen Prinzen. Ihre Geschichten enden ausnahmslos damit, dass Maria hilflos den Kopf schüttelt und mich anschaut: »Du bist aus Wien?«

Ich nicke.

»Du bist in Wien geboren?«

Ich nicke wieder.

»Du hast nie woanders gewohnt?«

Ich nicke ein drittes Mal.

»Dann kannst du dir gar nicht vorstellen, wie es zugeht auf der Welt.«

»Es gibt eine Welt außerhalb von Wien?«

»Hast du keinen Fernseher?«

»Doch?«

»Dann schalt ihn ein. Da siehst du, was auf der Welt passiert.«

Plötzlich steckt Nikos seinen Kopf durch die Schwingtür. Er nickt Maria zu, sie hebt den Kochlöffel.

»Agnesa. Komm raus, ich brauch dich im Service.«

»Ich brauche Agnesa auch. Oder soll ich die ganzen Zwiebeln alleine schneiden?«

»In einer halben Stunde!« Jetzt schaut Nikos mich an, bis ich nicke.

Eine halbe Stunde später habe ich zwei Teller Moussaka in der Hand. Ich springe für Yannis ein. Yannis heißt eigentlich Rado und ist aus Rumänien. Er ist unser Kellner. Früher war er am Bau und hat sonst alles Mögliche gemacht, um Geld zu verdienen. Nikos ist großzügig im Geben von ersten Chancen. Niemand verlangt, dass hier nur Griechen arbeiten. Rado nimmt man den Griechen ab. Er ist einsilbig und spricht mit einem Akzent, der schwer einzuordnen ist. Warum wir Rado Yannis nennen? Die Kellner wechseln oft. Wer Tisch 5 bis 12 bedient, heißt Yannis. Das erleichtert die Arbeit. Außer heute, da macht sich Yannis, also Rado, den Job so einfach, dass er gar nicht erst kommt.

Mama lehnt an der Bar und verrührt mit dem Löffel ihre Gedanken im Kaffee. Im Rücken spüre ich ihre Blicke, wenn ich mich über die Tische beuge, die Tischdecken glattstreiche oder Gedecke auflege.

Nein, Mama, ich bin nicht schwanger!

Ja, Mama, ich bin schon wieder dicker geworden!

Ich laufe zwischen den Tischen hin und her. Manchmal muss ich mich seitlich drehen und den Bauch einziehen, um zwischen den Stühlen durchzukommen. Später wird Mama das kommentieren.

Ich bin total verschwitzt. Wenn Mama im Service ist, hat der diensthabende Yannis mehr Arbeit. Heute bin das ich. Das »Poseidon« ist ganz schön voll. Ich schmeiße ein paar Eiswürfel in meine abgestandene Cola, ziehe Colawasser durch den Strohhalm und werfe einen wütenden Blick in Mamas Richtung. Eine Freundin von früher lehnt neben Mama an der Bar. Ich gebe Maria die Bestellungen durch. Sie deutet auf zwei dampfende Teller.

»Zweimal Lamm für Tisch 3.«

Auch Maria ist ziemlich verschwitzt.

»Das ist der Tisch von der Mama.«

»Ich weiß, aber …« Maria verdreht die Augen und deutet auf die beiden, die sich an der Bar gut unterhalten. Mama hat Zeit gefunden, den Lippenstift aufzufrischen.

Ich renne mit Tsatsiki zum Ecktisch mit dem verliebten Pärchen. Hoffentlich hat sich Maria mit dem Knoblauch zurückgehalten. Ich renne zurück, nehme die beiden Teller mit dem Lamm, renne zu Tisch 3, Mamas Tisch, und wieder zurück. Schon wieder stehen drei Teller mit dampfendem Essen da. Der Herr, der sich im Eck alleine durch die Speisekarte isst, winkt mir. Er will noch ein Bier, schon verstanden, aber kann nicht die Mama …?

Sein Blick bleibt solange an meinem Oberkörper hängen, dass ich an mir runterschaue, ob die Knöpfe der Bluse noch dran sind. Er bemerkt meinen Blick und zieht die Augenbrauen hoch. Als ich das Bier vor ihm auf den Tisch stelle, tätschelt er meinen Unterarm und murmelt: »Na, stell dich nicht so an. Ich schau dir schon nichts weg.«

Auf dem Rückweg schleiche ich extra in Mamas Nähe vorbei.

»… weiß nicht mehr, was ich machen soll.«

»Eleni ist ein kluges Mädchen, das wird schon, mit dem Gymnasium.«

»Aber, wenn nicht?«

Mamas Freundin fängt meinen Blick auf und unterbricht sich. Sie lächelt mir zu. Mama dreht sich um. Als sie mich sieht, friert ihr Lächeln ein. Sie mustert mich. Dann bewegt sie ihr Kinn Richtung Toiletten. Das heißt: »Mach dich frisch, Mädchen.«

Ich stelle das Tablett mit den Getränken vor ihr ab und murmle die Tischnummer. Soll sie doch auch mal ein paar Schritte machen. Die Klotür kracht, als ich sie hinter mir zufallen lasse. Ich setze mich angezogen auf die Klobrille und atme durch.

Im Nacken unter den Haaren schwitze ich. Ich wische mich mit Klopapier ab. Beim Händewaschen vermeide ich den Blick in den Spiegel. Was soll da schon zu sehen sein, außer mein rotes Gesicht? Rund, rot, groß. Manchmal sehe ich mich selbst nicht mehr vor lauter Backen.

Mit drei Tellern schiebe ich mich zwischen den Tischen durch, bleibe mit der Hüfte an einer Stuhllehne hängen und verliere fast eine Portion Souvlaki. Ich habe oft Schwierigkeiten damit zu wissen, wo ich aufhöre und wo die Welt anfängt. Der Stuhl kracht auf den Boden, und das ganze Lokal starrt mich an. Ich seh den Leuten an, was sie denken: Kein Wunder bei dem Fettarsch. Mir wird immer heißer. Wieder komme ich bei Mama vorbei, sie dreht mir den Rücken zu.

»Nikos hat schon wieder gejammert, wie eng die Wohnung ist. Wir haben überhaupt keinen Platz mehr …«

Vielleicht hätte ich den Satz gar nicht auf mich bezogen, wenn Mamas Freundin nicht so erschrocken geschaut hätte. Hat sich Nikos über mich beschwert? Ausgerechnet heute? Wo ich in der Küche und im Service aushelfe? Wie ferngesteuert renne ich in die Küche. Maria brät konzentriert Fleisch an, sie dreht mir den Rücken zu. Ich schnappe mir die Fettschwarte, die auf einem abservierten Teller liegen geblieben ist, und stopfe sie mir in den Mund. Das Fett ist kalt. Ich kaue. Meine Lippen sind noch ölig, als sich Maria nach mir umdreht.

»Was machst du da?«

»Kümmer dich um deinen Scheiß!«

Sie drückt mir ohne Vorwarnung einen heißen Teller mit Moussaka in die Hand, die Hitze brennt auf meiner Haut.

»Frag deine Mutter, wer das will, und schleich dich aus meiner Küche!«

Ich bin schon fast bei der Tür raus, als mich Maria zurückruft: »Und wisch dir den Mund ab.«

»Geh in Arsch!«

Beim Rausgehen weiß ich schon, dass ich mich morgen bei Maria entschuldigen werde. Bei Mama nicht, denke ich mir noch, dann knalle ich das Moussaka dem verdutzten Gast vor die Nase und renne aus dem Lokal. Soll sie doch schauen, wieviel Platz sie plötzlich hat, wenn ich weg bin.

Ich schaffe zwei Blöcke in dem hoppelnden Laufschritt, den ich mir angewöhnt habe, seit ich mir so schwer damit tue, gleichzeitig zu laufen und zu atmen. Es dauert ewig, bis ich das Haus erreiche, in dem wir wohnen. Dort hocke ich mich keuchend auf eine Stufe vor der Haustür. Es riecht nach Hundeklo. Das hier ist Ottakring, da kannst du auf der Straße einfach losheulen. Niemand wird dich fragen, was los ist. Ich heule vor mich hin. Irgendwann ist mir kalt. Dann schleiche ich heim in die Wohnung. In mein Zimmer. Beim Ausziehen bemerke ich, dass in meinem Nacken ein Stück Klopapier klebt. Ich beiße mir vor Wut auf die Faust. Die γιαγιά schläft schon, wenn ich Glück habe, hat sie ein Schlafmittel genommen. Wenn ich Pech habe, wacht sie von meinem Weinen auf und verlangt eine Erklärung. Als ich im Bett liege, drehen sich Lichtflecken über meinen geschlossenen Augen. Neben mir atmet die γιαγιά.

Du bist dran

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