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Zigarren ausdrücken auf der dünnen Haut des Patriarchats

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Wer in Bruck an der Laa die Welt verbessern will, trifft sich in der Volksschule. Hermann ist die Zeit dafür zu schade. Er hat mich am Parkplatz aussteigen lassen und ist mit quietschenden Reifen davongefahren. Zum Abschied hat er gehupt. Dabei weiß er doch, wie sehr mich das ärgert. Aber gut, das ist auch eine Form von Kommunikation.

Bevor ich die Volksschule betrete, lasse ich meinen Blick über das Dorf gleiten. Ich bin nicht von hier. Vor ein paar Jahren habe ich mich entschlossen, Wien zu verlassen und zu Hermann zu ziehen. Es gibt Tage, da vermisse ich das Gewusel der Stadt. Doch im Moment zeigt sich das Dorf von seiner schönsten Seite. Über den Häusern liegt das weiche Licht, das die Abenddämmerung ankündigt, aber noch eindeutig zum Tag gehört. Die Schatten sind lang und ein lauer Wind streicht durch die Straßen. Entschlossen öffne ich die Tür und betrete die Volksschule.

Die Luft ist abgestanden. Versammelt haben sich die üblichen Verdächtigen. Marianne, die Lehrerin der Volksschule, engagiert sich auch in der Freizeit für das Wohl der Menschen. Franz leitet nicht nur den Kirchenchor, er ist auch sonst überall dabei. Ein paar Frauen vom Trachtenverein dürfen nicht fehlen. Neben einem jungen Mädchen mit Henna-Tattoos sitzt Hans, der Sohn des Fleischers. Weiter hinten kann ich Uschi sehen. Ich grüße und überlege, ob ich mich in ihre Nähe setzen soll. Doch neben ihr sitzt Sophie. Sie betreibt einen Bauernhof, auf dem man Urlaub machen kann. Vor Jahren, als ich noch nicht bei Hermann wohnte, habe ich das gelegentlich gemacht, wenn ich da war. Ich kann sie nicht leiden, und das mit gutem Grund.

Marianne begrüßt uns wortreich: »Wie schön, dass sich so viele eingefunden haben. Gerade in Zeiten wie diesen ist unser aller Engagement besonders wichtig …«

Die Vorfreude in meinem Bauch verwandelt sich in einen Klumpen. Auf Floskeln habe ich keine Lust.

Marianne dankt den Frauen vom Trachtenverein für die mitgebrachten Mehlspeisen. Leider sei die Kaffeemaschine im Lehrerzimmer kaputtgegangen und noch nicht ersetzt.

»Aber unser Wasser schmeckt besonders gut, und außerdem hat ja die Uschi ihren selbstgemachten Hollersaft mitgebracht. Bevor wir uns stärken und austauschen, möchte ich euch einladen, zuzuhören. Wir haben heute ein volles Programm. Neben dem üblichen Thema«, damit meint sie den Widerstand gegen die angekündigte Schließung des letzten Hallenbades in der Gegend, »freuen wir uns heute sehr darüber, Hans bei uns begrüßen zu dürfen!«

Hans lächelt verbindlich in die Runde. Die Trachtenfrauen lächeln beglückt zurück. Eine meldet sich zu Wort und erwähnt das monatliche Zusammentreffen zum gemeinsamen Singen. Sie wirft Hans einen bedeutungsvollen Blick zu. »Wir sind immer auf der Suche nach ein paar Bassstimmen.«

Marianne übergibt das Wort an eine junge Frau. Sie trägt praktische Kleidung in Erdfarben. Die Haare hat sie mit einem bunten Tuch zurückgebunden. Ihre Haut ist gebräunt, ihre Stimme angenehm. Sie erzählt vom letzten freiwilligen Waldaufräumtag. »Es haben sich auch zwei Volksschulklassen beteiligt. Danke, Marianne, für die unkomplizierte Zusammenarbeit. Wir haben elf große Plastiksäcke mit Müll aus dem Wald rausgetragen, die Entsorgungskosten übernimmt die Gemeinde, den Abtransport hat der Max mit dem Traktor gemacht. Die Aktion war ein voller Erfolg, wir werden sie nächstes Jahr sicher wiederholen.«

Im Raum macht sich zustimmendes Gemurmel breit. Eine unzufriedene Stimme setzt sich durch. Natürlich Sophie: »Was bringt denn das? Am Wochenende geht die ganze Jugend wieder in den Wald feiern. Party mit Tschick und Dosenbier, und mein Mann und ich müssen wieder hinterherräumen. Als hätten wir nichts anderes zu tun.«

Sie streicht sich mit beiden Händen über den Bauch. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie schwanger ist. Noch nicht ganz hochschwanger, aber übersehen kann man es auch nicht mehr. Dass sie nochmal ein Kind bekommt? Ich glaube mich an zwei Töchter erinnern zu können, die vor Jahren schon im Schulalter waren und jetzt wohl schon aus dem Haus sind. Marianne lächelt Sophie beschwichtigend an.

Die Reaktionen reichen von »Wohin sollen sie denn gehen, der Wirt hat ja zugesperrt« über »Besser als sie fahren besoffen mit dem Auto durch die Gegend« bis zu »Hauptsache, sie nehmen keine Drogen«. Als könnte man im Wald keine Drogen nehmen. Meine schönsten Drogenerlebnisse hab ich in der Natur gehabt.

Das Mädchen mit den Henna-Tattoos meldet sich: »Also vielleicht kann man ja ein Freiwilligenprojekt starten. Weil, in Indien …«

Erleichtert unterbricht Marianne, ruft den Raum zur Ruhe und stellt sie vor: »Ja, das ist übrigens Franziska. Sie ist gerade von einer Indienreise zurückgekehrt. Schön, dass du heute bei uns bist.«

Mit glänzenden Augen erzählt das Mädchen von der Reise. Junge Frau, sollte ich wohl sagen. Wer alleine ein paar Monate durch Indien reist, ist kein Mädchen mehr. Aber sie sieht so jung aus. Sie redet über die Reisen, die Natur, die Farben Indiens. Gemeinsam mit Interessierten möchte sie natürliche Färbetechniken ausprobieren und eventuell auch ein paar importierte Seidensaris direkt vermarkten.

Ihre Begeisterung ist ansteckend. In meinem Kopf entstehen Bilder: bunte Gewänder, Yoga, Curry und ganz, ganz viele Menschen, die anmutig lächeln. Klischees, ich weiß. Doch dank Franziska will ich jetzt mehr wissen.

»Na, Indien, das ist mir suspekt, dort sind ja alle Vegetarier, die essen ja nicht mal ihre Kühe«, murrt einer der wenigen Männer der Runde vernehmlich. Vielleicht hat er sein Hörgerät falsch eingestellt oder er hat mit Absicht so laut geredet. Hans verdreht die Augen, versucht es sich aber nicht anmerken zu lassen.

»Na, Hans, entschuldige schon«, fährt der Mann fort, »dein Vater würd’ sich schön bedanken, wenn wir jetzt alle nur mehr Salat essen würden.«

»Tät uns nicht schaden, wenn wir alle ein bisschen weniger Fleisch essen würden«, nütze ich das Vorrecht der alten Frau, sich überall einzumischen.

Dazu haben alle im Raum eine Meinung und das Treffen versinkt im Chaos. Was soll ich sagen? Alle hier wollen die Welt verbessern und trinken dabei aus Plastikbechern.

Später stehe ich mit Kuchen auf dem Pappteller in Wandnähe und warte vergeblich darauf, dass jemand mit mir das Gespräch sucht. Uschi grüßt aus der Ferne, aber wenn Hermann dabei ist, ist sie herzlicher.

Die Trachtenfrauen loben gegenseitig ihre Kuchen und verraten konspirativ die Zutaten. Ich schnappe Gesprächsfetzen auf: »Sie hat ja nicht unrecht.«

»Aber ihm so drüberzufahren?«

»Man muss ja Geduld mit ihm haben. Jetzt, wo er nach dem Tod seiner Frau endlich wieder unter die Leute geht.«

Habe ich also wieder mal alles falsch gemacht. Nicht mal Hans scheint sich über meine Wortmeldung gefreut zu haben. Als er später von seinen Plänen erzählt, Würste auf Pilzbasis herzustellen, war das Thema »Vegetarische Ernährung« irgendwie durch.

Ich mache, was ich mein Leben lang getan habe. Ich halte mein Kinn hoch und bewahre Haltung. Betont langsam esse ich meinen Kuchen fertig. Soll niemand denken, sie hätten mich in die Flucht geschlagen. Der jungen Frau mit den Saris aus Indien dränge ich meine Mailadresse auf und schlage ihr vor, eine Mailingliste aufzulegen. Danach fällt mir nichts mehr ein, was meine Anwesenheit rechtfertigt. Also gehe ich Hermann suchen.

In der Tankstelle legt sich die Luft klebrig auf meine Lunge. Zwischen Aufbackbrötchen und Brieflosen riecht es nach Treibstoff, Bier und Schweiß. Wie die Leute das aushalten? Gut, der Dorfwirt hat schon seit Jahren geschlossen. Seit der Besitzer in Pension gegangen ist, findet sich niemand, der für die paar Bier, die bestellt werden, den ganzen Abend hinter der Budel steht. Also hat der Betreiber der Tankstelle, der auch Postpartner ist, eine Schanklizenz beantragt und zwei Stehtische sowie einen Stammtisch aufgestellt. Frisch gezapfter Treibstoff für Auto und Fahrer.

Ich gehe zum Stammtisch und sage: »Guten Tag allerseits.«

»Bei uns sagt man Grüß Gott!«, sagt einer von Hermanns alten Freunden. Hermanns Blick macht deutlich, was er denkt: Warum kann sie nicht einfach Hallo sagen? Aber ich bin nicht alt geworden, um jetzt anzufangen, meine Prinzipien zu verraten.

»Setz dich zu uns. Willst auch ein Bier?«

Hermann legt seinem Kollegen dankbar die Hand auf die Schulter, winkt aber ab. Dabei hat sein Freund eigentlich mich gefragt. Egal, ich will auch nicht bleiben.

»Ist besser, wenn wir nach Hause fahren.«

»Jetzt wirst du schon von deiner Frau vom Stammtisch abgeführt.«

»Wer braucht schon eine Frau, wenn er Alexa hat?«

»Darf ich heute noch meine Freunde treffen? Da muss ich schnell noch Alexa fragen.«

Wieherndes Gelächter.

Hermann nickt begütigend. Er winkt dem Chef der Tankstelle zu: »Schreib’s auf meine Rechnung.«

Zum Abschied wirft er in die Runde: »Wenn’s jemanden gibt, der einen abholt und mit heimnimmt, dann ist das ja auch was Schönes.«

Niemand widerspricht. Obwohl ich mich den ganzen Tag über Hermann geärgert hab, muss ich jetzt gegen die Rührung ankämpfen. Wie früher, als würden die Hormone immer noch eine Rolle spielen. Ich setze mich zu Hermann ins Auto und versuche nicht zu bemerken, wie rasant er beschleunigt. »Na?«, fragt er mit einem langen Blick auf mich, »war’s schön?«

Ich würde mir wirklich wünschen, er würde beim Autofahren auf die Straße schauen. Warum fühle ich mich denn heute so fehl am Platz? Mein Leben lang war ich weder Fisch noch Fleisch. Zum Beispiel: Ich habe das Autofahren immer gehasst. Ich habe Road Movies immer geliebt. Was soll’s. »Was ist?«, unterbricht Hermann die Stille. »Bekommst du wieder deine Tage oder was?«

Dann lacht er laut, als hätte er etwas wirklich Originelles gesagt. Hat er nicht. Aber er hat mich an etwas erinnert. Manchmal vermisse ich es, meine Tage zu haben. Oder die Tage vor den Tagen, wenn du wegen einer Waschmittelwerbung im Fernsehen losheulst. Sie wollten uns keine Atombombe in die Hand geben, weil wir emotional nicht stabil genug wären. Dabei wollten wir gar keine Atombombe, wir wollten den gleichen Anteil an Arbeit, Anerkennung, Geld und Macht. Wir wollten nicht immer alleine die Kinder wickeln und den Abwasch machen, dass das so schwer zu verstehen ist.

Wenn schon Atombombe, dann wollten wir sie verschrotten! Und den Atomstrom gleich dazu. Danach ein Glas Rotwein und eine Zigarre rauchen und auf der dünnen Haut des Patriarchats ausdrücken. Weil ja eine Zigarre manchmal wirklich nur eine Zigarre ist.

Du bist dran

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