Читать книгу Du bist dran - Mieze Medusa - Страница 13
Königrufen und Linsensalat
Оглавление»Sitz still!«, sag ich zu Hermann. Ich will ihm ein Pflaster auf die Wange kleben. Er wehrt sich. Mitten im Gesicht eines alten Mannes, das sei doch würdelos.
»Blutverschmiert rumlaufen ist besser oder wie?«
Ich greife zum Alaunstift. Hermann lässt sich das Brennen extra stark anmerken, damit ich ihn danach dafür loben kann, wie wenig er sich das Brennen anmerken hat lassen. Im Alter werden wir wieder wie Kinder. Ich spiele gerne. Ich habe immer gerne gespielt.
Später sitzen wir am Esstisch und trinken frischen Eistee. Seine Hände, schlank und beweglich, auch wenn die Haut locker und fleckig ist, spielen mit einem Stapel Karten. Seine Finger mischen die Karten mit einer Eleganz und Sicherheit, die im Widerspruch stehen zu dem Zittern seiner Hände. Ich beobachte ihn fasziniert.
Vor mir ein Berg Gelb. Mit einem Pinsel und einem kleinen Messer putze ich die gesammelten Eierschwammerl, entferne Nadeln, kleine Schnecken und Erdreste. Hermanns Funde sind leicht erkennbar, er schneidet die Schwammerl über der Erde ab. Das schont das Myzel, sagt er. Sie sind sauberer als meine, meine dafür größer. Im Gegensatz zu ihm drehe ich die Pilze vorsichtig aus der Erde … Wen interessiert das schon. Manchmal, und das ist neu, langweilen mich meine eigenen Gedanken. In mir eine Leere, wie sie mir früher, als ich versuchte, meditieren zu lernen, nie gelungen ist.
»Hast du was von Eduard gehört?« Hermann sieht mich an, in der Hand immer noch die Spielkarten. Eduard ist Hermanns Sohn. Ich betrachte Hermann. Wie gut er aussieht. Natürlich, in seinen Falten könnte man Ostereier verstecken. Sein Sakko ist wie er: in die Jahre gekommen und trotzdem fesch. Früher hätte ich ihn als konservativ abgetan und einer Freundin zugeflüstert, der glaube wohl, er sei alter Landadel. Das immerhin habe ich gelernt, im Lauf der Jahre: hinter die Fassaden zu schauen. Hinter Hermanns Auftreten in vernünftigen Stoffen, gedeckten Farben und traditionellen Schnitten versteckt sich ein unkonventioneller Mensch. Eher wortkarg als Plappermaul. Eher vergesslich, inzwischen. Nicht immer ganz verlässlich im Abschalten von Herdplatten und Bügeleisen. Ich kümmere mich um ihn. Um Haus und Garten auch. Dabei ist es nicht einmal mein Haus. Das Haus gehört Eduard, seinem Sohn. Und nein, von Eduard habe ich nichts gehört.
Als es an der Tür läutet, stehe ich im Bad und versuche mich für eine Lippenstiftfarbe zu entscheiden. Das Läuten ist nicht direkt unerwartet. Wir haben einen Tarockabend geplant. Zu früh kommen ist auch nur eine besonders aggressive Form der Unpünktlichkeit.
Vor der Tür steht Uschi, mit optimistischem Kurzhaarschnitt und sportlicher Windjacke. Sie kommt mit einer Freundin. Hermann ist gewohnt souverän. Er bittet die beiden herein, nimmt Jacken ab, macht Komplimente. Die Frauen blühen unter seinem Charme auf.
»Wie erfreulich, endlich wieder eine Vierte zum Tarockieren«, murmelt Hermann.
Sein Lächeln ist so echt, wie es sein Zahnersatz zulässt. Man muss schon gut hinter Fassaden sehen können, um zu wissen, wie er hinter dem Rücken der beiden Besucherinnen reden wird.
»Immer nur Königrufen, bei dem Blatt hätte sie zumindest einen Dreier spielen müssen.«
In der Spielpause serviere ich Linsensalat mit den frischen Eierschwammerln. Hermann hat einen unverschämt hohen Münzstapel vor sich. Wir spielen um Geld, aber nur um kleine Summen. Dennoch, wir spielen konzentriert. Wer das Spiel nicht ernst nimmt, soll lieber die Finger davon lassen.
Uschis Freundin strahlt Hermann an, während sie von sich erzählt.
»In den Achtzigerjahren bin ich für die Liebe nach Wien gezogen«, sie lacht, ein bisschen zu laut, wie ich finde, »aus der Liebe zu einem Wiener ist dann aber sehr schnell die Liebe zu Wien geworden. Ich bin aus Deutschland, wie man sicher noch hört.«
»Aber nein«, beeilt sich Hermann zu beteuern. Angesichts dieser offensichtlichen Lüge verdrehe ich die Augen.
»Was bringt dich hierher?«, fragt Hermann nach.
»Ach, ich möchte ein paar Wochen mit Uschi hier in dieser schönen Gegend verbringen. Ein wenig wandern, aber auch der Uschi helfen, wo du dich doch so aufopfernd …«
Sie legt ihre Hand auf Uschis Unterarm und lächelt kurz in ihre Richtung, dann länger in Hermanns.
»Geht es deinem Mann wieder etwas besser, liebe Uschi?«
Hermanns pflichtschuldige Nachfrage bringt Uschis Augen zum Leuchten. Ich vermute, die beiden haben früher etwas miteinander gehabt. Damals, als ihr Ehemann noch agiler und es ein echter Seitensprung war. Jetzt liegt er daheim im Bett. Im Nebenzimmer die Pflegerin aus Tschechien, die er nicht mag, weil ihr Deutsch nicht klingt, wie er es gewohnt ist. Wenn ich Uschi anschaue, habe ich Hochwasser im Kopf. Ich beiße die Zähne zusammen. Das Knirschen kann ich verhindern. Uschis Mann fehlt Hermann nicht, er ist ein miserabler Kartenspieler gewesen. Schon Uschi ist nicht viel besser. Vorhin, im drittletzten Spiel vor dem Linsensalat, war sie überrascht, als ich ihr einen hohen Tarock mit dem Sküs weg gestochen habe. Hermann, der diese Runde mit Uschi zusammenspielte, schaute entgeistert. Der Sküs ist die höchste Karte. Wie kann man sich nicht merken, ob die gespielt wurde? Auch für mich gibt es Runden, da verliere ich den Überblick. Doch eigentlich fällt es mir nicht schwer, den ungefähren Spielverlauf abzuspeichern. Ich will damit sagen, ich bin mit dem Münzstapel vor mir zufrieden. Für mehr als zufrieden fehlt mir der Ehrgeiz.
Nachdem die beiden gegangen sind, sitzen Hermann und ich mit unseren Weingläsern am Tisch. Beim Nachschenken zittern seine Hände ein wenig.
»Du hast recht schlagfertig gespielt heute.«
Das Lob fährt mir in die Knie. Pflichtbewusst greife ich zum Käse. Ich maskiere meine Verlegenheit mit einem Schluck Rotwein.
»Felicitas!«
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch.
»Manchmal frag ich mich schon, woran du denkst, während ich …«
Ich sage nichts. Hermann schaut verloren in sein Weinglas.
»Weißt du … dieses Haus, es hat so viele Erinnerungen gespeichert. Als meine Frau noch lebte, Eduard war ja sehr jung, als sie gestorben ist, haben wir an diesem Tisch zusammen Karten gespielt. Eduard hat das Spaß gemacht. Später mochte er Schach lieber. Weil es taktischer ist, weniger Glücksspiel. Aber dann … Nach dem Tod meiner Frau hat er sich einen Computer gekauft … Ab dann war ihm Schach egal.«
»Einen Amiga 500? Oder war das schon später?«
Hermann schaut verblüfft. Ich bin selbst überrascht, dass mir der Name sofort eingefallen ist. Die Leute werden sich nicht daran erinnern, was du gesagt hast oder getan hast, sie werden sich daran erinnern, was sie gefühlt haben. Wer hat das gesagt? Maya Angelou? Ich war damals böse auf meinen Ex-Mann. Er hat sich den Computer von seinem Weihnachtsgeld gekauft. Das war der letzte große Streit. Danach haben wir uns nur noch angeschwiegen. Dann ist er gegangen. Den Scheißcomputer hat er dagelassen. Ich hab irgendwann die Bohrmaschine genommen … und eine Flasche Cola! Zum Drüberleeren! Das habe ich damals sogar meiner Freundin Beate verschwiegen. Coca Cola war imperialistisch und damit auch für Akte der Zerstörung tabu. Beate und Robert haben sich mit uns die Wohnung geteilt. Ein Zimmer haben wir untervermietet, am liebsten an einen Arbeiter, was haben wir die Arbeiterklasse geliebt damals.
Hermann schweigt. Die eine Hand ruht auf den Karten, die andere am Weinglas. Er schweigt so lange, dass ich Angst habe, er könnte eingeschlafen sein.
»Eduard ist kaum mehr aus seinem Zimmer rausgekommen. Immer am Tippen oder mit den Händen am …, wie hat man Mäuse damals genannt?«
»Nager.«
»Nein, nicht die Tiere, die am Computer …«
Jetzt muss sogar ich nachdenken. Sie hießen so, wie Beate ihre Vibratoren genannt hat …
»Joysticks!«
Manchmal überlagern sich die Erinnerungen. Beates Joysticks, unser Beharren auf unserer Körperlichkeit, das tastende Erkunden von Welt und Selbst. Verflucht nochmal! Damals habe ich meinen Ex-Mann angeschrien, weil ich nicht mehr wusste, ob ich vergessen hatte, wie das geht mit dem Orgasmus, oder ob ich nie einen gehabt hatte. Und er? Hat er es mit Geduld versucht? Hat er seine Fingerfertigkeit trainiert? Wohl eher nicht. Gegangen ist er. Dagelassen hat er seinen Amiga 500 und ein Regal voll mit seinen verehrten Schriftstellern, alles Männer.
Wut, geil wie ein Punschkrapferl. Die Einsamkeit von damals. Ich will Hermanns Hand berühren. Will an seiner Haut riechen, seine Brustwarzen kitzeln und seine Zehen abtasten. Um die Zuverlässigkeit meiner Sinneswahrnehmungen zu überprüfen, zwicke ich mich in den Oberschenkel. Die Geilheit bleibt.
Ich stehe auf. Ein bisschen wackelig vom langen Sitzen und vom Rotwein. Neben Hermann bleibe ich stehen, lege die eine Hand auf seine Schulter, mit der anderen massiere ich die Haut hinter den Ohren, streichle seinen Nacken. Hermanns Atem geht schneller, die Finger auf den Karten liegen still.
Plötzlich versucht Hermann aufzustehen. Der Stuhl kippt nach hinten, Hermann zum Glück nicht. Noch während er aufsteht, nimmt er meinen Kopf in seine Hände, zieht mich zu sich. Zuerst denke ich, er braucht meine Hilfe. Als seine Lippen meine berühren, denke ich: Zum Glück hat er keinen Herzinfarkt. Dann denke ich nichts mehr. Sein Mund schmeckt nach Rotwein und dem Käse, den man erst mag, wenn man schon sehr erwachsen ist. Er atmet schwer.
Das Telefon läutet. Hermann lehnt seine Stirn gegen meine. Wir stehen ganz schön schief da. Ich glaube, beide würden wir das Klingeln am liebsten ignorieren. Hermann lehnt sich schwer auf den Tisch. Dann bückt er sich nach dem gekippten Stuhl. Gehe also ich. Es ist Eduard. Wenn er sich aufregt, ist seine Stimme noch höher als sonst.
»Felicitas?«
»Ja.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Wie meinst du das?«
»Mit Vater? Ist alles in Ordnung?«
»Ja, er trinkt ein Glas Wein im Wohnzimmer, warum?«
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Ja, ziemlich …«
»Kannst du nachsehen?«
Eduard schreit fast. Es ist ihm so ernst mit seiner Angst, dass ich ein paar Schritte Richtung Wohnzimmer mache. Hermann sitzt auf dem Stuhl, wie vorher. Die eine Hand auf dem Kartenstapel, die andere am Weinglas. Ich gehe zurück zum Telefon und versichere Eduard nochmals, dass alles in Ordnung ist.
»Warum hast du angerufen?«
Eduard murmelt irgendwas von Puls und Herzrasen. Aber woher soll er wissen, wie es um Hermanns Herzfrequenz bestellt ist?
»Du hast wahrscheinlich schlecht geträumt«, beruhige ich ihn.
Er murmelt noch etwas Unverständliches, dann legt er auf. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Die romantische Stimmung ist verflogen.