Читать книгу Du bist dran - Mieze Medusa - Страница 7
Die unerträgliche Leichtigkeit von 0 und 1
ОглавлениеDas Panel »Wesentliche Erfolgsstrategien für das Agile Testing« langweilt mich. Es fühlt sich an, als würden Ameisen auf meiner Haut krabbeln. Soll ich mir die Spitze des Bleistifts ins Auge rammen, nur damit etwas passiert?
Die IT-Fachmesse ist gut besucht. Ein paar Strahlen Tageslicht kämpfen sich in die Halogenwelt. Auf der Bühne redet einer. Sein Mund bewegt sich so langsam, als hätte ihn jemand auf Zeitlupe gestellt. Spucketropfen schweben vor seinem Mund. Agiles Testen ist nicht so schwierig, wie er es darstellt. Man muss halt nach jedem Iterationsschritt ein paarmal testen, und dazwischen auch.
Als er endlich fertig ist, gehe ich nach vorne. Neben der Bühne steht die Messetechnikerin. Sie hat Augen, die man sich merkt. Ich gebe ihr meinen Laptop. Sie steckt ihn an und fragt nach dem Video-Anschluss: »HDMI oder VGA?«
Sie checkt, ob der externe Bildschirm aktiviert ist, das ist er natürlich. Alles klappt problemlos.
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«
Ihre Stimme ist so angenehm wie ihre Haarfarbe. Ihre kinnlangen Haare glänzen im Licht. Die Kurve von ihrem Hals zu ihren Schultern würde ich gern berechnen. Ich verliere mich in einer If-else-Schleife. If ich mich traue, then kann ich sie später fragen, ob wir was essen gehen wollen, else kann ich sie irgendwann per Mail kontaktieren oder nie.
Sie lächelt mich an. Es ist ein professionelles Lächeln, aber immerhin.
Ich zähle vorsichtig von zehn runter. Wenn ich bei drei bin, frage ich sie einfach. Ich komme bis zur Null, sage aber nichts.
»Wollen Sie den Laptop gleich hierlassen oder bringen Sie ihn mir später nochmal?«
Ich lasse meine Geräte nicht gern aus den Augen. Vor meinem Talk will ich noch aufs Klo gehen, das entspannt einfach. Wenn ich den Laptop jetzt bei ihr lasse, dann hat sie alle Zeit der Welt, um Malware zu installieren. Andererseits hat sie die auch jetzt schon gehabt. Es ist also egal. Wenn ich heimkomme, setze ich den Laptop ohnehin neu auf. In diesem Moment werden wir von einem Kollegen im zerknitterten Anzug unterbrochen. Er übersieht sie absichtlich und fragt mich mit tiefer Stimme nach dem Techniker. Als hätte er sich noch nie überlegt, dass sein Online-Buddy gandalf_2x45 nicht unbedingt der weiße, mitteleuropäische Mann mittleren Alters sein muss, für den er ihn hält: Ich verstehe ihren grantigen Gesichtsausdruck. Falls wir einen gemeinsamen Moment gehabt haben, dann ist er jetzt vorbei.
Ich verschwinde Richtung Kaffeeautomat und himmle sie aus der Ferne an. Auch hier: Gesprächsfetzen, die Kompetenz vermitteln sollen und doch nur idiotisch wirken.
»Ich hab haptisch null Guidance Mode. Das heißt: Ich muss hinschauen! Verstehst?«
»Ich mein, schau dir die ESC-Taste an!«
»Naja.«
»Ich find, der hat außerdem voll das komische Ruhe-Wach-Hybernation-System.«
Um welches Gerät es da geht? Ist doch egal. Morgen gibt es ein neues.
Zeit für meinen Vortrag. Ich nehme Blickkontakt mit der Technikerin auf. Sie nickt mir zu. Ich lächle sie an und deaktiviere den Ruhezustand meines Laptops. Ein paarmal räuspern: eins, zwei, Sprechprobe. Die Leute im Publikum begrüße ich mit einem vorbereiteten Witz. Im Publikum grinst jemand. Immer die gleiche Angst: Lachen die Menschen über meine Witze oder meine Stimme? Jahrelang war es mir ein Gräuel, vor Menschen zu sprechen. Wie ferngesteuert rede ich weiter. Irgendwann ist es Zeit für die Fragen aus dem Publikum.
»Wieso verwenden Sie nicht Office fürs Erstellen der Rechnungen?«, will einer wissen. Sein dunkelblauer Anzug ist von weißen Schuppen beschneit. Er bezieht sich auf die Implementierung eines Online-Verrechnungssystems, das vorher als Beispiel gedient hatte. Kinderkram. Oder eigentlich: Es sind die Kinder, die gerissen sind. Greisenkram.
»Office neigt dazu, Prozesse nicht zu beenden. Dann sammeln sich im Speicher die Zombieprozesse. Kein Fenster offen, aber ein Haufen Prozesse am Laufen.«
»Aber Zombieprozesse brauchen doch ohnehin kaum Systemressourcen. Die meisten Kunden sind froh, wenn sie mit Office arbeiten können, da kennen sie sich aus.«
»Es ist unsauber. Auf Dauer handeln Sie sich damit nur Probleme ein. Investieren Sie ein bisschen Kleingeld in eine Mitarbeiterschulung und alle sind glücklich. Hat noch jemand Fragen?«
Ich sehe, wie einige unentschlossen die Fragezeichen in ihren Köpfen hin und her schieben.
»Danke fürs Zuhören, Mahlzeit. In der Kantine gibt es Schweinsbraten.«
Leises Gelächter und das Geräusch von tragbaren Geräten, die energisch zugeklappt werden. Mit einem Blick vergewissere ich mich, dass ich mein Gerät abstecken kann. Die Technikerin winkt zustimmend. If ich sie zum Essen einlade, then könnte es ein schöner Abend werden, else ist alles wie immer. Sie dreht sich von mir weg, hinter ihr steht schon der Nächste, der sein Gerät bei ihr abgeben will, und das auf mehr als eine Art.
Vor dem Kongresszentrum stehen Männer mit Anzügen und Smartphones. Seit wann tragen eigentlich alle Anzüge? Und überhaupt! Mit dem Smartphone rumlaufen, das ist wie Briefe schreiben, sie nicht zukleben und sich dann beschweren, wenn der Nachbar deine Geheimnisse kennt. Ich habe kein Handy. Ich habe einen Festnetzanschluss und ein paar Computer voller Kryptozeug. Für einen kurzen Moment beneide ich die abhörbaren Anzugträger. Ich könnte im Gehen meine Mails durchsehen und die Kontaktdaten der Technikerin raussuchen. Sie einfach anrufen und fragen, ob sie Hunger hat und ob sie mich treffen will. Zum Beispiel beim Würstelstand vor dem Kongresszentrum. Ein erstes Date bei Käsekrainer und Dosenbier, langsam feierabendbetrunken werden und dabei den Tauben zusehen, wie sie sich über den Müll hermachen.
Von der Messehalle gehe ich zu Fuß zum Praterstern. Ich mische mich unter die Touristen im Prater. Weil das Wetter schön ist, biege ich Richtung Jesuitenwiese ab. Dort habe ich Glück, die Straßenbahn steht bereit. Es ist eine alte Garnitur. Die sind noch nicht ganz so gründlich mit Kameras ausgestattet. Mit der U-Bahn wäre ich schneller am Ziel, aber ich habe es nicht eilig. Meine Privatsphäre ist mir den einen oder anderen Umweg wert. Schwedenplatz, den Ring entlang, Börse, Universität, Burgtheater, Rathaus … Wie eine Filmkulisse zieht die Stadt an mir vorbei. Ich schaue zum Fenster raus und entspanne mich. Beim Volkstheater steige ich um. Den Straßenmusikern, die zwischen Kebab- und Würstelstand auf der Bank hocken, gebe ich Kleingeld, den Bettlern nicht. Zügig durchquert die Straßenbahn jetzt den Bezirk Neubau. Viele meiner Kunden haben in dieser Gegend ihre Büros.
Sobald man den Gürtel überquert, ist man in einer anderen Stadt. Hochzeitsmoden, Wettbüros, Euro-Shops. In einer Nebenstraße haben sich ein paar kümmerliche Bäume zwischen die Parkplätze gezwängt. Ein Mann schaut rauchend seinem Hund zu, wie er sein Geschäft verrichtet. Ich bin am Ziel: das Beisl »Zum goldenen Würfel«.
Als Studenten haben wir uns hier getroffen und LAN-Partys gemacht. Wir: eine Gruppe Jungs, die die Welt entdeckten, indem sie sich in dunklen Zimmern einsperrten und sich verkabelten. Der damalige Wirt vom »Goldenen Würfel« war der Onkel vom Fausti. Fausti, kurz für Faustberger Walter. Ist das eigentlich immer noch so, dass die Spitznamen der Jungs aus den verhunzten Nachnamen gebildet werden?
Online nannte er sich F1st und sorgte für Furore. Vor ein paar Jahren hat er sich plötzlich zurückgezogen. Hat er sich damals die Finger verbrannt?
Oder stimmt, was er erzählt? Dass er nach dem Schlaganfall seines Onkels nur aushelfen wollte, aber dann festgestellt hat, dass er lieber Wirt ist, als immer zwischen Null und Eins zu leben? Jetzt lebt er zwischen Eins und Vier und leiht schlaflosen Programmierern sein Ohr, wenn sie doch mal reden wollen. So gesehen, bin ich heute richtig früh dran. Ich gehe rein und grüße: »Servus, Fausti.«
Er nickt mir zu: »Dass du wieder Mal vorbeischaust …«
Ich sehe genauer hin. Ist er mir böse?
Stimmt schon, früher war ich öfter hier. Am Anfang hat es mich begeistert, was Fausti hier aufziehen wollte, nachdem er den »Goldenen Würfel« übernommen hatte. Einen Stammtisch wie der Chaos Computer Club. Austauschen, Gleichgesinnte treffen, Einfluss nehmen. Aber das Knüpfen von menschlichen Netzwerken, das Inspirieren und Befeuern von Debatten … Das ist das Ding von Walter Faustberger, mein Bier ist das nicht. Trotzdem schaue ich gelegentlich vorbei und freue mich darüber, dass die Leute hier Witze machen, die ich lustig finde.
»Naja, jetzt bin ich ja da. Sonst auch noch jemand?«
Er nickt, deutet Richtung Stammtisch. Er lächelt nicht. Verdammt. Er ist mir böse. Wir mustern uns gegenseitig. Eine Schadensbegutachtung unter Freunden. Schließlich zuckt Walter mit den Schultern. Er winkt mich durch.
»Ein bunter Haufen. Jung. Rookies. Aber es sind ja immer die Rookies, die wir unterschätzen … Willst ein Bier?«
Am Stammtisch sitzen ein paar Möchtegern-Techies. Sie haben bauchige Gläser vor sich stehen, mit wenig Schaum und noch weniger Bier drinnen. Den geröteten Gesichtern nach zu schließen, ist es nicht ihr Erstes.
»Der Sonic Runway, ich hab geglaubt, ich schiff mich an.«
»Die bauen einen ganzen Runway aus Bögen, um diese Stahlbögen herum sind LEDs, damit man den Sound visualisieren kann.«
»Ist echt urgeil.«
»Warst du schon dort?«
»Nein.«
»Nicht körperlich.«
Und alle so: hehehe.
»Das ist eine Verbindung von Kunst und Technik, darauf fahr ich sowieso voll ab. Und unfassbar groß das alles. Ist halt in der Wüste, Platz ist kein Thema.«
»Stellen wir ein paar Dieselaggregate hin, okay, los geht’s.«
»Überdimensioniert ist es schon.«
»Überdimensioniert gibt’s nicht.«
»Ich hab eine Visualisierung gesehen, wo sie das Burning Man Areal über Wien drüberlegen, das geht weit über den Gürtel drüber.«
»Was kosten die Karten?«
»Nicht so viel, so 200 Dollar.«
»Das Problem ist, zwei Tagesreisen rundherum kriegst du kein Auto und keinen Van geliehen. Weil die Reinigung so schwierig ist … Mit dem Wüstenstaub ist das tödlich.«
Fausti stellt mir ein Bier hin. Er lässt sich auch ein Bier runter, prostet mir zu. Von der Bar aus hören wir den Bubis am Stammtisch beim Reden zu.
Einer schwingt sich zum Redeführer auf: »Und du? Warst du schon mal beim Burning Man?«
Sein Gegenüber windet sich ein bisschen und wechselt das Thema.
Ich, by the way, war schon in den Neunzigern beim Burning Man. Als es noch geil war.
»Wie geht’s Richard?«
Walter schaut mich prüfend an. Richard, Walter und ich. Richy Rich, Fausti und Schoberl. Wir sind die Generation, die sich noch schemenhaft an eine Welt ohne Computer erinnern kann. Das geben wir nicht gerne zu. Denn eine Welt ohne Computer ist eine Welt ohne Internet. Gerechnet hat man mit Taschenrechnern, das Wissen verstaubte in Form von Lexika im Bücherregal, geordnet nach dem Alphabet. Nach dem CGS-System kommt das Chaos. Internationales Recht steht vor der Internierung. In Meyers großem Handlexikon, 18., neu bearbeitete Auflage aus dem Jahr 1996, ist das Internet noch nicht gelistet. Richard, Walter und ich dagegen waren damals schon bis über die Ohren darin versunken. Richard ist als Erster wieder aufgetaucht.
»Der ist in London, denk ich.«
»Du denkst oder du weißt?«
Ich weiß, aber das muss ich Walter, the F1st, Fausti ja nicht unter die Nase reiben.
Wir schauen zum Stammtisch rüber. Dort wird weiter vergnügt die Hackordnung ausgefochten. Irgendwer hat einen Freund. Der andere kennt wen.
»Er hat bei Pixar gearbeitet, ich schwör’s, bei den Star Wars Filmen auch.«
»Also Star Wars ist mir egal.«
»Es gibt schlimmere Jobs.«
»Es gibt aber keine schlimmeren Filme.«
»Doch.«
Die Jungs schauen sich an und fangen gleichzeitig zu lachen an. Einer spuckt Bier über den Tisch, er prustet vor Lachen. Dann nickt er: »Stimmt, die Sharknado-Filme sind der Wahnsinn.«