Читать книгу Seeland Schneeland - Mirko Bonné - Страница 10
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BEGEHREN, WOZU?
Unter ihrem Regenschirm stieg sie vorsichtig die kleine Gangway herunter, denn sie hatte, erst jetzt fiel es ihm auf, viel zu hohe Absätze für dieses abscheuliche Wetter. Den rosaroten Wollmantel hatte sie wieder übergezogen, aber nicht zuknöpft, weshalb sie ihn mit einer Faust über der Brust zusammenhielt. Mehrmals, als sie so die Stufen herab- und auf ihn zukam, ohne die Flugplatzlimousine, in der er saß, eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich zum Einstieg des Harper-Vogels um, und kaum hatte sie den schlammigen Rasen am Fuß des Treppchens erreicht, erschienen in der Luke der Bubi von Pilot und hinter ihm Bryn.
Er beobachtete die Szene durch das hintere Seitenfenster des Wagens. Ein absurder Zirkus war das alles. Quecksilberartig rann das Regenwasser an dem Fenster herab, und von seinem Atem und dem des Fahrers beschlugen allmählich die Scheiben, allerdings konnte er sehen, wie sich der Junge dort oben ein Käppi aufsetzte und wie Bryn über die Schulter des Piloten hinweg – er war einen guten Kopf größer – in den Himmel blickte.
Miss Mari Simms blieb stehen … Er betrachtete ihre Beine und ihren Hintern, die nicht anders konnten, als sich unter dem rosa Textil abzuzeichnen. Sie unterhielt sich mit den beiden, die oben in dem silbern umfassten Einstieg gestikulierten und scherzten, er hörte nicht, worüber sie sich zum Abschied unterhielten – Wales? Den Regen? Den Flug? Ihn? Keine drei Schritte entfernt war ihr Mantelrücken, der sich trotz des aufgespannten Schirms langsam dunkel färbte.
»Starten Sie die Schüssel«, sagte er zu dem Chauffeur mit dem ausrasierten Nacken. »Und verraten Sie mir, wie ich das Fenster nach unten bekomme. Ich sehe keine Kurbel.«
»Sie ist versteckt, in dem Griff gleich neben Ihnen«, antwortete der Fahrer. »Klappen Sie den Griff auf. Dann kräftig kurbeln, Sir!« Er hatte einen gurgeligen Akzent.
Da war die Kurbel. Er kurbelte, und langsam glitt die Scheibe nach unten. Regen kam herein. Durch die silbernen Fäden hindurch sah er zwar Bryn und den Piloten noch immer in der Flugzeugtür stehen und winken, Mari Simms aber war nicht mehr da.
»Wo ist sie hin?«
Der Motor sprang an. Der Wagen setzte sich in Bewegung.
»Warten Sie, zum Henker! Fahren Sie, wenn ich es sage!«
Den Kopf hinausgesteckt, sah er sie davongehen. Hin und wieder legte sie einen Tänzelschritt ein und drehte sich dann, lächelnd und winkend, zu Bryn und dem Jungen um.
»Ich schicke dir ein Taxi!«, rief er zu Meeks hinauf. »Wir treffen uns in zwei Stunden am Bahnhof! Und sprich mit dem Reporter von diesem Käseblatt! Sag ihm … gar nichts! Okay?«
Der Junge sah Bryn an, Bryn sah den Flieger an. Sie hätten Vater und Sohn sein können, so wie ihnen derselbe hilflose Ausdruck im Gesicht stand. Endlich nickte Meeks.
Robey hob die Hand zum Gruß, bevor er von Neuem kurbelte und die Scheibe sich schloss.
Hand, Manschette und Ärmel waren nass, eiskalt. Er fror, und ein Gefühl von Verzweiflung regte sich in ihm. Barsch schüttelte er es ab.
Was sollte er mit Miss Simms anstellen? Mit ihr essen gehen, ihr erklären, unter welchem Druck er stand, sie nach ihrem Alltag, ihrem Leben fragen, sie nach Haus fahren, sich entschuldigen, sie um der Trophäe ihres Dufts willen zum Abschied küssen und sie einladen – er würde für alles aufkommen: die Bahnfahrt, die Schiffsreise, den Lohnausfall –, zu ihm nach Ventura zu kommen, für zwei, drei Wochen … Zu welchem Zweck?
Zwei Stunden Begehren lagen vor ihnen, genauso aber bereits hinter ihnen, neu, schön, schal, fad, neulich, kürzlich, heute, grade, gleich, später, morgen, nächsten Monat, nächsten Herbst. Bah. Es war alles schon geschehen. Wo war der Ausweg? In der Wiederholung? Trugschluss aller Don Juan-Dilettanten. Die Frau, die sein Dilemma verstand, war anscheinend noch nicht geboren. Aber konnte sie nicht bitte allmählich zur Welt kommen?
»Wird er schon schaffen, ist ein zäher Bursche. Mein bester Mann«, sagte er zu dem Chauffeur, der ihn konsterniert im Rückspiegel ansah. »Und jetzt sehen Sie bitte nach vorn. Dort spielt die Musik, und deshalb fahren Sie mich jetzt in die Musik hinein! Umdrehen. Wenden Sie! Die Kutsche hat doch eine Lenkung, ja? Dann los. Dort vorn im Matsch die junge Lady ganz in Rosa, sammeln Sie sie ein, bevor sie sich den Tod holt. Sie kennen sie?«
»Miss Simms? Natürlich kenne ich sie, Sir.«
»Reden Sie mit ihr. Ich möchte, dass sie mitfährt. Überzeugen Sie sie, einzusteigen. Auf mich würde sie nicht hören. Ich gebe Ihnen … drei Gehälter. Wie viel verdienen Sie? Ich habe nur Dollar, mein Freund.«
»Nein, Sir. Das kann ich nicht an…«
»Hier. Nehmen Sie. Nehmen Sie!« Er warf die Scheine nach vorn, einen, zwei, drei mit Ulysses S. Grants Konterfei darauf. Jeder sah gleich aus.