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EINE SUITE IM MOND

»Bryn, mein Knecht, gib her, gib schon, deinen Arm. Arm!«

Robey lallte und schwankte, bis Meeks bei ihm war und ihn stützte. »Und jetzt befiehl diesem Lift, augen… – augenblicklich soll er runterkomm’, wenn er nich vermöbelt werden will!«

Meeks drückte den Knopf. Robey legte den Kopf schief und lauschte, und als sie hörten, wie sich der Mechanismus in Gang setzte, erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, ein U, dachte Bryn Meeks, durch Robeys Nasenlöcher wurde es zu einem deutschen Ü.

»Aha! Hat er gehört!« Der Aufzug kam, und die Türen gingen auf. »Elletrisch, moderne Baukuns!«, lallte Robey und sang und grunzte dabei: »God sha-a-ave the King …!«

Meeks sagte: »Treten wir etwas beiseite.«

Einen Kopf kleiner, 20 Jahre älter und um einiges beleibter, zog er Robey, der sich am Fahrstuhleingang festklammerte, zwei Schritte zur Seite, damit ein älteres Ehepaar und eine junge Frau in Abendgarderobe aussteigen konnten.

»Alle raus! Los!«, grölte Robey den dreien entgegen. »Ist meiner. Mein Lift!«

Es war zwar Abend, aber noch keine zehn Uhr. Seit sie angekommen waren, hatten sie nichts gegessen, doch schon im Zug hatte Robey getrunken, drei Manhattans, dann vier weitere an der Hotelbar. Den ihm aufgedrängten Drink hatte Meeks am Tresen absichtlich umgestoßen und den Ersatz – Robey bestand darauf (»Ist ein Befehl, alte Motte!«) – nicht ausgetrunken.

Trotzdem war ihm leicht übel und verzog sich jedes Gesicht vor seinen Augen zu einer verschwommenen Grimasse. Die junge Frau, die aus dem Lift trat, trug ein Stirnband, an dem ein großer Stein funkelte. Sie duftete. Freundlich bedankte sie sich, drehte sich nach ihnen um und lächelte auf einmal spöttisch und schauerlich.

»Was haste da am Kopf, Maiglöckchen?«, fragte Robey. »Ist das dein Auge?«

Die junge Frau antwortete mit gut lesbaren Lippenbewegungen und verschwand.

Das alte Ehepaar entfernte sich kopfschüttelnd. »Haut ab, ihr Gerippe!«, rief er ihnen nach, während Meeks ihn in die silbern ausgeschlagene Kabine bugsierte.

Darin wartete ein Liftboy in Livree, mit einer Schirmmütze, auf der The Moon stand. Er wünschte ihnen einen guten Abend und fragte nach dem Stockwerk.

»Erst mal fahren wir los und gucken uns die Gegend an, Junge«, brachte Robey unter einigen Schwierigkeiten hervor.

Im achten Stock stiegen sie aus. Meeks führte Robey am Ellbogen durch den stillen Korridor und behielt dabei die Zimmernummern im Auge: golden glänzende Ziffern an weißen Türblättern.

»Was ist das?« Ohne anzuhalten, wies Diver mit einem Nicken auf seine in Hüfthöhe ausgestreckte Hand.

»Sieht aus wie Ihre Brieftasche.«

»Was macht die da?«

8007, 8008, die Zahlen wurden größer. Also gingen sie in die richtige Richtung. Doch bis 8065 war es noch weit durch dieses lunare Labyrinth. Er dachte an den Rückweg von Robeys Suite und fragte sich, wo das Treppenhaus des Moon war, durch das er hinunter in den Sechsten gelangen könnte, zu seinem eigenen Zimmer. Neben den großen Suites im siebten und achten Stock war kein kleineres Zimmer frei gewesen.

»Sie haben dem Liftboy fünf Dollar gegeben.«

Robey fragte, wofür. »Wie viel Pfund sind das, fünf Dollar? Er soll fünfzig kriegen, der kleine Stinker.«

Offenbar konnte er sich an nichts erinnern. Nach dem dritten Glas hatte er den Barkeeper, der Brewster hieß, abwechselnd Bruce und Brian genannt, bevor er der Einfachheit halber auch zu ihm Bryn sagte. Sie unterhielten sich über die Prohibition in den Staaten. Der Barmann sagte, er wäre schon längst nach Amerika ausgewandert, könne sich in einer Milchbar zu arbeiten aber nicht vorstellen.

»Blödsinn«, lachte Robey, »alles Quatsch, Bruce. Du kommst zu mir. In meinen Hotels gibt es Bars, keine Speakeasys. Gute Barmixer sind selten, ich suche ständig nach welchen.«

Zwei glatte Lügen. Selbst seine Stiefmutter und er waren gegen das Alkoholverbot machtlos. Auch in ihren Hotels wurde nur heimlich in den Zimmern getrunken. Und: Er suchte vielleicht nach Flugzeugen – Maschinen, die imstande waren, über den Atlantik zu fliegen –, nicht aber nach Barmixern oder überhaupt irgendwelchen Menschen. Personalfragen entschied im Familienkonzern Estelle. Ohne ihr Okay wurde in 17 Hotels amerikaweit kein Gärtner oder Sektglasputzer, nicht mal eine Zimmermädchenwochenendvertretung eingestellt.

»Sag mir, was du hier verdienst, Bruce, und ich zahle dir das Dreifache«, trompetete er. »Raus mit der Sprache, alter Freund.« Er lachte. Ausgelassen klopfte er sich auf die eigenen Schenkel. Er war bester Dinge.

Der Zufall wollte es, dass sie aufs Fliegen zu sprechen kamen. Albert Ball habe sich mal an diesem Tresen volllaufen lassen, erzählte Brewster. In einer Milchbar hätte er so ein Flieger-Ass nie kennengelernt, beharrte er, und Bryn begriff, dass dieser Barmann durch und durch Brite war und so wenig nach Amerika wollte wie ein Mexikaner nach Alaska.

Sie hatten über Piloten diskutiert. Eine Zeit lang schien sich Robey zu fangen, brachte dann aber Flieger und zurückgelegte Strecken durcheinander. Alcock war nicht mit Whitten Brown über den Atlantik geflogen, sondern mit Ross Smith nach Australien.

Weil er stets als Erster bemerkte, dass er Unfug redete, war es bloß eine Frage der Zeit, bis er ungehalten wurde.

8025. Alles in dem Korridor drehte sich vor Meeks’ Augen. Das Teppichmuster war rätselhaft, und Dollar in Pfund umzurechnen traute er sich nicht mehr zu. Robeys Frage nach dem überreichlichen Trinkgeld für den Liftboy blieb unbeantwortet.

»Ein freundlicher Junge«, sagte Meeks.

»Welcher Junge, alter Junge? Siehst du Gespenster?«

»Er hat geduldig alle Fragen über den Mond beantwortet, die Sie ihm gestellt haben. Wie weit es ist bis zum Mond, wie es ist, dort zu leben, und was eine Suite im Mond kostet.«

»Wirklich? Wieso Mond, wie kommt der Scheißer darauf?«

»Wohl weil das Hotel The Moon heißt.«

»Welches Hotel? Was redest du für unzusamm, unzusammhäng.«

»Dieses Hotel, Diver.«

»Unfug.« Schwankend drehte er sich um und blickte den Korridor hinunter. »Quatschkopp. Der Mond ein Hotel! Noch schöner. Der Mond ist kein Hotel. Der Mond ist ein Ort am Himmel, ein runder Haufen Steine. Der um die Erde rumfliegt. Obwohl er keine Flügel hat! Wenn der Mond ein Hotel wäre, Brynnedybryn, wo ist dann mein Büro, und wo Grace?« Er rief, er brüllte den Flur hinunter nach seiner Sekretärin: »Grace! Grace! Wo zum Henker stecken Sie schon wieder? Zu mir, auf der Stelle! Auf meinen Schoß! Ich will deinen Hintern spüren, Miss Darcey!«

»Ich fürchte, dieses Hotel gehört Ihnen nicht«, sagte Meeks. »Kommen Sie, es ist spät. Der Tag war lang genug.«

Das Teppichmuster setzte sich in den Zimmern fort. In Suite 8065 platzierte er Robey in einen Sessel, der wie eine würfelförmig gefaltete Blumenwiese aussah. Während er ihm die Slipper von den Füßen zog, sank Diver in sich zusammen, blickte aber, den Kopf schief gelegt und den Mund offen, mit weit aufgerissenen Augen zu einem der Fenster. Davor lagen die dunkle Nacht, die Stadt, von deren Hafen aus sie Europa wieder verlassen würden, in einiger Entfernung die Laternen- und Lichterketten von Dampfern und Frachtern, dahinter die Silhouette der Isle of Wight vor der schwarzen Weite des Ärmelkanals.

Es klopfte. Meeks tastete sich zur Tür, öffnete und stand einem Boy gegenüber, der wie der Bruder oder Cousin des Liftboys aussah und sich respektvoll verneigte.

»Telegramm, Sir. Für Mr. Robey.«

»Was kostet das Ding, Junge?«, rief Diver aus dem Zimmer. »Wie viel willste haben dafür, he?«

Meeks nahm das zusammengefaltete Telegramm entgegen, gab dem Boy eine Münze und schloss die Tür.

Diver starrte ihn an. »Der Fahrstuhl«, sagte er. »Sie bauen den Fahrstuhl in mein Mondzimmer, richtig?«

»Soll ich Ihnen vorlesen?«

Er riss ihm das Blatt aus der Hand, klappte es auf, las, zog aus dem Jackett seine Brieftasche und ließ sie mitsamt der Nachricht wieder verschwinden, alles in einer einzigen fließenden Bewegung, die wie üblich nichts von seinem Alkoholpegel verriet – für Meeks seit langen Jahren ein Mysterium, wie er das anstellte.

»Gut, gut«, sagte Robey. »Verflucht noch mal!« Und sehr laut wiederholte er: »Gut! Gut! Egal. Egal, egal! Gottverflucht!«

Meeks stand auf, er kam sich doppelt so schwer vor. »Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser und zwei Aspirin«, sagte er, indem er mit Mühe Robeys Schuhe aufhob, damit der nicht über sie stolperte. Er wusste aus Erfahrung, dass Divers Rausch seinen Zenit noch nicht erreicht hatte, denn es gab kein Besäufnis, keinen Absturz ohne unvergessliches Zeugnis von Robeys zerstörerischer Poesie. Ein solches aber stand noch aus.

»Bitte bleiben Sie sitzen.«

Als er aus dem Badezimmer zurück in den Salon kam, war der Sessel leer. Robey lehnte am offenen Fenster, Wind und Regentropfen fegten herein und bauschten den Vorhang, obwohl er sich daran festhielt. Er war nur noch im Hemd, die Hosenträger heruntergelassen auf die Hüften. Wo hatte er das Dinnerjackett gelassen …? Dann war er bei ihm und sah, die Hemdbrust fehlte ebenso. Das Hemd hatte er aufgeknöpft, mit zwei, drei Rucken wahrscheinlich aufgerissen, man sah das Unterhemd, die spärlich behaarte Brust.

»Nein, nein, nein, Diver!«, rief er. »Gehen Sie da weg, es ist ja viel zu kalt.«

Es war nie ratsam, ihn zu etwas bewegen zu wollen. Selbst in diesem erbarmungswürdigen Zustand war seine Widerspenstigkeit unerschütterlich. Kaum hatte er ihm die Tabletten auf den bebenden Handteller gelegt, reichte eine Bewegung, ein Streichen durch die Luft, schon verschwanden sie aus der Faust in der Schwärze vor dem Fenster, gefolgt von dem Glas, das er Meeks aus der Hand riss und hinausschleuderte und das man nicht mal zu Bruch gehen hörte. Unten im Hof waren wohl Beete, Büsche oder Baldachine mussten da in der Nacht herumstehen. Meeks dämmerte, wo Hemdbrust und Jackett geblieben waren.

»Bitte schließen Sie das Fenster«, sagte er. »Was halten Sie davon, wenn ich uns noch zwei Drinks bringen lasse?«

Am Abend vor Inkrafttreten der Prohibition vor gut einem Jahr hatten sie mit einer kleinen Gruppe ausgelassener Nachtschwärmer im Zero Trocadero an der Fifth Avenue gefeiert. Allerdings war schnell keinem mehr nach Feiern zumute gewesen. Robey hatte nach sechs Gläsern Gin oder Gin Fizz einer jungen Frau das Kleid vom Leib gezerrt, und als das arme Geschöpf dann dasaß, nur im Unterkleid, und immer wieder etwas wimmerte von merzerisiertem Kattun, hatte er ihr Dollarnoten, große Scheine, die sie unter Tränen anlecken musste, auf Dekolleté, Arme und Gesicht geklebt, auf jeden Fleck bloßer Haut, so lange, bis sie nicht mehr weinte, sondern wieder lachte, gackernd mit ihm weitertrank und schließlich tanzte, nur im Unterkleid auf dem Tisch, an dem er mit der jungen Miss Merriweather saß und an den jeder eingeladen wurde, der den beiden gefiel oder sie zum Staunen zu bringen vermochte. Am Nachbartisch pöbelte Zelda Fitzgerald erst, schluchzte dann und schlief schließlich an F. Scotts Schulter ein. Meeks hatte den berüchtigten Abend im Zero Trocadero unfreiwillig miterlebt, denn Robey wollte ihn nicht gehen lassen, unter keinen Umständen vor Mitternacht, wenn das Alkoholverbot in Kraft trat: »Ich binde dich fest! Du kommst an die Leine, Brynny!«

Ob Robey auch seine Brieftasche aus dem Fenster geworfen hatte, wusste er nicht, zumindest aber war sie nirgends zu sehen, und so zahlte er aus der eigenen Tasche auch das Trinkgeld für den Boy, der die bestellten Drinks brachte – wieder ein zugleich anderer und zum Verwechseln ähnlicher Junge.

Mit den Gläsern ging er hinüber in den Salon zu dem Blumenwiesensessel, in dem Robey kauerte wie zuvor und so düster durch das Zimmer blickte, als hätte ihm dort eine Gesellschaft aus unsichtbaren Kritikern bittere Vorwürfe gemacht.

»Danke, Bryn«, sagte er überraschend milde und klar. Er nahm das Glas und trank es mit wenigen Schlucken halb leer.

Meeks postierte sich am Fenster. Abwechselnd blickte er auf Robey und den Cocktail, der golden in dessen Hand schimmerte. Dabei nippte er an seinem eigenen und fand den Vermouth wie schon den in der Bar viel zu lieblich.

Aber auch dieser achte Manhattan zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Robey entspannte sich, statt vollends wegzudämmern, und zusehends lockerte sich seine Verkrampfung. Er streckte die Beine aus, verlangte nach einem Kissen, bettete den Hinterkopf an die Sessellehne, trank in schmatzenden Schlucken und begann schließlich, es war abzusehen gewesen, seinen Lakaien an einer wirren, lachhaften Verzweiflung teilhaben zu lassen.

»Setz dich, alter Junge«, sagte er, »und sieh mich nicht so entgeistert an. Ich erklär dir, worüber ich nicht wegkomme …«

… Ach, Quatsch, nicht diese walisische Stewardess, die er nach Hause gefahren hatte, sei verantwortlich für seine miserable Verfassung – Mari mit i, Miss Mari Simms, Tochter einer Lehrerin in diesem grauen Kaff, diesem Newhaven.

»Newport«, sagte Meeks. »Casnewydd.«

Und Robey sagte: »Lehrerinnentochter – hab es gleich gewusst.« Übrigens sei er ganz Gentleman geblieben, sogar entschuldigt habe er sich bei ihr.

Nein, schuld an seiner Verzweiflung war nur die Times, und die Schuld dieses alten Reue-, Roala-, Royalistenblatts war sogar eine doppelte!

Meeks setzte sich auf die Lehne eines freien Sessels. Er ahnte, was ihn erwartete, und wusste, dass es dauern würde, bis Robey all die Namen von Fliegern, Flugzeugen und irgendwo auf der Welt liegenden Startbahnen und Zielorten in eine irgendwie sinnvolle Ordnung gebracht hatte.

»Ich bin ganz Ohr«, sagte er und spürte dabei das Gewicht, das ihn hinunterzog durch das siebente Stockwerk des Mondes in die Stille tief im Innern des Erdtrabanten.

Anfang 1920 hatte die Times ein Preisgeld von 10000 Pfund für den ersten Direktflug von London nach Kapstadt ausgelobt. Mit ihrer Silver Queen, einem umgebauten Vickers Vimy-Bomber, wie ihn für die Atlantiküberquerung auch Alcock und Whitten Brown verwendet hatten, waren zwei südafrikanische Royal Air Force-Piloten in London gestartet.

In Bristol hatte Meeks auf dem Bahnsteig eine Times kaufen müssen, in der ein Jahr später das ganze Drama des Südafrikaflugs in allen Einzelheiten noch einmal geschildert wurde. Robey las die Zeitung im Zug, und jeder Absatz des langen Artikels über die Flugroute und die zunächst gefeierten und dann als Betrüger hingestellten Flieger ging mit einem weiteren Drink einher.

Laut Times seien van Ryneveld und Brand aufgrund einer Motorenüberhitzung seinerzeit nur bis Wadi Halfa im Nordsudan geflogen und von dort nach Heliopolis zurückgefahren. In Ägypten seien sie umgestiegen in eine andere Vimy – die Silver Queen II – und weitergeflogen nach Südrhodesien, wo aber schon beim Start auch diese Maschine schwer beschädigt wurde.

»Erinnere mich«, sagte Meeks vergeblich.

Also stiegen van Ryneveld und Brand wieder um, diesmal in eine De Havilland, eine Airco, wie Robey sie schon mehrmals getestet hatte, einen »fipsigen Zappelapparat« nannte er die Maschine, und Meeks erinnerte sich wirklich, wenn auch eher an das Mäandern des Avon in der Dämmerung vor den Abteilfenstern, wo Stonehenge lag und das abendliche Somerset.

Mit der Airco hatten die beiden Südafrikaner schließlich zwar Kapstadt erreicht, wurden bejubelt und zu Rittern geschlagen, wurden später aber zu Recht, wie die Zeitung selbst es lang und breit darlegte, von der Preisjury der Times aufgrund unerlaubter Flugzeugwechsel disqualifiziert.

»Disqualifiziert!«, grölte Robey unerwartet heftig und sprang aus dem Sessel. »Ist das zu fassen? Diese monarchistischen Idioten! Ich werde das Zehnfache – Fünfzigfache …« Er hielt inne, fuhr herum und beugte sich zu Meeks hinunter. »Glotzt du mich an? Du hältst mich für übergeschnappt, ich seh es an deiner …« – und er gab ihm einen Klaps auf die Stirn.

Er kannte auch das.

»Nein«, sagte er ruhig. »Sie sind auf der Suche, Diver, und ich glaube fest, dass Sie finden werden, wonach Sie suchen.«

Das beschwichtigte ihn fürs Erste. Robey richtete sich auf und ging auf Abstand. Er furzte, laut und lange, und dann lachte er wie der Teufel.

»Einen Scheißdreck gebe ich auf die Meinung der Leute, die glauben, es ist unmöglich, über den Mistatlantik zu fliegen«, sagte er, ein langer Satz, den er erstaunlicherweise fehlerfrei zuwege brachte. »Ich achs…, ich assep…, ich ak-zep-tiere das nicht!«

»Irgendwann werden Ihre Passagierflugzeuge über den Ozean fliegen, und es wird das Natürlichste von der Welt sein«, sagte Meeks, ohne dass es ihm dabei um Lüge oder Wahrheit, um Euphorie oder Trost ging. Er wollte nur noch beschwichtigen.

»Irgendwann!« Robey höhnte. »Komm mir nicht mit deiner Untergebenenweisheit, du Mann im Mond.«

Was er ihm damit sagen wollte, blieb schleierhaft. »Sie müssen nur Geduld haben«, erwiderte er. »Und vorsichtig sein. Das Glas, Diver, bitte stellen Sie es hin.«

Robey sah auf seine Hand, als wäre ihm dort ein gläsernes Körperteil gewachsen. Das Staunen darüber und das Bewusstsein der unzähligen Möglichkeiten, die dieser Moment für ihn bereithielt, ließen ihn schwanken, er blieb schief stehen, und ebenso schief lächelte er, ehe er Meeks das leere Glas zuwarf.

Der fing es auf – es würde keine Scherben an diesem Abend geben. Er ist so reich, dachte er im selben Moment, reicher als reich! Mit seinem Vermögen könnte er die Times, das walisische Eisenbahnnetz oder halb Kapstadt kaufen. Wieso er sich volllaufen ließ, wenn zwei Südafrikaner ihr Glück herausgefordert und Pech gehabt hatten, noch dazu vor einem ganzen Jahr, war einfach unbegreiflich.

Es gelang Robey nicht mehr, sich hinzusetzen. Das Schwanken hatte die Kontrolle über seine Orientierung übernommen, und so fügte er sich notgedrungen und folgte Schwerkraft und Fliehkraft, die ihn zur Seite kippen ließen. Wie von einem unsichtbaren Gewicht wurde er ins Schlafzimmer gezogen und verschwand mit einem Mal im Türrahmen, verschluckt von Dunkel und Stille.

Eine Weile wartete Meeks ab. Er lauschte. Er studierte das Teppichmuster, überzeugt, es würde ihm in die wirren Träume der vor ihm liegenden, viel zu kurzen Nacht folgen. Er stand auf. Aufbegehren und Zuversicht hielten sich in seinem Gemüt die Waage, hieraus zog er die Gleichmut, die ihn auszeichnete und ein Leben an der Seite eines bis in die Haarspitzen rauschhaften Menschen bestehen ließ. Langsam tastete er sich an Möbeln und Wänden entlang hinüber in das Schlafzimmer, ohne dass er hätte sagen können, wie viel Zeit vergangen war.

Robey lag quer auf dem Bett, ein Bein angewinkelt auf der Matratze, das andere über den Bettrand ins Zimmer ragend. Über weiche Teppiche stapfte Meeks um den Eingeschlafenen herum, griff ihm unter die Achseln und zog den schweren Körper mit einem kurzen, so sanften wie kräftigen Ruck ganz auf das von einem hellen Himmel überwölbte Bett. Er deckte Diver zu, schloss das Fenster und löschte bis auf eine Stehlampe im Salon überall das Licht.

Es war kurz vor drei Uhr morgens, als er aus dem Lift in die Lobby trat. Neben dem Nachtportier stand ein Page und las in der Times. Meeks sah die Schlagzeilen, während er über einen Teppich mit Löwenkopfmuster zu dem Empfangstresen ging.

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Der Portier war ein freundlicher älterer Herr, den nichts zu erschüttern vermochte, weder irische Freiheitskämpfer noch preußische Chauvinisten, und auch ein New Yorker Multimillionär, der mitten in der Nacht Dinge aus dem achten Stock warf, entlockte ihm keinen Ausruf des Erstaunens. Er zog nicht mal eine Braue hoch.

»Dinge, Sir?«

Um was es sich handelte, konnte Meeks ihm nicht sagen, Verschwiegenheit war zwar eine seiner obersten Prämissen, in diesem Fall aber wusste er einfach nicht, was Mr. Robey aus dem Fenster geschmissen hatte.

»Verstehe, Sir.«

»Die Gespräche mit den Deutschen haben begonnen, wie ich sehe«, sagte Meeks und nickte in Richtung der Zeitung, die der Page in Händen hielt. Es war derselbe junge Mann, der Robey das Telegramm gebracht hatte.

»Gestern, Sir.« Der Portier legte eine Times auf den Tresen und drehte die Zeitung um, damit Meeks besser lesen konnte. »Möchten Sie ein Exemplar mitnehmen?«

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»Nein, danke.«

»Wenn Sie mir folgen wollen.«

Schweigend führte ihn der Nachtportier des Mondes durch einen schmalen Korridor. An dessen Ende schloss er eine Tür auf und reichte Meeks, als der Innenhof vor ihnen lag, einen Regenschirm, den er von irgendwoher aus der zugigen Luft gezaubert haben musste.

»Der Hof gehört Ihnen«, sagte er. »Viel Glück, Sir.«

Dann war er draußen. Er hörte Nebelhörner von Schiffen, einen bellenden Hund und wie ein Güterzug das Gekläffe abschnitt. Endlos ratterten Waggons über eine Brücke. Vom nahen Bahnhof trug der Wind das weinerliche Pfeifkonzert mehrerer Rangierloks herüber.

Er roch die nächtliche Regenluft, die Portsmouth in erdigen Duft hüllte. Eine Sirene tutete und klang gleich einer antiken Gottheit oder wie eine riesige Kuh, weit draußen auf dem Meer. Eine Weile stand er unter dem geliehenen Schirm nur da, beschäftigt mit nichts, außer nachzurechnen, wie viele Stunden Schlaf ihm blieben.

Was stand in dem Telegramm? Würde sich Diver am Morgen, wenn sie aufbrachen, um an Bord der Orion zu gehen, noch daran erinnern? Wo war die verfluchte Brieftasche? Nie im Leben hatte Robey sie aus dem Fenster geworfen.

Seeland Schneeland

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