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IM WOLKENMEER

Durch dichte graue Wolken stieg die Dreipropellermaschine höher und höher. Lautlos zogen die Wasserdampfschwaden an den Fenstern vorbei, hüllten das Flugzeug ein und staffelten sich unbegreiflich breit, tief und hoch übereinander. Jeden Moment würde das Gewölk auseinanderreißen, den Blick freigeben auf das Himmelsblau, das unverändert darüberliegen musste.

Doch nichts geschah. Auf Wolken folgten noch mehr Wolken, zwischen ihnen der Dunst verband sie mal lockerer, mal zäher, dann erneut Schwaden, wieder dichte, milchweiße Wolkenbänke, Wolkeninseln, eine Dünung aus langsam auf und nieder wogendem Nebel.

Sie waren zu dritt in der zwar niedrigen, doch hellen und nicht engen Kabine. Ein Pluspunkt. In den vier Doppelsitzreihen konnte jeder von ihnen an einem Fenster sitzen, und diese Gelegenheit hatte sich keiner entgehen lassen, weder Bryn noch er, und auch die junge Stewardess nicht, die eigens für solche Rundflugtermine mit amerikanischen Kaufinteressenten ausgebildet war, hieß es. Davon, dass das Mädchen ungewohnt nervös sei, hatte kurz vor dem Start der kaum ältere Pilot seine beiden Passagiere in Kenntnis gesetzt, wohl ein lokaler Scherz, denn die übers Flugfeld herbeieilende junge Frau unter dem Regenschirm war zwar etwas außer Atem, doch die Ruhe selbst. In ihrem rosafarbenen Wollmantel erinnerte sie an einen Flamingo, als sie die alberne kleine Gangway heraufhüpfte und Wangenküsse mit dem Piloten tauschte. Unter dem anbrausenden Geknatter der Motoren waren sie zu ihren Sitzen gegangen.

Sie saß hinter Bryn, und der hagere große Junge mit dem gewinnenden Lächeln hockte vorn in der Kanzel, wo er hingehörte. Robey sah von seiner Sitzreihe aus nur eine Schulter und den Hinterkopf mit der Lederkappe, während vor den Cockpitfenstern der Bugpropeller Wolken zerhäckselte.

»Irgendwer hier oben muss mächtig Hunger auf Milchsuppe haben«, sagte er hinüber zu Bryn, der mit seinem Bryn-Meeks-Nicken antwortete, devot und ironisch zugleich.

Er fragte sich, ob Bryn nervös war, ob er selbst es war, und warf einen Blick über die Schulter auf ihre junge Begleiterin. Hinter ihrem Landsmann Meeks zu sitzen schien ihr sympathischer zu sein, weniger riskant jedenfalls. Sie hatte dickes blondes, fast golden schimmerndes Haar, die Frisur einer Kartenabreißerin am Broadway.

Nein, nervös war sie nicht. Sie sah aus dem Fenster, auf die Wolken, wie Bryn und wie er selbst. Währenddessen achtete er mit allen Fasern seines Körpers auf jedes Klopfen, Surren, Brummen oder noch so leise Klirren, das das Flugzeug von sich gab.

Sie war stark geschminkt. An einer Wange auf Höhe der Nase glitzerte was. Wahrscheinlich war sie ohne dieses Hautfresko blass. Manchmal lächelte sie, er fragte sich, worüber, als sie sich plötzlich zu ihm wandte und ihn ansah, frontal, mit einem so offenen Blick, wie ihn in ganz Manhattan schon seit Jahren niemand mehr hatte.

»Alles in Ordnung bei Ihnen, Sir?«, fragte sie und lächelte.

Die langen Wimpern, die Propeller ihrer Augen.

Er hob eine Hand zum Dank und sah hinter dem Fenster das durch die Lüfte treibende Watteweiß der Wolke, die sie soeben durchflogen.

»Und bei Ihnen, Mr. Meeks«, hörte er, »alles in Ordnung?«

»Irgendwer da unten muss ziemlichen Hunger auf Milchsuppe haben, Miss«, antwortete Bryn mit dem unüberhörbar walisischen Akzent, den er sich seit der Ausschiffung in Cardiff wieder zugelegt hatte.

Diese Bemerkung war auf ihn gemünzt, er beschloss aber, nicht in der Stimmung zu sein, seinen Assistenten zur Schnecke zu machen. Nach ein paar weiteren Minuten Blindflug riss von einer zur anderen Sekunde der Himmel auf, und umgeben von strahlender Bläue ging die Harper Airrant mit den drei schweren Liberty-Motoren in den Horizontalflug über, legte sich auf die Luft und, so schien es, verschnaufte von den überstandenen Strapazen.

Eindeutiger Minuspunkt. Er schnallte sich ab. Auch die Gurte, die einem ins Fleisch schnitten und die Luft abdrückten – nicht zu gebrauchen. Aber das waren Kleinigkeiten. Er stand auf und gab acht, sich nicht den Kopf zu stoßen – er war zwar kein Lulatsch oder Hüne, jedoch zu groß für dieses fliegende Zigarettenetui.

Bryn sah wieder hinaus. Sein kleines Gespräch mit der jungen Miss hatte keine Fortsetzung gefunden, und nun blickte sie erneut ihn an, lächelte so mitleidsvoll zu ihm herauf, als flögen sie schon seit einem Tag und einer Nacht über eine Wüste oder ein Meer. Sie fragte, ob er ein Aspirin wünsche.

»Ich habe alles zur Hand, Mr. Robey.«

»Nein«, sagte er, das Danke verschluckend, »nicht nötig.«

»Oder ein halbes Nembutal, Sir, oder vielleicht ein Viertel?«

Er legte eine Hand auf die freie Lehne ihrer Sitzreihe, quasi die gepolsterte Verlängerung ihrer Schulter. »Hören Sie, junge Madam … Ich bin hier, um dieses Flugzeug entweder zu kaufen oder nicht zu kaufen. Ich habe nicht vor, mich zu betäuben, im Gegenteil. Dieser Flug über Ihr schönes Land dient …«

»… der Entscheidungsfindung, ich verstehe«, unterbrach sie ihn. »Es tut mir leid, Sir.« Sie verschränkte die Hände auf ihrem Mantel, und er bemerkte ihre rot lackierten Fingernägel, die wohl mit ihrem Lippenstift und dem Mantel zu korrespondieren hatten, ob sie wollten oder nicht.

»Was verstehen Sie, Schätzchen? Erklären Sie’s mir.«

Sie lachte auf. Ihr Oberkörper bebte. Er konnte sich vorstellen, was ihn wo in solcher Form hielt, und das war gut. Ihre Augen, ihre Blicke, ihre Lippen und ihre Worte, alles bewahrte die Form. Was sie dachte, blieb verborgen.

»Sie sind auf einer wichtigen Geschäftsreise. Es geht um viel Geld, Sir.«

Er lachte (es fühlte sich an wie eine Berührung mit ihrem Lachen) und sah den Kabinenkorridor entlang. Alles bebte vor seinen Augen – kaum merklich, aber es vibrierte.

»Soll Mr. Meeks es Ihnen erklären, vielleicht in Ihrer Sprache?«

»Wenn Mr. Meeks möchte, gern. Aber es ist nicht nötig, Mr. Robey. Dieses Flugzeug kostet Sie viel Geld – falls Sie sich dafür entscheiden, es zu kaufen. Sie müssen prüfen und abwägen. Ich werde Sie nicht wieder belästigen, Sir.«

»Sie machen Ihren Job am besten, wenn Sie sich so verhalten wie Ihr junger Freund und Kollege der Pilot, zu dem ich gerade unterwegs bin: Halten Sie sich bereit, seien Sie gefasst auf alle Eventualitäten.«

»Ja, danke, Sir. Ich werde es beherzigen.«

Eine Weile stand er schwankend zwischen den Sitzreihen und blickte stumm an Meeks vorbei aus dessen Assistentenfenster. Er hatte sich getäuscht – immer noch ging es aufwärts. Die Airrant kämpfte, kraftvoll, souverän erschien sie ihm in diesem Augenblick, und er versuchte sich zu erinnern, bei welchem Probeflug er zuletzt ähnlich enthusiastisch gewesen war.

Junkers’ neue Maschine, so stellte er sie sich vor, nur geräumiger, größer, weniger wendig, dafür stabiler und ruhiger.

Jetzt knetete sie ihre Hände. Er hatte sie getroffen. In der Kälte blieben auf ihrer blassen Haut die Daumenabdrücke lange sichtbar.

»Etwas zappelig, nicht wahr, das sind Sie, oder?«

»Nein, Sir, ich denke nicht. Aber ich danke Ihnen für die Fürsorge.«

Bestürzung, da war sie also doch in ihrem Blick.

»Aber doch, aber doch.« Er lächelte freundlich. »Vor Ihnen in dem Sitz« – er rüttelte daran – »der nette Mr. Meeks, das ist mein Helferlein. Falls Sie ein Versuchskaninchen suchen für Ihre Bordapotheke, steht er Ihnen gern zur Verfügung. Ich bezahle ihn für so was, wissen Sie. Er tut, was ich ihm sage. Wenn ich ihm sage, er soll mir in 2000 Metern Höhe ein Spiegelei braten, dann wird er das zumindest versuchen. Und wenn er es nicht hinbekommt und ich deshalb sauer werde und ihm sage, er soll aus dem Flugzeug springen, runter zu Ihrem schönen Wales, so tut Mr. Meeks das.«

»Ein bemerkenswertes Arbeitsverhältnis«, sagte sie lächelnd, frei von Spott, wie aus aufrichtigem Interesse. »Ich werde es mir merken, Sir.«

»Brynnybryn?«

»Ja, Diver, Mr. Robey, absolut.« Bryn sah ihn nicht an, nur wenn sie unter sich waren, sah er ihn an. »Wenn Sie sagen: Brate! – brat ich. Und wenn Sie sagen: Spring! – spring ich. Miss Simms war sich darüber nicht im Klaren.«

»Ein halbes Nembutal, Bryn, wie wär’s? Oder gleich ein ganzes?«

»Danke, verzichte. Ich meine … so Sie einverstanden sind, Mr. Robey.«

»Er verzichtet. Ich will ihm das durchgehen lassen. Ihr Name, Miss, wie schreibt sich der? Mit Ypsilon? Symms?«

»Mit i, Mr. Robey. Ich heiße Simms.«

»Das hörte ich. Und weiter?«

»Und weiter, Sir? Ich beantworte Ihnen ja gern alle Fragen, dazu bin ich da, aber ich muss Sie schon verstehen. Meinen Sie meinen Vornamen?«

»Haben Sie einen? Oder sogar zwei, vielleicht drei?«

»Mari, Sir. Auch Mari mit i – etwas ungewöhnlich, aber so ist es bei uns, vieles ungewöhnlich. Mari Simms. Ich freue mich, Sie begleiten zu dürfen, Mr. Robey.« Sie hielt ihm eine Hand hin.

»Diver. Nennen Sie mich Diver. Diver mit i.«

Mit einem Mal konnte er frei stehen. Kein Schwanken mehr. Ruhiger Geradeausflug. Endlich hatten sie ihre Flughöhe erreicht.

Pluspunkt.

Schluss! Ihr trat ja schon der Schweiß auf die Stirn. Aber immer noch lag kein Hauch Ironie oder gar Spott in ihrer Stimme.

Er nahm die Hand nicht, sah ihr bloß in die Augen, und Mari Simms lächelte, schloss wie zum Einverständnis die dicht bewimperten Lider und ließ die Hand sinken.

»Gut, Mari Simms. Ich gehe meine Arbeit machen, vorn bei dem jungen Mann, der uns hier durch die Gegend gondelt. Seien Sie nett und verraten Sie mir auch, wie er heißt. Damit haben Sie dann gleich die erste Eventualität.«

»Der Pilot, Diver, Sir?«

»Himmel, ja! Ihren Namen kenne ich jetzt, meinen schon seit fast vierzig Jahren und den dieses Herrn hier mindestens ebenso lang.« Er gab Meeks’ Lehne einen Klaps. Sie wackelte. Minuspunkt.

Kurz, aber durchdringend blickte sie ihn an, als würde sie in seiner Miene zu lesen versuchen, was ihn derart aufbrachte. Sie würde es noch weit bringen, wenn nicht mal ein Satansbraten wie er sie dazu brachte, in Tränen auszubrechen oder ihn anzukeifen.

»Edwyn«, sagte sie mit ihrem über jeden Zweifel erhabenen Akzent, und würdevoll fügte sie hinzu: »Anderson, Sir. Eddy ist der beste Flieger in ganz Merthyr Tydfil.«

»Davon bin ich überzeugt, sweetheart. Danke.«

So gut es ging, hielt er sich an den Wackellehnen fest und machte sich auf den Weg nach vorn zur Kanzel. Er spürte den Groll in sich aufsteigen und tastete nach der Flasche an seiner Brust. Diese Zerknirschung, wie ekelte sie ihn an.

»Diver!«, sagte Miss Simms hinter ihm. Er drehte sich um und sah, dass sie Bryn ein Stück Papier gab, einen zusammengefalteten Zettel. Meeks schnallte sich ab, er kam durch die Sitzreihen nach vorn und reichte ihm das Papier.

»Von der jungen Lady, Diver. Bitte, seien Sie nett zu ihr.«

Er zog eine Grimasse und trat in die Kanzel.

Er steckte den Zettel ein und genoss es, nicht zu wissen, was darauf stand. Den Namen des Piloten hatte er schon wieder vergessen. Andy Edison, oder wie immer er hieß, war Waliser wie Bryn, so viel war sicher, man hörte es, sobald er den Mund aufmachte. Er war noch keine 25, hatte die Airrant aber gut im Griff. Der junge Flieger war nicht das Problem.

500 Meter über den Wolken spürte man nichts mehr von dem Monsun über dem Flugplatz mit dem unaussprechlichen Namen. Die Böen waren abgeflaut, der Wind hatte es aufgegeben, den Rumpf hin und her zu werfen und die Tragflächen flattern zu lassen wie bei einem silbernen Riesenschmetterling.

Laut war es in jedem Cockpit gewesen, das er sich in der Luft angesehen hatte, lauter zumindest als in der Passagierkabine. Hier in diesem Vogel allerdings musste er sich fragen, wie der Jüngling, der ihn steuerte, es in der Kanzel überhaupt aushielt. Alles zitterte, rappelte, wummerte. Vor lauter Dröhnen schienen die Dinge zu schreien, weil sie es nicht fassen konnten, fliegen zu sollen. Sie wollten nicht durch die Luft katapultiert werden.

Wenn es stimmte, was der Junge ihm zurief, hatten die Leute, die dort unten lebten, seit Monaten die Sonne nicht gesehen. In dem schmalen Durchgang stehend registrierte er, dass es dort zugig war. Er nickte. So war ganz Europa – ein Schlamassel aus schlechtem Wetter, überkommenen Staatsformen, zusammengestohlenen Museen und hochtrabenden Plänen. Nirgends ließ es sich aushalten. In Paris gab es wenigstens Frauen, die tranken. Aber sonst? London war ein Witz, Rom ein Müllhaufen, Berlin eine lachhafte Bühne. Die einzigen Orte, an denen einer wie er nicht erstickte, waren drei, vier Hotels am Genfersee, die er nur deshalb noch nicht hatte kaufen lassen, weil ihn alles, was er besaß, nach zwei Wochen tödlich langweilte. Warum etwas kaufen, wenn es dann nichts mehr gab, wo er sich eine Nacht lang zerstreuen und am Morgen etwas Schlaf finden konnte. Es war kein Wunder, dass sich ein junges Luftfahrtgenie wie Sikorski in die Staaten absetzte. In Russland musste man erfrieren oder sich duellieren und über den Haufen schießen lassen, um bewundert zu werden. Europa hatte das Schafott für seine Verbrecher erfunden und stattdessen seine Könige damit geköpft. In Europa führte man jahrzehntelang Krieg, flüchtete sich in eine Revolution, errichtete jubelnd Ungetüme wie den Eiffelturm. Man baute Schiffe, die mit voller Kraft gegen Eisberge dampften oder sich gegenseitig versenkten. Was nützte es, wenn die Prachtbauten der Metropolen noch immer so protzig wirkten wie im Athen von Aristoteles. Von Europa war nichts zu erwarten. Europa blieb, wie es immer war. Er hätte nicht auf Bryn hören sollen, diesen ausgemachten, unverbesserlichen Europa-Idioten. Seine Einflüsterungen hatten immer dasselbe Ziel: Meeks wollte seine Heimat sehen, es zog ihn nach Wales, wie es die halbe Welt nach Venedig zog – warum eigentlich? Alle zwei Jahre ging das so. Venedig kaufen, das wäre ein Plan! Venedig kaufen und es versenken.

»Ziehen Sie sie mal hoch, die Ente, dann eine Linkskurve!«, rief er dem Piloten ins Ohr, der ihn daraufhin über die Schulter hinweg ansah wie ein Gymnasiast, den man aufforderte, von einem Aquädukt zu springen.

»Na los! Dazu sind Sie schließlich hier! Ich verlange ja nicht, dass Sie einen Looping fliegen oder so was.«

Er gehorchte, er sprang. Als die Harper die Nase hob und die Motoren aufheulten, spreizte Robey die Beine, um sicher zu stehen, er hielt sich am Türrahmen fest. Er zog den Flachmann aus der Innentasche und trank einen kräftigen Schluck Gin.

Er hatte keine Angst. Angst hatte er zuletzt gehabt, als er acht oder neun gewesen war. Woher kommt die Luft, fragte er sich, wo ist die Kiste so undicht? Er wandte sich um, und jenseits des Vorhangs, der jetzt in die Kabine hineinhing, sah er Meeks hochrot im Gesicht Rachegedanken hinter einer aufgeschwemmten Maske aus britischer Schockiertheit verbergen. Zeternd ging die Harper in Schräglage, klagend kippte sie nach links, schreiend raste sie hinab durch die blaue Leere auf das Wolkenmeer zu, bis der Junge – Eddy, so hieß er, ja – sie auffing und mit dem wiedergefundenen Horizont beschwichtigte.

Pluspunkt für ihn, Minus, Minus, Minus für die Flugzeugbaukunst von Mr. Meeks’ Landsleuten.

Was hatten sie von Wales gesehen? Die grauen walisischen Felder im Regen, die tristen walisischen Käffer im Dunst und von hier oben, aus dem Blechschmetterling, Wolken, Wolken, Wolken.

Er las Maris Zettel. Auf die Ecke eines Blattes mit dem roten Schriftzug HARPE (R BROTHERS war abgerissen, quer durch ein kleines Flugzeug) hatte sie ihm ein lächelndes Gesicht gezeichnet und darunter geschrieben: »Das Leben ist schön.«

Rührend. Als er zu seinem Platz zurückging, nickte er ihr zu. Sie freute sich.

Eingeschnürt von dem Gurt und verfolgt von der Furie seiner Enttäuschung, war er restlos überzeugt, dass nicht der junge Flieger das Problem war, sondern das unausgereifte Fluggerät, die Harper Airrant 3, die um einiges zu leicht war für drei Liberty-Motoren, um Motoren, Tragflächen, Rumpf und vor allem Insassen wohlbehalten über den großen Teich zu befördern. Nein, die Harper-Konstrukteure brauchten gar nicht erst nach New York zu kommen.

Eine schlechte Maschine war das nicht. Vor wenigen Wochen in Halifax bei Glenn Curtiss und im Herbst 1919 bei Blériot in Suresnes hatte er Pläne für drei größere Flugzeuge geprüft, die alle in den Atlantik gestürzt wären. Unerfindlich worüber, lachte Blériot unablässig. Junkers, der angeblich an einem »Ganzmetalllangstreckenpassagierflieger« tüftelte, ließ verlauten, er antworte nicht auf Briefe eines Hotel-Tycoons. Und von Sikorski hieß es, er sei den Schergen Lenins knapp entronnen und irgendwo in Amerika untergetaucht, ausgerechnet. Gut möglich, dass er in Wirklichkeit gar nicht mehr auf Erden weilte. Womöglich hatte ihn die rote Bande an die Wand gestellt und in einem karelischen Moor verscharrt.

Aber auch diese walisische, mittlerweile neunzehnte Maschine, mit der er flog, würde keine Passagiere lebend von New York nach Paris oder London befördern. Ob es an den Motoren lag, die zu schwer oder stark waren, an den Nieten oder dem Stahlblech, das die Harper-Brüder bei ihrer Airrant verwendet hatten, konnte er nicht sagen. Er war ein Laie, der Deutsche hatte recht. Spielte das eine Rolle? Er hatte genug Geld, um sieben so selbstherrliche Fritzen wie Hugo Junkers bis ans Ende ihrer Tage Flugzeuge bauen zu lassen. Wenn der nicht wollte, würde er einen anderen finden, vielleicht doch Igor Sikorski, wenn der noch lebte. Aber Diver Robey – und der war er, noch immer – hatte nicht bloß Geld, sondern auch Ohren. Er hörte, wie hier alles zunächst summte, dann sang, dann dröhnte und schrie, und er spürte ein Vibrieren, das sich auf seinen Körper übertrug und sein Herz rasen ließ.

Angst war das keine, und wer, bitte, wäre man, würde man jedem die Erregungszustände zeigen, die man von früh bis spät mit sich herumtrug. Spring von dem Aquädukt, oder schlag den zu Boden, der solchen Unfug von dir verlangt. Wie herrlich war es zu fliegen! Nur das zählte – höchstpersönlich der archimedische Punkt zu sein, von dem aus man das eigene Leben wie von außen, als Gast, als Fremder, und zugleich aufs Innigste betrachten konnte. Er liebte jede Sekunde dieses Abenteuers, weil dann stimmte, was auf dem Zettel stand und was im Gesicht der jungen Miss zu lesen war. Zu leben war dann schön.

Bis sie landeten, würde er sich die Wirkung von einem Viertel Nembutal, aufgelöst in Gin, ausmalen und an Bryn Meeks vorbei scheinbar unbeteiligt aus dem Fenster sehen – auf die unbekannte Hafenstadt dort unten mit der auffälligen Transporterbrücke, auf ein Flüsschen, das aus dem Landesinnern geschlängelt kam, auf die Küste und ihre Strände, die grau und verlassen wirkten, und auf die Wolkenschwaden, durch die die Maschine mal beinahe stumm und mal schreiend hindurchstieß, aufwärts und abwärts, Schwaden, so kalt, weiß und endlos wie das ungemachte Bett Gottes.

Seeland Schneeland

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