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Acht

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Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression.

Diesen Samstag aber, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr, steht Mitmenschlichkeit auf dem Programm. Ich gehe mit einem Freund, der Pfarrer ist, in ein mexikanisches Restaurant essen. Das Restaurant ist gut; kein Problem in dieser Hinsicht. Aber ist mein Freund noch mein Freund?

Wir haben zusammen studiert. Damals waren wir zwanzig: Blüte der Jugend. Jetzt sind wir dreißig. Nachdem er sein Ingenieursdiplom bekommen hatte, ging er ins Priesterseminar. Er hat umgesattelt. Heute ist er Pfarrer in Vitry. Keine leichte Gemeinde.

Ich esse einen Maisfladen mit roten Bohnen und Jean-Pierre Buvet redet über Sexualität. Seiner Meinung nach ist das angebliche Interesse unserer Gesellschaft für die Erotik (in Werbung, Zeitschriften, überhaupt in den Massenmedien) völlig gekünstelt. In Wirklichkeit langweilt das Thema die meisten Leute sehr bald; doch sie behaupten das Gegenteil – eine bizarre, umgekehrte Heuchelei.

Er kommt nun zu seiner These. Unsere Zivilisation, sagt er, leidet an vitaler Erschöpfung. Im Jahrhundert Ludwigs XIV., als der Lebenshunger groß war, legte die offizielle Kultur den Akzent auf die Verleugnung der Lüste und des Fleisches. Sie erinnerte unablässig daran, dass das irdische Leben nur unvollkommene Freuden biete und Gott die einzig wahre Quelle des Glücks sei. Ein solcher Diskurs, versichert er mir, würde heute nicht mehr akzeptiert. Wir brauchen Abenteuer und Erotik, denn wir müssen uns ständig einreden, das Leben sei wunderbar und erregend; und natürlich haben wir genau daran so unsere Zweifel.

Mein Eindruck ist, dass er mich für ein Musterbeispiel dieser vitalen Erschöpfung hält. Keine Sexualität, kein Ehrgeiz, keine großen Zerstreuungen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich habe den Eindruck, dass alle so sind. Ich halte mich für einen normalen Menschen. Vielleicht nicht bis ins letzte Detail, aber wer ist schon ein ganz normaler Mensch, na? Sagen wir, ich bin zu achtzig Prozent normal.

Um etwas zu sagen, wende ich ein, dass heutzutage jedermann zwangsläufig irgendwann in seinem Leben glaubt, gescheitert zu sein. In diesem Punkt sind wir derselben Meinung.

Das Gespräch kommt ins Stocken. Ich stochere in meinen kandierten Vermicelli herum. Er rät mir, zu Gott zurückzukehren oder eine Psychoanalyse zu machen; die Nähe der beiden Begriffe lässt mich zusammenfahren. Er hakt nach, er interessiert sich für meinen Fall; anscheinend glaubt er, dass es mir dreckig geht. Ich bin allein, viel zu sehr allein. Er meint, das sei nicht natürlich.

Wir trinken einen Schnaps; er legt seine Karten auf den Tisch. Seiner Meinung nach ist Jesus die Lösung; Jesus, die Quelle des Lebens. Eines reichen und lebendigen Lebens. »Du musst deine göttliche Natur akzeptieren!«, ruft er aus; vom Nebentisch schauen sie zu uns herüber. Ich fühle mich ein wenig erschöpft; mir scheint, wir sind in eine Sackgasse geraten. Für alle Fälle setze ich ein Lächeln auf. Ich habe nicht viele Freunde und will diesen hier nicht verlieren. »Du musst deine göttliche Natur akzeptieren ...«, wiederholt er, jetzt mit leiserer Stimme. Ich verspreche, dass ich mich bemühen werde. Ich füge ein paar Sätze hinzu und versuche, einen Konsens herzustellen.

Danach ein Kaffee und ab nach Hause. Eigentlich ein angenehmer Abend.

Ausweitung der Kampfzone

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