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Die Freiheitsgrade nach J.-Y. Fréhaut

Danach kehre ich zurück zu meiner Firma. Dort werde ich freundlich empfangen; wie es scheint, ist es mir gelungen, meine Position im Betrieb zu festigen.

Mein Abteilungsleiter nimmt mich beiseite; er enthüllt mir, wie überaus wichtig dieser Auftrag sei. Er weiß, sagt er, dass ich einiges wegstecken kann. Er sagt ein paar bitter-realistische Worte über den Diebstahl meines Wagens. Eine Art Männergespräch in der Nähe des Automaten für heiße Getränke. Ich entdecke in ihm den großen Spezialisten für die Verwaltung menschlicher Ressourcen, und mir wird wohlig zumute. Von Minute zu Minute kommt er mir schöner vor.

Später am Nachmittag habe ich an der kleinen Abschiedsfeier für Jean-Yves Fréhaut teilgenommen. Mit ihm verlässt uns, wie der Abteilungsleiter hervorhebt, ein wertvoller Mitarbeiter und hochverdienter Techniker. Zweifellos werde er auf seiner künftigen Laufbahn mindestens ebenso große Erfolge feiern wie bisher; das jedenfalls wünsche er ihm. Und dass er, wann immer er wolle, in seiner alten Firma auf ein Glas der Freundschaft vorbeikommen möge! Seinen ersten Posten, schließt er in schlüpfrigem Tonfall, könne man ebenso wenig vergessen wie die erste Liebe. Ich beginne mich zu fragen, ob er nicht ein wenig zu tief ins Glas geschaut hat.

Kurzer Applaus. Ein sanftes Wogen umgibt J.-Y. Fréhaut. Er dreht sich langsam um die eigene Achse, macht einen zufriedenen Eindruck. Ich kenne diesen Jungen ein bisschen; vor drei Jahren sind wir gleichzeitig in die Firma eingetreten; wir haben im selben Büro gearbeitet. Einmal sprachen wir über die großen Fragen unserer Zeit. Er sagte (und glaubte in gewisser Weise tatsächlich daran), dass die Intensivierung der Informationsflüsse in der Gesellschaft an sich eine gute Sache sei. Dass die Freiheit nichts anderes sei als die Möglichkeit, Verbindungen verschiedenster Art zwischen Individuen, Projekten, Institutionen und Dienstleistungen herzustellen. Das Maximum an Freiheit fiel seiner Meinung nach mit dem Maximum an Wahlmöglichkeiten zusammen. Mit einer der Festkörperphysik entlehnten Metapher nannte er diese Wahlmöglichkeiten »Freiheitsgrade«.

Wir saßen, ich erinnere mich, in der Nähe des Großrechners. Die Klimaanlage summte vor sich hin. Er verglich die Gesellschaft gewissermaßen mit einem Gehirn, die Individuen mit Gehirnzellen, für die es tatsächlich wünschenswert ist, so viele Verbindungen wie möglich herzustellen. Darin erschöpfte sich aber die Analogie. Denn er war ein Liberaler und als solcher kein Parteigänger dessen, was für das Gehirn unabdingbar ist: ein Vereinheitlichungsplan.

Sein eigenes Leben war, wie ich später erfuhr, äußerst funktionell. Er bewohnte eine Einzimmerwohnung im 15. Arrondissement. Die Heizung war in den Betriebskosten enthalten. Er hielt sich fast nur zum Schlafen dort auf, denn er arbeitete viel – und las außerhalb der Arbeitsstunden meist eine Zeitschrift namens Micro-Systèmes. Die berühmten Freiheitsgrade beschränkten sich, was ihn betraf, auf die Wahl seines Abendessens per Minitel (er hatte ein Abonnement auf eine damals noch neue Dienstleistung, die Zustellung warmer Speisen zu einem genauen Zeitpunkt mit relativ kurzer Lieferzeit).

Abends sah ich gern zu, wie er sein Menü zusammenstellte und dabei das Minitel bediente, das sich in der linken Ecke seines Schreibtischs befand. Ich hänselte ihn wegen der Erothek; aber in Wirklichkeit bin ich überzeugt, dass er noch Jungfrau war.

In gewisser Weise war er ein glücklicher Mensch. Er fühlte sich, nicht zu Unrecht, als Akteur der telematischen Revolution. Er empfand tatsächlich jede Erweiterung der Macht der Informatik, jeden Schritt hin auf die Globalisierung des Netzes als persönlichen Sieg. Er wählte die Sozialisten. Und seltsamerweise bewunderte er Gauguin.

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