Читать книгу Filmriss - Mitra Devi - Страница 10
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Оглавление«Heilige Scheisse, dieser Schnee!», fluchte Hektor lauthals, während er versuchte, zwischen den hin- und herschabenden Scheibenwischern die Fahrbahn zu erkennen. Ein heftiger Wind wehte, die Flocken stieben wie bei einem Schneesturm fast waagrecht gegen den Wagen. Auf der Strasse war um diese Zeit kaum Verkehr. Hektor nahm die Autobahneinfahrt Richtung Uster.
Paco sass hinten neben den gefesselten Kindern, die noch immer keinen Ton von sich gaben, und starrte auf Hektors kahlrasierten Schädel. Er hätte sich keinen Besseren für diesen Job aussuchen können. Ein beschränkter Choleriker, aber einer, der tat, was man ihm sagte. Im Knast hatte man sich erzählt, Hektor Kant habe noch nie eine flachgelegt, jedenfalls keine, die freiwillig mitmachte. Dafür schienen ihn alle Nutten von Zürich zu kennen und zu mögen. Wahrscheinlich hofften sie auf den weichen Kern in der harten Schale. Verstehe einer die Frauen. Vor ihm, Paco, hatten sie Angst, das wusste und genoss er. Und gleichzeitig fanden sie ihn faszinierend. Er sah ja auch umwerfend aus, da spielte er nicht den Bescheidenen. Vom spanischen Vater hatte er die dunklen Augen und Haare, seine rasiermesserscharfen Koteletten zeichneten die markante Kopfform nach, und seinen Körper konnte man nicht anders als phantastisch nennen. Er tat auch genug dafür. Er hatte aufgehört zu rauchen und achtete auf seine Ernährung. Zweimal pro Woche liess er sich von einer Thailänderin massieren. Ganz seriös. Er hatte ihr noch nie irgendwelche zweideutigen Angebote gemacht. So eine war sie nicht. Sie gehörte zur Sorte sensibel und unschuldig, und das reizte ihn viel mehr. Einmal war er zu früh in ihrer Praxis erschienen, hatte sich ihr lautlos von hinten genähert und seine Hände um ihren Hals gelegt. Zu Tode erschrocken war sie zusammengezuckt und hatte sich während der ganzen Massage nicht mehr erholen können. Ihre zittrigen Finger kneteten seine Schultern, und er spürte ihre Angst.
Ein Rucken riss ihn aus seinen Gedanken. Die Kinder kamen langsam zu sich. Sie bewegten sich hin und her und merkten, dass ihre Arme und Füsse zusammengebunden waren. Noch immer trugen sie ihre Schlafanzüge, der Junge einen mit aufgedruckten Oldtimern in allen Farben, das Mädchen einen mit bunten Fröschen und Schildkröten darauf. Lorena döste wieder weg. Lukas blinzelte verunsichert, rappelte sich in eine Seitenlage, gab ein würgendes Geräusch von sich, und Paco stellte ihm einen Kübel vors Gesicht. Chloroform konnte Übelkeit auslösen. Zum Glück hatten sie vorgesorgt.
«Kotz mir nicht das Auto voll! Wenn’s schon sein muss, dann hier rein.»
Der Junge kämpfte sichtlich gegen den Brechreiz, sah verängstigt zu ihm hoch, dann übergab er sich in den Eimer.
Paco wandte den Kopf ab. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann war es der Gestank von Erbrochenem. Es machte ihn selber halb krank. Es erinnerte ihn zu sehr an früher. Wie oft hatte er seine Mutter fast zu Tode besoffen in ihrer eigenen Kotze vorgefunden. Schon als kleiner Junge hatte er alles aufgewischt, seine Mutter mit einer Mischung aus Wut, Verachtung und Mitleid gewaschen und so getan, als wäre bei ihnen zu Hause alles in Ordnung.
«Hektor! Mach das Fenster auf!», schrie er nach vorn.
«Willst du, dass die ganze Kälte reinkommt?», brüllte der zurück.
«Ich hab gesagt, reiss das verdammte Fenster auf! Na los, mach schon!»
Augenblicklich fegte ein frostiger Luftzug in den Transporter, und Paco konnte wieder klar denken.
Lukas fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund und schaute schuldbewusst zu Boden. «Tut mir leid. Danke für den Eimer.»
Guter Himmel, der Junge bedankte sich bei ihm!
«Wo bringen Sie uns hin? Was machen Sie mit uns?», fragte der Kleine ängstlich. Seine Augen waren geschwollen, seine blonden Haare standen nach allen Seiten ab.
Paco ersparte sich eine Antwort.
«Warum tun Sie das?», blieb Lukas hartnäckig.
Paco seufzte entnervt. «Weisst du, was ich nicht leiden kann?»
«Kinder, die dumme Fragen stellen?»
«Ganz richtig, Bürschchen. Hör zu, du und Lorena benehmt euch schön brav, und in ein paar Tagen seid ihr wieder zu Hause und feiert Weihnachten. Na?»
«Versprochen?», fragte Lukas.
Paco kniff seine Augenbrauen zusammen. «Ich mache niemals Versprechungen.»
«Wie kann ich Ihnen dann glauben, wenn Sie –»
«Lukas, du weisst, was ich nicht leiden kann!»
«Entschuldigung.» Er stockte einen Moment. «Woher wissen Sie überhaupt unsere Namen? Wer sind Sie?» Seine Stimme rutschte eine Oktave höher, er sah hilfesuchend zu seiner Schwester hinüber.
Die kam langsam zur Besinnung, schaute sich um, entdeckte Paco und Hektor und stiess sogleich einen markerschütternden Schrei aus. «Lassen Sie uns sofort raus hier! Sie haben uns entführt! Hilfe! Anhalten! Das ist verboten, was Sie machen!» Sie trat nach Paco, versuchte ihn zu schlagen und zu beissen.
Paco schob sie beiseite. «Was haben wir denn hier für ein temperamentvolles Fräulein? Scheint mehr Schneid zu haben als ihr Bruder, der kleine Hosenscheisser.»
Lukas schaute bei diesen Worten geknickt drein, als wäre es nicht das erste Mal, dass er so etwas vernahm.
«Mein Vater rettet uns!», schrie sie weiter, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. «Die Polizei kommt, und Sie müssen für viele Jahre ins Gefängnis! Und dort kriegen Sie nur Bohnen zu essen! Lassen Sie uns raus! Sofort! Wenn Sie uns gehen lassen, dann … dann … erzählen wir niemandem, dass Sie es waren. Nicht wahr, Lukas?»
Der Bruder schaute sie verunsichert an.
«Lukas!»
Jetzt nickte der Kleine.
Paco grinste. Kluges Köpfchen, dieses Mädchen.
«Bitte, Herr Entführer, lassen Sie –»
«Lorena, halt die Klappe. Euch geschieht nichts.»
«Und weshalb tragen Sie dann eine Pistole in ihrer Hose?»
«Ach, die?» Paco nahm sie betont beiläufig heraus und spielte mit ihr. «Reine Vorsichtsmassnahme. Wenn ihr mir allzu sehr auf den Geist geht, dann drück ich hier ab. Hier, seht ihr?» Er zeigte es ihnen. «Und auf den Geist gehen heisst brüllen, heulen, nervige Fragen stellen und nicht gehorchen. Kapiert?»
Lukas wurde bleich, Lorena verstummte für einen Augenblick.
«Also. Ihr seid brav und könnt bald nach Hause. Oder ihr nervt, und ich leg euch um. So einfach ist das. Es macht peng. Nur einmal pro Kind, das reicht völlig. Es ist eine starke Waffe. Und eure süssen kleinen Köpfchen verwandeln sich in blutigen Brei.» Er liess das etwas wirken, dann sagte er mit eisiger Stimme: «Habt ihr mich verstanden?»
Die Kinder blickten ihn erstarrt an.
«Ob ihr mich verstanden habt?»
«Ja», sagte Lukas.
«Ich hasse Sie», murmelte Lorena. Sie sah trotzig zu ihm hoch, ihre nassgeweinten Augen funkelten böse, ihre Lippen zitterten.
Paco verzog seinen Mund zu einem diabolischen Lächeln. «Wir werden eine Menge Spass miteinander haben, kleines Fräulein.»