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Der Transporter brauste über die Fahrbahn. Die Schneeflocken peitschten schräg gegen die Autofenster. Hektor rauchte eine Zigarette nach der anderen und verqualmte das ganze Auto. Paco hatte vor, ihm das auszutreiben, aber jetzt war nicht der Moment dazu. Er brauchte ihn in guter Stimmung. Hektor konnte gereizt reagieren, wenn man ihn zu sehr unter Druck setzte, und das wäre für das weitere Vorgehen nicht dienlich. Er sah zu den Kindern hinüber.

Lukas schniefte leise vor sich hin, Lorena blickte widerborstig geradeaus. Paco war zufrieden. Bis jetzt lief alles nach Plan.

«Ich hab’ Hunger», murrte das Mädchen. «Und mir ist kalt. Haben Sie nicht eine Decke oder so?»

«Kriegst was», sagte Paco. «Später.»

«Wenn wir erfrieren, bekommen Sie Ihr Lösegeld auch nicht!», belehrte sie ihn.

Paco grinste. «Wer sagt denn, dass es um Lösegeld geht, Klugscheisserin? Vielleicht haben wir was ganz anderes mit euch vor.»

Lukas starrte ihn entsetzt an. «Ich weiss, was er meint, Lorena. Erinnerst du dich, was Mama gesagt hat über fremde Männer in fremden Autos?»

«Klar», sagte Lorena mit vorgerecktem Kinn. «Aber das werden sie bereuen. Ich weiss genau, wo’s ihnen am meisten weh tut, und dort rein werden sie was abkriegen!»

Paco sah das Mädchen belustigt an. Hinter ihrer Bockigkeit spürte er Angst, viel Angst, aber anders als ihr Bruder zeigte sie es nicht. Sie war tapfer, sie bot ihm die Stirn. Das gefiel ihm. Er hatte genug mit Weicheiern zu tun gehabt, die sich kampflos unterordneten. Dies hier würde mehr Spass machen. «Wir werden sehen», sagte er und schlug den Kragen seines langen, schwarzen Mantels hoch.

Der Transporter verliess die Autobahn. Sie fuhren durch Uster und bogen in eine Landstrasse ein. Kein Verkehr, halb vereiste Strassen, dicke, graue Wolken, aus denen es ununterbrochen schneite. Das war gut. Was für Spuren sie auch immer hinterliessen, sie würden in kürzester Zeit weiss zugedeckt sein.

Hektor bremste vorsichtig ab, zog das Steuer nach rechts und fuhr über eine holprige Schwelle. Paco wischte mit der Hand über die beschlagene Scheibe, schaute nach draussen und entdeckte ihren ausgewählten Ort, den abgewirtschafteten Autoschrottplatz. Er war seit vielen Jahren verlassen und vergessen. Ein paar schneebedeckte Gebilde rosteten vor sich hin, bei denen man erst auf den zweiten Blick erkannte, dass es sich um uralte Karossen handelte. Neben den Autos stand ein Traktor, der mit seinen grossen, schwarzen Rädern wie ein Urviech in dieser weissen Umgebung wirkte. Auf etwa drei Meter Höhe war ein Draht ums ganze Gelände gespannt, an dem unzählige farbige Fähnchen der verschiedensten Automarken im Wind flatterten. «CarFlash Garage» stand auf einem verwitterten Schild, das kaum mehr zu lesen war. Hektors älterer Bruder hatte die Firma vor Jahren in den Ruin getrieben. Seit damals rotteten auf dem riesigen Parkplatz all die Autos, Werkzeuge, Maschinen und Lagerhallen vor sich hin; er galt als Schandfleck der Umgebung, mit dem man nichts zu tun haben wollte. Doch Strom und Wasseranschlüsse funktionierten noch, deshalb war der Ort genau richtig.

Hektor parkierte hinter dem verfallenen Gebäude, so dass der Transporter von der Strasse aus nicht zu erkennen war. Er stieg aus, öffnete die Seitentür und packte Lukas und Lorena unter die Arme, als wären sie Stoffpuppen. Mit grossen Schritten, massig wie ein Bär, stapfte er zum Eingang und blieb dort stehen. Paco nahm seine prall gefüllte Reisetasche, ging in Hektors Spuren, um seine Schuhe nicht nass zu machen, und öffnete die rostige Tür. Wände, Boden und Decke des Lagerraumes waren aus Beton. Er war vielleicht fünf auf fünf Meter gross, an den Wänden waren metallene Regale angebracht, auf denen alte Kanister, verrostete Einzelteile und Behälter mit Werkzeug gestapelt waren. Über einer Kunststofftonne hing ein zerfledderter Kalender aus dem Jahr 1986 mit einer nackten Frau drauf, daneben stand ein Abfalleimer aus ausgebleichtem Plastik. Eine Neonröhre flackerte an der Decke. Ein paar Matratzen lagen auf dem Boden.

«Was tut der denn da!», stiess Hektor aus, als er den Raum betrat. Er starrte auf den bleichen Burschen mit dem schwammigen Gesicht und den weichen Lippen, der neben einem Elektroofen stand und sich die Hände wärmte. Wütend wuchtete Hektor die gefesselten Kinder auf den Boden und fuhr Paco an. «Wir hatten doch abgemacht, dass der nicht dabei ist!»

Paco knallte die Tür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und steckte ihn ein. «Caleb ist okay, das weisst du.»

«Einen Scheiss weiss ich!», brüllte Hektor, preschte auf den schmächtigen Kerl los, der hilfesuchend zu Paco hinübersah, und schnappte ihn am Kragen. «Dich will ich nicht dabeihaben, du mieser kleiner Schleimer!»

Die Kinder wichen zur Seite, Paco zog Hektor von Caleb weg und dieser murmelte: «Hast du’s ihm nicht gesagt, Paco?»

«Nein, hab ich nicht. Ich sag’s ihm jetzt. Caleb ist dabei, hast du verstanden?» Er sah Hektor eindringlich an. Die Wut des Hünen verpuffte sofort, er brummte nur noch: «Und warum bestimmst das eigentlich immer du?»

«Was hab ich dir erklärt? Übers Hirn und über Muskeln?»

«Ja, ja, ich hab kapiert. Aber bloss, weil er dein Bruder ist, heisst das noch lange nicht –»

«Ich sagte, er ist dabei. Und jetzt fertig. Wir können bei Gott einen dritten Mann gebrauchen, um diese zwei verwöhnten Zürichberg-Kids in Schach zu halten.»

Die Zwillinge hielten sich an den Händen und schlotterten in ihren Schlafanzügen vor Kälte. Barfuss standen sie auf dem Betonboden.

Caleb ging zum hinteren Teil des Lagerraums und holte zwei Plastiksäcke hervor. «Hier. Kleider für die Kinder. Grösse 128, wie du gesagt hast. Und zwei Paar Schuhe in der Grösse 33.» Er packte die Dinge aus und legte je ein Paar Turnschuhe vor die Kinder hin, dazu für Lukas eine Jeans, ein T-Shirt und einen blauen Pulli und für Lorena ein weisses Rüschenkleidchen mit aufgestickten Blumenmustern.

«So was trag ich nicht!», rief sie aus. «Nie im Leben. Ich will auch Jeans!»

«Gibt’s nicht, Kleine», sagte Paco. «Du ziehst an, was Caleb dir mitgebracht hat und damit basta. Und du, Bruderherz, hättest durchaus etwas Praktischeres besorgen können.»

«Warum?», meinte der beleidigt, «du hast doch gesagt, es seien ein Junge und ein Mädchen.»

Hektor zündete sich eine Zigarette an, doch als er Pacos Blick sah, schnippte er sie weg und zertrat sie. «Findest du es gut, dass die Kinder unsere Namen wissen?»

Paco nahm ein Messer und eine Packung Kabelbinder aus der Reisetasche. «Schon vergessen? Wenn das hier vorüber ist, sind wir nicht mehr in diesem Land. Es spielt absolut keine Rolle, wer unsere Namen kennt. Und ausserdem» – er schaute zu den Kindern hinüber und sagte feixend – «wird es vielleicht gar niemanden mehr geben, der das weitererzählen kann. Nicht wahr?»

«Sie sind ein Scheusal!», rief Lorena. «Unser Vater wird uns retten!»

«Das bezweifle ich.» Paco zerschnitt die Fesseln der Kinder und warf sie in den Abfalleimer. «Und jetzt zieht diese Kleider an. Wir wollen ja nicht, dass ihr euch bei dem garstigen Wetter noch eine Erkältung holt. Danach kriegt ihr feine, neue Fesseln.» Er zählte vier Kabelbinder ab und wartete.

Lukas schlüpfte aus seinem Pyjama und zog Jeans, T-Shirt, Pulli und Socken an. Dann schnürte er sich die Turnschuhe zu. Lorena stand stocksteif daneben, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und kniff den Mund zusammen. Caleb reichte ihr das weisse Röckchen wie eine heilige Gabe und leckte sich hastig über die Lippen.

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